Betrachtung über 1.Thessalonicher (Synopsis)
Kapitel 2
Nachdem der Apostel diese großen Grundsätze entwickelt hat, beruft er sich mit offenem und überströmendem Herzen auf seinen ganzen Wandel unter den Thessalonichern, der bewies, dass er in demselben Geiste gewandelt hatte wie auch sie, über deren Wandel er sich freute. Paulus hatte nicht andere ermahnt, während er aus ihrer Liebe für sich selbst Vorteile zog; er hatte nicht andere ermuntert, Drangsale zu erdulden, ohne selbst Mut zu haben, solche zu ertragen. Geschmäht und misshandelt zu Philippi, war er in Gott voll Mut, seine Angriffe auf das Reich der Finsternis in Thessalonich zu erneuern, und zwar mit großer Tatkraft. Er hatte nicht einschmeichelnde Worte gebraucht, um sie zu gewinnen; er hatte ihnen die Wahrheit vorgestellt als einer, der selbst Gottes Knecht war. Er hatte mit seinen eigenen Händen gearbeitet, um ihnen nicht beschwerlich zu fallen. Alles war vor Gott geschehen in dem Licht und durch die Kraft des Heiligen Geistes, in einem Geist der Hingebung; und so wünschte er, dass auch sie wandeln möchten, wie er unter ihnen gewandelt hatte, wovon sie Zeugen gewesen waren – so göttlich, gerecht und untadelig, wie er sie auch mit aller Liebe und Zärtlichkeit ermahnt hatte, „würdig zu wandeln des Gottes, der sie zu seinem eigenen Reich und seiner eigenen Herrlichkeit berufen hatte“.
In diesem letzten Ausdruck erkennen wir wiederum die innige persönliche Verbindung des Christen mit Gott. Er hat sein Teil an Gottes eigenem Reich und eigener Herrlichkeit, und sein Verhalten sollte einer solchen Stellung würdig sein. Hier sehen wir die den Christen eigene Stellung in Beziehung zu Gott, wie wir in dem Vorhergehenden sein Verhältnis zu Gott und dem Herrn Jesus erblickten. –
Sodann spricht der Apostel von dem Mittel, durch das der Gläubige in diese Gedankenwelt eingeführt worden war: Gott hatte geredet, um Sich selbst und seine Ratschlüsse zu offenbaren. Gott hatte den Apostel mit dem Evangelium betraut (V. 4), und Paulus hatte gehandelt als in der Gegenwart Gottes und als Ihm verantwortlich. Ebenso hatten die Thessalonicher ihrerseits das Wort aufgenommen, nicht als das Wort des Paulus, sondern als das Wort Gottes selbst, das ihnen durch den Mund des Apostels mitgeteilt wurde. Es ist wichtig und auch für uns ein ernster Gedanke, dass (hinsichtlich der Offenbarung der Kraft Gottes hienieden), obwohl das Werk von Gott ist, die Frucht der Arbeit seiner Knechte dem Charakter und der Tiefe dieser Arbeit entspricht. So bilden sich die Bande der Gnade und der Gemeinschaft; man versteht sich gegenseitig. Das Werk macht den Arbeiter kund. Der Arbeiter freut sich in dem, was sein Herz für die Seelen, welche die Frucht seiner Arbeit sind, begehrt hatte; und diese wissen den Wandel und das Werk des Arbeiters zu schätzen, indem sie die Kraft der Gnade in ihm, dem Mittel, sie in diese Stellung zu bringen, anerkennen; und indem so beide Teile Gott kennen, erfreuen sie sich miteinander der Gemeinschaft seiner Gnade. Paulus war in seiner Seele und in seinem Werk sehr nahe bei Gott. Die Thessalonicher hatten infolge dessen das Wort in derselben Kraft empfangen; und so standen sie mit dem Apostel in Gemeinschaft mit Gott gemäß dieser Kraft und dieser Innigkeit.
