Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis
Psalm 17
In diesem Psalm geht es um wahre Gerechtigkeit, wie sie der gerechte Gott verlangt und letztlich durchsetzen wird (Verse 1 und 15). Dieser Gerechtigkeit stellt sich hier ein moralisch gut dastehender Mensch, und das war David ohne Zweifel; aber nur Christus war es in vollkommenem Maß. Im Verlauf des Psalms erbittet David von Gott, gegenüber den Feinden, den Gottlosen, göttliche Gerechtigkeit wirksam werden zu lassen (Verse 9 bis 13). Gleichzeitig tritt er als Fürsprecher derer auf, die auf Gott vertrauen (Vers 7). Dabei wirft David sein eigenes gottesfürchtiges Leben als Gerechter in die Waagschale. Sein Gedanke ist, dass die Bewahrung, die er von Seiten Gottes erfährt, auch anderen Gottesfürchtigen zugutekommen soll. Und zu allen Zeiten empfindet der Herr mit ihnen in ihren Verfolgungen und ganz sicher auch in ihrem Leiden um des Reiches Gottes und der Gerechtigkeit willen (Mt 5,10; 1. Pet 3,14; Off 2,10). Als Richter übersieht Er kein Unrecht, das ihnen geschehen ist, und wird es zu Seiner Zeit bestrafen, „wenn es denn bei Gott gerecht ist, denen, die euch bedrängen, mit Drangsal zu vergelten“ (2. Thes 1,6; Joh 5,22). Denn mit Überzeugung haben die Bedrängten an den Zusagen der Schrift festgehalten: „Der Herr wird mich retten von jedem bösen Werk und bewahren für sein himmlisches Reich“ (2. Tim 4,18; vgl. Jes 59,16–20).
Nur Jesus Christus, der Sohn des Menschen, kann Sich auf die eigene Vollkommenheit berufen. Sein Gebet kam immer „von Lippen ohne Trug“ (Vers 1; Jes 53,9; 1. Pet 2,22). Wenn wir beten, erwarten wir, dass sich gleichsam Gottes Augen und Ohren auf uns richten. Doch was sieht Er dann in unseren Herzen und Häusern und was bekommt Er zu hören? Wenn Er Unreines, üble Absichten und Unrecht wahrnimmt, wird Er nicht auf uns hören (Ps 66,18; Spr 28,9; 1. Pet 3,7), auch deswegen, weil wir dann leichtfertig, ohne Seine Heiligkeit zu beachten, vor Ihn hingetreten sind. Der Pfad des Herrn Jesus auf der Erde verlief immer rein, heilig und gerecht unter den Augen Gottes. Seine Gedanken waren stets vollkommen rein und lauter (Vers 3). In ununterbrochener Verbindung mit Gott stehend, ließ Er Sich führen. So war der ‚Sohn des Menschen' völlig eins mit Seinem himmlischen Vater und bewahrte Sein Wort (Joh 8,55b). Nie mangelte es an dieser vollkommenen Gemeinschaft, und nie war Er als Mensch allein, wie sonst ein Mensch oft auf sich selbst gestellt ist. Er bezeugte es selbst mit den Worten: „weil ich nicht allein bin, sondern ich und der Vater, der mich gesandt hat“ (Joh 8,16), und: „er hat mich nicht allein gelassen, weil ich allezeit das ihm Wohlgefällige tue“ (Joh 8,29). Da Er als Mensch auf Erden war, richtete Er derzeit niemand (Joh 8,15), schon gar nicht in eigener Sache. Wenn etwas zu richten war, dann überließ Er dies Seinem Gott und Vater, obwohl Er als vollkommen Gerechter für diese Aufgabe geeigneter war als jeder andere. Er dachte nicht daran, als Mensch richterliche Gewalt für Sich zu beanspruchen, wie andere, vom Richtgeist eingenommen, es sich anmaßen. Gleichwohl kannte Er jedes Urteil Gottes, Seines Vaters, und war damit völlig eins. Doch als Mensch wünschte Er, dass Sein Recht von Gott ausgehen möge. Den gleichen Wunsch hatte auch David (Vers 2). Das Recht Jesu war bei Seinem Gott (Jes 49,4 und 50,9). Vor den Augen dessen, dem die Menschen Rechenschaft schulden, geschah alles, was Jesus dachte, redete und tat, es hielt jeder Prüfung stand. Nichts anders Geartetes als nur Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit wurde bei Ihm gefunden (Vers 3). In dem Herzen Jesu war keine Parteinahme, kein Übelwollen und keine Rachsucht, nichts Arges und Falsches, auch kein einziger Gedanke, der vor Gott nicht hätte bestehen können. Wie die vorliegenden Verse bezeugen, wollte sich David dem Grundsatz nach genauso verhalten.
