Elisa, der Prophet
Das Eisen zum Schwimmen gebracht
„Und die Söhne der Propheten sprachen zu Elisa: Sieh doch, der Ort, wo wir vor dir wohnen, ist uns zu eng; lass uns doch an den Jordan gehen und von dort jeder einen Balken holen und uns dort einen Ort herrichten, um dort zu wohnen. Und er sprach: Geht hin. Und einer sprach: Lass es dir doch gefallen und geh mit deinen Knechten! Und er sprach: Ich will mitgehen. Und er ging mit ihnen; und sie kamen an den Jordan und hieben die Bäume um. Es geschah aber, als einer einen Balken fällte, da fiel das Eisen ins Wasser; und er schrie und sprach: Ach, mein Herr! Und es war geliehen! Und der Mann Gottes sprach: Wohin ist es gefallen? Und er zeigte ihm die Stelle; da schnitt er ein Holz ab und warf es hinein und brachte das Eisen zum Schwimmen. Und er sprach: Hol es dir herauf. Und er streckte seine Hand aus und nahm es“ (2. Könige 6,1–7).
Wer Gott nicht kennt, wird es vielleicht lächerlich finden, dass eine Geschichte wie die mit dem Eisen in einem derart erhabenen Buch wie der Bibel steht. Dass die Bibel sowohl ganz geringen Dingen Beachtung schenkt als auch die höchsten Wahrheiten darlegt, ist für den Gläubigen einer von vielen Beweisen dafür, dass die Bibel tatsächlich Gottes Wort ist. Es ist eine höchst kostbare Tatsache, dass Der, mit dem wir es zu tun haben, sich für jede Einzelheit der in der Welt lebenden Seinen interessiert. Er zählt unsere Haare, Er nimmt Notiz von unseren Tränen, Er hatte nicht vergessen, dass Paulus einen Mantel nötig hatte und auch Timotheus‘ kränklicher Magen fand seine Beachtung. Wenn Gläubige betroffen sind, ist aus seiner göttlichen Sicht ein kleiner Angriff bedeutender als die größten militärischen Auseinandersetzungen, die Ihn nicht betreffen. Daher wird dem Angriff Kedorlaomers auf den südlichen Teil Palästinas ein ganzes Kapitel gewidmet, während viele große Kriegsereignisse der Antike (von Historikern ausführlich geschildert) in der Schrift gar keine Erwähnung finden.
In der heutigen, materialistisch geprägten Zeit, wird es als kindisch angesehen, Wunder anzuerkennen. Ein Axtkopf wurde vom Boden des Flusses wieder an die Wasseroberfläche gebracht, indem einfach ein Stock in das Wasser geworfen wurde (2. Kön 6,1–7). Der Überhebliche findet hier einen Anlass zur Verachtung. Der Gläubige hat jedoch keinerlei Schwierigkeiten mit dieser Begebenheit. Er ist der festen Überzeugung, dass der Schöpfer der Naturgesetze nicht durch diese begrenzt werden kann. Während Er den Gesetzmäßigkeiten der Natur ihre uneingeschränkte natürliche Wirkung erlaubt, ist es Ihm möglich, außerhalb und in Überlegenheit dieser Gesetzmäßigkeiten zu handeln, wann immer Er es will.
Das physikalische Wunder, eine leblose Axt aus den Tiefen hervorzuholen mag in der Tat großartig sein, aber das moralische Wunder, einen in Sünden und Vergehungen toten Menschen für Gott wiederherzustellen, ist unendlich größer. Letzteres kann jedoch gut durch Ersteres bildlich dargestellt werden. Der Axtkopf, der aus seiner ordnungsgemäßen Position, in der er allein nützlich war, herausgebrochen war, und jetzt nur Schaden anrichten konnte, ist eine eindrucksvolle Allegorie des rebellischen Menschen. Würde sich dieser immer noch in seiner ursprünglichen, von Gott zugedachten Position befinden, wäre er für Gott nützlich. Da er aus dieser Stellung herausgebrochen ist, ist er Satans wirksamste Waffe zum Bösen.
