Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis
Psalm 34
Der Psalm enthält verschiedene Aufforderungen zu einem geistlichen Verhalten und manche Bemerkungen über den Segen, der sich aus der Befolgung seiner Ratschläge ergibt. Gute Saat erbringt reichliche Ernte. Wer danach strebt, in der Gottesfurcht Fortschritte zu machen, erhält in diesem Psalm eine geeignete Anweisung. Die Belehrungen gelten durchweg dem täglichen praktischen Glaubensleben. Eine Reihe von Unterweisungen im dritten Kapitel des ersten Briefes des Petrus haben die gleiche Blickrichtung. Daher werden die Verse 13 bis 17 aus dem vorliegenden Psalm dort zitiert mit dem Ziel: „Heiligt Christus, den Herrn, in euren Herzen!“ (1. Pet 3,10–12.15). Hier wie dort wird als unerlässlich angesehen, dass der Gläubige Abstand nimmt von der verderbten, falschen Lebensführung dieser Zeit und Welt und dass er zur Ehre seines Herrn lebt. Das bedeutet, Ihm zu dienen, nicht aber dem eigenen Ich und seinen Wünschen. Dann werden sich gute Fortschritte im geistlichen Urteilsvermögen einstellen. Es wird sichtbar werden, dass man den „neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit“, angezogen hat (Eph 4,23.24). Erneuert in der Gesinnung, unterscheidet man kritisch zwischen den vielen Möglichkeiten, die das Leben bietet. Man ergreift sie oder man verwirft sie im Blick auf die Heiligkeit und das Zeugnis für den Herrn (Eph 5,10).
Nach den Vorsätzen des Psalmdichters in den Versen 2 bis 4 soll in seinem weiteren Leben das Loben, Rühmen und Erheben des HERRN nicht mehr zum Erliegen kommen. Sein Mund soll zum Ausdruck bringen, dass Herz und Seele dem HERRN gehören. Darin möchte er anderen ein gutes Vorbild sein. Die sanftmütigen Geduldigen, denen es nicht schwerfällt, sich in Demut zu beugen, sollen seinem Beispiel folgen und in das freudige Lob mit einstimmen (Vers 3; Ps 69,33). Offenbar denkt er an einen öffentlichen Gottesdienst zur Anbetung, wozu sich Gottesfürchtige versammeln, um miteinander den Namen des HERRN zu erhöhen (Vers 4; Ps 35,27 und 40,17). Gott liebt das einmütige, vom Heiligen Geist gewirkte Lob Seiner Kinder (Ps 89,16f und 119,63; Apg 2,46.47). Dem Psalmdichter geht es darum, dass der Glaube des Einzelnen durch geistliche Gemeinschaft beim Loben und Danken gestärkt wird. Es hat den Anschein, dass er in diesem Psalm nicht über seine persönlichen Erfahrungen sprechen möchte. Aus diesem Grund wechselt er in den nun folgenden Versen immer wieder von der Einzahl zur Mehrzahl über, so bei dem Übergang vom fünften zum sechsten Vers, auch vom siebten zum achten Vers und weiterhin. Wie bei ihm als einzelnem Gläubigem, so wird auch der Glaube der Gottesfürchtigen als Gesamtheit nicht enttäuscht werden. Sie alle werden auf ihren Hilferuf hin erleben, wie der HERR ihnen in Güte antwortet, dass Er sie im Glauben stärkt und sie von ihren Ängsten und Besorgnissen befreit (Verse 5 bis 10; Ps 3,5 und 138,3; Mt 7,7–11).
