Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis
Psalm 59
Nach der Aussage der Verse 6 und 9 ist es eine Menge von Völkern, die hier als Feinde gegen das Volk des Psalmdichters auftreten. Indem sie Israel angreifen, wenden sie sich zugleich feindlich gegen den HERRN, Jahwe, den Bundesgott Israels. Sie werden sehr bald die niederschmetternde Feststellung machen müssen, dass Er nicht nur der Gott Jakobs ist, sondern „in Jakob herrscht bis an die Enden der Erde“ (Vers 14). Dies ist eine prophetische Ankündigung des kommenden Reiches Christi, des Messias Israels, wenn Er von Jerusalem aus über die ganze Erde herrschen wird: „Und er wird sein wie das Licht des Morgens, wenn die Sonne aufgeht, ein Morgen ohne Wolken“ (2. Sam 23.4). An jenem Morgen der Zukunft wird der gläubige Überrest Israels die Güte des HERRN jubelnd rühmen, weil Er ihre Zuflucht gewesen ist gegenüber den feindlichen Nationen, deren Raubgier und Brutalität der vorliegende Psalm beschreibt. Aus Vers 12 geht deutlich hervor, dass es sich hier nicht um Feinde im eigenen Volk oder um persönliche Gegner aus der nächsten Umgebung des Psalmdichters handelt, wenn auch Gott Davids Verfolgung durch Saul als Anlass für diesen Psalm nimmt – V. 1. Das angefeindete Volk sind die Geliebten des HERRN, für die Er Sich dann als Messias und Retter einsetzen wird. Von jener kommenden Zeit an bleibt Er mit Seinem irdischen Volk, das Ihm dann treu ergeben ist, auf Engste verbunden. Er empfindet dessen Not als Sein eigenes Leiden (Jes 63,9). Zu seiner Zeit sah sich auch David mit dem ganzen Volk verbunden, er trat für sie ein und kämpfte für sie. Was er persönlich zu erdulden hatte, geschah nach göttlicher Vorsehung für Israel. Auch insofern gibt er einen Hinweis auf den Leidensweg des Herrn Jesus.
Diese persönlichen Erfahrungen haben David zubereitet, das Leiden der verfolgten Gläubigen Israels während der kommenden Drangsalszeit vorausschauend zu beschreiben (vgl. Mt 24). In den Versen 2 bis 4 bittet David um Befreiung von den Feinden, die als üble Blutmenschen sich gegen ihn zusammenrotteten und ihn umzubringen suchten. Ihre verbrecherische Haltung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie ihre Feindschaft nicht nur ihm und in kommender Zeit den Gottesfürchtigen aus Israel gegenüber hegen, sondern auch Gott gegenüber. Sie wollen von Gottesfurcht nichts wissen. Der Einsatz aller Kräfte der „Weltbeherrscher dieser Finsternis“ soll Gott und alles an Ihn Erinnernde aus dieser Welt hinausdrängen. Der Entscheidungskampf wird mit furchtbarer Intensität geführt. Das wird am Ende dieses Zeitlaufs erschreckend deutlich zutage treten. Solange diese Auseinandersetzung währt, muss jeder Gläubige darauf achten, dass er immer klar auf der Seite Gottes steht. Nur dann ist er in Sicherheit. Gegen das Böse sollte er nie selbstständig und nicht mit fleischlichen Waffen zu kämpfen versuchen, denn das wäre Unabhängigkeit von Gott. Und dabei würde ihm das Bewusstsein, auf Gott angewiesen zu sein, abhandenkommen. Das Richtige ist, es David gleichzutun, indem man Gott zu seiner Stärke macht und mit Ausharren unter Seiner Güte und Gnade bleibt (Verse 10 und 11). So war David damals ein gutes Zeugnis für die Sache Gottes, und so wird es in der Zukunft auch der jüdische Überrest sein. Bei jeder Konfrontation mit der Welt und den Feinden Gottes ist es bis heute für die Gläubigen wichtig, dass sie sich keiner Schuld bewusst sind und sich selbst nichts nachsagen lassen müssen (Verse 4 und 5; Ps 7,4ff).
Der Psalmdichter rechnete im Glauben mit der absoluten Überlegenheit des HERRN, des Gottes der Heerscharen, dem gegenüber alle Mächte der Bosheit wie nichts sind (Vers 6). Gott wird alle Nationen richten und bestrafen durch den HERRN; „durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und er hat allen den Beweis davon gegeben, indem er ihn aus den Toten auferweckt hat“ (Apg 17,31; 10,42; Ps 9,9; Obad 15). Diese Schriftstellen kündigen das noch zukünftige richterliche Wirken Christi an, das jede Auflehnung des menschlichen Willens gegen den Willen Gottes und jedes Abirren von Ihm und Seinen Geboten der Bestrafung zuführen wird.
