Gekommen – um zu dienen
Kapitel 2
Die Heilung des Gelähmten in Kapernaum
„Und nach einigen Tagen ging er wieder nach Kapernaum hinein, und es wurde bekannt, dass er im Haus war. Und sogleich versammelten sich viele, so dass selbst an der Tür kein Raum mehr war; und er redete zu ihnen das Wort. Und sie kommen zu ihm und bringen einen Gelähmten, von vieren getragen. Und da sie wegen der Volksmenge nicht an ihn herankommen konnten, deckten sie das Dach ab, wo er war; und als sie es aufgebrochen hatten, ließen sie das Bett hinab, auf dem der Gelähmte lag. Und als Jesus ihren Glauben sah, spricht er zu dem Gelähmten: Kind, deine Sünden sind vergeben. Einige aber von den Schriftgelehrten saßen dort und überlegten in ihren Herzen: Was redet dieser so? Er lästert. Wer kann Sünden vergeben als nur einer, Gott? Und sogleich erkannte Jesus in seinem Geist, dass sie so bei sich überlegten, und spricht zu ihnen: Was überlegt ihr dies in euren Herzen? Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Deine Sünden sind vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett auf und geh umher? Damit ihr aber wisst, dass der Sohn des Menschen Gewalt hat, auf der Erde Sünden zu vergeben – spricht er zu dem Gelähmten: Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett auf und geh in dein Haus. Und er stand auf, nahm sogleich das Bett auf und ging hinaus vor allen, so dass alle außer sich gerieten und Gott verherrlichten und sagten: Niemals haben wir so etwas gesehen!“ (2,1–12).
Nach einigen Tagen in der Stille geht der Herr wieder nach Kapernaum und kehrt in ein Haus ein. Das wird schnell bekannt und es versammeln sich viele zu Ihm. Es ist Gnade, dass der Herr Jesus auch in unsere Häuser und Herzen gekommen ist. Und wenn Er da ist, prägt Er die Gesinnung und das Handeln derer, die im Haus sind. Wird es auch bei uns bekannt, dass Er im Haus ist? Was dringt aus unseren Häusern nach außen? Ist es das, was zu seiner Ehre dient?
Der Herr redet zu ihnen das Wort. Dazu war Er ausgegangen (Mk 1,38), und erst in zweiter Linie kamen seine Wunder zur Bestätigung seiner Worte. Es kennzeichnete die Predigt des Herrn, dass Er immer das Wort Gottes redete. Wenn Er sich in Kapitel 4 als der Sämann vorstellt, dann heißt es dort in Vers 14 auch: „Der Sämann sät das Wort.“ Das war der Same, den Er überall ausstreute. Diesem Beispiel des Herrn folgte auch der Apostel Paulus in seinem Dienst (Apg 26,22b) und er ermahnt Timotheus in 2. Timotheus 4,1.2 ebenfalls ernstlich, nur das Wort zu predigen. Dieses Wort allein ist der Same der Neugeburt (1. Pet 1,23; Jak 1,18) und auch bei uns soll das Wort Gottes die zentrale Botschaft jeder Verkündigung sein.
Wie wir bereits gesehen haben, stellt der Aussatz die Sünde dar, wie sie den Menschen verunreinigt und ihn von der Gemeinschaft mit Gott trennt. Hier, in dem Bild des Gelähmten, wird eine weitere Eigenschaft der Sünde deutlich: Sie verunreinigt nicht nur, sie macht den Menschen kraftlos. Ein solcher Mensch braucht Vergebung seiner Schuld und Stärkung durch Gott. Das ist es, was im Bild des Gelähmten hier gezeigt wird.
Die Sünde macht den Sünder völlig unfähig, sich selbst zu helfen. Aber auch der Gläubige, der sündigt und kein Selbstgericht übt, wird durch die Sünde gelähmt. Er kann nicht länger zur Ehre Gottes leben und seine Glieder im Dienst für den Herrn gebrauchen. Wie gut, wenn dann solche da sind wie diese vier Männer, die den Gelähmten „zu Ihm“ führen. Diese Männer zeigen Glauben, der Hindernisse überwindet. Sie lassen sich nicht von den Volksmengen abhalten und geben sich nicht eher zufrieden, bis sie den Kranken direkt vor Ihn gebracht haben. Das ist eine Aufgabe, die der Herr jedem von uns gibt. Er sucht solche, die ein Herz für Ungläubige oder gestrauchelte Gläubige haben und bereit sind, sie zu Ihm zu führen, damit diese das Wort hören, das Sünder überführen kann. Sind wir bereit, solche Anstrengungen auf uns zu nehmen wie diese Männer hier?
