Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis
Psalm 8
Die Anführung mehrerer Verse dieses Psalms im Neuen Testament macht klar, dass hier sehr Bedeutsames über den Herrn Jesus Christus vorausgesagt wird. Auf Ihn trifft zu, dass Er erniedrigt und danach mit Herrlichkeit und Pracht gekrönt sein würde. Er würde über die Werke Gottes gesetzt sein, und alles würde Ihm unterworfen sein (Vers 6). Im Brief an die Hebräer Kap. 2,5–9 werden diese Aussagen auf Jesus Christus bezogen; sie haben durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes und durch Seine Erhöhung zur Rechten Gottes ihre Erfüllung gefunden. Jesus Christus ist der vollkommene Mensch nach Gottes Ratschluss, der in diesem Psalm vorgestellt wird. Er allein entspricht den hohen Anforderungen der Verse 6 und 7. Durch Ihn werden die Ziele Gottes mit dieser Schöpfung erreicht.
Der Ausruf „HERR, unser Herr, wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde!“ zu Anfang und nochmals am Ende des Psalms ist kennzeichnend für seinen Inhalt. Es geht um die Verherrlichung des Namens Gottes und im Besonderen darum, in welcher Herrlichkeit und Majestät Er Seine Eigenschaften und Sein Wirken offenbart.
Bei der Geburt des Herrn Jesus hatte der Engel des Herrn mit einer Menge der himmlischen Heerscharen im Voraus angekündigt: „Herrlichkeit Gott in der Höhe und Friede auf Erden, an den Menschen ein Wohlgefallen!“ (Lk 2,14). Als der Herr Jesus auf einer Eselin reitend in Jerusalem einzog und viele Ihm den höchsten Platz zuerkannten mit dem Ausruf: „Hosanna dem Sohn Davids! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosanna in der Höhe!“, waren Kinder zugegen, „die im Tempel schrien und sagten: Hosanna dem Sohn Davids!“ (Mt 21,9.15; 23,39; Joh 12,13). Gegenüber den Hohenpriestern und Schriftgelehrten verteidigte der Herr damals die Kinder, indem Er den ersten Teil des dritten Verses aus Psalm 8 anführte. Diese Kinder anerkannten Seine Person, als Sohn Davids auf diese Erde gekommen, und verherrlichten auf ihre einfache Weise Gott, der Sich in Jesus offenbarte. Das ist höchster Ruhm zur Ehre Gottes, und diese gute Tat wird in Psalm 8 durch David prophezeit (Vers 3). Indessen ist Gott nur in der Person und durch das Werk Jesu, des Sohnes Gottes, in Vollkommenheit verherrlicht worden. Und dadurch ist jetzt in der Zeit des Christentums die Möglichkeit geschaffen, Gott in lebendiger Verbindung mit Christus und in Seinem Geist und Sinn in rechter Weise zu verehren. Nur durch Christus und Seinen Geist bewirkt, kommt es zu dem wahren Lob Gottes: „HERR, unser Herr, wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde“ (Verse 2 und 10). Das wird in ewiger Vollkommenheit geschehen, nachdem unser Zeitalter der Gnade und auch das Tausendjährige Reich ihr Ende gefunden haben, „wenn er (Christus) das Reich dem Gott und Vater übergibt, wenn er weggetan haben wird alle Herrschaft und alle Gewalt und Macht. ...Denn alles hat er seinen Füßen unterworfen“ (1. Kor 15,24.27).
Als der Unwandelbare steht der Herr hoch erhaben über dem Geschaffenen. Vers 4 erwähnt rühmend „deine Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast“. Der Weltraum ist für unser Empfinden unfassbar groß und gewaltig. Demgegenüber erscheinen wir Menschen gering und winzig. Zudem ist das Weltall der Grenzbereich, den wir mit unseren Sinnen zwar noch „anschauen“, aber schon nicht mehr wirklich erfassen können. Darüber hinaus reicht unser Vorstellungsvermögen jedenfalls nicht.
Welche Stellung nimmt in diesem unbegreiflich ausgedehnten Raum der Mensch, der Staubgeborene ein? Kommt ihm darin überhaupt eine wesentliche Bedeutung zu? „Was ist der Mensch?“ (Vers 5). Bezeichnend ist, dass an dieser Stelle das im Hebräischen für ‚Mensch‘ gebrauchte Wort auch die Bedeutung ‘schwach, hinfällig‘ hat. Gleich danach ist in Vers 5 von „des Menschen Sohn“ die Rede, und da bedeutet das für ‘Mensch‘ verwendete Wort ‘von Erde‘ (oder: Adam). Wenn nun den Menschen eine so unbedeutende Herkunft und angesichts des Universums eine derartige Geringfügigkeit und Ohnmacht kennzeichnet, was gab dann Anlass, vom Menschen noch viel Aufhebens zu machen und ihm besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden? (Ps 144,3.4). Als „Gott sprach: Lasst uns Menschen machen“ (1. Mo 1,26) und das Baumaterial dazu von der Erde nahm, entstanden irdische menschliche Wesen, die nur unter den Gegebenheiten des Planeten Erde lebensfähig sind. Sie bleiben stets abhängig von den dort geltenden Naturgesetzen und sind dabei Zeit und Raum absolut unterworfen. Die besonderen Fähigkeiten himmlischer Wesen, wie die Engel sie haben, besitzen die Menschen nicht.
