Botschafter des Heils in Christo 1885

"Seid niemandem irgendetwas schuldig"

1 Es gibt in der Heiligen Schrift keine Ermahnung, die klarer und bestimmter wäre, als diejenige, welche die Überschrift dieser Zellen bildet. Das griechische Wort, welches an dieser Stelle durch „schuldig sein“ übersetzt ist, lässt keine zweideutige Erklärung zu. Die Stelle ist ebenso einfach und die Vorschrift ebenso bestimmt, als diejenige des nächstfolgenden Verses: „Du sollst nicht stehlen!“ Jeder Leser, der das geschriebene Wort ehrt und es nicht nach seinen Wünschen oder Ansichten zu deuten trachtet, wird daher verstehen, dass es in dieser Stelle förmlich verboten ist, Schulden zu machen.

Wenn nun jemand einwendet, dass der Schluss des angeführten Verses den Sinn der ersten Hälfte desselben ein wenig verändere, so gebe ich das zu, jedoch nur unter der Hinzufügung, dass die wahre Bedeutung der Stelle nur dadurch verschärft wird. „Seid niemanden irgendetwas schuldig, als nur einander zu lieben; denn wer den Anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt.“ Wie könnte man dieses anders, als durch die Worte umschreiben: „Jede Schuld ist euch verboten, mit Ausnahme einer einzigen, von der ihr euch nimmer befreien könnt, nämlich der Bruderliebe und der damit verbundenen Pflichten?“ Es ist klar, dass wir, solange wir hienieden sind, nie werden sagen können, dass wir unseren Brüdern nichts mehr schulden und keine der Bruderliebe entspringende Pflichten mehr zu erfüllen haben. Außer dieser einzigen Ausnahme ist uns aber jede andere Schuld ausdrücklich verboten, so dass wir keine machen können, ohne gegen eines der bestimmtesten Verbote des Wortes Gottes zu handeln.

Es bedarf indes einiger Erläuterungen betreffs dessen, was unter die Rubrik des verbotenen Schuldenmachens zu bringen ist. Ein Christ, selbst ein treuer Christ, kann durch das Eintreten widriger Umstände in Schulden geraten, durch Umstände, die, obwohl nicht ohne die Zulassung Gottes gekommen, dennoch unabhängig von dem Willen dessen sind, der darunter leidet. Dies war z. B. der Fall bei der Witwe eines der Söhne der Propheten, welcher, obwohl gottesfürchtig, bei seinem Tod sein armes Weib in den Händen eines grausamen und geldgierigen Schuldherrn zurückließ, der ihr alles, ja selbst ihre beiden Kinder zu nehmen drohte. Doch sie nahm ihre Zuflucht zu Gott, der der Witwen Mann zu sein verheißen hat, und sie wurde auf wunderbare Weise befreit (2. Kön 4,1–7). Möchten wir ihr in ähnlichen Umständen gleichen! In einer solchen Lage, wo wir des Herrn Hand sehen, können wir uns völlig Ihm anvertrauen und in einfältigem Glauben um Errettung bitten, die nur Er bewirken kann und bewirken will; denn in diesem Fall ist die schwierige Lage für uns eine Prüfung, und nicht ein Zustand oder eine Folge der Sünde.

Wenn ferner ein Christ irgendwelche Wertsachen besitzt, die seine Schuld mehr als decken, oder wenn das gemachte Anleihen durch entsprechende Pfandverschreibungen mehr als gesichert ist, so kann man nicht sagen, dass er sich in Schulden befinde, weil er im schlimmsten Fall sein Eigentum selbst unter dem Preis verkaufen und die Schuld bezahlen kann. Das Beste und Sicherste wäre allerdings für ihn, sich sobald als möglich frei zu machen. Doch außer diesen und einigen ähnlichen Fällen darf ein Christ keine Schulden machen, ohne sich zu versündigen; denn, ich widerhole es, das Gebot Gottes ist in dieser Beziehung sehr bestimmt und unzweideutig. Wie verkehrt und schlecht es ist, in leichtfertiger Weise Schulden zu machen, werden wir jedoch noch mehr erkennen, wenn wir die Ursache eines solchen Betragens und seine Folgen ein wenig beleuchten.