„Ach, mein Herr!“, ruft der unglückliche Holzarbeiter, „und es war geliehen!“ Etwas zu verlieren, das einem anderen gehört, ist schwerwiegender, als wenn einem etwas Eigenes abhandenkommt. Nun, es ist so, dass alles, was den Menschen zu dem macht, was er ist, von einem Anderen kommt und einem Anderen gehört. Kein Mensch hat irgendetwas, das er wirklich sein Eigen nennen kann. Diese Wahrheit musste der sündige Belsazar von dem Propheten Daniel in der letzten Nacht seines vergeudeten Lebens erfahren. „Den Gott, in dessen Hand dein Odem ist und bei dem alle deine Wege sind, hast du nicht geehrt“ (Dan 5,23). Es gibt noch viele andere Menschen, auf die diese harten Worte zutreffen.
„Da fiel das Eisen ins Wasser“, d. h. in den Jordan, das bekannte Bild der Schrift für den Tod. Ist der Mensch eine gefallene Kreatur oder nicht? Die Weisheit des 20. Jahrhunderts lehnt ein „Ja“ als Antwort ab, und doch kann der Mensch nicht leugnen, dass die Menschheit an allen Enden der Erde total verkehrt liegt. Das zivilisierte Europa mit seinen barbarischen Konflikten, wo jedes Übereinkommen mit Füßen getreten wird, kann den unzivilisierten Völkern wohl kaum mehr einen Vorwurf machen. Halten wir fest: Der Mensch ist gefallen, und hat sich von Gott entfernt. Der Jordan spricht vom Tod und der Tod lastet unzweifelhaft auf der ganzen Menschheit als Folge ihres gefallenen Zustands.
„Und der Mann Gottes sprach: Wohin ist es gefallen?“, und als er es erfahren hatte, „da schnitt er ein Holz ab und warf es hinein und brachte das Eisen zum Schwimmen“. So, wie der lebende Ast abgeschnitten und dorthin geworfen wurde, wo das verlorene Eisen lag, wurde auch der lebendige Christus abgeschnitten und ging in den Tod, wo der verlorene Mensch lag. Wir werden hier an die Worte des Apostels in 2. Korinther 5,14–15 erinnert: „Denn die Liebe des Christus drängt uns, indem wir so geurteilt haben, dass einer für alle gestorben ist und somit alle gestorben sind. Und er ist für alle gestorben, damit die, die leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferweckt worden ist“. 1 Der Apostel hat hier folgenden Punkt vor Augen: Die Tatsache, dass Christus für alle gestorben ist, ist der Beweis dafür, dass alle Menschen in einem Zustand des Todes waren (geistlich tot, natürlich). Er, der den Menschen erlösen würde, musste dahin gehen, wo der Mensch war, nichts anderes hätte helfen können. Die Namenschristenheit heutzutage räumt der Menschwerdung die größtmögliche Bedeutung ein, doch damit würde uns der Nutzen der Erlösung geraubt. Der Mensch war durch seine Natur und seinen praktischen Lebenswandel in einem Zustand, dem er nur durch den Tod Christi und sein Blutvergießen entkommen konnte.
Physikalische Wunder mögen heute nicht mehr geschehen, aber es gibt unablässig moralische Wunder unter uns. Menschen, die für Gott tot waren, werden durch die Kraft des Geistes in ein neues Leben auferweckt. Der Weg, auf dem diese gewaltige Umwandlung geschehen kann, ist die gute alte Botschaft von dem Erretter, der am Kreuz von Golgatha für Sünder starb und auferstand. Wunder dieser Art wird es bis zum Ende der Gnadenzeit geben.
Fußnoten
- 1 Im Original findet sich noch eine Aussage bezüglich der „Revised Version“, einer englischen Übersetzung: „Readers should beware of the Revisers' rendering of this passage.“ Dieser Passus wurde hier ausgelassen.