Meine Feste
Eine Übergangszeit
„Und wenn ihr die Ernte eures Landes erntet, sollst du den Rand deines Feldes nicht vollständig abernten und sollst keine Nachlese deiner Ernte halten; für den Armen und für den Fremden sollst du sie lassen. Ich bin der HERR, euer Gott“ (3. Mose 23,22).
Manche haben gedacht, dass dieser Vers eine Andeutung davon sei, dass die Nationen in einem geringeren Maß an den Segnungen Israels teilhaben werden, aber das kann schwerlich die Bedeutung dieses Verses sein. Warum nicht? Nun, die heutigen Segnungen gehen weit über das hinaus, was jemals dem Volk Israel verheißen worden ist. Nach unserem Urteil wird uns hier eine gewisse Rücklage vorgestellt von dieser großartigen Zeit des Christentums zur Unterstützung eines Überrestes, der sich Gott hinwenden wird bis Israel öffentlich seinen Platz in der zukünftigen Welt einnehmen wird1. Nach der Speisung der 5000 lesen wir, dass zwölf Handkörbe voller Brocken übriggeblieben sind (Mt 14,20), einen für jeden der zwölf Stämme Israels. Wir glauben, dass diese übriggebliebenen Brocken an Stellen wie den ersten zehn Kapiteln des Matthäus-Evangeliums gefunden werden, z.B. „Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende sein, bis der Sohn des Menschen gekommen sein wird“ (Mt 10,23). Aufgrund der Verwerfung Christi ist dieser Auftrag niemals vollständig ausgeführt worden. Als Folge seines Todes und seiner Auferstehung lesen wir dann in Matthäus 28,19.20 von einem anderen Auftrag, der den Jüngern gegeben wurde. Es bestehen kaum Zweifel, dass der Auftrag aus Matthäus 10,23 sich auf das Evangelium bezieht, das der Überrest ausbreiten wird, nachdem die Versammlung in die Herrlichkeit aufgenommen worden ist. Es ist die Ankündigung der Ankunft des Messias. Dies führt zu einer anderen interessanten Verbindung in diesem Zusammenhang, denn Johannes der Täufer war der Auserwählte, der den Weg für das Kommen des Messias vorbereiten sollte; und wir sehen in seiner Geschichte einen Boden, den Israel einmal erneut durchgehen werden wird, aber beim nächsten Mal wird das Ergebnis ein anderes sein.
Im letzten Buch des Alten Testamentes hatte der HERR die Verheißung gegeben, dass Er ihnen vor dem kommenden Tag des HERRN den Elia senden würde (Mal 3,23). Die Erfüllung dieser Verheißung sehen wir in Johannes dem Täufer, wie uns deutlich gesagt wird, denn in der Ankündigung der Geburt von Johannes sagt der Engel: „Und er wird vor ihm hergehen in dem Geist und der Kraft des Elia“ (Lk 1,17). Darüber hinaus haben wir auch noch das Zeugnis des Herrn selbst. Als Er über Johannes sprach, sagte Er: „Und wenn ihr es annehmen wollt: Er ist Elia, der kommen soll“ (Mt 11,13.14). Und noch einmal musste unser Herr seinen Jüngern erklären: „Ich sage euch aber, dass Elia schon gekommen ist, und sie haben ihn nicht erkannt, sondern an ihm getan, was irgend sie wollten. Ebenso wird auch der Sohn des Menschen von ihnen leiden“ (Mt 17,12.13). Angesichts all dieser Bezeugungen ist es erstaunlich, dass Johannes, als die Pharisäer ihn fragten, ob er der Elia sei, ihnen antwortete: „Ich bin's nicht“ (Joh 1,21). Warum das? Eine Erklärung dafür finden wir in den Worten des Herrn in Matthäus 11,14: „Wenn ihr es annehmen wollt…“. Für alle, die es annehmen wollten, war Johannes der Elia; und für alle, die es nicht annehmen wollten, war er es nicht. Die Menschen, die ihn gefragt hatten, ob er der Elia sei, waren genau die Gleichen, die sein Zeugnis verwarfen und später den kreuzigten, von dem Johannes gezeugt hatte. Für sie war er ganz sicher nicht der Elia. Aber für solche einfältigen Seelen wie z.B. die Jünger war er genauso sicher der Elia.