In diesem Fall wartet der Herr nicht, bis der Kranke sein Anliegen vorgebracht hat. Er erweist sich hier zuerst als Der, der die Sünden vergibt. Dazu war Er auf diese Erde gekommen. Zunächst behandelt Er hier die Wurzel alles Bösen und kümmert sich um die geistliche Not des Gelähmten, die diesem möglicherweise noch gar nicht recht bewusst geworden war. Erst dann heilt Er auch die körperliche Not des Mannes. In dieser Reihenfolge wird der Herr auch in Psalm 103,3 vorgestellt – eine Schriftstelle, die hier eine Teilerfüllung findet; in vollem Ausmaß wird sie sich in dem Handeln des Herrn mit Israel in der Zukunft erfüllen.
Die Schriftgelehrten haben mit ihrer Feststellung in Vers 7 „Wer kann Sünden vergeben als nur einer, Gott?“ Recht, aber sie wenden sie falsch an. Mit ihrer Reaktion stellen sie klar, dass der Herr Jesus für sie nicht der von Gott Gekommene ist. Sie erkennen nicht, dass sie Sünder sind, und deshalb erkennen sie Ihn auch nicht als Gott. An dem Verhalten der Schriftgelehrten hier und auch an dem der Pharisäer in anderen Situationen wird deutlich, wie schwer es selbstgerechten Menschen fällt, zu erkennen, dass in ihrem Herzen Sünde ist, die vergeben werden muss, und dass dies Umkehr und Buße notwendig macht.
Wie muss der Herr hier und auch bei vielen anderen Begebenheiten (z. B. Mk 2,16; 3,22; Lk 7,47–49) unter dem Verhalten der Schriftgelehrten gelitten haben. Er vergibt dem Gelähmten die Sünden, und man sagt zu Ihm: „Er lästert.“ Auch das gehört zu den verborgenen Leiden des Herrn auf seinem Weg über die Erde.
Der Herr gibt den Schriftgelehrten in Vers 8 einen weiteren Beweis seiner Gottheit. Wer anders als Gott selbst konnte die Überlegungen ihrer Herzen erkennen? Schon Salomo hatte in 1. Könige 8,39 gesagt, dass nur Gott allein die Herzen der Menschen kennt, und viele weitere Stellen zeugen ebenfalls davon (z. B. 1. Chr 28,9; 2. Chr 6,30; Ps 139,4; Hes 11,5).
Die Alternativen, die der Herr in Vers 9 vorstellt, sind für den Menschen beide gleich unmöglich, aber für den Herrn sind sie ein Leichtes.
Als sichtbaren Beweis dafür, dass Er Gott ist und Sünden vergeben kann, heilt der Herr den Kranken auch körperlich. Er spricht dabei von sich als dem „Sohn des Menschen“. Gott sollte durch einen Menschen auf der Erde verherrlicht werden – das war der erste Zweck des Kommens des Herrn auf die Erde. Und Er hatte als Mensch hier auf der Erde Gewalt, Sünden zu vergeben. Ebenso hat Er Gewalt, dem, der mit seinen Sünden zu Ihm kommt, ewiges Leben zu geben (Joh 17,2). Aber gegen alle, die sich nicht im Glauben zu Ihm wenden, wird Er als der Sohn des Menschen einst Gewalt haben, Gericht auszuüben (Joh 5,27).
Die Wirkung der Worte des Herrn Jesus tritt sofort und vollständig ein. Der Gelähmte kann aufstehen und sogleich sein Bett tragen, das vorher ihn getragen hat. Das Bett, das vorher ein Beweis der Schwachheit des Kranken gewesen ist, wird jetzt ein sichtbares Zeichen seiner Kraft.
„Er ging hinaus vor allen“ – jedes Werk, das Gott in einer Seele wirkt, soll zu seiner Verherrlichung ausschlagen. Wenn der Herr bei uns etwas wirkt, darf und muss das sichtbar werden (2. Kor 5,17).