Die Triebfedern oder Beweggründe, zufolge deren ein Kind Gottes auf solchem Pfad wandelt, sind denen, durch welche es sich leiten lassen sollte, stets entgegengesetzt. Meistens sind Hochmut, Ehrgeiz, Habsucht und Weltförmigkeit die Ursachen solch betrübender Erscheinungen. In der Tat, mancher Christ, der unter einer kleineren oder größeren Schuldenlast seufzt, hat vielleicht nimmer recht seine Augen auf die Stelle gerichtet: „Der Wandel sei ohne Geldliebe; begnügt euch mit dem, was vorhanden ist; denn Er hat gesagt: Ich werde dich nicht versäumen, noch dich verlassen, so dass wir kühn sagen mögen: Der Herr ist mein Helfer usw“ (Heb 13,5–6). Wenn nun ein Christ durch ein Anleihen, das er machen zu müssen meint, in Schulden gerät, beweist er dann, dass er sich mit dem begnügt, was vorhanden ist, und dass er an die Verheißung glaubt: „Ich werde dich nicht versäumen ...“? Zeigt er, dass er kühn sagen darf: „Der Herr ist mein Helfer“, und dass sein Herz in dieser köstlichen Wahrheit lebt? Ist sein Betragen nicht im Gegenteil ein Beweis, dass er Gott nicht vertraut, und dass sich sein Herz in demselben Maße von Ihm abgewandt hat, als es sich auf den Arm des Fleisches stützt und dem Menschen vertraut?

Warum werden überhaupt so oft Anleihen oder Schulden gemacht? Weil man mit der Lage, in welcher man sich befindet, nicht zufrieden ist, und weil man herauszukommen bemüht ist; anstatt sich zu den Niedrigen zu halten, sinnt man auf hohe Dinge und sucht in bessere Verhältnisse zu gelangen. Ist das die Gesinnung, die den Jünger dessen Ziert, der sich selbst zu nichts machte und sich bis zum Tod am Kreuz erniedrigt hat, und der sanftmütig und von Herzen demütig war? Heißt das in den Fußstapfen des Jesus wandeln, der arm und verachtet auf dieser Erde war, der nur eine Krippe und ein Kreuz auf derselben besaß, und der uns auffordert, zu leben und zu wandeln, wie Er selbst gelebt und gewandelt hat? Ach, auf wie viele Christen würde auch heute noch das Wort passen, welches Jehova einst zu Baruch redete: „Und du suchst dir große Dinge? Suche sie nicht! Denn stehe, ich werde Unglück bringen über alles Fleisch, spricht Jehova; aber dir will ich deine Seele zur Beute geben an allen Orten, wohin du ziehen wirft“ (Jer 45,5). Und ebenso passend würden die an den ehrgeizigen, geldgierigen Gehasi gerichteten Worte des Propheten Elisa sein, der da sagte: „War es Zeit, Silber zu nehmen und Kleider zu nehmen und Ölbäume und Weinberge und Schafe und Rinder und Knechte und Mägde?“ (2. Kön 5,26) O, wie selten findet man die Gesinnung, welche einmal jemand durch die Worte ausdrückte: „Lieber wollte ich auf dem Pfad des Gehorsams eine Bildsäule von Marmor sein, als die größten Taten auf Kosten des kleinsten Teiles des Wortes Gottes tun.“