In Johannes dem Täufer haben wir also die Erfüllung der prophetischen Ankündigung an Maleachi. Diese Tatsache bezeugte der Herr erneut. Er war die Erfüllung aller alttestamentlichen Prophezeiungen, die auf den Messias hingewiesen hatten. „Denn alle Propheten und das Gesetz haben geweissagt bis auf Johannes“ (Mt 11,13). Und diesem Johannes war es geschenkt worden, die große Antwort Gottes auf alles, was Gott verheißen hatte – den Christus Gottes – anzukündigen. Beginnend bei Johannes und fortfahrend mit dem anfänglichen Wirken unseres Herrn finden wir, wie Israel das Reich in Übereinstimmung mit den prophetischen Ankündigungen des Alten Testaments vorgestellt wurde. Ganz ausführlich wird das in dem Bericht des Evangelisten Matthäus entfaltet. Aber dann ereignete sich ein kritischer Wendepunkt! Das Volk, das schon Johannes nicht annehmen wollte, zeigte deutlich, dass sie auch den nicht anerkennen würden, dem Johannes Zeugnis gegeben hatte. Und wenn wir dann Mt 11 erreichen, finden wir, dass der König dieses Reiches verworfen ist. Und die gleichen Lippen, die einmal das mehrfache „Glückselig“ ausgesprochen hatten, müssen jetzt das wiederholte „Wehe“ aussprechen (Mt 5,3; 11,21).
Wenn wir aus Mt 11 lernen, dass Israel ihren König verworfen hat, dann sehen wir in Mt 12, dass der König nun auch Israel verwirft. Dann folgt von Matthäus 13 bis 18 die Entfaltung des neuen Gebildes, das der Herr seine Versammlung nennt (Mt 16,18). Vorerst wird damit in dem Dienst unseres Herrn die Darstellung des Königreiches in Verbindung mit den alttestamentlichen Prophezeiungen für Israel abgebrochen und die Versammlung wird eingeführt. Und nachdem diese Wahrheit enthüllt worden war, gebot der Herr seinen Jüngern, Ihn nicht weiter als den Messias zu verkündigen (Mt 16,20). Er hatte von der Versammlung gesprochen, und sein Dienst galt nun diesem neuen Gebilde, deshalb musste seine Darstellung als der Messias Israels bis zum Ende dieses Zeitalters aufhören. Erst dann wird Er sich aufs Neue Israel wieder zuwenden. Auf welche Weise wird Er diesen Neubeginn durchführen? Wir meinen, auf die gleiche Weise, wie Er beim ersten Mal angefangen hatte, wie wir es in den einleitenden Versen des Matthäus-Evangeliums finden. Und die Verbindung zu diesem zukünftigen Ereignis können wir in Offenbarung 11 sehen. Die beiden Zeugen dort (Vers 3) werden die beiden Dienste von Mose und Elia in sich vereinen. Das wird wieder die Erfüllung von Maleachi 3,23 sein. Beim ersten Mal hatte Israel durch die Verwerfung ihres Königs versagt, aber diese Prophezeiung wird sich noch einmal ereignen. Also sind nach unserer Überzeugung das die Glieder dieser Kette: Elia – Johannes der Täufer – einer der beiden Zeugen. Die Herrschaft des Messias über Israel ist nicht endgültig aufgegeben worden, sie ist nur für die Zeit beiseitegelegt worden, in der größere und segensreichere Dinge für die himmlische Gemeinschaft sicher gemacht wurden. Dieser Vers 22 in 3. Mose 23, den wir gerade betrachten, hat diese Übergangszeit im Blick. Hier steht die Zubereitung für das Wiederaufnehmen der Wege Gottes mit Israel vor unseren Blicken. Deshalb wollen wir einmal damit beginnen, zu untersuchen, warum Johannes der Täufer Elia war, und warum er es andererseits nicht war.
