Das Buch des Propheten Jeremia
Kapitel 6
2. Sie alle sind Widerspenstige
Das Hereinbrechen des Feindes steht unmittelbar bevor
„Flüchtet, ihr Kinder Benjamin, aus Jerusalem hinaus, und stoßt in die Posaune in Tekoa, und errichtet ein Zeichen über Beth-Hakkerem; denn Unglück ragt herein von Norden her und große Zerschmetterung. Die Schöne und die Verzärtelte, die Tochter Zion, vertilge ich. Hirten kommen zu ihr mit ihren Herden; sie schlagen Zelte rings um sie auf, weiden jeder seinen Raum ab. „Heiligt einen Krieg gegen sie! Macht euch auf und lasst uns am Mittag hinaufziehen! – Wehe uns! Denn der Tag hat sich geneigt, denn die Abendschatten strecken sich! Macht euch auf und lasst uns in der Nacht hinaufziehen und ihre Paläste verderben!“ Denn so hat der HERR der Heerscharen gesprochen: Fällt Bäume und schüttet einen Wall gegen Jerusalem auf! Sie ist die Stadt, die heimgesucht werden soll; sie ist voll Bedrückung in ihrem Innern. Wie ein Brunnen sein Wasser quellen lässt, so lässt sie ihre Bosheit quellen. Gewalttat und Zerstörung werden in ihr gehört, Wunde und Schlag sind beständig vor meinem Angesicht. Lass dich zurechtweisen, Jerusalem, damit meine Seele sich nicht von dir losreiße, damit ich dich nicht zur Wüste mache, zu einem unbewohnten Land.“ (Jer 6,1–8)
Der aus dem Norden kommende Feind ist so nah, dass die Trompete geblasen werden muss, um die Benjaminiter als Erste zur Flucht zu bewegen, welche im Norden der Stadt wohnen. Der HERR gibt den Angreifern seine Anweisungen: Ob am Tag oder in der Nacht, sie sollen sich nicht aufhalten lassen, sondern einfallen und zerstören. Trotzdem wendet er sich noch einmal an Jerusalem: „Lass dich zurechtweisen, … damit meine Seele sich nicht von dir losreiße“ (V. 8; vgl. Hes 23,18). Damit drückt er den ganzen Wert aus, den die Stadt für ihn hat und seinen innigen Wunsch, dass sie von ihrem bösen Weg umkehre.
Es gibt keinen Frieden
„So spricht der HERR der Heerscharen: Wie am Weinstock wird man Nachlese halten am Überrest Israels. Lege wieder deine Hand an, wie der Winzer an die Ranken. – Zu wem soll ich reden und wem Zeugnis ablegen, dass sie hören? Siehe, ihr Ohr ist unbeschnitten, und sie können nicht aufmerksam zuhören; siehe, das Wort des HERRN ist ihnen zum Hohn geworden, sie haben kein Gefallen daran. Und ich bin voll vom Grimm des HERRN, bin müde, ihn zurückzuhalten. – Ergieße ihn über die Kinder auf der Gasse und über den Kreis der Jünglinge insgesamt; denn sowohl Mann als Frau werden getroffen werden, der Alte wie der Hochbetagte; und ihre Häuser werden anderen zugewandt werden, Felder und Frauen insgesamt. Denn ich strecke meine Hand aus gegen die Bewohner des Landes, spricht der HERR. Denn von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Größten sind sie allesamt der Gewinnsucht ergeben; und vom Propheten bis zum Priester üben sie allesamt Falschheit, und sie heilen die Wunde der Tochter meines Volkes leichthin und sprechen: „Frieden, Frieden!“, und da ist doch kein Frieden. Sie werden beschämt werden, weil sie Gräuel verübt haben. Ja, sie schämen sich keineswegs, ja, Beschämung kennen sie nicht. Darum werden sie fallen unter den Fallenden; zur Zeit, da ich sie heimsuchen werde, werden sie straucheln, spricht der HERR.“ (Jer 6,9–15)
Wer wird noch hören, wenn „das Wort des HERRN ihnen zum Hohn geworden“ ist (V. 10)? Alle Gruppen des Volkes sind gemeint und werden Gegenstand des Gerichtes sein, von den kleinen Kindern bis hin zu den Greisen, vom Kleinen bis zum Großen. Die Propheten und Priester haben eine besonders große Schuld: In ihrer Falschheit täuschen sie das Volk, indem sie von Frieden sprechen, während die Zerstörung kurz bevorsteht. Ihre Strafe wird noch schwerer sein: „Sie fallen unter den Fallenden“ (V. 15).