In den Versen 7 und 8 werden die Frevler mit im Dunkeln umherstreifenden, unreinen Hunden verglichen, die ruhelos ihrer Gier nachgehen und nichts anderes kennen als ihr ekelhaftes Treiben. In den Versen 15 und 16 kehren sie noch einmal zurück als herumlungernde gefräßige Tiere. Diese Frevler kennen nur sich selbst. In ihren sittenlosen Anschauungen gibt es keinen Gott, der ihr Tun beobachtet und vor dem sie sich verantworten müssten (Vers 8; Ps 10,9–14; 73,11). Maßloser Hochmut (Vers 13) hat sie dazu gebracht, sich über Gott und Seine Ansprüche hinwegzusetzen. Doch Er wird über ihre Selbstüberschätzung lachen und mit Spott über ihr gemeines Treiben hinweggehen (Vers 9; Ps 2,4; 37,13; 57,4).
David indessen verlässt sich auf seinen Gott. Nach Ihm schaut er aus, bei Ihm ist er geborgen und zugleich außerhalb der Reichweite der Gegner (Vers 10; Ps 46,8; 62,3). Darum hat er die ihn umkreisenden Feinde nicht zu fürchten; Gott wird sie untergehen lassen (Vers 11). Im Glauben sieht er, dass sich die Hilfe bereits nähert, denn so kennt er den Gott seiner Güte (Vers 18; Ps 94,18). In festem Vertrauen ist David sicher, dass Gottes Gnade immer über ihm und seinen Umständen waltet, obwohl er zurzeit sehr unter dem Eindruck der gewaltigen Macht des Bösen steht. Sein Glaube behält die Oberhand. Den Untergang seiner Gegner, der Gottlosen, wird er binnen kurzem von sicherer Stelle aus als Beobachter erleben können (Ps 112,8; Jes 66,24). Dann erbittet er, dass die übrigen Gott treu Gebliebenen ebenfalls Zuschauer beim Niederstürzen der Feinde Israels sein möchten (Vers 12). Die Bestrafung der Feinde soll vor den Augen aller vonstattengehen. Es soll öffentlich erkennbar werden, dass es sich um die Vollstreckung von Gottes Urteil handelt und dass die Strafe vollkommen Seiner Heiligkeit entspricht. Zugleich wird aufmerksamen Betrachtern deutlich, mit welcher Macht Gott Sein Volk zu schützen und zu retten vermag. Allen wird vor Augen geführt, welch bittere Früchte die Sünde trägt. Auch heute sucht Gott manchmal, die schuldigen Menschen durch harte Strafen zur Besinnung zu bringen.
Vers 13 betont die Schwere der hier vorliegenden Vergehungen, die durch Worte des Hochmuts, der Lüge und des Fluches gekennzeichnet sind. Mit herabsetzenden Äußerungen, mit Verwünschungen und Verleumdungen waren die Feinde gegen David und das Volk Israel vorgegangen. In den Schlingen dieser bösen Reden sollten die Übeltäter selbst gefangen und von gerechter Vergeltung getroffen werden. Sie haben sich den verdienten Untergang selbst bereitet (Ps 140,12; Jes 13,11). Gott wird durch Sein Handeln ans Licht bringen, wem Er Recht gibt. Das bittere Ende, das Gott den Feinden im Grimm bereitet, wird es beweisen (Ps 58,12; 104,35). Durch die Wiederkunft Christi als Messias Israels wird die Gerechtigkeit Gottes vor aller Welt ans Licht treten. Dann geht die Prophezeiung in Erfüllung, „dass Gott in Jakob herrscht bis an die Enden der Erde!“ (Vers 14; Ps 46,11; 72,8; 83,19). Sein Königtum bedeutet das Ende der Herrschaft Satans und der Feinde Gottes. Die Verse 15 und 16 klingen fast wie Ironie, die den niedergeworfenen Widersachern Gottes gilt. Mögen diese heulenden,Hunde', doch nach Gottes Eingreifen noch einmal von neuem versuchen, die heilige Stadt zu umkreisen und erneut auf Raub und Mord auszugehen! Wie wird es denn dann – nach vollzogenem Urteil und nach der Errichtung der Herrschaft Gottes – mit ihrer Selbsterhebung und mit ihrem vermessenen Reden und Handeln aussehen? (vgl. Hes 28,9.19). Die ihnen gesetzte Frist wird für immer ablaufen und ihr ewiges Gericht ist beschlossene Sache. Dann ist den Gläubigen durch den Herrn Jesus Christus der Sieg über Satan und seine Gefolgsleute gegeben (1. Kor 15,57). Sowohl vorausschauend als auch im Rückblick rühmt David in den Schlussversen 17 und 18 das, was Gottes Güte ihm und den Gläubigen in Israel in ihren schweren Bedrängnissen bedeutet hat und in der Zukunft erneut bedeuten wird. Er lobsingt Gott dafür, dass Seine Kraft ihren Glauben gestärkt hat und dass Gott ihre Hoffnung und ihre Zuflucht gewesen ist. Die durch Seine Gnade Erretteten im Himmel und auf der Erde werden einst in ihren Lobgesang einstimmen und den Gott aller Gnade rühmen.