Botschafter des Heils in Christo 1885
Der Dienst der Versöhnung - Teil 3/4
Schon viele Christenherzen sind durch die Worte des Apostels: „Denn wir müssen alle offenbart werden vor dem Richterstuhl des Christus, auf dass ein jeder empfange, was er in dem Leib getan, nach dem er gehandelt hat, es sei Gutes oder Böses“, ernstlich beunruhigt worden. Doch, wie bereits früher bemerkt, enthalten diese Worte tatsächlich nichts, was eine solche Beunruhigung rechtfertigen könnte. Was allein nötig ist, um die Stelle klar zu verstehen, ist, sie von einem göttlichen Standpunkt und mit einem einfältigen Herzen zu betrachten. So wahr dies im Blick auf jeden Gegenstand, der im Wort Gottes behandelt wird, auch sein mag, so ist es bezüglich der vorliegenden Stelle doch in besonderer Weise erforderlich. Wir sind überzeugt, dass die Schwierigkeiten, welche so manche Gläubige betreffs des Richterstuhls Christi fühlen, aus dem Beschäftigtsein mit ihrem eigenen Ich hervorgehen. Dies ist ohne Zweifel die Ursache, weshalb man so oft fragen hört: „Kanu es denn möglich sein, dass alle unsere Sünden, alle unsere Schwachheiten und Fehler, alle unsere törichten und verkehrten Wege vor dem Richterstuhl Christi, in Gegenwart von Myriaden von Engeln und Erlösten, offenbar werden?“
zunächst möchte ich bemerken, dass die Schrift nirgendwo etwas Derartiges sagt. Die Stelle, welche unserer Betrachtung unterliegt, erklärt einfach: „Wir müssen alle offenbart werden vor dem Richterstuhl Christi.“ Doch nun ist die Frage: wie werden wir offenbart werden? Sicherlich so, wie wir sind. Was heißt das? Das heißt: Als das Werk Gottes, als vollkommen gerechtfertigt, vollkommen heilig und vollkommen annehmlich gemacht in der Person dessen, der auf dem Richterstuhl sitzen wird und der an seinem eignen Leib auf dem Fluchholz das ganze Gericht trug, welches wir verdient hatten, der dem ganzen Zustand, in welchem wir uns von Natur befanden, für ewig ein Ende gemacht hat. Alledem, was wir als Sünder zu tragen gehabt hätten, ist Christus an unserer statt begegnet. Er trug unsere Sünden, und in Ihm wurde unsere Sünde gerichtet. Er nahm die ganze Verantwortlichkeit auf sich, welche auf uns als Menschen im Fleisch, als Gliedern des ersten Adam, lastete. Der Richter selbst ist unsere Gerechtigkeit. Wir sind in Ihm. Alles, was wir sind und haben, verdanken wir Ihm und seinem vollbrachten Werk. Wenn wir als Sünder Christus, als dem Richter, zu begegnen hätten, so wäre ein Entrinnen völlig unmöglich. Wenn Er selbst aber unsere Gerechtigkeit ist und wir sind, wie Er ist, so ist eine Verdammnis ganz und gar unmöglich. Die ganze Sache ist, mit einem Wort, ins Gegenteil verkehrt. Der Versöhnungstod und die triumphierende Auferstehung unseres göttlichen Stellvertreters hat alles so völlig verändert, dass der Richterstuhl Christi gerade der Platz ist, wo es vor aller Augen offenbar werden wird, dass an dem Gläubigen, als dem Werk Gottes, kein Flecken oder Makel haftet, noch haften kann.
