Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis
Psalm 56
Der Psalmdichter berichtet hier von fortwährenden Nachstellungen durch feindliche Menschen; er empfand dies als eine pausenlose Kriegsführung gegen seine Person. Es genügte ihnen nicht, ihm körperlichen Schaden an Leib und Leben zuzufügen. Auch seine Glaubenshaltung, seine Worte, seine Seele und seine Gefühle machten sie zu ihrem Angriffsziel. Nicht Einzelne, sondern eine ganze Rotte war ständig darauf aus, bei ihm irgendeine Schwachstelle ausfindig zu machen, um sogleich zuzuschlagen. Alles war dazu angetan, bei ihm Angst hervorzurufen und seine körperliche und seelische Widerstandskraft zu brechen. Der Psalm legt dar, was David der aufkommenden Furcht entgegensetzte und wie er das nötige Vertrauen gewann, um bestehen zu können. Furcht kann zu einem zersetzenden Feind und ständigen Störer auf dem Glaubensweg werden. Aus diesem Psalm ist zu lernen, wie der Glaube die Kraft vonseiten Gottes in die Wirklichkeit umsetzt und wie der Glaube den schwer Geprüften zu seiner Stärkung unter das Wort Gottes und ins Licht der ewigen Dinge führt, so dass der Bedrängte von niederdrückender Furcht befreit wird (Jes 8,12–14; Jes 31,3; Jes 51,12f; Mt 10,26–31; Mk 4,40; 2. Kor 4,8; 1. Pet 3,14f).
Während die Gegner ihn wie Wölfe umkreisten, wusste David durch Glauben, dass die Güte Gottes beschirmend über ihm war und dass Seine Augen ihn begleiteten. Genauso aufmerksam, wie Er Davids tägliches Ergehen vermerkte, notierte Gott ebenfalls die Namen der Feinde. Gott sah den Hochmut derer, die in ihrem Stolz nicht an Ihn glaubten und an Seiner Macht zweifelten (Verse 2 und 3). Als sie den Knecht Gottes aufgriffen, rechneten sie nicht damit, dass sie es nun zugleich mit dem Allmächtigen zu tun hatten. Sie waren sich nicht darüber klar, dass ihre Macht Ihm gegenüber gar nichts bedeutete und dass sie als vergängliche Menschen wie nichts vor Ihm waren (Ps 54,5; 57,4; 59,4). Es wird hier besonders betont, dass ihre Angriffe keine Unterbrechung kannten. So offenbarte sich die Nachhaltigkeit der Energie des Bösen in ihnen. Nicht minder zeigte sich die Tiefe ihres Hasses als Antrieb für ihre Mordgier. Doch der von ihnen Aufgegriffene wusste, wo er Hilfe fand: „An dem Tag, da ich mich fürchte, vertraue ich auf dich“ (Vers 4). Das genügte ihm in jeder Not. Er kannte die Güte und die Macht seines Gottes; das war die Grundlage seines Vertrauens. Sein Glaube hielt ihn jeden Tag in lebendiger Beziehung zu Gott, der immer vor seiner Seele stand. So wurde seine Furcht weggenommen. Angesichts aller Bedrohung rechnete er fest mit der Treue Gottes: „ Er wird dich nicht versäumen und dich nicht verlassen“ (5. Mo 31,6b).
David ehrte das Wort Gottes und rühmte es (Vers 5). Der Heiligen Schrift galt Davids Hochachtung ebenso sehr wie dem Namen Gottes selbst. Durch die Offenbarung Gottes in Seinem Wort lernen wir die Hilfsbereitschaft und Treue des Herrn und göttliche Liebe und Güte kennen. Aus dem Wort empfangen wir Gottes Zusagen als untrügliche Verheißungen. Das Wort versichert dem Glaubenden, dass Gott für ihn ist. Durch die Heilige Schrift erlangen wir die Gewissheit unseres Heils in den ewigen Wohnungen bei dem Herrn. Für den Gläubigen ist die Heilige Schrift die absolute Autorität. Auf dieses unerschütterliche Fundament stützen sich alle Überzeugungen. Der Glaube beruft sich auf die Aussagen der Schrift als das Zeugnis, das absolut wahr ist. Jeder wahre Gläubige erkennt, dass der Heilige Geist durch das Wort vollkommen Gutes wirkt und ewig Bleibendes hervorbringt. Das Wort war die sichere Grundlage der Glaubenshaltung Davids. Die Zuverlässigkeit der Heiligen Schriften hatte er auf seinem Glaubensweg fortwährend erfahren. Darauf beruhte seine Gewissheit, auf Gottes Seite zu stehen, und dass der Allmächtige auf seiner Seite stand. Darum besaß er die Kühnheit, zu sagen: „Ich werde mich nicht fürchten; was sollte das Fleisch mir tun?“ (Vers 5). Zweifel schob er beiseite, weil sein Glaube verankert war in Gott und in Seinem Wort. Die Umstände, die ihm Furcht einflößen konnten, machten ihn nicht wankend. Für ihn waren sie der Anlass, seine Zuflucht zu Gott zu nehmen, zu Ihm aufzublicken und Ihm völlig zu vertrauen (Ps 116,10; 118,6; 119,23.24). Durch die Gottesfurcht wird die Menschenfurcht überwunden. Indes brachte Davids Glaubenskraft kein frommes Selbstgefühl bei ihm hervor. Ihm war bewusst, dass sein Vertrauen auf Gottes Gnade beruhte. Daher rühmte er Ihn und Sein Wort allein, denn von dort her bezog er seine Kraft ausschließlich.