Wenn man einwendet, dass man doch etwas zum eigenen und zum Unterhalt der Seinen unternehmen müsse, so räume ich dieses gern ein. Denn Gott selbst gebietet uns allen, zu arbeiten und mit unseren eigenen Händen das Gute zu tun – und dies nicht allein, um für unseren Unterhalt zu sorgen, sondern auch damit wir dem Dürftigen etwas mitzuteilen haben (Eph 4,28). Doch mag es sich um Unternehmungen zur Verbreitung des Evangeliums oder zu Wohltätigkeitszwecken, oder einfach um persönliche Pläne handeln, die nur unser Zeitliches Wohl zum Ziel haben, lasst uns stets daran denken, dass, wenn wir solches tun sollen, auch Gott die Mittel dazu darreichen wird. 2 In dieser Hinsicht sagt Er zu uns, wie einst zu Gideon: „Gehe hin in dieser deiner Kraft“ (Ri 6,14). Mit der Kraft und mit den Mitteln, die Er darreicht, und mit nichts anderem dürfen wir vorwärtsgehen. Weiter gehen heißt sich in Schulden, mithin in die Sünde einlassen, indem man das Wohlergehen auf einem Weg sucht, auf dem Gott nicht mit uns sein kann und wo wir seinen Segen weder erlangen noch erwarten können, jenen Segen, der ohne irgendwelches Zutun von unserer Seite reich zu machen vermag (Spr 10,22). Ehe ihr daher, geliebte Brüder, ein Haus oder einen Garten kauft, ehe ihr irgendein Unternehmen – ob groß oder klein – beginnt, richten wir an euch die Bitte, dass ihr euch hinsetzen und vor Gott die Ausgaben überschlagen möchtet, um zu sehen, ob ihr imstande seid, das Unternehmen ausführen zu können, und ob euch Gott Erlaubnis dazu gegeben hat. Wohl mag es den Kindern dieser Welt auf einem entgegengesetzten Wege gelingen, sich Reichtümer und Schätze zu erwerben; sie kennen Gott nicht; sie haben ihre Güter in dieser Welt und leben in Ungewissheit und Unglauben betreffs des Willens Gottes, stehen daher in dieser Beziehung nicht auf demselben Boden der Verantwortlichkeit wie die Kinder des Lichts. Aber ach! Wie viele Christen machen auf diesem Weg der Untreue jene traurigen Erfahrungen, die das Wort Gottes in den Worten ausdrückt: „Die aber reich werden wollen, fallen in Versuchung und Fallstrick und in viele unvernünftige und schädliche Lüste, welche die Menschen versenken in Verderben und Untergang!“ (1. Tim 6,9) Wie viele, die da Reichtümer suchten, sind vom Glauben abgeirrt und haben sich selbst mit vielen Schmerzen durchbohrt (V 10)!

Geliebte Brüder! möchte es euch in Gnaden geschenkt werden, diesen Fallstricken auszuweichen! Sie enden nur zu oft in schmählichem Ruin, durch welchen der Name des Herrn der Verachtung preisgegeben und das Evangelium von vielen verlästert wird, die sich, weil sie größere oder kleinere Verluste erlitten haben, an euch ärgern und sich von der Wahrheit abwenden, während ein reiner und treuer Wandel euerseits die Lehre unseres Heiland – Gottes geziert haben würde. Darum, möget ihr Arbeiter, Diener oder Angestellte sein, bleibt in eurer, wenn auch noch so bescheidenen Lage, in welche Gott euch gestellt hat, und verlässt sie nicht eher, als bis Gott euch die Tür dazu öffnet. Wenn euch andererseits eure Stellung nötigt, Schulden zu machen, so ist das wohl ein sicheres Zeichen, dass diese Stellung nicht Gott gemäß ist, und dass ihr sie sobald wie möglich aufgeben solltet. Denn es kann nicht der Wille Gottes sein, dass ihr in einer Lage verharrt, die euch einen Anlass zur Sünde bietet. Nur wenn jemand mit Gott in seiner Stellung ist, soll er darin ausharren (1. Kor 7,24). Sobald das Gewissen die Gefahr erkennt, ist ein Ausgehen nötig. Und sollte trotz dieser Umstände eure Stellung, euer Geschäft ein Gegenstand sein, an welchem euer Herz in hohem Maß hängt, so ist das ein Grund mehr, diesem für eure Seele so gefährlichen Fallstricke zu entfliehen und ohne Rückhalt dem Gebot des Herrn zu gehorchen: „Wenn dein Auge dich ärgert, so reiß es aus und wirf es von dir; es ist dir besser, einäugig in das Reich Gottes einzugehen, als zwei Augen zu haben und in die Hölle des Feuers geworfen zu werden.“ – Sagt ihr aber: „Ich muss warten, bis Gott mir zeigt, was ich zu tun habe“, so antworte ich: „Ihr seid auf einem Weg der Sünde, und ihr bedürft keines besonderen Zeichens für den Willen Gottes; denn sein Wille, den ihr kennen solltet, ist, dass ihr nicht mehr sündigt.“ – „Aber“, möchte jemand einwenden, „wenn ich meine Stellung aufgebe, so weiß ich nicht, was ich anfangen soll.“ Darauf antworte ich: „Fange damit an, das Böse zu lassen. Das ist es, was der Herr zu allererst von dir fordert; und Haft du diesen unvermeidlichen Schritt getan, so wird Er dir sicher beistehen, um den folgenden tun zu können. Vertraue Ihm, wandle im Glauben, d. h. ohne zu wissen, wohin du gehst. Auf diese Weise wirst du, von dir selbst befreit, von oben geführt und geleitet werden.“