Das Innere des Herzens Christi stimmte mit Seinem Reden überein (Vers 3). Wer Ihn anschaute und hörte, hatte die Wahrheit selbst in hellstem Licht und in göttlicher Vollkommenheit vor sich. Um dies ans Licht treten zu lassen, hatte der Herr viele Prüfungen und Schmähungen zu durchschreiten. Er musste Leiden schlimmster Art erdulden, um dabei den Gehorsam zu lernen (Heb 5,8). Als ein Mensch unter den Menschen nahm Er ihre Handlungsweise wahr und durchschaute ihre Beweggründe bis ins Letzte, wie kein anderer Mensch es jemals vermochte (Vers 4; Joh 2,25). Schmerzlich sah und empfand Er das Verderbte im Menschenherzen, das in scharfem Gegensatz zu Seinem eigenen Wesen und den Geboten Gottes stand. Er ließ sich nicht mit den Menschen ein und gab keiner einzigen ihrer üblen Vorstellungen Raum, sondern hütete Sich wie David vor ihnen und mied ihre Wege, indem Er Gottes Wort bewahrte und an dessen Bahnen festhielt (Vers 5). Es offenbarte sich, dass Gottes Gesetz im Innern Seines Herzens war und dass es Seine Lust war, Gottes Wohlgefallen zu tun (Ps 40,9). Sein treues Festhalten an allem, was aus dem Mund Gottes hervorging, ließ Ihn nur gute, von Gott gewollte Schritte tun, wie es auch von David gesagt wird (Vers 5). Die Haltung Christi blieb mit dem Wort Gottes selbst identisch. Er war in Tat und Wahrheit völlig eins mit Gottes Gedanken. Sein Leben erbrachte den Beweis, dass die Heilige Schrift vollständig genügt, um einen Menschen auf einem Gott gemäßen Weg zu leiten und ihn vor der Sünde zu bewahren (Ps 119,9).