Nun, der Auftrag, von dem Johannes in seiner Unterredung mit den Pharisäern sprach, stammt aus Jesaja 40,3. Mit diesem Kapitel beginnt ein neuer Abschnitt in der Weissagung Jesajas, und an dieser Stelle wird der Knecht des HERRN eingeführt. Dieser Abschnitt umfasst die Kapitel 40 bis 48, und wir finden darin viele Einzelheiten berichtet, wie der Messias für Israel vorgestellt wird; aber genauso deutlich wird auch seine Verwerfung prophezeit. In Matthäus 12,18–21 wird ausdrücklich Jesaja 42,1–4 auf unseren Herrn bezogen; gerade in dem Kapitel, wo wir Ihn als verworfen von seinem Volk sehen und wie Er sich von da an den Nationen zuwendet. Deshalb entnimmt Johannes seine Aussage dieser Prophezeiung, wenn er sich an das gleiche Volk wendet, das den Christus verwirft und seinen Untergang sucht: „Stimme eines Rufenden in der Wüste“ (Joh 1,23; Jes 40,3). Es ist schon oft bemerkt worden, dass der Apostel Johannes sein Evangelium damit beginnt, dass Christus von Anfang an der Verworfene ist, und dass in diesem Evangelium Johannes der Täufer betont, dass er nicht Elias sei. Wir können diese Folgerung deutlich sehen. Es war die erste Vorstellung des Messias an Israel in einem demütigen und niedrigen Äußeren, wie sie nur von einem Auge des Glaubens wahrgenommen werden konnte. Denen, die Glauben besaßen und Johannes den Täufer annahmen, galten die Segnungen, die mit dem ersten Kommen des Herrn in Verbindung standen. Die Nation als solche hatte Ihn verworfen und muss nun auf die zukünftige Erfüllung dieser Dinge warten, bevor sie selbst auch eingeführt werden kann. Wir glauben, dass all diese einleitenden Grundzüge Israel an einem noch zukünftigen Tag noch einmal durchleben wird. Noch einmal wird es einen Elia für diese Nation geben – wer immer es auch sein mag, der diesen Auftrag erfüllen wird – und die Auserwählten nach Wahl der Gnade werden ihn so annehmen. Wir meinen nicht, dass Johannes der Täufer noch einmal auftreten wird, genauso wenig, wie Johannes Elia war. Es ist der Geist der jeweiligen Person und nicht die Person selbst, die dabei vor uns steht. Elia war der Mann, der das Volk Israel zurückführen wollte zur Anbetung des einen wahren Gottes. Johannes der Täufer kam mit der gleichen Botschaft und wird deshalb von unserem Herrn als Elia bezeichnet, aber der Engel hatte in Lukas 1,17 davon gesprochen, dass er in dem Geist und der Kraft Elias auftreten würde. Und das wird sich nach unserer Überzeugung in den Tagen der Erfüllung von Offenbarung 11 wiederholen. Wir haben damit nur versucht, das Umfeld dieser Übergangszeit, wie sie in diesem Vers vorgestellt wird, deutlich zu machen.
Von der ersten Ernte wurde für die Webe-Garbe genommen, und das neue Speisopfer stellt uns das Einsammeln sowohl von der Gerstenernte als auch von der Weizenernte vor. Und hier in diesem Vers haben wir die Ährenlese auf diesem Feld am Ende der Periode und nicht an ihrem Anfang, wie merkwürdigerweise manche schon gedacht haben. Den gleichen Gedanken stellen uns die zwölf Handkörbe voller Brocken vor. Es ist die Vorsorge für die Versorgung eines Überrestes, bis Israel als Nation wieder an seinem Platz vor Gott sein wird.
Wenn wir uns dem Buch Ruth zuwenden, finden wir ein Bild hiervon. Wie wir meinen, stellt es uns die Wiederherstellung Israels vor – obwohl wir alle auch schon oft uns an der persönlichen Anwendung dieser Geschehnisse erfreut haben. Elimelech und Noomi stellen uns Israel als Nation vor, wie sie ihrem Gott den Rücken zugewandt haben und Bequemlichkeit und Zufriedenheit unter den Nationen suchen. Ihr Vorvater Jakob hatte bereits vorhergesagt, dass sie das tun würden (1. Mo 49,15). Elimelech hätte die Wahl zwischen mehreren Orten gehabt, dorthin zu gehen. Er hätte nach Süden gehen können, aber das hätte Ägypten bedeutet, das Land, das Gott selbst gerichtet hatte. Vielleicht hatte er sich deshalb davor gescheut, dorthin zu gehen. Er hätte auch nach Norden gehen können, aber dort war Babylon, der Platz des Götzendienstes. Auch hier mochte er sich davor gefürchtet haben, dorthin zu gehen. Dann schaute er nach Osten – Moab. Ja, das war der richtige Ort! Moab