Die Gottesfürchtigen können sicher sein, dass Gott auf jede Bezeugung persönlichen Glaubens antwortet. Wenn der Fall es erfordert, sendet Er Seinen Engel zu ihrem Schutz, so dass sie sich trotz der sie umgebenden Gefahren in Sicherheit fühlen (Verse 7 und 8; Ps 35,5.6; Apg 12,11). Das Ergebnis ist, dass ihre Gesichter nicht mehr von Kummer und Sorge geprägt sind, sondern vor Freude strahlen als ein Widerschein der Güte Gottes. Jeder Gläubige, der seine Zuflucht zu Ihm nimmt (Vers 9), wird Erfahrungen machen von dem Glück, in Ihm geborgen zu sein, und dies desto deutlicher, je größer die vorhergehende Not war (Ps 84,12f; Klgl 3,22–26; Jak 5,11; 1. Pet 2,3). Solche geistlichen Erfahrungen kann man von niemand lernen oder übernehmen, sie müssen ganz persönlich im Leben des Gläubigen gemacht werden. Durch das selbst Erlebte lernen wir den Wert der Liebe und Güte unseres Herrn am besten kennen. In der Aufforderung, dies zu „schmecken“, liegt nichts Mahnendes (Vers 9). Der Dichter wünscht seinen Lesern die gleichen segensreichen Erfahrungen, auf die er selbst zurückblicken kann. Wenn der Gläubige auch durch schwere Erprobungen geführt wird, so wird er doch nachher bestätigen: „Keinen Mangel haben, die ihn fürchten“, und: „die den HERRN suchen, ermangeln keines Guten“ (Verse 10 und 11). Durch Glauben ist der Geprüfte überzeugt: „Mir wird nichts mangeln“ (Ps 23,1 und 107,9). Dieses gläubige Vertrauen hat nicht einen garantierten Lebenserfolg und ungestörte Wohlfahrt im Sinn. Auch steht dem Glauben nicht lediglich die Abhilfe vom Mangel vor Augen. Viel wichtiger ist ihm die unendliche Liebe und Allmacht des himmlischen Vaters.
Der Psalmdichter setzt in Vers 12 und weiterhin seine Aufrufe an die Gottesfürchtigen fort, aber nun im Ton des erfahrenen väterlichen Lehrmeisters. Zur Übung in praktischer Gottesfurcht folgen bis Vers 17 die in 1. Pet 3,10–12 zitierten Worte. Als Erstes gilt es, der Aufforderung „Kommt!“ Folge zu leisten, aber dies nicht erst dann, wenn man bereits zu den Alten gezählt wird, sondern solange man noch zu den „Söhnen“ gehört (Vers 12). Als Zweites geht es um das Zuhören und daraufhin um das willige Befolgen des Wortes. Dann wird Gott zu Seinen Zusagen stehen und „bleibendes Gut“ schenken (Spr 8,17–19; Pred 12,1). Unter dem Begriff ‚Belehrung‘ können Aufklärung über Grundregeln und lehrhafte Zusammenhänge, Begriffsbestimmungen und Unterweisung verstanden werden. Doch allem voran gilt es, „die Furcht des HERRN“ zu lernen, denn „die Furcht des HERRN ist der Weisheit Anfang; und die Erkenntnis des Heiligen ist Verstand“ (Spr 9,10). Der Heilige Geist wirkt dort, wo man dem Wort: „Seid heilig, denn ich bin heilig“ nachkommt und wo Gottesfurcht im Herzen wohnt, denn „die Furcht des HERRN ist rein und besteht ewig“ (Ps 19,10; 1. Pet 1,16). Wenn die Liebe zu dem Herrn und Seinen Geboten und das Wirken des Heiligen Geistes fehlen, entsteht selbst bei angestrengtem Lernen lediglich ein hohles Gedankengebäude, dem das geistliche Fundament und die Festigkeit der Glaubensüberzeugung fehlen, insbesondere aber die Nähe zu Gott. Daher wird es bei der unumgänglichen Erprobung und unter Belastung einstürzen.
Darf man nicht – gerade auch in der Jugend – „Lust zum Leben“ haben oder „Tage lieben, um Gutes zu sehen“? (Vers 13). Weder Gottes Güte noch Seine Gerechtigkeit werden das Gegenteil fordern. Aber entscheidend ist, was für eine Art von Lust wir wünschen und was für Gutes wir im Sinn haben. Das geringfügig abweichende Zitat der Psalmworte in 1. Pet 3,10 vermittelt das richtige geistliche Verständnis: Wir sollen absoluten Vorzug dem geben, was Gottes Geist uns in den nun folgenden Versen empfiehlt. Dann haben wir die Entscheidung für das wahrhaft Gute getroffen, und dies wird uns zum bleibenden Nutzen sein. Darüber hinaus wird es dem Herrn zur Ehre sein und anderen zum Segen gereichen. Zum Betreiben solch guter Werke ist jeder Christ berufen (Tit 3,8; 1. Pet 2,20–22).