Überdies begnügt euch mit eurer irdischen Lage, wenn dieselbe, wie sie sonst auch sein mag, euch das tägliche Brot verschafft. Vielleicht könnte euer Geschäft durch Verbesserungen und Vergrößerungen, durch den Ankauf eines Gebäudes, geeigneter Werkzeuge, oder durch den Anbau einer Maschine mit größerem Vorteil und Gewinn betrieben werden. Und sicher steht euch, so ihr anders die Mittel zur Beschaffung und Einrichtung dieser Dinge besitzt, nichts im Weg, nach eurem freien Ermessen zu handeln. Wenn ihr aber zu diesem Zweck Geld aufnehmen, d. h. eine Schuld machen müsst, so seid versichert, dass ein solches Handeln nicht nach dem Willen Gottes ist. Lernt es vielmehr, diese Dinge zu entbehren, stille zu sein und zu warten. Lasst euch durch die trostreichen Wahrheiten der folgenden Stellen leiten: „Traue auf Jehova und tue Gutes; wohne im Land und weide dich an Treue! Und habe deine Wonne an Jehova, so wird Er dir geben die Bitte deines Herzens. Wälze auf Jehova deinen Weg und traue auf Ihn; Er wird es vollbringen. ... Es ist besser das wenige der Gerechten, als der Überfluss vieler Gesetzlosen. ... Ich war jung und bin auch alt geworden, und nie sah ich verlassen den Gerechten und seinen Samen nach Brot gehen. ... Achte auf den Aufrichtigen und siehe auf den Redlichen; denn für den Mann des Friedens gibt es eine Zukunft“ (Ps 37). „Die Gottseligkeit aber mit Genügsamkeit ist ein großer Gewinn; denn wir haben nichts in die Welt hereingebracht, so ist es offenbar, dass wir auch nichts hinaufbringen können. Wenn wir aber Nahrung und Bedeckung haben, so wollen wir uns daran genügen lassen“ (1. Tim 6,6–8). „Die leibliche Übung ist zu wenigem nütze; die Gottseligkeit aber ist zu allen Dingen nütze, indem sie die Verheißung des Lebens hat, des jetzigen und des zukünftigen“ (1. Tim 4,8). „Vertraue auf Jehova mit deinem ganzen Herzen, und stutze dich nicht auf deinen Verstand. Erkenne Ihn in allen deinen Wegen, und Er wird gerademachen deinen Pfad. Sei nicht weise in deinen Augen, fürchte Jehova und weiche vom Bösen“ (Spr 3,5–7).

Ja, glückselig ein jeder, der sich also seinem Gott und Vater anvertraut, und dem es am Herzen liegt, Ihm wohlgefällig zu sein und seinen Willen zu tun! Wie viele Mühen, Sorgen, Prüfungen und Schmerzen erspart er sich, wenn er mit Gott, Gott gemäß und in seiner Nähe wandelt, wenn er sich in den Schwierigkeiten nur auf Ihn stützt und in der Not seine Zuflucht nur zu Ihm nimmt. Er mag arm, von allem entblößt, krank und traurig sein – das ist das Los, welches der Herr auf dieser Erde den Treuen verheißen hat; aber in dieser Lage und trotz derselben kann er im Herrn glücklich sein, seinen unaussprechlichen Frieden genießen und ohne Sorge sein, weil er das Bewusstsein hat, dass sein himmlischer Vater alle seine Bedürfnisse besser kennt, als er selbst, und dass Er mächtig und barmherzig ist, um ihnen nach dem Reichtum seiner Gnade zu begegnen. Der, welcher seinen eigenen Sohn für ihn gegeben hat, wird ihm sicher auch das darreichen, dessen er in dieser Wüste bedarf. Er unterwirft sich daher ohne Zögern dem Gebot des Herrn: „Und ihr, trachtet nicht danach, was ihr essen, oder was ihr trinken sollt, und seid nicht in Unruhe. Euer Vater weiß, dass ihr dessen bedürft. Trachtet aber nach seinem Reich, und dieses alles wird euch dazu gegeben werden“ (Lk 12,29–31). Es gibt in der Tat in den schwierigsten Verhältnissen nichts, was die Gemeinschaft eines wahrhaft treuen Christen mit dem Vater und dem Sohn trüben oder unterbrechen, nichts, was ihn hindern könnte, sich mit völliger Zuversicht an Gott zu wenden und alle Sorgen auf Ihn zu werfen. O welch ein Glück, wenn das Wort zur praktischen Wahrheit wird: „Daher sollen auch die, welche nach dem Willen Gottes leiden, Ihm, dem treuen Schöpfer, ihre Seelen befehlen im Gutestun“ (1. Pet 4,19). Darum glückselig alle, welche den Weg des Glaubens und des Gehorsams wandeln, einen Weg, der, was auch geschehen mag, stets mit Segen erfüllt ist! Welche Freude für ihr Herz, wenn sie, nachdem sie ihr Anliegen vor den Vater gebracht haben, seine Durchhilfe zurzeit der Not erfahren und in praktischer Weise mit Jesu sagen lernen: „Jehova ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln!“ (Ps 23,1)