Woher kommt nun diese Furcht, dass alle unsere Torheiten vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden möchten? Weih Er nicht alles, was uns angeht? Kennt Er uns nicht durch und durch? Fürchten wir es mehr, vor den Blicken von Menschen und Engeln offenbar zu werden, als vor den Augen unseres gepriesenen, anbetungswürdigen Herrn? Wenn wir vor Ihm offenbar werden, was macht es dann aus, wem wir außerdem noch bekannt sind? Inwiefern werden Petrus, David und viele andere durch die Tatsache berührt werden, dass ihre Sünden auf den Blättern des inspirierten Wortes verzeichnet stehen und dort von Millionen und abermals Millionen gelesen worden sind? Wird es sie hindern, die Saiten der goldenen Harfe zu spielen, oder ihre Kronen dem zu Füßen zu werfen, dessen kostbares Blut sie für ewig von allen ihren Sünden abgewaschen und sie fleckenlos und untadelig in das volle Licht des Thrones Gottes gestellt hat? Sicherlich nicht. Braucht daher irgendjemand durch den Gedanken beunruhigt zu werden, dass er vor dem Richterstuhl Christi völlig offenbar werden wird? Wird nicht der Richter der ganzen Erde recht tun? Dürfen wir nicht ruhig alles den Händen dessen überlassen, der uns geliebt und uns gewaschen hat in seinem Blut? Können wir uns nicht mit aller Einfalt dem anvertrauen, der uns mit einer solchen Liebe geliebt hat? Wird Er uns bloßstellen? Könnte Er etwas tun, was nicht in Übereinstimmung wäre mit der Liebe, die Ihn trieb, sein teures Leben für uns dahinzugehen? Wird das Haupt seinen Leib oder irgendein Glied desselben bloßstellen? Wird der Bräutigam seine Braut bloßstellen können? Nein, und abermals nein! Er wird vor den Augen aller geschaffenen Wesen, ja, vor dem ganzen Weltall es kund werden lassen, dass kein Makel, kein Flecken, noch Runzel, noch etwas dergleichen an der Versammlung zu sehen ist, die Er mit einer Liebe geliebt hat, welche viele Wasser nicht auszulöschen vermögen.
Erkennst du nicht, mein christlicher Leser, wie dieses Nahegebrachtsein zu dem Herzen Christi, sowie die Erkenntnis der Vollkommenheit seines Werkes alle Nebel Zerstreuen, welche den Richterstuhl für so manche Seelen zu umgeben scheinen? Wenn du von allen deinen Sünden in dem Blut Christi reingewaschen und von Gott geliebt bist, wie Jesus selbst, welchen Grund könntest du dann noch haben, jenen Richterstuhl zu fürchten, oder vor dem Gedanken zurückzuschrecken, in dem Licht desselben offenbart zu werden? Nichts kann dort zum Vorschein kommen, was deine Stellung verändern, dein Verhältnis zu Gott, dem Vater, und seinem Sohn Jesus Christus antasten, oder dein Anrecht, für ewig in den Wohnungen des Vaterhauses zu weilen, umstoßen könnte. Im Gegenteil dürfen wir sicher annehmen, dass das Licht des Richterstuhls viele Wolken entfernen wird, welche jetzt noch die ganze Schönheit und Herrlichkeit des Gnadenstuhls vor vieler Augen verbergen. Viele werden sich vor jenem Richterstuhl wundern, wie es möglich war, dass sie sich jemals vor demselben fürchten konnten. Sie werden ihren Irrtum erkennen und die Gnade anbeten und bewundern, die so viel besser war, als alle ihre gesetzlichen Befürchtungen. Viele, die hier kaum fähig waren, ihr Anrecht auf einen Platz im Vaterhaus zu verstehen, werden es dort erkennen und jubeln und frohlocken, danken und preisen. Sie werden dann klarsehen, welch armselige, schwache und unwürdige Begriffe sie einst hatten, sowohl von der Liebe Christi, als auch von dem wahren Charakter seines Werkes. Sie werden erkennen, wie allzu bereit sie stets waren, Ihn mit ihrem armen Ich zu vergleichen und zu denken und zu fühlen, als wenn seine Gedanken und Wege ihren eigenen gleich waren. Alles das wird in dem Licht jenes Tages gesehen und erkannt werden, und dann wird ein unaufhörliches Halleluja aus manchem Herzen hervorströmen, das hienieden durch eigene, falsche Meinungen über Gott und seinen Christus sich selbst solange des wahren Friedens und der wahren Freude beraubt hat.