Am raschesten und daher wohl am häufigsten wird mit Worten gesündigt (Vers 14), dies aber hat viele üble, nicht wieder gutzumachende Folgen (Ps 39,2; Lk 6,45; Jak 1,26 und 3,2–12). Das Böse, das mit der Zunge gesät wurde, führt zu schlimmer Ernte. Das menschliche Herz ist bösartig verdorben (Jer 17,9), und dieses Böse fließt über die Zunge oft ungehindert hervor. Schlechten Gedanken möchte man wünschen: Wenn sie doch wenigstens nicht geäußert worden wären! Viele kleine Brände sind gelegt worden, die der Teufel zum Großfeuer anfachte. Oft sind durch Reden tiefe Wunden geschlagen worden. Durch diese Fehler ist mancher unbedacht oder unbewusst in die Dienste des Feindes der Menschen getreten, der aus dem hingeworfenen Wort einen Flächenbrand zu entfachen versteht (Eph 4,25; Kol 3,9).
Vers 15 fährt mit kurzen, unmissverständlichen Aufrufen fort, die Gottesfurcht durch die Tat zu beweisen. Als Erstes wird gefordert: „Weiche vom Bösen!“ – „Die Furcht des HERRN ist: das Böse hassen“ (Spr 8,13; Ps 37,27). „Verabscheut das Böse, haltet fest am Guten“ (Röm 12,9). Die Grenzlinie zwischen dem Guten und dem Bösen wird in der Heiligen Schrift ganz deutlich gezogen. Niemand sollte sich bereitfinden, die festgelegten klaren Grenzen zu verwischen. Wer sich nicht eindeutig vom Bösen absondert, wird sich ihm ganz sicher irgendwann anpassen. Man prüfe, „was der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist“. Dann folgt die Aufforderung: „Lass dich nicht von dem Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten“ (Röm 12,2.21). Es gibt ständig sehr viel Gutes zu tun, doch es muss in Abhängigkeit von Gottes Willen begonnen und unter der Leitung Seines Geistes fortgeführt werden.
Wahren Frieden mit sich selbst und mit anderen kann man nicht haben, wenn man die vorhergehenden Forderungen nicht erfüllt hat (Vers 15b). Wer Frieden halten will, muss sich dem Bemühen um echte Bereinigung unterziehen und die Anstrengung des ‚Nachjagens' auf sich nehmen. „Jagt dem Frieden nach mit allen und der Heiligkeit!“ (Heb 12,14). „Denn das Reich Gottes ist... Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist“ (Röm 14,17 und 12,18). Neben der Heiligkeit des Gott gemäßen Friedens ist in dem angeführten Wort auch der unlösbare Zusammenhang des Friedens mit göttlicher Gerechtigkeit angesprochen. Ein Frieden ohne die Gerechtigkeit ist lediglich eine Täuschung. „Das Werk der Gerechtigkeit wird Frieden sein und der Ertrag der Gerechtigkeit Ruhe und Sicherheit in Ewigkeit“ (Jes 32,17; Jer 6,14; Jak 3,18). „Glückselig die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes heißen“ (Mt 5,9).
