Die Offenbarung Jesu Christi
Das Gericht Christi
(Offenbarung 5)
Im vorhergehenden Kapitel wurde Gott als Schöpfer verehrt und angebetet. Jetzt sehen wir ihn als Richter der Erde, der „das ganze Gericht ...dem Sohn gegeben“ hat und „er hat ihm Gewalt gegeben, Gericht zu halten, weil er des Menschen Sohn ist“ (Joh 5,22.27).
„Und ich sah in der Rechten dessen, der auf dem Thron saß, ein Buch, beschrieben innen und außen, mit sieben Siegeln versiegelt. Und ich sah einen starken Engel, der mit lauter Stimme ausrief: Wer ist würdig, das Buch zu öffnen und seine Siegel zu brechen? Und niemand in dem Himmel noch auf der Erde, noch unter der Erde vermochte das Buch zu öffnen noch es anzublicken. Und ich weinte sehr, weil niemand für würdig befunden wurde, das Buch zu öffnen noch es anzublicken.“ (V. 1–4).
Wie wir bereits gesehen haben, nimmt Gott nun seine Pläne mit der Erde wieder auf. Die Verheißungen, die Abraham und David gemacht wurden, hat Gott immer noch vor Augen, obwohl sie eine Zeit lang ausgesetzt werden mussten, weil Christus, auf den diese Verheißungen alle gerichtet sind, verworfen wurde „denn die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar“ (Röm 11,29). Der Mann zu seiner Rechten, der in seiner Niedrigkeit abgelehnt wurde, wurde auf des Vaters Thron gesetzt, während der Geist auf der Erde ein Volk sammelt, um das Wort seines Ausharrens zu bewahren und sie mit ihrem verherrlichten Haupt im Himmel zu einem Leib zu taufen. Das ist der Platz Christi bei der Bildung der Versammlung und erst wenn sie zu Ihm in den Himmel entrückt ist, wird Er sich vom Thron des Vaters erheben um mit dem Gericht zu beginnen.
Nun, da dieses Ereignis stattgefunden hat und die Gläubigen bei seinem Kommen entrückt oder umgestaltet wurden, sehen wir diese in den 24 Ältesten im Himmel. Das Ausharren des Christus ist zu Ende, die Aufrichtung seines Reiches steht bevor. Nun beginnen die Gerichte, die seinem Reich vorausgehen werden. Gott hatte immer vorgesehen, die Welt durch einen Menschen zu regieren. Adam, der in diese Stellung eingesetzt wurde, versagte im Gehorsam zum Verderben für die gesamte Schöpfung. Nachdem nun die Sünde in die Welt gekommen war, erforderte Herrschaft auch die Ausübung von Gericht. So wurde also das Schwert der Regierung Noah anvertraut. Aber auch er erwies sich als unwürdig und wurde für seinen eigenen Sohn zum Gegenstand des Gespötts. Die Bemühungen des Menschen, eine von Gott unabhängige Regierung zu etablieren, wurden in Babel vereitelt und auch danach erwies sich jeder von Gott eingesetzte Führer als unwürdig seine Gerichte auszuüben. Israel hatte darin versagt, Gottes Ziele mit den Kanaanitern umzusetzen, die Richter hatten es nicht geschafft, seine Herrschaft im Land aufrecht zu halten, Saul hatte die Anweisung Gottes in Bezug auf Amalek nicht umgesetzt, das Haus Davids hatte seinen gerechten Anforderungen nicht Genüge getan, bis schließlich das bereits geteilte Volk den Nationen zur Beute gegeben wurde. Aber auch alle Monarchien der Nationen scheiterten und wurden beiseite gesetzt, bis schließlich die letzte der vier Mächte der Schuld des Menschen die Krone aufsetzte, indem sie sich mit dem Volk Gottes in der Ablehnung und Kreuzigung des Messias vereinte. Es wurde „niemand für würdig befunden“. Das Buch des Gerichts Gottes kann nicht von Menschen geöffnet werden, noch kann ein Mensch einen Blick darauf werfen. Wenn Gott Gericht übt, sei es am Berg Sinai oder bei diesen zukünftigen Wehen, wer wird nicht wie Mose „voll Furcht und Zittern“ sein (Heb 12,21)? Der Ausruf des starken Engels bleibt unbeantwortet. Es wurden alle menschlichen Mittel versucht und für alle mögen die Worte gelten, die den Niedergang der ersten Monarchie der Nationen vorhersagten: „Auf der Waage gewogen und zu leicht befunden.“
Wie in der Zeit der Gnade, ist es auch in der Zeit der Regierung. Wo menschliche Quellen erschöpft sind, tritt die Macht Gottes auf den Plan. Johannes weint wegen des menschlichen Unvermögens Gottes Absichten zu erfüllen. Gott aber wartet nur, bis sich dieses Unvermögen vollständig gezeigt hat, um den Mann seiner Ratschlüsse einzubringen.