Die Reaktion der Zuschauer hier war wohl weniger ein echter Glaube als vielmehr eine momentane Reaktion auf das beeindruckende Geschehen. Sie erkannten sich nicht im Licht Gottes, wie es z. B. Petrus in Lukas 5,8 tat.
Die Berufung Levis
„Und er ging wieder hinaus an den See, und die ganze Volksmenge kam zu ihm, und er lehrte sie. Und als er vorüberging, sah er Levi, den Sohn des Alphäus, am Zollhaus sitzen, und er spricht zu ihm: Folge mir nach! Und er stand auf und folgte ihm nach“ (2,13.14).
Der Unglaube und die Ablehnung durch die Schriftgelehrten und Pharisäer führen dazu, dass sich die Gnade des Herrn immer weiter in Richtung der Nationen ausbreitet. Dies deutet Markus hier an, indem er berichtet, dass der Herr wieder an den See (ein Bild der Nationen, des Völkermeeres, vgl. Jes 57,20; Off 17,15) geht. Dieser Gedanke findet sich auch zu Beginn von Matthäus 13. Nachdem die Ablehnung des Herrn durch das Volk Israel in Kapitel 12 ganz klar geworden war, geht Er dort in Kapitel 13,1 hinaus an den See.
Im Vorübergehen sieht Er den Zöllner Levi am Zollhaus sitzen und beruft ihn in seine Nachfolge. Die Zöllner in Israel waren größtenteils Juden, die sich in den Dienst der verhassten Besatzungsmacht gestellt hatten. Aus diesem Grund und wegen der natürlichen Abneigung der Menschen, Steuern zu zahlen, wurden die Zöllner von den Juden in äußerster Weise gehasst und verachtet. Man stellte sie auf eine Stufe mit Sündern. Hinzu kam, dass sich die Zöllner oft noch durch überhöhte Abgabenforderungen persönlich an ihren Mitbürgern bereicherten (Lk 3,13; 19,8). Daher offenbart die Berufung solch eines verachteten Sünders in den Dienst und die Nachfolge des Herrn die Gnade Gottes in ganz außerordentlicher Weise.
Hier bei Markus, und im Lukasevangelium, wird Levi mit seinem jüdischen Namen genannt, der „anhänglich“, „verbunden“ bedeutet. Sein zweiter Name ist Matthäus, was „Geschenk Gottes“ bedeutet. Mit diesem Namen nennt er sich in seinem Evangelium (Mt 9,9) und dieser Name wird nach seiner Berufung in die Nachfolge des Herrn meistens für ihn gebraucht. In der Anwendung der Bedeutung der Namen können wir sagen, dass „Anhänglichkeit“ eine Voraussetzung für Nachfolge ist. Und jeder Gläubige, der ein Eigentum des Herrn Jesus wird und in seine Nachfolge eintritt, ist ein Geschenk Gottes an den Herrn Jesus (Joh 17,6). So wertvoll ist jeder Gläubige für Gott!
Wie Simon und Andreas in Kapitel 1,16–20 wird auch Levi berufen, als er bei der Arbeit ist, und auch er folgt dem Aufruf des Herrn direkt. So wendet sich der Herr auch heute an jeden persönlich mit dem Aufruf, zu Ihm zu kommen. Und an alle die, die bereits sein Eigentum sind, wendet Er sich mit Aufträgen, die Er für jeden Einzelnen hat. Sind wir bereit, Ihm so wie diese Jünger nachzufolgen?
Levi, der ein reicher Mann ist, folgt dem Herr sofort nach. Ganz anders war es bei dem reichen Jüngling (Mk 10,17–23). Ihn hinderte sein Reichtum an der Nachfolge.
Die Verse 13 und 14 zeigen zwei Zielrichtungen im Dienst des Herrn. In Vers 13 lehrt der Herr die Volksmengen, in Vers 14 beschäftigt Er sich mit dem Einzelnen. Wenn der Herr in Markus 6 die Jünger aussendet, gibt Er ihnen auch diese beiden Zielrichtungen vor. Er spricht in Vers 10 und 11 davon, dass sie in die Häuser (Einzelne) und durch die Orte (Volksmengen) gehen sollen. Beides ist wichtig und nötig: der Dienst an den Einzelnen und der Dienst an den Vielen.