Die verachteten Ermahnungen
„So spricht der HERR: Tretet auf die Wege und seht und fragt nach den Pfaden der Vorzeit, welches der Weg des Guten sei, und wandelt darauf; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Aber sie sprechen: Wir wollen nicht darauf wandeln. Und ich habe Wächter über euch bestellt, die sagen: Achtet auf den Schall der Posaune! Aber sie sprechen: Wir wollen nicht darauf achten. Darum hört, ihr Nationen, und wisse, du Gemeinde, was gegen sie geschieht! Höre es, Erde! Siehe, ich bringe Unglück über dieses Volk, die Frucht ihrer Gedanken; denn auf meine Worte haben sie nicht geachtet, und mein Gesetz – sie haben es verschmäht. Wozu soll mir denn Weihrauch aus Scheba kommen und das gute Würzrohr aus fernem Land? Eure Brandopfer sind mir nicht wohlgefällig und eure Schlachtopfer mir nicht angenehm. Darum, so spricht der HERR: Siehe, ich lege diesem Volk Anstöße, dass Väter und Söhne zugleich darüber straucheln, dass der Nachbar und sein Genosse umkommen. So spricht der HERR: Siehe, es kommt ein Volk aus dem Land des Nordens, und eine große Nation macht sich auf vom äußersten Ende der Erde. Bogen und Wurfspieß führen sie, sie sind grausam und ohne Erbarmen; ihre Stimme braust wie das Meer, und auf Pferden reiten sie: gerüstet gegen dich, Tochter Zion, wie ein Mann zum Kampf. Wir haben die Kunde von ihm vernommen: Unsere Hände sind schlaff geworden; Angst hat uns ergriffen, Wehen wie bei einer Gebärenden. Geh nicht hinaus aufs Feld und wandle nicht auf dem Weg; denn der Feind hat ein Schwert – Schrecken ringsum! Tochter meines Volkes, gürte dir Sacktuch um und wälze dich in der Asche, trauere wie um den einzigen Sohn, führe bittere Klage! Denn plötzlich wird der Verwüster über uns kommen.“ (Jer 6,16–26)
Gott hat den Menschen zu jeder Zeit offenbart, wie sie ihm dienen sollen. Er hat von seinem Volk nicht etwas Neues verlangt, sondern er hat ihnen zu erkennen gegeben, welches der richtige Weg sei, den sie gehen sollen. Aber sie sind sehr bald abgewichen. Der Schreiber des Hebräerbriefes sagt später: „Deswegen sollen wir umso mehr auf das achten, was wir gehört haben, damit wir nicht etwa abgleiten“ (Heb 2,1). In unseren Tagen spricht man gerne vom Erforschen, vom Entwickeln, man will ausgetretene Wege verlassen. Sicherlich ist es gut, darauf zu achten, nicht in die Routine menschlicher Traditionen zu versinken. Lasst uns aber darauf Acht haben, dass dies nicht als Vorwand dient, um unseren eigenen Gedanken nachzugehen. Der Weg des Segens ist bezeichnet: Zu dem zurückzukehren, was Gott am Anfang gegeben hat: „Fragt nach den Pfaden der Vorzeit, welches der Weg des Guten sei“ (V. 16). Wer diese Unterweisungen befolgt, wird „Vermaurer der Lücken, Wiederhersteller bewohnbarer Straßen“ genannt werden (vgl. Jes 58,12).
Der HERR hatte die Trompeten den Priestern anvertraut. Diese sollten sie bei verschiedenen Gelegenheiten einsetzen, insbesondere im Krieg, damit dem Volk „gedacht werde vor dem HERRN“ (4. Mo 10,9). Da die Priester untreu waren, hat der HERR auch Wächter wie Jeremia beauftragt, durch den Klang der Trompete vor dem Nahen des Feindes zu warnen (vgl. Hes 33,1–6); aber vergebens. Es nützt nichts, dass Opfer gebracht werden, dass eine Form des Gottesdienstes besteht, wenn die Herzen widerspenstig sind. Bosheit verbunden mit religiösen Formen ist für Gott unerträglich (V. 20; vgl. Jes 1,13).
Nun gibt es keine Heilung mehr. Schon kann man den Lärm der furchtbaren, Schrecken verbreitenden, heranmarschierenden Armee hören, des Werkzeuges der Züchtigung, die der HERR über sein Volk kommen lässt.
Verworfenes Silber
„Ich habe dich zum Prüfer für mein Volk gesetzt, als eine Festung, damit du ihren Weg erkennen und prüfen mögest. Allesamt sind sie die Widerspenstigsten der Widerspenstigen; sie gehen als Verleumder umher, sie sind Kupfer und Eisen; sie sind allesamt Verderber. Versengt vom Feuer ist der Blasebalg, zu Ende ist das Blei; vergebens hat man geschmolzen und geschmolzen: Die Bösen sind nicht ausgeschieden worden. Verworfenes Silber nennt man sie, denn der HERR hat sie verworfen.“ (Jer 6,27–30)
Der HERR hat Jeremia wie eine Festung in die Mitte des Volkes gestellt, die die Menschen angreifen, ohne sie zerstören zu können. Seine Anwesenheit prüft sie und das Wort des HERRN in seinem Mund ist wie ein Feuer zur Läuterung. Aber sie alle sind widerspenstig, „vergebens hat man geschmolzen“ (V. 29). Nun brennt die Schlacke und es bleibt nichts Gutes übrig. Gott hat alles getan, was möglich war, um sein Volk zurückzuführen. Nun muss er traurig erklären, dass man sie wie folgt nennen wird: „Verworfenes Silber (…), denn der HERR hat sie verworfen“ (V. 30).