„Und einer von den Ältesten spricht zu mir: Weine nicht! Siehe, es hat überwunden der Löwe, der aus dem Stamm Juda ist, die Wurzel Davids, das Buch zu öffnen und seine sieben Siegel.“ (V. 5).
Hier kündigt ein Ältester, der die Gedanken Gottes kennt, Christus als Den an, der das Buch des Gerichts nehmen und öffnen kann. Worin alle anderen gescheitert sind, das kann und wird Er tun. Denn Er ist der „Löwe ... aus dem Stamme Juda“. Der Löwe ist ein Bild unerschütterlicher Stärke, sei es im Hinblick auf gesetzloses Handeln, oder wie hier in der Ausführung des gerechten Gerichts Gottes, denn „der Zorn des Königs ist wie das Knurren eines jungen Löwens“ (Spr 19,12). Vor langer Zeit wurde das Bild auf Israel angewendet: „Siehe, ein Volk: Wie eine Löwin steht es auf, und wie ein Löwe erhebt es sich! Es legt sich nicht nieder, bis es den Raub verzehrt und das Blut der Erschlagenen getrunken hat“ (4. Mo 23,24) und speziell von Juda heißt es: „Juda ist ein junger Löwe; vom Raub, mein Sohn, bist du emporgestiegen. Er duckt sich, er legt sich nieder wie ein Löwe und wie eine Löwin; wer will ihn aufreizen?“ (1. Mo 49,9). Diese Prophezeiungen haben sich noch nicht erfüllt, denn der, der die gewaltige Macht Gottes (wofür der Löwe ein Symbol ist) hat, ist noch nicht in diesem Charakter erschienen. Er ist auf der Erde gewesen wie ein Lamm, das zur Schlachtung geführt wird, aber nicht „als der Löwe aus dem Stamm Juda“. Das ist der Charakter, den Er jetzt einnimmt. Er ist auch die „die Wurzel Davids“, denn Gottes Absichten Ihn betreffend können alle von den herrlichen Verheißungen an David und sein Haus hergeleitet werden.
Wir haben hier nicht die Macht und Ehre Christi als Sohn Gottes. Das Gericht ist Ihm übergeben „weil er des Menschen Sohn ist“ (Joh 5,27). Und nicht nur das: seine Herrschaft gründet sich auf seine Erniedrigung bis in den Tod, denn „der, da er in Gestalt Gottes war, es nicht für einen Raub achtete, Gott gleich zu sein, sondern sich selbst zu nichts machte und Knechtsgestalt annahm, indem er in Gleichheit der Menschen geworden ist, und, in seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden, sich selbst erniedrigte, indem er gehorsam wurde bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz. Darum hat Gott ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen gegeben, der über jeden Namen ist, damit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters“ (Phil 2,6).
Christus ist als „der Löwe, der aus dem Stamm Juda ist“, derjenige, der Gottes Gerichte ausführt und als die „Wurzel Davids“ ist Er das Zentrum seiner Ratschlüsse mit der Erde. Aber wie erscheint Er hier?
„Und ich sah inmitten des Thrones und der vier lebendigen Wesen und inmitten der Ältesten ein Lamm stehen wie geschlachtet, das sieben Hörner hatte und sieben Augen, die die sieben Geister Gottes sind, die gesandt sind über die ganze Erde“ (V. 6).
Wenn Gott als Schöpfer gepriesen wird, ist Christus „inmitten des Thrones“ in seiner Ihm eigenen Herrlichkeit – der Herrlichkeit Gottes. Geht es aber um Sein Handeln mit und das Gericht über die Erde, sehen wir Ihn in seiner abgeleiteten menschlichen Herrlichkeit als das Lamm wie geschlachtet. In den sieben Hörnern sehen wir, dass Er mit vollkommener Macht ausgestattet ist, die sieben Augen „die die sieben Geister Gottes sind“, sind ein Symbol für seine vollkommene Einsicht und Weisheit. Denn Christus als Mensch empfängt durch den Geist die Einsicht und Weisheit von Gott und hat somit ein Urteilsvermögen über alle Dinge auf dem ganzen Erdkreis.