Wie beeindruckend ist hier der Gedanke an die Erniedrigung und die Erhöhung des Sohnes des Menschen (Heb 2,5ff; 1. Kor 15; Eph 1). Adam war das Bild Dessen, der da kommen sollte. Christus ist der Mensch nach Gottes Ratschlüssen. „In den Gedanken Gottes ist die gesamte Schöpfung nur der Fußschemel für den zweiten Adam.“ (Rossier, H.: Betrachtungen über die Psalmen, 1978, S. 91) Er, der menschgewordene Sohn Gottes, ist wegen des Leidens des Todes ein wenig unter die Engel erniedrigt worden. Christus ist es, der in Seiner Person und durch Sein Wirken die Aussagen des Psalms 8 erfüllt. Er ist der ewige Sohn Gottes, dem einst alles zu Füßen liegen wird. Durch Seine Offenbarung als Mensch ist sichtbar geworden, was Gott mit der Erschaffung des Menschen bezweckt. In Seiner wunderbaren Person steht tatsächlich und in gottgewollter Weise ein Mensch als Herrscher über der gesamten Schöpfung. Wenn Er in der Zukunft als Gebieter offenbart wird, ist Jesus, der einst der Knecht Gottes auf Erden war, vor allen Lebenden verherrlicht. Er, der sich erniedrigt hat, Mensch auf Erden zu sein, ist dann vor aller Augen mit Herrlichkeit und Pracht gekrönt (Vers 6; Ps 148,13; Jes 59,18.19; 60,1.2; 66,18; Joh 1,49–51). Jeder Feind, vor allem Satan, ist dann zum Schweigen gebracht (Vers 3; Ps 76,9.10; Jes 2,10.11; Hab 2,20). Gottes und des Menschen Sohn, Jesus Christus, ist der wirkliche Träger aller Herrlichkeit in der Schöpfung. Nur Ihm, dem zweiten Menschen, dem Menschen vom Himmel, kommt die überragende Bedeutung zu, die Psalm 8 als die eigentliche Absicht Gottes bei der Erschaffung des Menschen beschreibt. Er ist in der Niedrigkeit eines Menschen auf diese Erde gekommen, Er, der von Ewigkeit her der Sohn Gottes ist.
Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Auferstehung Jesu Christi, der als auferstandener Mensch in den Himmel gegangen ist und dessen Platz seitdem „zur Rechten Gottes ist, indem Engel und Gewalten und Mächte ihm unterworfen sind“ (1. Pet 3,21.22). In Bezug auf das Leiden des Todes auf Erden war Er niedriger (oder: geringer) gemacht als die Engel, aber nun ist Er „mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt“ (Heb 2,6–9). Durch das Zitat der Verse 5 bis 7 aus dem vorliegenden Psalm in dem Brief an die Hebräer macht der Heilige Geist klar, wer hier in Psalm 8,6.7 gemeint ist und dieses prophetische Wort erfüllt hat. Wie sollte einer von diesen geringen, unzuverlässigen Mensch mit Herrlichkeit und Pracht gekrönt und zum Herrscher über die Werke Gottes gemacht werden? Wer ist der überragende Mensch, dem Gott alles unter die Füße stellen kann? Gott Selbst hat durch die Sendung Christi auf diese Fragen geantwortet, denn niemand unter den Menschen hätte jemals diesen Anforderungen gerecht werden und zur Verherrlichung Gottes sein können. Darum hat Er Seinen eigenen Sohn herab gesandt und in Ihm den fehlerlosen Menschen offenbart, der, durch Liebe getrieben, in vollkommenem Gehorsam die Kreuzigung zu erleiden hatte und in den Tod ging. Alles das, was dem Menschen zu der vorgesehenen hohen Bestimmung fehlte, ist in Christus vorhanden, und es wird aus Gnade dem zuerkannt, der an Ihn glaubt und sich in Ihm geborgen weiß. Der gläubige Christ ist „zu seinem eigenen Reich und seiner eigenen Herrlichkeit“ berufen, „zur Erlangung der Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus“ (1. Thes 2,12; 2. Thes 2,14). Diese wunderbare Stellung jedes wahrhaft Gläubigen hat der Herr Jesus ermöglicht.