Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis
Psalm 7
Anlass für diesen Psalm waren nach Vers 1 die verletzenden Worte eines Mannes namens Kusch aus dem Stamm Benjamin. Da dieser Name in der Schrift sonst nicht vorkommt, ist nicht bekannt, um wen es sich handelt. Jedenfalls muss er David verleumdet haben, und deswegen wendet sich David an seinen Gott um Hilfe. David steht in vertrauter Gemeinschaft mit seinem Gott; daher legt er alles, was ihm zustößt, im Gebet vor Ihm offen. Falls ein Unrecht an seinen Händen klebt, will er es nicht vor Gott verschweigen (Verse 4 und 5). Er verfährt hier (Vers 9) nach seinem in Ps 26,1 vermerkten Grundsatz: „Urteile über mich (oder: Richte mich), HERR! Denn in meiner Lauterkeit bin ich gewandelt“. Ein gutes Gewissen vor Gott ist ihm noch wichtiger als das gute Gewissen vor den Menschen (Apg 24,16; 1. Pet 3,15.16). Denn Gott allein ist ein vollkommen gerechter Richter; niemand außer Ihm kann das Herz der Menschen erforschen (Vers 10; Jer 11,20; 17,10). Gott ist der Ursprung der Gerechtigkeit überhaupt, auch ist Er oberster Gerichtsherr und vollkommener Bürge und Sachwalter des Rechts. David möchte, dass eine Rechtfertigung in der vorliegenden Auseinandersetzung von der Gegenwart Gottes ausgeht (Ps 17,2). Selbst wenn Gottes Urteil zu seinem Nachteil ausfallen würde, will er sich dem göttlichen Richtspruch beugen (Verse 4 bis 7). Dabei wird sich die Gerechtigkeit Gottes durch das Urteil und die Bestrafung offenbaren. Dann ist höchstrichterlich klargestellt, wer Unrecht getan hat und welche Strafe angemessen ist. Dieser Ausgang wird zum Lob der Gerechtigkeit des Höchsten gereichen (Vers 18). Bei alledem will David nicht behaupten, ohne Sünde zu sein. „Denn vor dir (vor Gott) ist kein Lebendiger gerecht“ (Ps 143,2; Pred 7,20).
Im Streit mit seinen offenbar mächtigen Feinden nimmt David seine Zuflucht zu dem, der allein wirklich befreien und erretten kann; er kennt keine andere sichere Stütze (Verse 2 und 3). Vor Gott darf er ohne Furcht die ganze Wahrheit sagen. Dabei stützt ihn das feste Vertrauen auf Gottes Güte. Er liefert sich Ihm aus, wie auch immer die Rechtssache auslaufen wird. Wenn wir unser Recht nicht selbst verfechten, sondern die ganze Angelegenheit mit ruhigem Gewissen unserem Herrn überlassen und geduldig auf Seine Hilfe warten, dann lässt Er uns erfahren, dass wir außer Ihm niemandes Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Doch wir dürfen Ihm nicht durch unser eiliges Handeln zuvorkommen, denn „es steht geschrieben: Mein ist die Rache; ich will vergelten, spricht der Herr“. Keineswegs sollen wir auf Rache sinnen, sondern das Böse mit dem Guten überwinden (Röm 12,19–21).
Wenn die Übeltaten der Feinde den Zorn Gottes hervorriefen, und dessen war sich David sicher (Vers 7), dann sollte Gott im Gericht gegen deren Zornaufwallungen einschreiten, denn ihre Ungerechtigkeit richtete sich zugleich auch gegen Gott (Ps 74,22f). Es war Davids Wunsch, dass die von Gott gewollte Rechtsordnung sich durchsetzte. Das würde er wie ein Aufwachen Gottes ihm gegenüber empfinden. Indes ging es vor allem um die Verherrlichung Gottes (Vers 18). Gottes Eingreifen würde beweisen, dass Er als der Richter aller zu dem Zeitpunkt, den Er bestimmt, das Recht durchsetzt und keine einzige Sünde übersieht. An Seinem Gerichtstag werden ohnehin alle Völker die Oberhoheit des Gottes des Himmels, ihres Richters, wahrnehmen müssen (Vers 8) und vor Seiner heiligen Pracht erzittern (Ps 96,9.10 und Ps 98,9). Wohl dem, der mit der Verwirklichung dieser Ankündigung rechnet und sich wie David (Vers 9) bereits jetzt dem Urteil Gottes über die Sünde unterwirft, indem er anerkennt, was die Heilige Schrift im dritten Kapitel des Römerbriefes heute dazu sagt, denn nach diesem Schriftwort haben alle gesündigt, und kein Mensch kann vor Gott Verdienste vorweisen, die ihm zu Gunsten angerechnet werden müssten. David lag es fern, seine eigene Lauterkeit und Gerechtigkeit in die Waagschale zu werfen; er überließ Gott das Urteil. Zum Beweis des Sieges der wahren Gerechtigkeit jedoch wünschte er, dass das schlimme Ende der Gottlosen im Unterschied zum ewigen Bestehen der Gerechten in aller Öffentlichkeit hervortreten möge (Vers 17; Ps 9,7f). Die Gerechtigkeit der Frommen besteht zunächst darin, dass sie von Herzen aufrichtig zu Gott umgekehrt sind, und weil sie Sein Urteil für Recht erkennen. Deshalb werden sie als dem Gericht Entronnene im ewigen Reich des Friedens leben (Verse 9 bis 11; Ps 5,12).