Allein obwohl es auf der einen Seite eine göttliche Wahrheit ist, dass vor dem Richterstuhl Christi nichts zum Vorschein kommen kann, was in irgendeiner Weise die Stellung oder das Verhältnis selbst des schwächsten Gliedes des Leibes Christi, oder irgendeines Gliedes der Familie Gottes, antasten könnte, so bleibt doch auf der anderen Seite der Gedanke an den Richterstuhl stets sehr ernst und wichtig. Und niemand wird diesen Ernst und diese Wichtigkeit tiefer fühlen, als diejenigen, welche ihm mit völliger Ruhe entgegensehen können. Beachten wir es wohl, dass zwei Dinge unumgänglich nötig sind, um diese Ruhe des Geistes zu genießen. Zunächst muss unsere Errettung, unsere Annahme in dem Geliebten, eine vollendete und uns bewusste Tatsache sein, und zweitens darf es in unserem praktischen, moralischen Zustand nichts Ungesundes geben. Mögen wir auch über die Frage unserer Errettung und unseres Anrechts auf die Herrlichkeit droben noch so klar sein, so wird das doch nicht genügen, es sei denn, dass wir in moralischer Reinheit vor Gott wandeln. Es ist völlig wertlos und unwahr, wenn jemand sagt, er fürchte den Richterstuhl Christi nicht, weil Christus für ihn gestorben sei, während er zugleich in einer gleichgültigen, sorglosen und fleischlichen Gesinnung wandelt. Es ist dies eine der schrecklichsten Täuschungen Satans, eine Unwahrheit und Lüge. Wir können unmöglich Freimütigkeit zu Gott haben, solange unser Herz uns verurteilt. Es ist im höchsten Gerade erschreckend, wenn jemand die gesegnete Wahrheit unserer vollkommenen Errettung in Christus dazu benutzt, die heilige Verantwortlichkeit, die auf ihm, als einem Diener Christi, ruht, zu schwächen. Sollen wir unnütze Worte aussprechen, weil wir wissen, dass wir nie ins Gericht kommen werden? Der bloße Gedanke ist erschreckend und beleidigt ein jedes aufrichtige Herz. Und doch kann es wohl sein, dass wir vor diesem Gedanken, sobald er in deutliche Worte gekleidet ist, zurückschrecken, während wir uns zu gleicher Zeit, durch eine falsche Anwendung der Lehre von der Gnade Gottes, zu einer höchst verderblichen und strafbaren Gleichgültigkeit und Sorglosigkeit in unserem Wandel verleiten lassen.
Der Herr gebe uns ein geöffnetes Auge und ein zartes Gewissen! Die Gnade, welche uns von allem Gericht befreit hat, sollte in der Tat einen mächtigeren Einfluss auf unser ganzes Verhalten ausüben, als die Furcht vor dem Richterstuhl Christi. Und nicht nur das; wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir, obwohl als Sünder vor dem Gericht und dem Zorn Gottes sichergestellt, als Knechte von uns und von allen unseren Wegen Rechenschaft zu geben haben werden. Es handelt sich nicht darum, dass wir hier oder dort vor Menschen oder Engeln bloßgestellt werden. Nein, sondern „ein jeder von uns wird für sich selbst Gott Rechenschaft geben“ (Röm 14,11–12). Das ist weit ernster und wichtiger, ja weit mehr geeignet, einen heilsamen Einfluss auf all unser Tun und Lassen auszuüben, als der Gedanke, vor den Augen irgendeines Geschöpfs bloßgestellt zu werden. „Alles, was ihr tut, arbeitet von Herzen, als dem Herrn und nicht den Menschen, da ihr wisst, dass ihr vom Herrn empfangen werdet die Vergeltung des Erbes; ihr dient dem Herrn Christus. Denn wer Unrecht tut, wird empfangen das Unrecht, das er getan hat; und da ist kein Ansehen der Person“ (Kol 3,23–25).
Welch eine ernste Wahrheit! Indes möchte gefragt werden: „Wann werden wir denn Gott Rechenschaft zu geben haben? Wann werden wir die Vergeltung empfangen?“ – Es wird uns nicht gesagt, weil es sich darum gar nicht handelt. Der Zweck des Heiligen Geistes in den angeführten Stellen ist einfach der, das Gewissen in der Gegenwart Gottes und des Herrn Jesus Christus in eine heilige Übung zu bringen. Wie notwendig dies ist in den Tagen eines oft leichtfertigen und oberflächlichen Bekenntnisses, wie die heutigen sind, braucht kaum gesagt zu werden. Vielleicht hat es noch nie eine Zeit gegeben, wo so viel und so allgemein von einer freien, unumschränkten Gnade, von einer Rechtfertigung ohne Werke, von der Unantastbarkeit der Stellung des Gläubigen in Christus Jesus geredet worden ist, wie gerade in der gegenwärtigen. Und gewiss haben wir alle Ursache, dem Herrn dafür zu danken, dass Er diese gesegneten Wahrheiten den Seinen wieder mehr ins Gedächtnis gerufen hat, und fern sei es von uns, das Bewusstsein dieser herrlichen Dinge irgendwie schmälern und schwächen zu wollen. Im Gegenteil wird es das eifrige Bestreben eines jeden treuen Dieners Christi sein, die Gläubigen in die göttliche Kenntnis und in den Genuss aller jener kostbaren Vorrechte mehr und mehr einzuführen. Aber wir dürfen dennoch nicht vergessen, dass jedes Ding zwei Seiten hat; und wir finden demzufolge auch in den Schriften des Neuen Testamentes unmittelbar neben den klarsten und umfassendsten Darstellungen der unergründlichen Gnade Gottes höchst ernste und feierliche Erinnerungen an unsere heilige Verantwortlichkeit. Werden die erstem durch die letzteren verdunkelt? In keiner Weise. Aber ebenso wenig sollten wir die Ersteren benutzen, um die Letzteren dadurch zu schwächen. Beiden sollte von uns stets der rechte Platz gegeben werden, und wir sollten beiden erlauben, ihren bildenden Einfluss auf unseren Charakter und unser Verhalten auszuüben.