Jesus erfüllte als Mensch jede Voraussetzung für ein Gebet, das der allmächtige Gott erhören kann und auch erhören wird (Joh 9,31 und 11,41f). Dazu nahm Jesus die einem Menschen geziemende Haltung als ein demütig Bittender vor Gott ein (Vers 6; Ps 40,18). Er erflehte Rettung und Güte für alle Gottesfürchtigen, die ihre Zuflucht zu Gott nehmen, weil sie auf Ihn vertrauen (Vers 7). Auf ähnliche Weise verwendete sich David des Öfteren für das Volk Israel. Dazu ermutigten ihn die Gebetserhörungen, bei denen er die Liebe Seines HERRN erfahren hatte (Vers 6). Auf vollkommene Weise hat der Herr Jesus Sich für die große Schar aller wahren Gläubigen eingesetzt. Er wurde von Gott wohlgefällig angenommen und auf herrliche Weise erhört. Um den Auftrag Gottes trotz der Anfeindungen ausführen zu können, bedurfte Er als Mensch einer besonders sorgsamen Bewahrung, vergleichbar der Sorgfalt, mit der der „Augapfel im Auge“ geschützt wird, oder wie etwas im Schatten von Flügeln geborgen wird (Vers 8). Wie David musste sich auch Jesus unter den mächtigen Schutz des Höchsten begeben, um im Schatten des Allmächtigen ungehindert wirken zu können (Ps 91,1.9ff). Die Zusicherungen von Seiten Gottes im Psalm 91 galten vorausschauend Jesus, dem Messias und Sohn des Menschen. Das wusste Satan, der Feind (Vers 9; vergl. Jes 42,1; Mt 4,6; Joh 7,30.44). Der Teufel, das Haupt und der Anführer aller Gottlosen, feindet seit jeher die an, die den Weg Gottes gehen möchten und Seine Aufgaben wahrnehmen. Sie alle wären den Umtrieben des Feindes ausgeliefert, wenn Sich der Allmächtige nicht ihrer annehmen würde. Weil Christus den Feind besiegt hat und nun immerdar lebt, kommen auch die angefeindeten Frommen in den Genuss Seines Sieges. Sie werden in Ewigkeit durch Ihn leben, auch wenn die Feinde gegenwärtig boshaft, stolz und mächtig auftreten (Vers 10f; Ps 10,2 und 119,69f). Satan hat immer solche, die er zu seinen feindlichen Angriffen gegen die Gottesfürchtigen einsetzt, wie es David oft genug zu spüren bekam. Sie lauern denen auf, die auf Gottes Seite stehen, und suchen sie niederzuwerfen, dabei gebärden sie sich oft wie Raubtiere (Ps 10,9f). Solche verleumdeten auch Jesus, sie verklagten Ihn und verlangten Seine Kreuzigung (Verse 11 und 12; Mt 12,14 und 22,15; Lk 4,28–30 und 20,19).
Davids abschließendes Gebet in den Versen 13 bis 15 ruft Gottes Hilfe herbei, damit die Feinde besiegt und die Gottesfürchtigen gerettet werden. In bedrängter Lage erbittet auch der Herr Jesus in Ps 22,20–22 für Sich die Rettung Gottes und ist erhört worden. Allerdings erbittet Er dort nicht das Gericht über Seine Feinde. Die Rettung kam für David rechtzeitig durch Gottes richtendes Eingreifen (Vers 13). Mehrmals im Leben Jesu hatte es den Anschein, als wäre Er bereits in der Hand böser Leute und des Erzfeindes gewesen. Doch dies änderte sich völlig, als das Werk am Kreuz vollbracht war; unmittelbar danach wurde Er ihren Händen für immer entzogen. Wie David auf seinem Glaubensweg, rechnet auch der Gläubige heute nicht vergeblich auf das rechtzeitige Eingreifen Gottes. Der Glaube empfängt die Rettung aus Gottes Hand, ohne etwas dazutun zu können. Für die Leute dieses Zeitlaufs, die den Glauben der Frommen verachten (Vers 14), ist das geduldige Erleiden von Verfolgungen nichts weiter als ein hilflos schwächliches Verhalten und der Glaube lediglich eine törichte Illusion. Sie suchen naturgemäß ihr Teil in dem jetzigen irdischen Leben und mögen sogar weitgehend erreichen, was sie sich vorstellen (Vers 14). Doch „die Welt vergeht und ihre Lust; wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit“ (1. Joh 2,17; Lk 12,15–21 und 16,25). Dann schaut der Gottesfürchtige das Angesicht seines Herrn und Retters, der für ihn eintrat und ihn durch göttlich wunderbares Wirken gerettet hat. Zum Lohn wird der Errettete mit Seinem Bild gesättigt werden (Ps 16,11; 65,5; 91,15f; 1. Joh 3,2;). Das ist die glückselige Hoffnung und das ewige Teil aller, die an den Herrn Jesus Christus glauben.