Das Mahl im Haus von Levi
„Und es geschah, dass er in seinem Haus zu Tisch lag; und viele Zöllner und Sünder lagen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern, denn es waren viele, und sie folgten ihm nach. Und als die Schriftgelehrten und die Pharisäer ihn mit den Sündern und Zöllnern essen sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst und trinkt er mit den Zöllnern und Sündern? Und als Jesus es hörte, spricht er zu ihnen: Nicht die Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder“ (2,15–17).
Bei Levi erfolgt eine Reaktion auf die Berufung in die Nachfolge des Herrn. Er macht ein großes Mahl und lädt viele seiner Bekannten ein. Er hat die Gnade des Herrn erfahren und will nun auch andere mit dem Heiland in Verbindung bringen. Die Frage an uns ist: Hat unsere Berufung in die Nachfolge des Herrn auch ein sichtbares Zeichen für die Welt? Ist es uns ein Anliegen, auch andere mit der herrlichen Person unseres Herrn Jesus bekannt zu machen?
Der Herr folgt der Einladung Levis und begibt sich in diese Gesellschaft von Sündern, indem Er eine gemeinsame Mahlzeit mit ihnen einnimmt. Als das wahre Licht scheint Er in der Finsternis, ohne sich mit der Finsternis zu vermischen. Der Herr liebt und sucht Sünder, um sie zu retten, aber Er verharmlost dadurch nicht die Sünde und die Sünden. Im Gegenteil: Er hasst sie. Welch eine Entfaltung seiner liebevollen Erniedrigung und seiner suchenden Gnade, dass Er sich hier von einem Zöllner in eine solche Gesellschaft einladen lässt – Er, der in der Zukunft selbst der Gastgeber eines großen Mahles sein wird (Jes 25,6).
Diese Entfaltung der Gnade ruft wieder den Feind auf den Plan. Hatten die Schriftgelehrten bei der vorigen Begebenheit noch in ihren Herzen Überlegungen angestellt, so gehen sie hier in ihrem Widerstand schon einen Schritt weiter und äußern ihre bösen Überlegungen. Dabei wenden sie sich jedoch nicht direkt an den Herrn, sondern an seine Jünger. Darin folgen sie der Taktik Satans, der sich im Garten Eden in der Schlange auch an Eva, das schwächere Gefäß, wandte. Sie versuchen das Vertrauen der Jünger in ihren Herrn zu erschüttern, ähnlich wie auch Absalom das Herz des Volkes von David abzuziehen versuchte (2. Sam 15,1–6).
Der Herr antwortet für die Jünger und nimmt diese Frage zum Anlass, noch einmal seine Gnade und seine Absicht zu zeigen. Er war nicht gekommen, Gerechte zu rufen, d. h. Selbstgerechte (denn andere Gerechte gibt es nicht [vgl. Röm 3,10]), sondern Sünder. Für solche, wie diese Zöllner, war Er gekommen, um sie zu suchen, zu retten und glücklich zu machen.
Die Frage bezüglich des Fastens
„Und die Jünger des Johannes und die Pharisäer fasteten; und sie kommen und sagen zu ihm: Warum fasten die Jünger des Johannes und die Jünger der Pharisäer, deine Jünger aber fasten nicht? Und Jesus sprach zu ihnen: Können etwa die Gefährten des Bräutigams fasten, während der Bräutigam bei ihnen ist? Solange sie den Bräutigam bei sich haben, können sie nicht fasten. Es werden aber Tage kommen, da der Bräutigam von ihnen weggenommen sein wird, und dann, an jenem Tag, werden sie fasten. Niemand näht einen Flicken von neuem Tuch auf ein altes Kleidungsstück; sonst reißt das Eingesetzte davon ab, das neue von dem alten, und der Riss wird schlimmer. Und niemand füllt neuen Wein in alte Schläuche; sonst zerreißt der Wein die Schläuche, und der Wein wird verschüttet, und die Schläuche verderben; sondern neuen Wein füllt man in neue Schläuche“ (2,18–22).
Die Frage bezüglich des Fastens folgt in den ersten drei Evangelien jeweils direkt auf das Mahl im Haus Levis. Wahrscheinlich spielte sich beides zeitlich sehr dicht nacheinander ab. Die Jünger des Johannes waren es gewohnt, zu fasten (Lk 5,33); sie folgten darin ihrem Meister, der „weder Brot aß, noch Wein trank“ (Lk 7,33). Auch die Pharisäer fasteten oft und brüsteten sich damit gerne in der Öffentlichkeit (Lk 18,12). Daher kommen die Pharisäer mit ihrer Frage hier gemeinsam mit den Jüngern des Johannes zu dem Herrn. Was waren die Beweggründe, die beide Gruppen zu der Frage führten?