Manche, welche Christen zu sein bekennen, scheinen die Worte: „Pflicht“ und „Verantwortlichkeit“ sehr ungern zu hören. Aber wir werden stets finden, dass gerade diejenigen, welche das tiefste Bewusstsein von der in Christus Jesus offenbarten Gnade Gottes besitzen, zugleich auch, und zwar als eine notwendige Folge, am tiefsten ihre Pflicht und Verantwortlichkeit fühlen. Ein Herz, das unter dem richtigen Einfluss der göttlichen Gnade steht, wird auch sicher jeden Hinweis auf die Ansprüche der Heiligkeit Gottes willkommen heißen. Wer nichts von der Pflicht und der Verantwortlichkeit des Christen hören will, kennt auch in Wahrheit nichts von der Gnade Gottes und von der Stellung des Gläubigen in Christus. Gott muss Wirklichkeit haben. In seiner Liebe und Treue gegen uns ist alles Wahrheit und Wirklichkeit, und so muss auch in unserem Verhalten Ihm gegenüber und in unserer Antwort auf die Ansprüche und Forderungen seiner Heiligkeit volle Wahrheit und Wirklichkeit vorhanden sein. Es ist ganz wertlos, zu rufen: „Herr, Herr!“ wenn wir zugleich in der Vernachlässigung seiner Gebote wandeln. Es ist nichts als Täuschung und Trug, wenn wir sagen: „Ich gehe Herr“, und bleiben ruhig da, wo wir sind. Gott erwartet Gehorsam von seinen Kindern. Er ist ein Belohner derer, die Ihn fleißig suchen.
Möchten wir dies nie vergessen und zugleich stets im Gedächtnis behalten, dass alles vor dem Richterstuhl Christi ans Licht kommen wird. Wir müssen dort alle offenbart werden. Dieser Gedanke erfüllt ein wahrhaft aufrichtiges Herz mit unvermischter Freude. Wenn wir nicht mit Freude an den Richterstuhl Christi denken können, so muss irgendetwas bei uns nicht in Ordnung sein. Entweder sind wir nicht befestigt in der Gnade, oder wir wandeln in einer verkehrten Weise. Wenn wir wissen, dass wir gerechtfertigt und annehmlich gemacht sind vor Gott in Christus, und wenn wir in moralischer Reinheit in seiner Gegenwart wandeln, so kann der Gedanke an den Richterstuhl unsere Herzen nicht beunruhigen. Der Apostel konnte sagen: „Gott sind wir offenbar geworden; ich hoffe aber auch in eurem Gewissen offenbar geworden zu sein“ (V 11). War Paulus bange vor dem Richterstuhl? Beunruhigte ihn der Gedanke, dort offenbart zu werden, in irgendeiner Weise? O nein! Und warum nicht? Weil er wusste, dass er, was seine Person betraf, vor Gott annehmlich gemacht war in einem auferstandenen Christus, und weil er im Blick auf sein Verhalten, auf seinen Wandel, sagen konnte: „Deshalb beeifern wir uns auch, ob einheimisch oder ausheimisch. Ihm wohlgefällig zu sein“ (V 9). So stand es mit diesem treuen Knechte Christi. Er durfte vor dem Landpfleger Felix und angesichts seiner Ankläger auf sein Leben hinweisen und mit aller Freimütigkeit sagen: „Darum übe ich mich auch, allezeit ein Gewissen zu haben ohne Anstoß vor Gott und den Menschen“ (Apg 24,16). Paulus wusste, dass er angenommen war in Christus, und deshalb bemühte er sich, auch von Ihm angenommen zu werden, d. h. in allem Ihm wohlgefällig zu sein.