Doch sicher kann dieses nicht von solchen gesagt werden, welche sich durch Unglauben, Ehrgeiz und Verweltlichung zur Sünde des Schuldenmachens, des Handeltreibens und Wohllebens mit dem Geld anderer verleiten lassen. Solche sind vielmehr vom Weg des Glaubens und des Gehorsams abgewichen und können mithin nicht auf Gott rechnen und sich Ihm nicht anvertrauen, um aus einer Not herauszukommen, in welche sie sich durch das Tun ihres eignen Willens, ohne dass sie den Rat des Herrn gesucht hätten, ja, im Widerspruch mit seinem Willen, hineingestürzt haben. Wenn das aufgeweckte Gewissen einem Christen zeigt, dass er sich auf einem Weg befindet, auf welchem er nicht im Licht mit Gott wandeln kann, so hat er – von welchen Demütigungen und welchen Verlusten es auch begleitet sein mag – ohne Zögern eine Stellung zu verlassen, die für seine Seele ein Fallstrick ist. Wenn er diesen Entschluss nicht fasst und bald zur Ausführung bringt, so werden die traurigsten Folgen unausbleiblich sein. Folgt er nicht den Mahnungen seines Gewissens, so stumpft dasselbe allmählich ab und wird schließlich so verhärtet, dass es alle Empfindlichkeit verliert. Ach, leider kommt es oft soweit, dass Christen, die, in der eitlen Hoffnung, sich aus ihren Verlegenheiten herauszuziehen, und ohne in Wirklichkeit ihrem bösen Wege entsagen zu wollen, zu eben nicht sehr ehrbaren Mitteln greifen, zu welchen selbst Weltmenschen sich scheuen würden, ihre Zuflucht zu nehmen. So z. B. bildet sich mancher ein, wenn man Brüder zu Gläubigern habe, so sei es nicht nötig, deren Forderungen zurückzuzahlen. Man verspricht und hält nicht Wort; man sucht sich und andere über seinen Zustand dadurch zu täuschen, dass man die Ausgaben, anstatt zu beschränken, nur noch vermehrt; man macht am Vorabend eines Bankerotts noch Einkäufe, oder man nimmt Geld auf mit der Verpflichtung, es in kurzem zurück zu Zahlen. So ruft eine Schlechtigkeit die Andere hervor. Aber welch ein verabscheuungswürdiges Tun! – ein Treiben, dem oft erst die menschliche Gerechtigkeit ein Ziel setzen muss.

Soweit, ach! kann der Gläubige auf diesem schlüpfrigen Pfad abwärts gleiten, sobald er sich ohne Gewissensbisse erlaubt, Schulden zu machen und sein Geschäft größer zu betreiben, als Gott ihm dazu die Mittel darreicht. Manche werden sagen: „Diese Worte sind hart!“ Aber Gott ist unser Zeuge, dass wir sie in einem Geist aufrichtiger Liebe zu den Brüdern niedergeschrieben haben, und zwar mit dem herzlichen Wunsch, dass das Gewissen des Einen und Anderen überführt, und dass die ehrgeizige Neigung des Sichhervortuns in dieser Welt, das Verlangen nach Reichtum, der Geist der Unzufriedenheit und der Ungenügsamkeit, sowie das leichtsinnige Überschreiten der Grenzen der Wahrheit und Rechtschaffenheit, aus unserer Mitte entfernt werden möchten. Würden diese Zeilen einen einzigen Bruder, der etwa aus Unwissenheit und in guter Absicht auf diesen gefährlichen Weg geraten ist, in seinem Lauf aufhalten und ihn, ehe das Übel den höchsten Grad erreicht hat, zur Umkehr bestimmen, so werden wir den Herrn dafür preisen, sowie wir jetzt seinen Segen zu diesen Ermahnungen erbitten.