Wir sehen, beiläufig bemerkt, in Vers 14–16 die Juden dieser Verbindung mit Gott beraubt und den Überrest des Volkes in Gnaden angenommen, aber leidend von der Feindschaft der Masse. Die Auserwählten aus den Nationen erregten ihrerseits die Feindschaft ihrer Landsleute durch das Zeugnis, das sie wider den Fürsten dieser Welt ablegten, durch ihren christlichen Wandel sowohl als auch durch ihr Bekenntnis eines himmlischen, von der Welt verworfenen Christus. Die Religion der Juden war zu reiner Eifersucht gegen andere geworden. Der Anspruch auf den ausschließlichen Besitz religiöser Vorrechte – sehr köstlicher Vorrechte, wenn Israel sie mit Gott als ein Zeugnis seiner Gunst genossen hätte – wurde nur zu einer Quelle des Hasses, wenn es Gott in der Fülle seiner unumschränkten Gnade gefiel, andere zu segnen, die keinerlei Anrecht daran hatten. Durch diesen ausschließlichen Anspruch leugneten die Juden die Rechte Gottes, der sie einst als Volk erwählt hatte; sie leugneten seine Gnade, nach der Er gegen Sünder handelte, und die auch für sie die Quelle besserer Segnungen hätte sein können. Inzwischen hatte aber ihre Weigerung, an dieser Gnade Gottes in Christus teilzunehmen, den Schauplatz unserer Hoffnungen und Freuden von der Erde in den Himmel verlegt, wo wir den Herrn wissen, und wo Er bleiben wird, bis Er wiederkommt, um seine Rechte an die Erde geltend zu machen. Bevor Er das aber tut wird Er uns zu sich nehmen.
Inzwischen ist das Wort Gottes die Quelle unseres Vertrauens; es ist die Offenbarung der Herrlichkeit, der Wahrheit und der Liebe. Dieses Wort ist mächtig in denen, die da glauben. Die Juden sind beiseite gesetzt. Durch ihren Widerstand gegen die den Heiden erwiesene Gnade hatten sie eine feindselige Stellung wider den in Gnade handelnden Gott eingenommen, und der Zorn war völlig über sie gekommen; zwar war er noch nicht vollzogen, aber sie hatten sich in diese Stellung gebracht. Nicht nur hatten sie das Gesetz gebrochen, sondern auch ihre Propheten getötet, die in Gnade zu ihnen gesandt worden waren; ja, sie hatten schon den Christus Jesus, den Herrn, getötet. Unumschränkte Gnade allein konnte ein Heilmittel bringen. Dem aber widersetzten sie sich, weil Gott dieser Gnade gemäß sich in Güte gegen die Heiden erwies und ihnen, zugleich mit den Juden, bessere Vorrechte gewährte, als die von diesen verscherzten gewesen waren. Daher war schließlich der Zorn über sie, als Nation, gekommen. Die Christen standen jetzt, an Stelle der Juden, im Genuss besserer Vorrechte. Es ist hier nicht der Platz, auseinanderzusetzen, wie Gott künftig mit dem Überrest Israels handeln wird. Der Apostel spricht hier von dem Volk, um zu zeigen, dass die einzigen, die jetzt mit Gott in Verbindung standen, die Christen waren – die, die das Wort aufgenommen hatten. Die Annahme des Wortes durch den Glauben und nichts anderes war es, wodurch die Seelen wirklich in Verbindung mit Gott gebracht wurden. Erbliche Vorrechte erwiesen sich, ihrer Natur nach, als Widerstand gegen die Gnade und die göttliche Unumschränktheit, und daher gegen den Charakter und die Rechte Gottes selbst; denn Gott ist unumschränkt, und Gott ist Liebe. Das Wort offenbart die Gnade; man gehorcht ihm, indem man ihm glaubt. Und in Verbindung mit Gott gebracht, wandelt der Christ in seiner Gemeinschaft und in seinen Wegen und erwartet den Sohn, in dem Gott sich den Menschen offenbart hat. Das ist die Frucht dessen, was der Christ durch den Glauben empfangen hat – ein mächtiges Lebenselement und ein Licht von Gott für den Weg.