stellt uns die Annehmlichkeit für das Fleisch vor (Jer 48,11). Schließlich mochte er noch argumentiert haben, dass Gott doch nicht der ist, wie wir Ihn uns vorstellen. Immerhin war Hungersnot im Land. Offenbar hatten sie überhaupt kein Empfinden dafür, dass diese Hungersnot aufgrund ihres eigenen Versagens gekommen war. Jedoch traf den Elimelech in Moab genau das, was er durch seine Flucht aus der Gegenwart Gottes vermeiden wollte – er starb dort. Es ist wirklich wahr, dass Israel als Nation außerhalb ihres Landes in schlimmere Nöte gekommen ist, als wie sie sie in ihrem Land erdulden mussten. Kein Wunder, dass sie, wie Noomi, bestrebt waren, zurückzukehren. Noomi stellt den Überrest vor, der bereit ist, umzukehren; Elimelech steht für den ungläubigen Teil der Nation, der nicht zurückkehrt. Ruth ist ein Bild der Nationen, die gemeinsam mit dem Überrest Israels in die Segnungen eingeführt werden. „Dein Gott ist mein Gott“ (Ruth 1,16). Voll war Israel gegangen, leer wird Gott sie wieder zurückbringen. Sie werden bekennen, dass sie selbst es waren, die weggegangen sind, aber dass Gott es war, der sie zurückgebracht hatte (Ruth 2,21). Ruth wurde zu einer Ährenleserin auf den Feldern Israels, und es ist bemerkenswert, dass wir in diesem Buch die erste Erwähnung von David haben (Ruth 4,22). In Verbindung mit 3. Mose 23,22 sehen wir in Noomi die Arme und in Ruth die Fremde. So meinen wir, dass ein gewisses Teil von dem Feld der Versammlung reserviert wird, um diesen Überrest zu erhalten, bis sie im tatsächlichen Besitz ihres eigenen Segens unter dem Messias sein werden. Sie werden sowohl von der Gerstenernte als auch von der Weizenernte ihren Ertrag haben, und der wahre David wird ihr König sein (Ruth 1,21–2,23; 4,22).
Fußnoten
- 1 Eine weitere Mitteilung des Heiligen Geistes können wir nur kurz berühren. In Vers 22 lesen wir: „Und wenn ihr die Ernte eures Landes erntet, sollst du den Rand deines Feldes nicht vollständig abernten“. Welche Bedeutung hat dies? Erscheint es nicht ziemlich ungewöhnlich, dass, nachdem die beiden Webe-Brote diesen Schauplatz verlassen haben, auch weiter noch gutes Korn auf dem Feld gefunden werden soll? Die Webe-Brote, darin stimmen alle überein, stellen das wahre Christentum dar. Einige mögen dabei weiter gehen als andere, aber niemand bestreitet, dass es auf jeden Fall die Gläubigen der Gnadenzeit betrifft. Wie kommt es dann, wenn diese die Erde verlassen haben, dass wir hier noch von Getreide am Rand des Feldes hören? Kann es sein, dass die Webe-Brote nicht alle Heiligen vorbilden? Bestätigt nicht dieses Beispiel, dass es noch wahre Gläubige auf der Erde geben muss, nachdem die Versammlung diese Erde verlassen hat und bevor der Tag des Herrn angebrochen ist? Es wird auch dann noch etwas gutes Korn geben. Natürlich sind das nicht Glieder des einen Leibes, der dann vollendet sein wird. Aber Gott hat noch weitergehende Absichten, Absichten sowohl für die Juden als auch für die Nationen; und hier sollte etwas Korn stehen gelassen werden für den Armen und für den Fremden. Am Rand des Feldes also sollte das Korn stehen gelassen werden. Damit ist nicht gemeint, dass beim Kommen des Herrn für die Seinen hier auf der Erde Glieder Christi zurückgelassen werden, sondern dass der Geist Gottes dann auf eine neue Weise wirken wird, und dass nach der Entrückung der Versammlung wieder Menschen zum Glauben kommen werden. Das wird sich in der kurzen Zeitspanne nach der Entrückung ereignen, in der letzten oder siebzigsten Jahrwoche Daniels. Wenn jemand die geschichtlichen Ereignisse dieses Übergangs-Zeitraums näher untersuchen möchte, dann findet er Einzelheiten darüber in der zweiten Hälfte des Buches Daniel und in dem mittleren Teil der Offenbarung. Die Psalmen sind voll von ihren schmerzhaften Erfahrungen, von ihrem Glaubensvertrauen, und auch von ihrer hoffnungsvollen Erwartung des Tages der Erscheinung des Herrn. In diesen Schriftabschnitten finden wir ausführliche Antworten auf die Frage nach dem Korn, das hier am Rand des Feldes stehen gelassen werden sollte. (W.Kelly: The Feasts of Jehovah, An Exposition of Leviticus XXIII)