Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis
Psalm 19
Die Himmel mit der Sternenwelt erzählen in einer für die Menschen anschaulichen Weise die Herrlichkeit Gottes, des Schöpfers (Vers 2). „Die geschaffene Natur liefert eine gut verständliche Beschreibung ihrer selbst für jeden Menschen, der sich von ihr beeindrucken lässt. Die Sprache der Natur kennt nicht die Begrenzungen und Verständigungsschwierigkeiten der verschiedenen menschlichen Sprachen. Ungehindert wird die lautlose Stimme des Schöpfers in der Natur zu allen Zeiten von den so verschiedenen Völkern der Erde verstanden. Überall belehrt sie jeden, der mit Ehrfurcht hinschaut, über die Weisheit, die Macht und die Güte Gottes, des Schöpfers“ (A. Weiser). Die Unveränderlichkeit der Sternbilder, die Regelmäßigkeit der Umlaufbahnen von Himmelskörpern und die gleichbleibende Leuchtkraft des einzelnen Sterns ehren die Weisheit und den Schönheitssinn dessen, der sie geschaffen hat (Spr 3,19 und 8,27). Seit Menschengedenken bestehen sie und bleiben in ihrer Ordnung erhalten. Schon vor langer Zeit hat der Mensch ihnen Namen gegeben, die immer noch gebräuchlich sind. Wie von selbst unterliegt der Mensch dem Eindruck, in einer durchaus verlässlichen, natürlichen Weltordnung zu leben. Verglichen mit dem Firmament kommt sich der Mensch klein und vergänglich vor, daher neigt er dazu, die Sterne zu verehren. Doch verehrungswürdig ist allein Gott, der als Schöpfer über das Universum unendlich erhaben ist. Er steht außerhalb alles Geschaffenen, denn Er wohnt über den Himmeln. Dennoch ist Er überall gegenwärtig (Ps 8,2 und Ps 113,4–6; Jes 40,25f). Allem Geschaffenen hat Gott ein Maß gesetzt. Er hat ihren Anfang und ihr Ende festgelegt. Die Existenz der Schöpfung leitet sich allein von Gott her, und sie bleibt von Ihm abhängig (Ps 102,26–28; Jes 34,4 und 40,12; Röm 8,20; Heb 1,10–12). Aus dem Stand der Himmelskörper und aus Sternbildern irgendwelche übernatürlichen Vorstellungen abzuleiten und sie als etwas Göttliches anzusehen, bedeutet, Götzenkult zu betreiben. „Denn durch ihn (Christus) sind alle Dinge geschaffen worden, die in den Himmeln und die auf der Erde, die sichtbaren und die unsichtbaren,... Alle Dinge sind durch ihn und für ihn geschaffen“ (Kol 1,16f; Joh 1,3), sie bestehen durch Ihn, den ewigen Sohn Gottes.
Das Wunderbare und das in sehr großem Umfang vorhandene Unerklärliche der Schöpfung lässt deutlich erkennen, dass sie das Werk eines noch weit herrlicheren, überaus weisen Planers und Erhalters ist und dass der allmächtige Gott ihr Schöpfer ist. Der ganze sichtbare Himmel „verkündet seiner Hände Werk“ und das geschieht täglich von neuem (Verse 2 und 3). Am Firmament hat der Mensch das Zeugnis Gottes vor seinen Augen. Es stellt sich ihm an jedem Tag in seiner Größe und Schönheit unverändert vor. So wiederholt sich seit Jahrtausenden die wortlose Verkündigung der Schöpfermacht (Verse 4 und 5; Röm 1,20 und Röm 10,17.18). Das Zitat von Vers 5 in Röm 10,18 betont die Tatsache, dass das Zeugnis Gottes sich über die ganze Erde erstreckt. Zu beachten ist, dass die Verse 2 bis 7 eigentlich nicht von der ganzen Schöpfung im allgemeinen sprechen, sondern nur von dem sichtbaren Himmel, einem vergleichsweise riesigen Gewölbe, an dem die Sonne, für die menschliche Wahrnehmung wandernd, ihre Bahn durchläuft, die ihr von Gott angewiesen ist (Vers 6; 1. Mo 1,14ff). Sie, die bei ihrem Aufgang so strahlend wie ein Bräutigam hervortritt und von der offenbar alles Leben auf der Erde abhängt, hat genau das zu tun, was ihr der Schöpfer als feste Regel für jeden Tag vorgeschrieben hat, auch was ihre Reichweite und das Maß ihrer ständigen Energielieferung anbelangt. Alle auf Erden Lebenden werden sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass sie von dem Vorgegebenen abhängig sind. Doch die Gottlosen behaupten die eigene Unabhängigkeit, sie leugnen den Schöpfer und verwehren Ihm die Ehre. Der Sphäre über der Fläche der Erde obliegt nach Vers 2 bis 7 die Verkündigung der Herrlichkeit Gottes; sie wird auch in Ps 148,1–6 zum Lob des HERRN aufgefordert, und dort wird sie als ‚durch Sein Gebot geschaffen' beschrieben. Das Firmament existiert aufgrund einer Gesetzmäßigkeit, der es nicht ausweichen kann. Alles Geschaffene hat nach der Heiligen Schrift dem Zeugnis von der Größe des Namens Gottes zu dienen. Und in der Verehrung und Verherrlichung des Allmächtigen liegt der Sinn und das Ziel des Ganzen.