Der Apostel dankt Gott, dass es so bei den Thessalonichern war; und nachdem er diesen Punkt klar dargelegt hatte, spricht er wieder von der Freude seiner Gemeinschaft mit ihnen in der Segnung, welche die Offenbarung Gottes in ihren Herzen durch das Wort ihnen gebracht hatte. Er würde sie gern gesehen haben, um diese Gemeinschaft mit ihnen von Angesicht zu Angesicht zu genießen. Aber solange die Erkenntnis Gottes nur durch das Wort erlangt wird, das heißt durch den Glauben, solange der Herr abwesend ist, bringt die Tatsache seiner Abwesenheit noch ein anderes Ergebnis hervor, nämlich: diese Freuden sind mit Kampf verbunden; mit einem Kampf jedoch, der, obwohl das menschliche Auge eine Störung des Genusses darin erblickt, diesen nur um so süßer, um so wirklicher macht, seinen himmlischen Charakter bewahrt, und den Herrn selbst, von dem die Christen nicht getrennt werden können, zum Mittelpunkt macht. In Ihm als einem gemeinsamen Punkt vereinigen sich die Herzen in dem Bewusstsein, dass sie sich in der Wüste befinden, und dass sie einen Schauplatz und eine Zeit erwarten, wo das Böse und die Gewalt des Feindes keinen Platz mehr finden werden, sondern wo Christus alles sein wird. Freudevolle Hoffnung, heiliges Glück, mächtiges Band zwischen dem Herzen und Christus! Wenn Er einmal alles sein wird, dann wird unsere Freude völlig sein, und alle Heiligen werden daran teilhaben. Paulus hatte gewünscht, die Thessalonicher wieder zu sehen, sogar zweimal, aber Satan hatte ihn verhindert. Er tröstet sich jedoch mit dem Gedanken, dass die Zeit herannahe, wo er sich sowohl ihrer als auch seiner Arbeit unter ihnen völlig erfreuen würde, wenn er sie im vollen Besitz der Herrlichkeit sähe bei der Ankunft Jesu Christi.
Als der Apostel in Thessalonich weilte, hatte sich in ihm das christliche Leben in Liebe und Heiligkeit völlig offenbart. Er war unter ihnen zart gewesen, wie eine Mutter ihre eigenen Kinder pflegt, indem er bereit war, ihnen nicht nur das Evangelium, sondern auch sein eigenes Leben mitzuteilen: So teuer waren sie ihm. Zugleich war er in seinem ganzen Verhalten heilig und untadelig gewesen. Welch eine Energie des Lebens und der Liebe quillt hier durch die Kraft Gottes aus dem Herzen des Apostels hervor, ohne Rücksicht auf irgendwelche Folgen, ausgenommen die Segnung der Auserwählten und die Herrlichkeit Gottes! Das ist wahres christliches Leben. Das Herz, nicht durch Unglauben mit allerlei Überlegungen erfüllt, sondern stark im Glauben, rechnet auf Gott, um Ihm zu dienen. So ist die Liebe frei, ist außer sich für Gott, weise und nur auf das Wohl anderer bedacht. Und welche Bande werden hierdurch geknüpft! Die Verfolgung beschleunigt nur das Werk, indem sie den Arbeiter nötigt, anderswohin zu gehen, wenn er vielleicht versucht sein sollte, die Früchte seiner Arbeit in Gemeinschaft mit denen zu genießen, die durch ihn gesegnet worden sind (vgl. 1. Thes 2,2). Obwohl abwesend, war das Herz des Apostels doch mit den Gläubigen in Thessalonich verbunden; er dachte an seine Geliebten; er betete für sie; er dankte Gott für die ihnen verliehene Gnade, indem er ihres Anteils an der Herrlichkeit als Auserwählte Gottes freudig versichert war (1. Thes 1,3–4; 2,13).
Das Band blieb fest; und da der Weg für den Genuss persönlicher Gemeinschaft durch die List Satans augenblicklich (unter der Zulassung Gottes) versperrt war, so erhob sein Herz sich höher und suchte die völlige Befriedigung seiner christlichen Liebe in dem Gedanken an den Augenblick, wo Christus, in seiner Macht gegenwärtig, jedes Hindernis beseitigt und die Ratschlüsse Gottes hinsichtlich seiner Heiligen erfüllt haben würde. Dann würde seine Liebe alle ihre gesegneten und köstlichen Früchte in ihnen getragen haben, dann würden Paulus und seine geliebten Kinder im Glauben zusammen alles das genießen, was die Gnade Gottes und die Kraft des Heiligen Geistes in ihnen gewirkt hatte. Für den Augenblick nicht imstande, sie zu sehen und die Wünsche seines Herzens zu befriedigen, blickte Paulus auf jene Stunde hin. Und beachten wir, dass sein Herz, indem er dies tat, für sich selbst bereits mit jener Stunde erfüllt war. Die Kraft des Geistes, die in Übereinstimmung mit der Wahrheit handelt, leitet das Herz immer zu jener Stunde hin. Sie treibt das Herz an, inmitten dieser Weit in Liebe zu wirken, erregt dadurch den Widerstand der Finsternis dieser Welt gegen das Licht (entweder von Seiten des Menschen oder des Fürsten der Finsternis) und macht uns immer das Bedürfnis nach jenem Tag des Lichtes fühlbar, wo das Böse nicht mehr gegenwärtig sein wird, um das Glück des neuen Menschen zu stören in dem Genuss des Guten, in seiner Gemeinschaft mit denen, die Gott teuer sind, und vor allem in dem Genuss der Gegenwart seines verherrlichten Heilandes, der ihn geliebt hat, und der (zur Übung seines Glaubens) jetzt für ihn verborgen ist.