Diese beiden Dinge sollten nie voneinander getrennt werden, und sie werden sich auch in einem von Gott belehrten Herzen und in einem von Gott geleiteten Gewissen stets vereinigt finden. Sie gehören zusammen und erweisen, wo sie vorhanden sind, in heiliger Harmonie stets ihre bildende Kraft. Es ist unser Vorrecht und sollte unser stetes Bestreben sein, jetzt schon in dem Licht des Richterstuhls zu wandeln. Dies würde in mancher Hinsicht einen, heilsamen Einfluss auf unser Verhalten ausüben. Könnte es, wie manche zu meinen scheinen, einen gesetzlichen Geist in uns wachrufen? Unmöglich. Wird sich noch irgendwelche Gesetzlichkeit in uns finden, wenn wir dereinst vor dem Richterstuhl Christi stehen werden? Sicherlich nicht. Wie könnte denn der Gedanke an diesen Richterstuhl jetzt einen gesetzlichen Geist in uns erwecken? Nein, ich wiederhole es noch einmal: Das Bewusstsein, dass alles völlig offenbart werden wird in dem Licht jenes immer näherkommenden Tages, wird für ein wahrhaft aufrichtiges Herz überaus köstlich sein. Wir werden dann alles sehen, wie Christus es sieht, alles beurteilen, wie Er es beurteilt. Wir werden inmitten dieses vollkommenen Lichtes, das von dem Richterstuhl ausstrahlt, einen Rückblick auf unseren ganzen Weg durch diese Welt werfen und alles sehen, wie es in Wahrheit ist. Wir werden sehen, welche Fehler wir gemacht, welche Irrtümer wir begangen haben wie verkehrt wir dieses und jenes getan, und welch falsche Beweggründe uns oft, vielleicht unbewusst, geleitet haben; wir werden erkennen, wie oft wir nicht die Ehre unseres Herrn, sondern unsere eigene Ehre und die Befriedigung der Wünsche unserer alten Natur gesucht haben, aber auch, mit welch einer Liebe, Langmut und Geduld der Herr uns getragen und geleitet hat, wie Er in allen den Wegen, die Er uns geführt und die uns oft so unverständlich waren, unser Bestes, und nur unser Bestes, im Auge hatte. Alles das und mehr noch werden wir in dem untrüglichen Licht des Richterstuhls in göttlicher Klarheit schauen. Handelt es sich dabei um unsere Bloßstellung vor den Augen des ganzen Weltalls? Durchaus nicht. Und selbst wenn das der Fall wäre, würde es uns irgendwie beunruhigen können? Würde es unsere Annahme in dem Geliebten in irgendeiner Weise antasten? Nein, nein; wir werden dort leuchten in all der Vollkommenheit und Schönheit unseres auferstandenen und verherrlichten Hauptes. Der Richter selbst ist unsere Gerechtigkeit. Wir sind in Ihm. Wer oder was könnte uns antasten? Wer Anklage gegen uns erheben? Wir werden dort offenbart werden als die Frucht seines vollkommenen Werkes; ja, wir werden mit Ihm eins sein in dem Gericht, welches Er ausübt.
Ist das nicht genug, um jede Frage zu entscheiden, jede Schwierigkeit zu lösen? Sicher und gewiss. Doch es gibt noch einen anderen Punkt in Verbindung mit dem Richterstuhl, bei welchem wir noch einen Augenblick verweilen müssen. Es ist dies die Belohnung von Seiten des Herrn für alles das, was wir in Einfalt und Treue, wenn auch in großer Schwachheit, für Ihn getan haben. Obwohl seine Gnade allein das Gute in uns wirken und uns zu irgendeinem Dienst befähigen kann, so will Er doch nichts vergessen, was um seinetwillen von uns hienieden geschehen ist. Nicht einmal ein Trunk Wassers, aus Liebe zu Ihm gereicht, soll vergessen werden. Welch eine bewunderungswürdige Gnade! Wie sollte sie uns anspornen, acht zu haben auf unseren persönlichen Wandel und Dienst! Der Herr gebe uns, dass wir uns als solche verhalten, die bereits in dem Licht sind und deren einziger Wunsch es ist, das zu tun, was unserem anbetungswürdigen Herrn wohl gefällt, und dies nicht etwa aus Furcht vor dem Richterstuhl, sondern unter dem Einfluss seiner Liebe. „Die Liebe des Christus drängt uns, indem wir also geurteilt haben, dass einer für alle gestorben ist und somit alle gestorben sind. Und Er ist für alle gestorben, auf dass die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben ist und ist auferweckt worden“ (V 14–15). Das ist die allein wahre Quelle und Triebfeder, aus welcher jeder christliche Dienst hervorgehen sollte. Nicht die Furcht vor einem drohenden Gericht ist es, die uns antreiben und drängen sollte, sondern die Liebe des Christus; und wir dürfen versichert sein, dass wir nie ein tieferes Gefühl von dieser Liebe haben werden, als gerade dann, wenn wir vor dem Richterstuhl Christi stehen (Schluss folgt).