Eine Verehrung Gottes von Seiten des Menschen hat zur Voraussetzung, dass das Gesetz und das Zeugnis, die Vorschriften und die Rechte des HERRN in Gottesfurcht eingehalten werden (Vers 8ff). Davon spricht der zweite Teil des Ps 19, und dessen göttliche Botschaft verlangt ebenso aufrichtig ernst genommen zu werden wie das Zeugnis von Gott, das sich in der Schöpfung darstellt. In den Versen 8 bis 12 wird das damals bereits vorhandene geschriebene Wort Gottes das vollkommene Gesetz des HERRN und ein zuverlässiges Zeugnis des HERRN genannt (Ps 119,129–133). „Dem HERRN gefiel es um seiner Gerechtigkeit willen, das Gesetz groß und herrlich zu machen“ (Jes 42,21). Um Ihn in gebührender Weise loben zu können, muss der Anbeter nach der Maßgabe der Vorschriften und Rechte des HERRN und des Gebotes des HERRN leben. Sein Herz und Gewissen werden dadurch gereinigt, und dann kann er des göttlichen Wohlgefallens gewiss sein. Die inneren Augen sind erleuchtet (Vers 9; Eph 1,18), auch hat er Licht und weise Belehrung für seinen Weg (Spr 4,5 und 6,23). Sein Herz ist voller Freude; er verlässt sich auf das Wort Gottes, auf die Wahrheit selbst. Der Gottesfürchtige stimmt innerlich mit den Rechtsbelehrungen des HERRN überein und schätzt sie ein als „gerecht allesamt“ (Vers 10; vergl. 2. Tim 3,16f), sie sind ihm wertvoller und lieber als alles andere Schätzenswerte (Ps 1,2; 119,72.103.127). Er ist sicher, dass ihm das Einhalten der göttlichen Richtlinien den reichen Segen Gottes einbringen wird (Ps 18,21ff und 106,3). Das Wort Gottes vermittelt ihm die Weisheit und Einsicht, dazu auch die Warnungen (Vers 12), die für einen Wandel nach Gottes Gedanken notwendig sind. Die Schrift gibt ihm Erkenntnisfähigkeit, um Irrtum und Täuschung von der Wahrheit unterscheiden zu können.
Die Verse 13 bis 15 zeigen, dass David aus Gottes Wort zusätzliche Erkenntnisse gewann und sie in die Tat umsetzte. Er war bereit, sich ihnen jederzeit schonungslos zu stellen und auch das in seinem Herzen Verborgene vor Gott aufzudecken. Besonders wichtig war ihm die Reinigung von begangenen Sünden. Gott allein konnte ihn davon lossprechen, nur so fand er zu ungetrübter Gemeinschaft und Übereinstimmung mit seinem Gott zurück (Ps 18,27). Auch Paulus strebte danach, „allezeit ein Gewissen ohne Anstoß zu haben vor Gott und den Menschen“ (Apg 24,16). Zu fragen ist: Kenne ich mich selbst genügend? Wann war ich zuletzt wirklich im Licht Gottes? Bin ich misstrauisch mir selbst gegenüber, oder gebe ich mich der Selbstzufriedenheit hin? Öffne ich dem Herrn täglich mein ganzes Herz? Überhöre ich bestimmte Mahnungen bewusst oder unbewusst? Brauche ich nicht eine tiefergehende Einsicht? – Doch selbst dann, wenn alles sorgfältig in Betracht gezogen wird, können Mängel und Verfehlungen vorhanden sein, die man nicht als solche erkannt hat. Deshalb die Bitte: „Was ich nicht sehe, zeige du mir!“ (Hiob 34,32).
Von solchen, die von Hochmut und Übermut beherrscht waren, wollte David deutlichen Abstand halten. Er mied sie, um ihrem Einfluss zu entgehen, und bat um Bewahrung. „Lass kein Unrecht über mich herrschen!“ (vgl V.14; Ps 119,133; Röm 6,12–14). „Lass dich nicht von dem Bösen überwinden!“ (Röm 12,21). Solche Bitten kommen aus einem demütigen Herzen, und dann wird der Herr Gnade geben zur rechtzeitigen Hilfe. Offensichtlich ging es David darum, dass sein Mund nicht etwas sagte, was nicht zugleich auch der rechten Herzenshaltung entsprach (Vers 15). Alles andere wäre nicht lauter und aufrichtig gewesen. Eine solche Gesinnung ist wohlgefällig vor Gott (Ps 17,3 und 104,34; 2. Kor 2,17). Offenbar wusste David, dass er einen Erlöser brauchte. Kein Mensch kann einen anderen erlösen (Vers 15; Ps 49,8f und 103,4). Nur Gott, der Richter Selbst, konnte für ihn eintreten und ihn von Sünden freimachen. Nur von Ihm konnte der Erlöser kommen, der inzwischen in der Person Jesu Christi gekommen ist, „in dem wir die Erlösung haben durch sein Blut, die Vergebung der Vergehungen“ (Eph 1,7). Seit jeher gab die Schöpfung Zeugnis von der Güte Gottes, und das Gesetz bezeugte Seinen Willen. Doch keines von beiden konnte den sündigen Menschen erretten. Daher war es notwendig, dass Christus in diese Welt kam als der Retter (oder: Erlöser, Befreier; Apg 7,35), der Heiland der Welt (Joh 4,42).