Als das Lamm wie geschlachtet, mit der Autorität zum Gericht ausgestattet, empfängt Er seinen Auftrag von Gott.
„Und es kam und nahm das Buch aus der Rechten dessen, der auf dem Thron saß“ (V. 7).
Und nun beginnt die Huldigung „in dem Namen Jesu“.
„Und als es das Buch nahm, fielen die vier lebendigen Wesen und die vierundzwanzig Ältesten nieder vor dem Lamm, und sie hatten jeder eine Harfe und goldene Schalen voll Räucherwerk, welches die Gebete der Heiligen sind. Und sie singen ein neues Lied: Du bist würdig, das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen; denn du bist geschlachtet worden und hast für Gott erkauft, durch dein Blut, aus jedem Stamm und jeder Sprache und jedem Volk und jeder Nation, und hast sie unserem Gott zu einem Königtum und zu Priestern gemacht, und sie werden über die Erde herrschen!“ (V. 8–10).
Hier wird Christus angebetet, nicht als Gott, sondern als das Lamm wie geschlachtet, da Er „sich selbst erniedrigte, indem er gehorsam wurde bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz“ (Php 2,8).
Rein grammatikalisch gesehen – wobei die Grammatik nicht immer inhaltlich von Belang sein muss – wird nur von den Ältesten gesagt, dass sie Harfen haben und daraus können wir den Schluss ziehen, dass nur die Ältesten dieses Lied anstimmen. Wie dem auch sei, die vier lebendigen Wesen stimmen jedenfalls in das Lob des Lammes mit ein, indem sie vor Ihm niederfallen und Ihn anbeten, möglicherweise ein Bild davon, dass Gottes Macht im Gericht, die durch sie dargestellt wird, nun in die Hand Christi übergeben wird. Das Lied ist ein neues Lied, wobei die Verdienste des Todes Christi nicht neu sind. Der Charakter, in dem Er nun erscheint, nämlich als Derjenige, der das Buch mit dem Gericht Gottes nimmt, ist aber neu. Es ist ein Charakter, den Er erst zeigt, nachdem die Versammlung in den Himmel aufgenommen wurde. Die Ältesten beten als Priester an. Als „königliche Priesterschaft“ besingen sie zu der Harfe „die Tugenden dessen ..., der euch berufen hat aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht“ (1. Pet 2,9). Als himmlische Priester in einer „Hütte, die das Allerheiligste genannt wird, die ein goldenes Räucherfass hatte“ (Heb 9,3.4) haben sie auch „goldene Schalen voll Räucherwerk, welches die Gebete der Heiligen sind“.
Wir haben zuvor gesehen, dass die Ältesten die Erlösten im Himmel repräsentieren. Ihr Lied bestätigt das. Würde es heißen „und hast uns für Gott erkauft“, wäre dies ein noch stärkerer Beweis. Aber obwohl es sich in den meisten Schriftstücken so liest, finden wir das Weglassen des Wörtchens „uns“ in einigen Abschriften dadurch bestätigt, dass die Lesart in dem nächsten Vers zweifellos ist „und hast sie unserem Gott zu einem Königtum und zu Priestern gemacht, und sie werden über die Erde herrschen!“ Es ist daher fraglich, ob hier wirklich ein „uns“ steht. Dennoch ist das ganze Lied ein Lobgesang des Erlösungswerkes Christi, was Ihn würdig macht, das Buch zu nehmen, und gilt natürlich für alle, die diese Erlösten repräsentieren. Wer sonst hätte wohl solch ein Interesse an der Tatsache, dass Menschen für Gott erkauft wurden durch sein Blut, dass sie zu Königen und Priestern gemacht wurden und über die Erde herrschen werden, wenn nicht die Erlösten selbst? All diese Gegenstände, die so bekannt für sie sind, werden bei dem Lob der Engel weggelassen, was zeigt, dass die Ältesten ein weitaus tieferes Interesse an den Erlösten haben als die Engel selbst. Was die Herrschaft über die Erde angeht, so finden wir an keiner Stelle, dass die himmlischen Heiligen wieder auf der Erde sein werden, aber es wird ausdrücklich verheißen, dass, sie mit Christus über die Erde herrschen werden.
Es folgt das Lob der Engel.
„Und ich sah: Und ich hörte eine Stimme vieler Engel um den Thron her und um die lebendigen Wesen und die Ältesten; und ihre Zahl war Zehntausende mal Zehntausende und Tausende mal Tausende, die mit lauter Stimme sprachen: Würdig ist das Lamm, das geschlachtet worden ist, zu empfangen die Macht und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Herrlichkeit und Segnung“ (V. 11,12).