Es gibt oft wohlhabende, ja reiche Christen, die es aus Gleichgültigkeit und aus Vergesslichkeit versäumen, die kleinen Forderungen ihrer Lieferanten oder Arbeiter sogleich zu entrichten. Wir finden dies, außer wenn die letzteren ein solches Verfahren wünschen, höchst tadelnswert. Es ist der wahren Liebe völlig zuwider und zeugt von einem Mangel an Teilnahme für diejenigen, welche berufen sind, von ihrer Hände Arbeit zu leben. Diese Handlungsweise – ich scheue mich nicht, sie grausam zu nennen – findet man leider oft bei sonst sehr freigebigen Leuten, die für wohltätige Zwecke ihren Beutel weit zu offenen wissen. Wir möchten solchen zurufen: „Das Eine sollte man tun und das Andere nicht lassen“; oder: „Bevor ihr schenktet, solltet ihr bezahlen, was ihr schuldig seid; denn da ihr euch nie in die Verhältnisse des armen Arbeiters hineingelebt habt, so wisst ihr nicht, wie viele Arbeit, wie viele Sorge, wie manches Murren vielleicht durch eure Nachlässigkeit im Bezahlen in sein Haus gebracht wird. Wenn er für das Brot der Seinen darauf gerechnet hätte, wenn er dadurch genötigt worden wäre, selbst eine Schuld zu machen – hättet ihr dann nicht grausam gehandelt? Muss es nicht eine Ursache sein, ihn gegen den zu erbittern, der nur in seine Tasche zu greifen oder eine Anweisung zu schreiben braucht, um ihm das zu verschaffen, was ihm von Rechtswegen zukommt?“ Wäre unter unseren Lesern nur ein einziger Bruder, welcher diese schlechte und verantwortliche Gewohnheit mancher Reichen dieser Welt beibehalten hätte, so erinnern wir ihn daran, dass Gott, welcher von den Umständen der Armen Kenntnis nimmt, einst seinem Volk die Vorschrift gab: „Du sollst nicht bedrücken den dürftigen und armen Mietling von deinen Brüdern oder von deinen Fremdlingen, die in deinem Land, in deinen Toren sind. An seinem Tag sollst du ihm seinen Lohn geben, und nicht soll darüber die Sonne untergehen; denn er ist dürftig, und seine Seele sehnt sich danach, dass er nicht über dich zu Jehova schreie und eine Sünde an dir sei“ (5. Mo 24,14–15). Und wiederum: „Sage nicht zu deinem Nächsten: Gehe hin und komme wieder, und morgen will ich geben – da du es doch jetzt hast“ (Spr 3,28). Sollten wohl die Jünger, die Befreiten des Herrn Jesus, weniger barmherzig sein, als die Knechte unter dem Gesetz?

Man erlaube uns, hier noch die Worte eines teuren englischen Bruders anzuführen, die er in Betreff der Schuldenfrage an zwei seiner Freunde schreibt:

„Meine Meinung ist“, so sagt er, „dass in der Regel die Christen gar keine Schulden machen sollten.“ Die Worte: „Seid niemandem irgendetwas schuldig“, enthalten eine so klare Vorschrift, dass selbst ein Tor sich nicht darüber täuschen könnte. Wir wollen hier nicht untersuchen, in wie weit die Geschäftsleute dieser heiligen Regel nachkommen können. Es gibt Termine, an welchen der Fabrikant dem Großhändler und dieser dem Kleinhändler verkauft und ihm einen Kredit von bestimmten Monaten bewilligt. Solange diese Termine gewissenhaft beobachtet werden, ist es schwer zu beurteilen, ob und in welchem Grad jemand in Schulden ist. Jedoch wäre es nach meiner Meinung für den Geschäftsmann weit besser und sicherer, wenn er bar bezahlen würde. Jedenfalls aber steht es außer allem Zweifel, dass derjenige in Schulden ist, dessen Geschäftskapital und Ausstände nicht genügen, um die eingegangenen Verbindlichkeiten erfüllen zu können. Es ist eine traurige, schlechte und verabscheuungswürdige Sache, mit einem scheinbaren Kapital Handel zu treiben, nach allen möglichen Auskunftsmitteln zu haschen und auf Kosten seiner Gläubiger groß zu tun.