Bestimmt hofften die Pharisäer darauf, in der Antwort des Herrn etwas zu finden, was sie gegen Ihn verwenden konnten. Nun wenden sie sich direkt an den Herrn und fragen Ihn etwas über die Jünger.
Bei den Jüngern des Johannes, die in Matthäus 9,14 die Frage stellen, können wir wohl annehmen, dass ihre Beweggründe tieferer Art waren. Sie hatten den Herrn und die Jünger bei dem Festmahl im Haus Levis gesehen, während sie fasteten. Wie sollten sie das miteinander in Übereinstimmung bringen? Darüber hinaus war ihr Meister Johannes jetzt im Gefängnis. Sollten sie da von dem ablassen, was sie von ihm gelernt hatten? Aber in ihrer Verlegenheit tun sie das einzig Richtige: Sie gehen mit ihrer Frage direkt zum Herrn.
Die Antwort, die der Herr hier gibt, zeigt wieder seine Weisheit im Umgang mit allen, die zu Ihm kamen. Er stellt sich hier als der Bräutigam seines Volkes Israel, der „Tochter Zions“, vor. Damit benutzt Er ein Bild, das die Jünger Johannes’ bereits von ihrem Meister gehört hatten. In Johannes 3,29.30 hatte Johannes das Bild des Bräutigams schon auf den Herrn Jesus angewandt. Nur hatten die Jünger dies wohl noch nicht verstanden. Deshalb bestätigt der Herr hier noch einmal, dass Er Derjenige war, von dem Johannes vorausschauend geredet hatte. Jetzt war Er da, ihr Bräutigam, Er, der die Gnade Gottes offenbarte, Er, der „Freudenöl statt Trauer“ geben wollte (Jes 61,3). Deshalb war Freude angebracht, wie auch schon die himmlischen Heerscharen und die Hirten bei der Geburt des Herrn in Lob ausgebrochen waren (Lk 2,13–20).
Aber auch die Pharisäer werden wieder zum Nachdenken gebracht. Wenn Er der Bräutigam war, von dem im Alten Testament oft die Rede war (Jes 54,5–7; 62,4.5; Hos 2,16–20), wie war dann ihre Haltung Ihm gegenüber?
Der Herr benutzt die Ihm gestellte Frage, um einen bedeutenden Wechsel der Verhältnisse anzukündigen. Er beginnt hier, die Zuhörer darauf hinzuweisen, dass seine Gegenwart bei ihnen nur vorübergehend sein würde. Er würde abgelehnt und getötet werden. Dann würde die Zeit sein, wo auch seine Jünger trauern würden. Dass dies so war, sehen wir bei den Jüngern, die auf dem Weg nach Emmaus waren (Lk 24,17). Aber an anderer Stelle hatte der Herr den Jüngern auch gesagt, dass ihre Traurigkeit zur Freude werden würde (Joh 16,20.22). Und dies erfüllte sich für die traurigen Jünger, als Er sich auf ihrem Weg nach Emmaus zu ihnen gesellte und sich ihnen offenbarte (Lk 24,30.31). Diese Freude, die die Jünger in der Gegenwart des auferstandenen Herrn hatten, soll auch uns heute kennzeichnen (Phil 4,4). Aber parallel dazu sollte unser Leben gewohnheitsmäßig von Selbstverleugnung wie bei einem Nasiräer (vgl. 4. Mo 6) gekennzeichnet sein. Dabei mag es besondere Zeiten geben, zu denen wir zeitweise bewusst auf Dinge verzichten, die an sich nicht böse sind, die uns aber von der intensiven Beschäftigung mit dem Herrn oder von Aufgaben in seinem Dienst abhalten können. Wer fastet, enthält sich von etwas an sich Gutem, um etwas Besseres zu bekommen oder hervorzubringen. Es ist jedoch ein Irrtum, anzunehmen, dass man durch Fasten ein „besserer“ Christ wird.