Zu diesem Zeitpunkt steht die Erfüllung der Worte des Psalmisten unmittelbar bevor: „Der HERR hat in den Himmeln festgestellt seinen Thron, und sein Reich herrscht über alles“ (Ps 103,19) und selbst jetzt „seine Engel, ihr Gewaltigen an Kraft“, „Täter seines Wohlgefallens“ würdigen Ihn als „des Menschen Sohn“, „du hast ihn zum Herrscher gemacht über die Werke deiner Hände; alles hast du unter seine Füße gestellt“ (Ps 8,5–7). Es gibt jedoch einen großen Unterschied zwischen der Anbetung der Engel und der der Ältesten. Die Engel sehen seinen „Gehorsam bis zum Tod“ und erkennen an, dass Er als das geschlachtete Lamm würdig ist, Herrlichkeit und Segnung zu empfangen; sie sagen jedoch nichts über Erlösung. Für sie ist der zentrale Gegenstand des Kreuzes der vollkommene Gehorsam, der dort offenbar wurde; für die Ältesten ist der zentrale Gegenstand des Kreuzes das dort vollbrachte Erlösungswerk.
Der Lobgesang endet jedoch hier noch nicht. Der Prophet blickt nun auf die universelle Anbetung, die einmal dem Namen Gottes und dem Lamm entgegengebracht wird. Der Psalmist wusste nichts von thronenden Ältesten im Himmel, er ruft jedoch nicht nur die Engel, sondern „alle seine Werke, an allen Orten seiner Herrschaft“ auf, den Herrn zu preisen (Ps 103,22). Und hier, in der Vision Johannes‘, ertönt nach dem Lob der Ältesten und der Engel auch der Lobpreis der Schöpfung.
„Und jedes Geschöpf, das in dem Himmel und auf der Erde und unter der Erde und auf dem Meer ist, und alles, was in ihnen ist, hörte ich sagen: Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm die Segnung und die Ehre und die Herrlichkeit und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Und die vier lebendigen Wesen sprachen: Amen! Und die Ältesten fielen nieder und beteten an“ (V. 13,14).
Der Lobpreis, der Gott in diesem Kapitel entgegengebracht wird, ist nicht an Gott den Schöpfer oder den Ewigen gerichtet, sondern an Gott, der auf dem Thron des Gerichts sitzt und an den Herrn Jesus, dem geschlachteten Lamm, dem dieses Gericht übergeben wird.
Diese beiden Kapitel bilden also die Einleitung zu den Gerichten, die nach der Entrückung der Versammlung stattfinden werden und läuten den Tag des Herrn ein. Nachdem die gegenwärtige Haushaltung der Gnade zu Ende gekommen ist, nimmt Gott wieder sein Handeln mit der Erde auf, in dem Christus immer der Mittelpunkt ist. Im ersten dieser beiden Kapitel erscheint Er als Schöpfer, der seine Rechte über die von Ihm geschaffene Welt geltend machen wird. Dabei hat Er jedoch stets den Bund vor Augen, den Er mit Noah eingegangen ist. Hier wird Er nun als Herr, Gott, Allmächtiger angebetet, während Christus nicht getrennt von der Herrlichkeit Gottes gesehen wird, noch als Einer, der sich als Sohn des Menschen in seiner Würde von Gott unterscheidet. Im nächsten Kapitel jedoch wird Gott nicht als Schöpfer vorgestellt, sondern als Richter. Dann wird Christus als Mensch erscheinen „wie ein Lamm, das zur Schlachtung geführt wird“, nun aber mit der ganzen Macht Gottes ausgestattet, hervortritt, als der „Löwe, der aus dem Stamm Juda ist“, um für sein auserwähltes Volk Vergeltung zu üben und als „die Wurzel Davids“ „den Erdkreis zu richten in Gerechtigkeit und die Völker in seiner Treue“ (Ps 96,13). So vereinen sich die Erlösten im Himmel, die Engel und die ganze Schöpfung in seinem Lobpreis. Die Anbetung der Schöpfung ist tatsächlich vorweggenommen, der Blick des Propheten wurde hier, wie auch an anderen Stellen, über die unmittelbare Gegenwart hinaus gelenkt, um die wunderbaren Ergebnisse zu betrachten, die auf die nun beginnenden traurigen Szenen des Gerichts folgen werden.