Wer annimmt, dass Gott dem Bösen gegenüber eine scheinbar nicht endende Geduld übe und dass Er auch Sünden unbeachtet lasse, gibt sich einer folgenschweren Täuschung hin. Ausnahmslos alle Sünden sind bis ins Einzelne vermerkt. Nur das Blut Jesu kann sie austilgen und den Menschen mit Gott versöhnen. Der heilige Gott erhält die ganze Schärfe Seines Zorns dem Bösen gegenüber stets aufrecht. Da gibt es keine Ausnahme, kein Nachlassen und keine Unterbrechung Seines Zürnens, obwohl es mitunter so scheinen mag (Vers 12). Wenn der Gottlose nicht zum Ergreifen des Heils in Christus umkehrt, bleibt er dem ewigen Gericht und Tod verfallen. Auch zur Zeit Davids war der Weg des Heils bekannt. Jeder war aufgerufen, vom Weg der Gottlosigkeit zu Gott umzukehren, um dem drohenden Gericht zu entkommen (Jes 55,6.7; Jer 4,1ff).
Aus dem Innern eines Gottlosen wird das Böse ebenso sicher hervorbrechen, wie die Geburt auf die Wehen folgt (Vers 15; Hiob 15,35). Weil das Herz böse ist, wird dieses Unheil unausweichlich in üblem Verhalten zum Vorschein kommen (Jes 57,20). Die Sünde, die im Herzen des Menschen wohnt, verwirklicht sich in jedem Menschenleben mit unbezähmbarer Macht. Die Ungerechtigkeiten richten sich letztlich gegen den Übeltäter selbst (Verse 16 und 17; Ps 9,16 und 57,7; Spr 26,27; Jes 33,11). Zur Aufrechterhaltung des Rechts in dieser Welt hat Gott es so eingerichtet, dass der Böse sich durch sein übles Verhalten wie von selbst Bestrafung zuzieht. In diesem Sinne sagte einst der Herr Jesus; „Alle, die das Schwert nehmen, werden durch das Schwert umkommen“ (Mt 26,52; s.a. Off 13,10). Dieses Grundprinzip bewahrheitet sich so häufig im Menschenleben, dass jeder es wahrnehmen muss und folglich auch im eigenen Fall damit zu rechnen hat. „Irrt euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten! Denn was irgend ein Mensch sät, das wird er auch ernten“ (Gal 6,7), und das ist diesem Bild entsprechend nicht weniger, sondern eher schwerwiegender als das, was er gesät hat. Überzeugt von der Wahrheit und Gültigkeit dieser Grundsätze, verzweifelte David trotz der ihn bedrängenden Bosheiten nicht. Vielmehr wurde er in dem Vertrauen auf Gott bestärkt, der den Aufrichtigen errettet und segnet, andererseits aber mit gleicher Sicherheit den Bösen ins Gericht bringt. Das Ende aller Entwicklungen auf dieser Erde, auch der weiteren Zunahme des Bösen, ist dann gekommen, wenn der göttliche Richter über alle Völker und Zeiten die dem Bösen innewohnenden teuflischen Kräfte vernichtet. Daraufhin wird unter Seiner Regierung ein Reich mit völlig neuen, göttlich geordneten Verhältnissen erstehen. Wenn Gerechtigkeit herrscht, wird der Name des HERRN, des Höchsten, ewig verherrlicht und besungen werden (Vers 18).