In den Versen 17 bis 23 bildet die Rechtschaffenheit der Gerechten, die von echter Gottesfurcht begleitet sein muss, eine wichtige Grundlage der Zusagen des HERRN. Ohne Unterlass richtet sich das Augenmerk des HERRN auf die Gerechten. Seine Ohren hören ihr Flehen (Vers 16; Ps 10,17; 33,18; 94,9;). Dagegen werden die, die Böses verüben, als Seine Gegner bestraft werden (Vers 17; Ps 9,6.7 und Ps 112,6.10; Spr 10,6.7). Wenn rechtschaffene Gläubige zu Ihm schreien, wird Gott nach den Plänen Seiner Weisheit zu Seiner Zeit hören und sie erretten (Vers 18; Ps 18,7 und 55,23; Jak 5,16). Bei den vielfältigen Formen des Leidens kommt es auf die rechte Einstellung des Bedrängten gegenüber dem Willen Gottes an. Zu leiden haben auch die Gottlosen, aber sie sind nicht willens, sich mit zerschlagenem Geist demütig vor Gott niederzubeugen (Vers 19). Die Gottlosen trotzen Gott, aber die Gottesfürchtigen prüfen sich und demütigen sich vor Ihm (Ps 18,28; 51,19; 138,6; Jes 57,15 und 61,1). Ihnen liegt die Ehre Gottes am Herzen. Sie bitten um Führung und um Kraft von oben, während die Ungerechten bei ihrem Hochmut und Eigenwillen bleiben. Gerade in seiner Schwachheit wird der Gerechte die Nähe des Herrn erfahren, und sie wird ihm zur Kraft werden (Ps 147,3; Jes 30,26). Er darf sicher sein, dass die Augen des Herrn über ihn wachen und ihn durch jede Not hindurch tragen werden. Niemals wirkt sich das Unheil an einem Gerechten verderbenbringend aus. Das Herz des Gläubigen wird ruhig in der Gewissheit, dass sein Gott ihm immer nahe ist als Retter und Erlöser, als Arzt und Freund, als Anwalt und Vater.
Der Gerechte kann nicht erwarten, dass sein gottgemäßes Verhalten bereits in dieser Zeit durch irdisches Wohlergehen belohnt wird (Vers 20). Wenngleich er das Glück eines Lebens in Gemeinschaft mit Gott und in innerem Frieden genießt und sich dessen erfreut, setzen ihm doch die zahlreichen Übel des Alltags oft hart zu, da bekanntlich jeder Tag dieses Lebens an seinem Übel genug hat (Mt 6,34; Apg 14,22; 1. Thes 3,3; 2. Tim 3,11.12). Aber der Gerechte wird nicht darin umkommen wie der Gottlose, der keine über sein irdisches Leben hinaus reichende Hoffnung besitzt (1. Thes 4,13f). Denn den Gläubigen kann niemand aus der Hand Gottes rauben. Sein Glaube an den ewigen Gott gibt ihm die feste Überzeugung, dass sein Leben über den Tod hinaus bestehen bleiben wird (Hiob 19,25; Heb 11).
Den Gottesfürchtigen trifft der Tod nicht mehr als verdiente Strafe. Den Gottlosen dagegen wird das Böse töten, das er dem Guten vorzog und das er vor Gott nicht als Sünde bekennen wollte (Vers 22). Jede Sünde, alles Böse, trägt eine furchtbare Energie in sich, die für den, der die Sünde begangen hat, Gericht zur Folge hat (Vers 22). Die Seele Seiner Knechte dagegen erlöst der HERR (Vers 23). Weil sie ihre Zuflucht zu Ihm genommen haben, werden sie nicht büßen, denn ihre Schuld wird ihnen aufgrund ihres Glaubens nicht zugerechnet. Sie erwarten die Erlösung und Befreiung sowohl körperlich als auch geistlich. „Der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben“ (Hab 2,4; Röm 1,17). Der Herr Jesus konnte als der allein vollkommene Gerechte die Zusage des Verses 21, dass nicht eines Seiner Gebeine zerbrochen werden würde, für Sich in Anspruch nehmen. Sie ist auf dem Kreuz und in Seinem Tod an Seinem Leib in Erfüllung gegangen (Joh 19,33; 36). Er ist im Tode gewesen und ist am dritten Tag auferstanden. So hat Er dem Tod die Macht genommen, und durch diese machtvolle Tat hat Er für alle, die an Ihn und an Sein Wort glauben, den Weg ins ewige Leben bereitet.