Christus ist die Quelle und der Gegenstand all dieser Gefühle; Er ist es, der sie unterhält und nährt, der sie durch seine Vollkommenheit und durch seine Liebe stets anzieht, und der so, in den Trübsalen des christlichen Lebens, das Herz auf den Tag unserer Vereinigung mit Ihm hinlenkt, auf den Tag seiner Ankunft, wo das Herz frei sein wird, sich ohne Unterbrechung mit allem zu beschäftigen, was uns an Ihn fesselt. Dieser Gedanke an seine Gegenwart hat die Oberhand, wenn die göttliche Freude der Errettung in ihrer ganzen Frische das Herz erfüllt. So finden wir es hier: wir sind bekehrt, um Ihn zu erwarten (Kap. 1); wir werden die Gemeinschaft der Heiligen und die Frucht unserer Arbeit genießen, wenn Er wiederkommt (Kap. 2); jener Tag verleiht unseren Gedanken über die Heiligkeit seine Kraft und seinen Maßstab (Kap. 3); er beseitigt den Schmerz des Herzens, der sonst den Tod der Heiligen begleiten würde (Kap. 4); und für jenen Tag werden wir bewahrt (Kap. 5). Das Kommen des Herrn, die Gegenwart Jesu, erfüllt daher das Herz des Gläubigen, wenn das Leben in seiner Frische hervorquillt; sie erfüllt es mit einer freudigen Hoffnung, deren Verwirklichung dort, wo alle unsere Wünsche erfüllt sein werden, vor unseren Augen glänzt.
So wurde das Band, das Satan zu zerreißen suchte, indem er den Genuss der persönlichen Gemeinschaft verhinderte, nur umso mehr befestigt, indem es mit der Ankunft des Herrn in Verbindung gebracht wurde. Der Strom des Geistes, gegen den Satan diesen Damm aufwerfen durfte, konnte, obwohl aus seinem natürlichen Bett abgeleitet, nicht gehemmt werden, denn seine Wasser flossen immer; sie strömten mit Macht hervor und befruchteten alles um sich her, indem sie ihren Lauf nach jenem Meer nahmen, das die Fülle dieser Wasser enthielt und die Quelle nährte, aus der sie entsprangen.
Beachten wir hier, dass die besonderen Früchte unserer Arbeit nie verloren sind; sie finden sich wieder bei der Ankunft Christi. Unsere höchste persönliche Freude ist die, den Herrn selbst zu sehen und Ihm gleich zu sein. Das ist das Teil aller Heiligen; aber es gibt besondere Früchte, die mit dem Werk des Geistes in uns und durch uns in Verbindung stehen. In Thessalonich hatte die geistliche Tatkraft des Apostels eine Anzahl Seelen zu Gott und zu dem Warten auf Jesum geleitet sowie in enge Verbindung gebracht mit ihm selbst in der Wahrheit. Diese Tatkraft sollte bei der Ankunft Christi gekrönt werden durch die Anwesenheit dieser Gläubigen in der Herrlichkeit, als Frucht seiner Bemühungen. Gott würde so die Arbeit des Apostels krönen, indem Er, durch die Anwesenheit aller dieser Heiligen in der Herrlichkeit, seiner Treue ein glänzendes Zeugnis ausstellte; und die Liebe, die in dem Herzen des Paulus gewirkt hatte, sollte dadurch befriedigt werden, dass sie ihren Gegenstand in der Herrlichkeit und in der Gegenwart Jesu sah. Die gläubigen Thessalonicher würden seine Freude und Krone sein. Dieser Gedanke zog die Bande, die den Apostel und die Thessalonicher umschlangen, noch enger und tröstete ihn inmitten seiner Mühen und Leiden.