Die Bosheit der Feinde, die in den Versen 6 bis 8 im Einzelnen beschrieben wird, ist gänzlich anderer Natur als Davids Haltung der Abhängigkeit von Gott und Seinem Wort. Wie furchtbar sah es im Innern dieser hasserfüllten Leute aus und was für niederträchtige Ziele verfolgten sie! „Sollte bei ihrem Frevel Rettung für sie sein?“ Unmöglich konnte Gott ihre Anschläge gelingen lassen. Er würde sie richten und niederwerfen. Sie konnten Seinem Zorn nicht entrinnen (Vers 8; Ps 59,3.4; Spr 22,8). David hingegen besaß den Trost, dass seinem Gott nicht die geringste Einzelheit seines oftmals bitteren Weges entging. Gott sah, wie häufig er von seinen Verfolgern hin und her gejagt wurde, und verzeichnete seine Tränen (Vers 9; Ps 69,18–20; Heb 11,36–38). Dass Gott ein deutliches Interesse an ihm hatte und dass dies auch weiterhin gelten würde, war für David eine feststehende Tatsache. Was konnten ihm die Menschen dann anhaben? Er hätte dessen nicht so gewiss sein können, wenn nicht sein Herz aufrichtig für Gott und seine Sache eingenommen gewesen wäre. Und deshalb war er auch sicher, dass Gott ihn von seinen Feinden befreien würde (Vers 10; Ps 57,3). Sein Glaube wurde nicht enttäuscht, wie seine weitere Geschichte beweist. Gott blieb bei ihm, und David hatte nichts anderes im Sinn, als bei Gott zu bleiben. Darin auszuharren, war notwendig, denn bei aller Festigkeit und trotz guter Zuversicht war die Gefährlichkeit der Gegner keineswegs zu unterschätzen.
Der treue Gott würde zu Seinem Wort stehen, dass Er dem zu Hilfe kommt, der Ihn sucht, Ihm vertraut und Seinem Wort gehorcht (Vers 11). Daraufhin würde David von neuem Anlass haben, die Zuverlässigkeit der Schrift und der Verheißungen Gottes zu rühmen. Wie die Glaubenszeugen, die in vergangener Zeit ihr Vertrauen auf den Gott Israels gesetzt hatten und nicht enttäuscht wurden, so würde auch sein Glaube durch die Hilfe von oben bestätigt werden und Gottes Ruhm erhöhen. Auf Selbsthilfe und eigene Sicherheiten konnte er getrost verzichten, weil er Gott fürchtete und auf Seine Hilfe baute. Darum fürchtete er auch die Feinde nicht (Vers 12; Jes 43,2; Heb 13,6). Sein Gottvertrauen gab ihm innere Ruhe und sichere Hoffnung (Phil 4,6.7). Nachdem Gott ihn aus der Not herausführen würde, wollte er seine Dankesschuld abtragen und Ihm mit Freuden Lobopfer bringen (Vers 13; Ps 50,14.15; 116,12–14). Er verdankte Gott das Leben, auch die Rettung vom Tod und ebenso sein Überleben in schwierigen Zeiten. Hinzukam die Bewahrung vor dem Sturz, der zunächst unausweichlich schien (Ps 30,4; 116,8). Aber das Größte, das über das diesseitige Leben hinausgeht, ist, für immer am endgültigen Ziel zu sein. Dies zu erreichen, streckte er sich aus: „damit ich vor dem Angesicht Gottes im Licht der Lebendigen wandle“ (Vers 14; Ps 27,13; 97,11; 142,6; Hiob 33,28–30). So weitgehend war bereits die Heilsgewissheit vieler Gläubiger im Alten Testament. Sie erwarteten die Stadt, die unvergängliche Grundlagen hat und deren Baumeister und Schöpfer Gott ist, und ein himmlisches Vaterland (Heb 11,10.14–16). Im Glauben vertrauten sie darauf, dass Gott sie aus dem Machtbereich des Todes und der Finsternis in den Bereich des Lebens und des Lichts versetzen werde. Das Ziel des wahren Glaubens und seine endgültige Erfüllung kann nur das Anschauen des HERRN sein. Das hält Er für die Gläubigen bereit, wenn auch für die des Alten Testaments in anderer Weise als für die Gläubigen des Neuen Testaments.