Dagegen haben Personen, die sich nicht mit dem Handel beschäftigen, keinerlei Grund, ihre Schulden zu rechtfertigen. Habe ich vor Gott und Menschen das Recht, einen Rock oder einen Hut zu tragen, den ich nicht bezahlen kann? Habe ich das Recht, ein Klaster Holz, einen Scheffel Kohlen, ein Pfund Kaffee oder Tee, oder ein Stück Fleisch zu bestellen, welches zu bezahlen ich nicht imstande bin? Man fragt vielleicht: „Was dann machen?“ Für einen geraden Sinn und ein zartes Gewissen ist die Antwort einfach. Es ist viel besser, diese Dinge zu entbehren, als Schulden zu machen. Es ist viel besser, ein Stück trockenes Brot, welches mein Eigentum ist, zum Mahl zu haben, als einen Braten, den ich schuldig bin. Aber ach! Wie wenig Gewissenhaftigkeit und welch einen Mangel an gesunden Grundsätzen findet man in dieser Beziehung! Wie viele gehen von Woche zu Woche dahin, nehmen Platz am Tisch des Herrn, legen mit ihren Lippen ein lautes Bekenntnis von ihrem Christentum ad, prahlen mit schönen und heiligen Grundsätzen und stecken dabei bis über die Ohren in Schulden, machen Einkäufe, die ihr Einkommen weit übersteigen, kaufen Nahrung und Kleidung auf Kredit bei Leuten, die zutrauen zu ihnen haben, und das alles, trotzdem sie sehr gut wissen, dass sie keine gegründete Hoffnung haben, ihre Schulden früher oder später abtragen zu können! Ist ein solches Leben nicht schändlich und strafbar? In der Tat, ich nehme keinen Anstand, ein derartiges Betragen geradezu für gottlos zu erklären. Und die Folgen eines in dieser Beziehung nachlässigen Wandels müssen viel Schmach auf das Evangelium bringen.

Der Mangel an Gewissenhaftigkeit in Bezug auf diesen ernsten Gegenstand ist in der Tat verabscheuungswürdig; ohne Zweifel muss dadurch der Geist Gottes betrübt und in der Seele Schwachheit, Fruchtlosigkeit und Siechtum hervorgerufen werden. Ich glaube nicht, dass das Wort des Christus in jemandem wohnt, der sich über seine Schulden kein Gewissen macht, und bin überzeugt, dass er zu der Klasse derjenigen Personen gehört, welche wir nach 2. Thessalonicher 3,11–14 bezeichnen und mit denen wir keinen Umgang haben sollten. Nach meiner Meinung würde in solchen Fällen eine treue, persönliche Zucht eine gute Wirkung haben. Alle diejenigen, welche Bankrott gemacht oder mit ihren Gläubigern akkordiert haben, halte ich für moralisch verpflichtet, die ganze Summe ihrer Schuld, sobald es in ihren Kräften steht, zurückzuzahlen; nach meiner Meinung haben sie Schulden, bis alles gedeckt ist. Keinerlei gerichtliche Ausnahme kann je einen wirklich rechtlichen Mann von seiner Verantwortlichkeit, alles zu bezahlen, entbinden. Ich fühle mich gedrungen, mich so bestimmt über diesen Punkt auszusprechen, weil eine höchst bedauernswerte Nachlässigkeit in dieser Beziehung unter vielen bekennenden Christen herrscht. Ich wünsche sehr, dass der Herr allen den Seinen ein waches Gewissen verleihen möge. Allerdings kann jemand ohne seine Schuld in Schulden geraten; hat er aber einen geraden Sinn und ein gesundes, geübtes Gewissen, so wird er sich sicher anstrengen, aus denselben herauszukommen; er wird so viel als möglich seine Ausgaben einschränken und sich gern allerlei Entbehrungen auferlegen, um seine Schuld bis auf den letzten Heller zurückzahlen zu können. Er wird mit größter Gewissenhaftigkeit alles, was er dazu ersparen kann, und wäre es auch nur ein Zehngroschenstück die Woche, beiseitelegen.