Bezüglich des Fastens finden wir in der Schrift kein direktes Gebot, aber wir sehen an vielen Beispielen, dass es eine bekannte und oft praktizierte Gewohnheit war, die der Herr nie verurteilte. Mose fastete auf dem Berg, bevor ihm das Gesetz gegeben wurde, ebenso fasteten z. B. Elia, Daniel, Nehemia und auch der Herr, als Er in der Wüste war. Auch in der Apostelgeschichte wird von Fasten gesprochen (Apg 13,3; 14,23). Aber wenn wir fasten, soll das im Verborgenen vor Gott geschehen und mit einem aufrichtigen Herzen. Das sagt der Herr den Jüngern deutlich in Matthäus 6,16–18.
In den Versen 21 und 22 fährt der Herr fort und vertieft den Gedanken aus den vorigen Versen. Anhand von zwei gut verständlichen Beispielen macht Er den Unterschied zwischen dem damals zu Ende gehenden und dem kommenden Zeitalter der Gnade deutlich. Der Wechsel von der Zeit des Gesetzes zur Zeit der Gnade stand bevor. Und in beiden Beispielen zeigt der Herr klar, dass sich die zwei nicht miteinander vermischen lassen. Das Alte ist das, was der Mensch für Gott sein sollte; das Neue das, was Gott für den Menschen tut. Alt und Neu sind in ihrer Natur und in ihrem Charakter völlig unterschiedlich – sowohl äußerlich (Kleid, Flicken) als auch innerlich (Wein in Schläuchen).
„Ein neuer Flicken auf ein altes Kleid“: Kommt ein Stück Stoff, das noch nicht eingelaufen ist, auf ein altes, bereits eingelaufenes Kleid, so wird die beim Einlaufen des neuen Flickens entstehende Spannung einen viel größeren Riss erzeugen. Oder das Gewebe reißt an einer anderen Stelle, da es insgesamt alt und brüchig ist. Ebenso kann das durch äußere Formen gekennzeichnete Judentum nicht mit den Offenbarungen des Christentums vermengt werden. Beides wird dadurch verdorben. Die vom Gesetz geforderte äußere Gerechtigkeit kann nicht mit der Gerechtigkeit aus Glauben vermischt werden.
„Neuer Wein in alten Schläuchen“: Kommt neuer, noch nicht ganz vergorener Wein in alte Schläuche aus gegerbter Tierhaut, so lassen die entstehenden Gärungsgase den alten Schlauch platzen. Ebenso kann die Wahrheit des Christentums mit der inneren Kraft des Heiligen Geistes nicht von dem Judentum gefasst werden. Fleischliche Zeremonien und die Kraft des Heiligen Geistes können nicht zusammen gehen.
Lehrmäßig werden diese Gegensätze an verschiedenen Stellen des Neuen Testamentes gezeigt. So sprechen besonders einige Stellen im Römer-, Galater- und Hebräerbrief von diesen Gegensätzen. Die wiederholte Behandlung dieses Themas zeigt auch, dass in der Christenheit bis heute die Neigung da ist, die Botschaft des Christentums mit den äußeren Formen und Werken des Judentums zu verbinden. Das wird auch in Lukas 5,39 gezeigt. Der Mensch will lieber etwas tun, als die Gnade Gottes anzunehmen. Das können wir in Gesprächen mit Ungläubigen immer wieder beobachten.
Die Sabbatfrage
„Und es geschah, dass er am Sabbat durch die Kornfelder ging; und seine Jünger fingen an, im Gehen die Ähren abzupflücken. Und die Pharisäer sprachen zu ihm: Siehe, warum tun sie am Sabbat, was nicht erlaubt ist? Und er spricht zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, als er Mangel litt und ihn und die, die bei ihm waren, hungerte? Wie er in das Haus Gottes ging zur Zeit Abjathars, des Hohenpriesters, und die Schaubrote aß (die niemand essen darf als nur die Priester) und auch denen davon gab, die bei ihm waren? Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat wurde um des Menschen willen geschaffen und nicht der Mensch um des Sabbats willen; also ist der Sohn des Menschen Herr auch des Sabbats“ (2,23–28).
Schon in den beiden vorigen Abschnitten hat der Herr den Wechsel vom Alten zum Neuen vorgestellt. Im Rahmen dieser Belehrungen geht der Herr in den Versen von Kapitel 2,23–3,6 auf den Sabbat ein, der auch ein besonderes Merkmal des alten Systems war. Der Herr zeigt in diesen Abschnitten Schritt für Schritt, was in seiner Person an Neuem gekommen war, auch wenn die Beweggründe der Zuhörer oft unlauter waren.
Hier sehen wir Ihn, wie Er mit seinen Jüngern durch ein Kornfeld wandert und die Jünger einige Ähren abpflücken, um ihren Hunger zu stillen. Dies nehmen die Pharisäer direkt zum Anlass, den Herrn und die Jünger zu verurteilen. Sie bewerten das Ährenpflücken der Jünger wohl als Arbeit, die am Sabbat verboten war. Denn eine andere Grundlage konnten sie für ihre Beschuldigung nicht finden. Das Pflücken von Ähren mit der Hand war im Gesetz ausdrücklich erlaubt (5. Mo 23,26). Dementsprechend findet man auch nichts davon, dass sich der Eigentümer des Feldes beschwerte.
Im Gesetz gab es eigentlich nur ein Gebot, dass verbot, von dem Korn des Feldes zu essen. Dieses Verbot galt für die gesamte Saat- und Erntezeit bis zum Fest der Erstlingsgabe (3. Mo 23,14). Erst nach der Darbringung der Erstlingsgabe war es erlaubt, vom Ertrag der Felder zu essen. Aber auch dieses Gebot hatten die Jünger nicht übertreten. Denn in Lukas 6,1 wird gezeigt, dass diese Begebenheit sich am „zweit-ersten Sabbat“ ereignete. Dies war der zweite Sabbat nach dem Passahfest und der erste nach der Darbringung der Erstlingsgabe (3. Mo 23,9–14). Somit war es ihnen erlaubt, zu essen. So genau ist Gottes Wort!
Die Pharisäer wollten zeigen, wie hoch ihnen das Gebot des Sabbats war. Aber über der Beobachtung der Gesetze vergaßen sie den Gesetzgeber, der jetzt unter ihnen war. Den Gesetzgeber anzuerkennen wäre eine viel größere Ehre für sie gewesen als kleinlich an (zum Teil) eigenen Geboten festzuhalten. Sie hatten keine innere Beziehung zu Ihm; ja sie lehnten Ihn ab. Was für ein beständiger Schmerz muss das für den Herrn gewesen sein (s. a. Kap. 3,2.5.6).
Der Herr nimmt seine Jünger in Schutz und antwortet für sie. Er zeigt den Pharisäern, dass die äußeren Formen ihre Bedeutung verlieren, wenn der „Herr des Sabbats“ da ist und Er und seine Jünger Hunger leiden. Er erinnert sie an das Beispiel Davids in 1. Samuel 21. Dort war David in einer ähnlichen Situation wie der Herr und seine Jünger hier. David, der rechtmäßig gesalbte König, war verachtet und in Not. Und in dieser Situation beging David keine Sünde, als er von den Schaubroten aß, um seinen Hunger zu stillen. So war es auch hier. Den Sabbat hatte Gott zum Segen des Menschen gegeben, nicht um ihn Not leiden zu lassen.
Der Sabbat, der siebte Tag, war der Tag der Ruhe Gottes in der ersten Schöpfung (1. Mo 2,3). In der prophetischen Bedeutung wird er oft als ein Bild für die Ruhe Gottes im 1000-jährigen Reich gebraucht (z. B. Heb 4,9; Ps 92).
Solch einen Tag der Ruhe hatte Gott seinem Volk gegeben, damit es in besonderer Weise Gemeinschaft mit Ihm haben konnte (z. B. 3. Mo 23,3; 2. Mo 20,10.11). Wenn man diese Absicht Gottes mit dem Sabbat bedenkt, wie schrecklich war es dann, den Sabbat durch menschliche Gebote so zu missbrauchen.
Auf dem Boden der Gnade gibt es den Sabbat nicht mehr. Der besondere Tag für die Christen ist der Sonntag, der erste Tag der Woche. Er wird oft auch der achte Tag genannt und ist das Zeichen der Ruhe Gottes in der neuen Schöpfung. Es ist „der dem Herrn gehörende Tag“ (Off 1,10), sein Auferstehungstag und damit der Ausgangspunkt jeder christlichen Segnung. Aus all diesem wird klar, dass Sabbat, der letzte Tag einer Woche, und Sonntag zwei unterschiedliche Bedeutungen tragen und dass der Sabbat kein Vorbild auf den Sonntag, den ersten Tag der Woche, ist.