Der Herr gebe uns Gnade, diese wichtige Frage mit all dem Ernst, den sie verdient, zu betrachten! Sicher wird durch den auffallenden Mangel an Gewissenhaftigkeit und Rechtlichkeitsgefühl, der sich bei so manchem in dem leichtfertigen Schuldenmachen und dem Verharren auf diesem Weg kundgibt, die Sache Christi auf eine bedauernswürdige Weise verunehrt und das Zeugnis der Christen geschwächt. Wie sehr ist es zu wünschen, dass wir uns alle ein gutes Gewissen bewahren.

So lauten die Worte jenes Bruders. Bevor wir jedoch unseren Gegenstand verlassen, möchten wir noch einige Worte an eine andere Klasse von Christen richten. Man wird sagen und man hat schon gesagt: „Wenn es aber einem Bruder untersagt ist, Geld aufzunehmen oder zu entlehnen, wird es aus diesem Grund nicht auch anderen Brüdern untersagt sein, an jene Gelder auszuleihen?“ Dieser Einwurf, obwohl der menschlichen Logik völlig entsprechend, steht nichtsdestoweniger, wie dies gewöhnlich der Fall ist, im Widerspruch mit den deutlichsten Belehrungen des Wortes Gottes. Selbst die uns vorliegende Stelle: „Seid niemandem irgendetwas schuldig“, enthält die Beifügung: „als nur einander zu lieben.“ Diese Schuld der Liebe nun, von der wir uns nie werden freimachen können, besteht offenbar auch darin, dass wir unseren Brüdern in der Not mit dem Unsrigen Handreichung tun, sei es durch Geschenktes oder durch Geliehenes. Dieses bestätigen eine Menge biblischer Unterweisungen, von denen wir hier nur einige anführen können. Wir lesen ausdrücklich: „Es borgt der Gesetzlose und gibt nicht wieder; der Gerechte aber ist gnädig und gibt. ... Den ganzen Tag ist er gnädig und leiht, und sein Same ist zum Segen“ (Ps 37,21.26). „Wohl dem Mann, der gnädig ist und leiht! Er wird seine Sachen durchführen im Gericht“ (Ps 112,5). Und was sagt der Herr Jesus selbst in Bezug auf diese besondere Seite der brüderlichen Liebe? Wir lesen: „Gib dem, der dich bittet, und weise den nicht ab, der von dir borgen will“ (Mt 5,42). Und wiederum: „Und wenn ihr denen leiht, von welchen ihr wieder zu empfangen hofft, was für Dank ist es euch? Denn auch die Sünder leihen Sündern, auf dass sie das Gleiche wieder empfangen. Doch liebt eure Feinde und tut Gutes und leiht, ohne etwas wieder zu hoffen, und euer Lohn wird groß sein, und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn Er ist gütig über die Undankbaren und Bösen. Seid ihr nun barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“ (Lk 6,34–36). Dieses alles bedarf wohl keiner näheren Erklärung; es redet einfach und laut genug zu dem Gewissen eines jeden aufrichtigen Jüngers Christi.

Und auf welch einen mächtigeren Beweggrund zur christlichen Freigebigkeit könnten wir endlich hinweisen, als auf den, welchen Paulus den Gläubigen zu Korinth vor Augen stellte, bei Anlass einer Kollekte für die Heiligen in Jerusalem, für welche nach Vermögen und über Vermögen beigesteuert worden war? Er sagt: „Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, dass Er, da Er reich war, um euertwillen arm wurde, auf dass ihr durch seine Armut reich würdet“ (2. Kor 8,9).

Der Herr gebe uns allen ein zartes Gewissen und einen geraden Sinn!

Fußnoten

  • 1 Auf mehrseitigen Wunsch aus einem früheren „Botschafter“ (Jahrgang 1867) wieder abgedruckt.
  • 2 Der Christ sollte stets verstehen, dass alles, was in Sachen dieses Lebens nicht möglich ist, auch nicht nötig ist.
Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel