Botschafter des Heils in Christo 1884
Über das Verhalten des Gläubigen in den Tagen des Verfalls - Teil 2/3
3. Das Abendmahl, oder der Tisch des Herrn.
Wenn der gesegnete Name unseres geliebten Herrn der wirkliche Beweggrund zu unserem Zusammenkommen ist, so wird es sicher ein wahres Bedürfnis für uns sein und zugleich die höchste Freude und den köstlichsten Genuss für unsere Herzen bilden, seinen Tod zu verkündigen und Ihm die Opfer des Lobes, des Dankes und der Anbetung darzubringen. Sein Opfertod ist die Grundlage aller unserer Segnungen; der Wert, die Kostbarkeit und die Tragweite desselben sind unergründlich. Das Leben, das uns zu teil geworden ist, die Erlösung, die Versöhnung, die ewige Herrlichkeit, alles hat seinen Ausgangspunkt in dem Tod Christi. Unsere Erinnerung aber umfasst, wenn wir versammelt sind, nicht nur den Wert seines Opfers, sondern auch Ihn selbst, der in unserer Mitte ist. Wir verkündigen seinen Tod, feiern sein Gedächtnis, gedenken seiner Liebe, bis Er kommt. Das Auge ist auf Ihn als das geschlachtete Lamm gerichtet, das Herz von Ihm und seiner Liebe erfüllt. Wir sind vor Gott als die Frucht seiner Leiden, seines Todes und des großen und schweren Kampfes seiner Seele. In dem auf Golgatha vollbrachten Werke, in welchem Gott in Bezug auf uns für immer ruht, weil Er und alles, was in Ihm ist, durch dasselbe vollkommen verherrlicht worden ist, haben auch wir eine ewige Ruhe gefunden. Wie gesegnet ist dieses Werk, und wie herrlich der Name dessen, der es vollbracht hat!
Alle nun, die sich an dem Tisch des Herrn versammeln und seinen Tod verkündigen, alle, die des einen Brotes teilhaftig sind, geben dadurch, dass sie dieses Brot unter sich teilen, ihrer Einheit, der Einheit des Leibes Christi, einen klaren und bestimmten Ausdruck, wie dies der Apostel besonders hervorhebt, wenn er sagt: „Denn ein Brot, ein Leib sind wir, die vielen; denn wir alle sind des einen Brotes teilhaftig“ (1. Kor 10,17). Durch ihr zusammenkommen zum Gebet oder zur Erbauung geben die Gläubigen ihrer Gemeinschaft Ausdruck; ihre Einheit aber als ein Leib bekennen sie nur dann, wenn sie am Tisch des Herrn im Namen Jesu versammelt sind. Wir brauchen kaum hinzuzufügen, dass dieses Bekenntnis oder dieser Ausdruck der Einheit da völlig, fehlt, wo Gläubige als eine Partei, auf dem Grund einer menschlichen Vereinigung und im Geist der Unabhängigkeit, zusammenkommen und das Abendmahl feiern.
Indes ist das zusammenkommen der Gläubigen am Tisch des Herrn nicht allein eine sehr köstliche und gesegnete Sache, sondern es ist auch eine Verantwortlichkeit damit verbunden, deren Nichtbeachtung höchst ernste Folgen nach sich zieht. Das Wort zeigt uns in 1. Korinther 11,27–29, dass wir den Tod des Herrn in einer unwürdigen Weise verkündigen können; und wenn dies geschieht, so machen wir uns dadurch des Leibes und Blutes des Herrn schuldig und bringen ein Gericht über uns, wie dies in der Versammlung zu Korinth der Fall war (V 30). Wenn wir nur aus Gewohnheit an jedem ersten Wochentage unseren Platz am Tisch des Herrn einnehmen, wenn unsere Lippen beten und singen, aber unsere Herzen mit ganz anderen Dingen beschäftigt sind, wenn wir endlich, ohne uns selbst geprüft (V 28), d. h. ohne uns vor dem Herrn aufrichtig untersucht und gerichtet zu haben, an seinem Tisch mit einem unreinen oder unversöhnten Herzen uns niedersetzen und essen und trinken, so essen und trinken wir sicher auf eine unwürdige Weise, und die ernsten Folgen werden nicht ausbleiben. Der Herr ist sehr langmütig und gnädig, aber seine Regierung in Bezug auf die Seinen bleibt zu aller Zeit dieselbe; und nicht nur seinem Haus, sondern auch seinem Tisch geziemt Heiligkeit. Deshalb ermahnt der Apostel: „Der Mensch aber prüfe sich selbst, und also esse er von dem Brot und trinke von dem Kelch“ (V 28). Wenn wir vorher uns selbst richten, so hat der Herr nicht nötig, es nachher zu tun (V 31). Er hat in seiner Gnade uns einen Weg geöffnet, um allezeit auf eine würdige Weise an seinem Tisch teilnehmen zu können. Wenn wir uns fernhalten, weil wir nicht in dem passenden Zustand sind, so ist das sicher keine wahre Demut, sondern ein deutlicher Beweis, welch einen geringen Wert der Tisch des Herrn für uns hat. Wir ziehen vor, denselben zu meiden, anstatt das Böse bei uns zu richten und also von dem Brot zu essen und von dem Kelch zu trinken.
Jede Versammlung, die an einem Ort den wirtlichen Platz der Versammlung Gottes einnimmt und deren wahren Charakter zum Ausdruck bringt, ist mit einer Verwaltung betraut, die vor allem mit dem Tisch des Herrn in Verbindung steht. Wenn in einer Versammlung diese Verwaltung aus Mangel an wahrer Gottesfurcht und an Gehorsam gegen sein Wort vernachlässigt wird, so wird der Tisch des Herrn bald verunehrt werden, und der Herr wird, wenn dieser Zustand fortdauert, zuletzt genötigt sein, den Leuchter von seiner Stätte wegzunehmen. Deshalb mögen die Gläubigen, die an irgendeinem Ort sich im Namen Jesu zu versammeln und seinen Tod zu verkündigen gedenken, wohl zusehen, ob auch die nötige Fähigkeit vorhanden ist, um die mit dem Tisch des Herrn verbundene Verwaltung auszuüben, damit nicht der Herr durch ihr zusammenkommen verunehrt werde. Die Versammlung hat über alles zu wachen, alles aufrecht zu halten, was ihr von dem Herrn anvertraut ist. Und diese Verwaltung, für welche sie in Bezug auf den Tisch des Herrn verantwortlich ist, besteht vor allen Dingen in der Ausübung der Zucht, d. h. in der Zulassung zu diesem Tisch, sowie in dem Ausschluss von demselben; beides sollte stets unter der Leitung des Geistes und in Übereinstimmung mit dem Herrn geschehen, der in ihrer Mitte ist. In der Tat, eine ernste Verantwortlichkeit, welche für alle, die ihr unterworfen sind, entweder reichen Segen oder großen Unsegen zur Folge hat! Aber ach! Wie oft wird sie so wenig verstanden und beherzigt! – Es ist immer erfreulich, wenn ein Gläubiger, der zur Ehre des Herrn wandelt, zu seinem Tisch zugelassen werden kann; aber ebenso schmerzlich ist es, wenn die Versammlung genötigt ist, jemanden der Sünde wegen von demselben auszuschließen und jede Gemeinschaft mit ihm zu brechen. Und jene Freude und dieser Schmerz werden in den Herzen vorhanden sein, solange eine Versammlung in einem geistlichen Zustand ist. Sobald aber die Ausübung der Zucht zu einer kalten Pflichterfüllung herabsinkt, hat sie ihren wahren Wert verloren und kann unmöglich gesegnete Früchte hervorbringen. Eine Versammlung, in welcher die Zucht in solcher Weise ausgeübt wird, ist zu einem bloßen Gerichtshof geworden. Sicher würde auch mancher Ausschluss nicht nötig werden, wenn mehr gegenseitige Wachsamkeit, mehr Ermunterung und Ermahnung in Liebe, mehr Eifer und Ausharren im Besuchen und Nachgehen der Einzelnen, mehr Geduld und Mitgefühl vorhanden wären. In allen Fällen ist ein Ausschluss eine große Demütigung für die ganze Versammlung.
Ich möchte hier noch bemerken, dass im Wort Gottes von zwei Arten von Zucht die Rede ist, und wenn auch die Ausübung beider Arten schmerzlich ist, so ist doch die Eine gelinder, als die Andere. Erstere wird erwähnt in 2. Thessalonicher 3,11–15, und letztere in 1. Korinther 5,9–13. In 2. Thessalonicher 3 schreibt der Apostel: „Wir hören, dass etliche unter euch unordentlich wandeln, indem sie nicht arbeiten, sondern fremde Dinge treiben. Solchen aber gebieten wir und ermahnen in dem Herrn Jesus Christus, dass sie, in der Stille arbeitend, ihr eigenes Brot essen. ... Wenn aber jemand unserem Wort durch den Brief nicht gehorcht, den bezeichnet und habt keinen Umgang mit ihm, auf dass er beschämt werde, und haltet ihn nicht als Feind, sondern weist ihn zurecht als einen Bruder.“ Diese letzten Worte beweisen, dass ein solcher sich noch innerhalb der Versammlung befindet. Diese soll ihn nicht für einen Feind halten; er soll ihr nicht, wie anderswo gesagt wird, wie der Heide und der Zöllner sein, wie einer, der sich außerhalb befindet und für sie ganz und gar ein Fremder geworden ist, sondern sie soll unermüdlich fortfahren, ihn als einen Bruder zurechtzuweisen. Aber, obwohl der Betreffende noch innerhalb der Versammlung oder des Hauses Gottes steht, so soll die Versammlung ihn dennoch als einen Unordentlichen bezeichnen oder bekannt machen, damit niemand, der drinnen ist, Umgang mit ihm habe, auf dass er beschämt werde und seine Gesinnung und sein Verhalten ändere.
So könnte ein Vater in seiner Familie handeln, wenn er allen Gliedern derselben verböte, mit einem unordentlichen Sohn irgendwelchen Umgang zu haben. Dies würde für den Sohn gewiss eine ernste Züchtigung sein; und würde er durch dieselbe beschämt und zur Einsicht und Umkehr gebracht werden, so wäre der Zweck des Vaters bei ihm erreicht. Aber unstreitig würde es ein weit höherer Grad von Zucht sein, wenn der Sohn infolge seines traurigen Zustandes und Verhaltens aus dem elterlichen Haus entfernt werden müsste.
In ähnlicher Weise unterscheidet sich die in 2. Thessalonicher 3 erwähnte Zucht von derjenigen in 1. Kor 5. Letztere ist von weit ernsterem Charakter und von viel größerer Tragweite. Es heißt da einfach: „Tut den Bösen von euch selbst hinaus“, ohne dass irgendetwas anderes hinzugefügt wird, und ohne dass von irgendeiner ferneren Zurechtweisung oder Ermahnung die Rede ist. Ein Gläubiger, bei welchem diese letztere Art von Zucht angewandt worden ist, steht außer dem Haus, und sein Platz ist ein Beweis, oder sollte es wenigstens sein, dass jede Ermahnung und Zurechtweisung im Haus, in der Versammlung, vergeblich gewesen ist. Er hat gesündigt und will sich nicht demütigen; er hat den Herrn des Hanfes verunehrt und will nicht Buße tun. Sein Herz ist hart, sein Wille ungebrochen, und da bleibt der Versammlung kein anderer Weg mehr, als die schmerzliche Pflicht an ihm auszuüben, ihn als einen Bösen aus ihrer Mitte hinauszutun. Jeder Verkehr hört auf, jede Ermahnung oder Zurechtweisung hat ein Ende; er ist draußen, und es bleibt nur noch übrig, über ihn, wie über alle, die sich draußen befinden, das Erbarmen Gottes herabzuflehen. Der Apostel schreibt an die Versammlung zu Korinth: „Nun aber habe ich euch geschrieben, keinen Verkehr zu haben, wenn jemand, der Bruder genannt wird, ein Hurer ist, oder Habsüchtiger usw., mit einem solchen selbst nicht zu essen“ (V 11). Er hat an alledem keinen Teil mehr, worin die brüderliche Gemeinschaft ihren Ausdruck findet. Manche beweisen in ihrem Verhalten gegen solche, die als Unordentliche bezeichnet, oder die ausgeschlossen worden sind, ein falsches Mitgefühl, indem sie, sei es öffentlich oder im Verborgenen, mehr oder weniger Umgang mit ihnen Pflegen. Ein solches falsches Mitgefühl aber beweist, dass ihre menschlichen Gefühle und Meinungen einen größeren Einfluss auf ihre Herzen ausüben, als der Eifer für die Ehre Gottes, und ist sicher verwerflich; ja, es trägt oft nicht wenig dazu bei, dass jene, die unter der Zucht stehen, in ihrem traurigen Zustand bestärkt werden und darin beharren. Ein Verhalten, das dem Wort Gottes entgegen ist, kann für andere sicher nicht zum Nutzen, sondern nur zum Schaden sein, während wir andererseits überzeugt sein dürfen, dass ein einmütiges, ernstes Verhalten gegen den Bösen, eine entschiedene Trennung von ihm um des Herrn und seiner Ehre willen, in vielen Fällen dazu dienen wird, denselben zur Erkenntnis seines traurigen Zustandes und zur aufrichtigen Buße zu leiten, was ja der eigentliche Zweck aller Zucht ist. Selbstverständlich dürfen Härte oder Lieblosigkeit nie den Beweggrund bilden, der uns in unserem Verhalten beherrscht und uns jeden Umgang mit einem solchen meiden lässt. Denn wenn wir in einer solchen Gesinnung stehen und beharren, so werden wir demjenigen, an welchem Zucht ausgeübt werden musste, nicht nur nicht nützen, sondern es wird auch für uns selbst die Zucht nicht ausbleiben.
Ehe wir diesen ernsten Gegenstand verlassen, möchte ich noch auf ein Verhalten hinweisen, das eines jeden biblischen Grundes entbehrt und darum sicher verwerflich ist. Es ist nämlich hie und da in Versammlungen vorgekommen, dass man jemandem aus irgendwelchem Grund den Rat gegeben hat, sich für eine Zeit vom Brotbrechen fern zu halten. Allein ich glaube, dass dies nur ein menschliches Hilfsmittel ist, zu dem man gegriffen hat, weil man in einem vorliegenden Fall nicht zu handeln wusste. Es verrät aber sicher keinen geistlichen Zustand, wenn eine Versammlung, oder auch Einzelne in derselben, zu einem solchen Mittel ihre Zuflucht nehmen. Es kommen allerdings Fälle vor, wo geübte Sinne nötig sind, um das richtige, Gott wohlgefällige Verhalten zu unterscheiden; und wenn eine Versammlung in einem solch schwierigen Fall nicht zu einer klaren Überzeugung und zu einem bestimmten Beschluss kommen kann, so gibt es nur den einen Weg für sie, gemeinschaftlich ihre Zuflucht zu dem Herrn zu nehmen, aufrichtig die eigene Schwachheit zu bekennen und inbrünstig um seine Gnade und um die Weisheit von Oben zu flehen. Der Herr wird ein solches Flehen sicher erhören. Er wird sich der Versammlung annehmen und sie durch seinen Geist leiten, um nach seinem wohlgefälligen Willen zu handeln.
Doch was hat eine Versammlung zu tun, wenn sich jemand eigenwillig aus irgendwelchen Gründen von dem Tisch des Herrn zurückzieht und sich längere Zeit hindurch des Brotbrechens enthält? – Sie hat zunächst zu untersuchen, welcher Art diese Gründe sind. Findet sie, dass bei dem Betreffende ein böser Zustand vorhanden ist und Dinge vorliegen, die einen Ausschluss nötig machen, so hat sie ohne alle Frage zu handeln und den Bösen in Zucht zu nehmen. Aber vielleicht möchte man fragen: „Ist in einem solchen Fall noch ein Ausschluss nötig? Hat sich der Wegbleibende nicht selbst schon ausgeschlossen?“ Eine solche Frage würde indes nur beweisen, dass man den wahren Charakter und die Tragweite des Ausschlusses nicht versteht. Wie kam: überhaupt jemand sich selbst ausschließen? Ist das nicht einzig und allein Sache der Versammlung? Ebenso gut könnte jemand sich selbst zu dem Tisch des Herrn zulassen. Die Versammlung ist es, welche zulässt und ausschließt, und was sie unter der Leitung des Herrn bindet, wird im Himmel gebunden, und was sie löst, wird im Himmel gelöst sein. Und deshalb hat eine Versammlung in einem solchen Fall die ernste Verantwortlichkeit, nicht die Sache auf sich beruhen zu lassen, sondern, wenn es nötig ist, Zucht auszuüben und den Ausschluss zu vollziehen. Sie hat die Ehre des Herrn und die Reinheit seines Tisches mit aller Entschiedenheit zu wahren.
Zeigt es sich jedoch, dass die Gründe des Wegbleibens nicht so ernster Natur sind, dass der Betreffende vielleicht ans Mangel an Kenntnis der Wahrheit, oder infolge eines schwachen oder kranken Gewissens, oder endlich infolge verletzter Eitelkeit oder persönlicher Dinge, die er gegen den Einen oder Anderen hat, oder aus irgendeinem anderen ähnlichen Anlass sich zurückgezogen hat, so hat die Versammlung einen solchen zu belehren und zu ermahnen. Und wenn dies in dem Geist der Sanftmut und Liebe und mit der nötigen Weisheit geschieht, so wird in den meisten Fällen der irrende Bruder zurechtgebracht werden. Sind jedoch alle Bitten und Ermahnungen umsonst, so hat die Versammlung ihn als einen solchen zu bezeichnen, der sich von dem Tisch des Herrn zurückgezogen hat, und wir haben ihn in ähnlicher Weise zu behandeln, wie andere Gläubige, welche ihren Platz am Tisch des Herrn und in der Versammlung Gottes nicht einnehmen.
Wenn nun ein solcher nach einiger Zeit zurückkommt, so kann er sich nicht so ohne Weiteres wieder an den Tisch des Herrn setzen. Jedes gottesfürchtige Herz wird fühlen, wie unpassend dies wäre. Denn der Tisch des Herrn ist nicht ein Platz, an welchem man sich nach Belieben niederlassen, und von dem man nach Belieben fortbleiben kann. Wünscht der Betreffende an dem Abendmahl wieder teilzunehmen, so wird er, vorausgesetzt dass er wirklich zur Einsicht gekommen ist, schon von selbst das Bedürfnis fühlen, der Versammlung seine verkehrte Handlungsweise zu bekennen, und es steht dann seiner Wiederzulassung nichts mehr im Weg.
Sicher bedarf eine Versammlung auch in solchen Fällen vieler Weisheit. Sie hat stets mit Sanftmut und Liebe, mit Geduld und Langmut zu handeln, aber auch mit aller Entschiedenheit, sobald die Ehre des Herrn und seines Tisches in Frage steht. Und der Herr ist stets da, um seiner Versammlung zu Hilfe zu kommen und sie den rechten Weg zu leiten. 4. Die Gaben zur Sammlung und Auferbauung der Kirche, und die Ämter in derselben.
Christus hat uns, d. h. alle, die an Ihn glauben, durch sein vollbrachtes Werk erlöst. Wir waren Sklaven der Sünde und des Satans; aber jetzt sind wir aus diesem schrecklichen Zustand völlig befreit und sind Gefäße der Gnade und der Kraft geworden, die von Christus, dem himmlischen Haupt, auf uns herabfließt. Nachdem Er in die unteren Örter der Erde, in Tod und Grab, hinabgestiegen war und durch seinen Tod alle geistlichen Feinde überwunden, unsere Erlösung vollbracht und uns aus aller Sklaverei befreit hatte, stieg Er, über alle Macht des Bösen triumphierend, wieder hinauf und empfing, als Haupt der Versammlung, von dem Vater den Heiligen Geist der Verheißung für uns, seine Glieder (Eph 4,8–10; Apg 2,33). Durch diesen Geist versiegelt, sind wir für immer mit Christus vereinigt, sind ein Geist mit Ihm. Infolge des vollbrachten Erlösungswerkes und des Sitzens Christi zur Rechten Gottes ist der Heilige Geist jetzt auf der Erde, und Er wohnt in uns, den Glaubenden, kraft des Blutes Christi, womit wir besprengt und wodurch wir von allen unseren Sünden gereinigt sind. Er wohnt in uns als Geist der Freiheit und der Sohnschaft, sowie als das Siegel und Unterpfand des verheißenen Erbes. Zugleich oder ist Er in uns, den Gliedern des Leibes Christi, als Geist der Kraft und Weisheit, um dem Herrn zu dienen und sein Werk auf der Erde zu vollbringen. Er wirkt durch das Evangelium, um den Menschen den Reichtum der Gnade und Liebe Gottes kund zu tun, die Auserwählten zu sammeln, sie zu einem Leib zu vereinigen und dem Haupt gemäß zu bilden. „Denn, durch einen Geist sind wir alle zu einem Leib getauft“ (1. Kor 12,13). Jede wiedergeborene Seele, die mit dem Heiligen Geist versiegelt worden ist, ist ein Glied Christi, des himmlischen Hauptes, ein Glied seines Leibes.
Die Gaben sind also zu dem Zweck gegeben, um zunächst die Gegenstände der Gnade Gottes aus der Welt zu sammeln und mit dem verherrlichten Christus zu vereinigen, und dann, um sie aufzuerbauen und zu vollenden „bis zu dem Maß des vollen Wuchses der Fülle des Christus“ (Eph 4,13). Diese Gaben kommen von Oben, von Christus, und sind, wie alle geistlichen Segnungen, ein Geschenk seiner freien Gnade, nicht aber menschliche Fähigkeiten, oder etwas, das der Mensch sich selbst aneignen könnte. Christus allein ist ihre Quelle, und Er hat uns zu Gefäßen derselben zubereitet; deshalb können wir sie auch nur als solche empfangen, die mit Ihm in Gemeinschaft sind.
Das Wort Gottes redet entweder von den Gaben als Gaben Christi, wie in Epheser 4, oder als Wirkungen des Heiligen Geistes, der auf der Erde wohnt, wie in 1. Kor 12; aber immer stehen sie in Verbindung mit der Einheit des Leibes Christi. In Epheser 4 werden nur diejenigen Gaben erwähnt, die zur Sammlung und Auferbauung der Kirche oder Versammlung dienen: „Und Er hat etliche gegeben als Apostel, und etliche als Propheten, und etliche als Evangelisten, und etliche als Hirten und Lehrer, zur Vollendung der Heiligen“ (V 11). Die Apostel und Propheten des Neuen Testaments bilden die Grundlage der Versammlung oder des Hauses Gottes, von dem Jesus Christus selbst der Eckstein ist (Eph 2,20–21). Das Fundament ist gelegt; aber die Sammlung und Auferbauung dauert solange fort, bis der ganze Van zur Vollendung gebracht ist; und Christus, der seine Versammlung liebt, sie nährt und pflegt und auf alle Weise für sie sorgt, wird bis zu diesem herrlichen Endziel Evangelisten, Hirten und Lehrer geben.
Diese von Ihm verliehenen Gaben aber sind keine Ämter, wozu sie von Seiten der Menschen im Allgemeinen gemacht worden sind; sie sind auch nicht einer Kirche oder Versammlung gegeben, sondern der Kirche, dem ganzen Leib Christi. Ein Evangelist ist nicht nur für einen Ort bestimmt, sondern er verkündigt das Evangelium überall, wohin der Herr ihn sendet und wo Er ihm eine Tür öffnet. So ist auch der Lehrer oder Hirte nicht Lehrer oder Hirte einer Kirche oder Versammlung, sondern er dient an allen Orten, wo er Gelegenheit findet, den Gläubigen mit seiner Gabe nützlich zu sein. Ebenso fremd ist der Schrift der Gedanke an eine Zubereitung, Erwählung und Einsetzung von Evangelisten, Lehrern oder Hirten durch Menschen, und nicht weniger schriftwidrig ist es, diese als eine besonders bevorzugte Klasse oder Kaste zu betrachten, die gleichsam als ein geweihtes Priestertum zwischen Gott und seinem Volk steht. Im Judentum gab es einst ein besonderes Priestertum. Der Israelit konnte nur durch den Priester Gott nahen. Seit dem Opfertod Christi aber, und durch diesen Tod, ist der Zugang zu Gott für einen jeden, auch den schwächsten Gläubigen geöffnet. Der Vorhang ist zerrissen, und wir alle sind ermahnt, mit aller Freimütigkeit, in voller Gewissheit des Glaubens, in das Heiligtum droben einzutreten. Darum muss einem jeden, der die Schrift nur ein wenig kennt, die Schranke, welche der Mensch zwischen dem Priester und dem so genannten Laienstaude gezogen hat, als eine Anmaßung erscheinen, und zugleich wird er darin ein offenbares Zeichen von dem großen Verfall der Kirche erblicken. Durch das Einsetzen von Hirten und Lehrern seitens der Menschen wird Christus gänzlich beiseitegesetzt, wie jemand, der machtlos geworden ist und dessen Hilfsquellen erschöpft sind, und die Gegenwart und Wirksamkeit des Heiligen Geistes in der Kirche wird völlig außer Acht gelassen. Das, was Gottes Wort über die Gaben lehrt, ist heute fast ganz in Vergessenheit geraten; und wenn man auch zugibt, dass die Gaben von Gott kommen, so räumt man das Recht zu ihrer Ausübung doch in wunderbarem Widerspruch meist denen ein, die von Menschen dazu berufen und bestätigt worden sind.
Die Gaben sind, wie die Schrift sagt, gegeben worden „zur Vollendung der Heiligen: für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes Christi, bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Mann, zu dem Maß des vollen Wuchses der Fülle des Christus, auf dass wir nicht mehr Unmündige seien ... sondern, der Wahrheit beflissen in Liebe, wovon (Christus der vollkommene Ausdruck ist) lasst uns heranwachsen in allem, zu Ihm hin, der das Haupt ist, der Christus, aus welchem der ganze Leib, wohl zusammengefügt und zusammenbefestigt durch jedes Gelenk der Darreichung, nach der Wirksamkeit in dem Maß eines jeden Teiles, für sich das Wachstum des Leibes bewirkt zu seiner Selbstauferbauung in Liebe“ (Eph 4,12–16).
Alle Glieder des Leibes Christi nehmen Anteil an der Auferbauung dieses Leibes, und sie sind auch dazu verpflichtet, und zwar „ein jeder nach dem Maß der Gabe des Christus“ (Eph 4,7). Nicht alle verkündigen das Evangelium, nicht alle lehren, nicht alle ermahnen, weil nicht alle diese Gaben haben; aber alle sind für das verantwortlich, was ihnen vom Herrn anvertraut ist. Alle haben etwas zu erfüllen, und zwar nach der Kraft und Weisheit, die Gott ihnen darreicht. In 1. Petrus 4 werden die Gläubigen ermahnt: „Je nachdem jeder eine Gnadengabe empfangen hat, dient einander damit als gute Verwalter der mannigfaltigen Gnade Gottes. Wenn jemand redet, so rede er als Aussprüche Gottes; wenn jemand dient, so sei es als aus der Kraft, die Gott darreicht, auf dass in allem Gott verherrlicht werde durch Jesus Christus“ (V 10–11). Jeder wahre Christ ist, wie gesagt, ein Glied des Leibes Christi; und so wie am menschlichen Körper ein jedes Glied seine besondere Verrichtung zum Nutzen des ganzen Körpers hat, so hat auch ein jedes Glied des Leibes Christi, als solches, zur Auferbauung dieses Leibes seine eigene Tätigkeit, seine besondere Pflicht; und nicht selten sind gerade die verborgensten und am wenigsten auffälligen Dienste die gesegnetsten und notwendigsten, und sicher werden sie von dem Herrn anerkannt werden.
Ferner ist, wie bei dem menschlichen Körper, so auch bei dem Leib Christi ein jedes Glied von der Tätigkeit des Anderen abhängig; ein jedes Glied hat das Andere nötig; keins kann zum anderen sagen: ich bedarf deiner nicht. Gott hat nach seiner Weisheit einem jeden Glied seinen besonderen Platz am Leib gegeben, so wie Er gewollt hat. Er hat alles so geordnet, „dass keine Spaltung in dem Leib sei, sondern die Glieder dieselbe Sorge für einander haben“ (1. Kor 12,14–25). Ein jedes? Glied dient dem Anderen; ja, ein jedes ist des anderen Glied, wie geschrieben steht: „Denn gleich wie wir in einem Leib viele Glieder haben, aber alle die Glieder nicht dieselbe Verrichtung haben, also sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, aber je einer des anderen Glieder. Da wir aber verschiedene Gnadengaben haben, nach der uns verliehenen Gnade: es sei Weissagung, so lasst uns weissagen nach dem Maß des Glaubens; es sei Dienst, so lasst uns bleiben im Dienst; es sei, der da lehrt, in der Lehre; es sei, der da ermahnt, in der Ermahnung; der da mitteilt, in Einfalt; der da vorsteht, mit Fleiß; der da Barmherzigkeit übt, mit Freudigkeit“ (Röm 12,6–8). Wie klar und einfach ist dies alles, wenn wir der Unterweisung des Wortes Gottes folgen und uns der Leitung seines Geistes unterwerfen!
In 1. Korinther 12,28 werden noch einige andere Gaben erwähnt, welche nicht zur Erweckung der Seelen und zur Auferbauung der Versammlung gegeben waren, sondern vielmehr als Zeichen für die Welt dienen sollten, um sie erkennen zu lassen, dass Gott in der Person des Heiligen Geistes in der Versammlung gegenwärtig war. Außer den Aposteln, Propheten und Lehrern gab es Wunderkräfte, Gaben der Heilungen, Hilfsleistungen, Regierungen, verschiedene Arten von Sprachen. Diese Gaben hatten, wie gesagt, den besonderen Zweck, die Gegenwart Gottes in der Kirche kund zu machen und die göttliche Wahrheit der christlichen Lehre zu bestätigen. So lesen wir z. B. in 1. Korinther 14,28, dass die Sprachen zu einem Zeichen für die Ungläubigen dienten. Jene Gaben waren mehr eine Zierde der Versammlung und ein Beweis ihrer Anerkennung von Seiten Gottes, als ein Mittel zu ihrer Sammlung und Auferbauung; sie wurden deshalb weggenommen, als die Kirche durch ihre Untreue Gott verunehrte und den Heiligen Geist, der in ihrer Mitte wohnte, betrübte. Jedoch blieben sie durch die Fürsorge Gottes solange erhalten, bis sie ihren Zweck erfüllt hatten.
Jeder Erlöste ist an und für sich schon ein Diener Christi, des alleinigen Herrn seiner Seele, aber er ist es in besonderer Weise durch die Gabe, die er von Ihm empfangen hat. Er ist verantwortlich für diese Gabe und ist verpflichtet, mit derselben zu dienen und sie zu dem Zweck zu benutzen, zu welchem sein Herr sie ihm gegeben hat. Sicher ist und bleibt jeder Christ der Zucht der Versammlung unterworfen, sowohl in Bezug auf seinen. Wandel, als auch auf seinen Dienst; er steht aber nicht im Dienst der Menschen, sondern allein im Dienst Christi, seines Herrn, und ist Ihm allein verantwortlich. Insofern er nun Christus wirklich dient, ist er der Versammlung, nützlich; wenn er aber seine eigene Ehre im Auge hat und nach Anerkennung der Menschen trachtet, so ist sein Dienst wertlos. Als treuer Diener Christi sucht er stets die Ehre seines Herrn und dient mit aller Hingebung und Willigkeit denen, die Christus angehören und des Dienstes hienieden bedürfen; denn zu diesem Zweck allein hat er die erforderlichen Gaben von Ihm empfangen. Christus gibt uns keine Gabe, um sie unbenutzt liegen zu lassen; wir sollen nicht träge und untätig sein, sondern mit dem, was wir empfangen haben, handeln. Dies lehrt uns so deutlich das Gleichnis von den drei Knechten in Matthäus 25, denen ihr Herr, als er außer Landes reiste, verschiedene Talente austeilte, dem Einen mehr, dem Anderen weniger, „einem jeden nach seiner eigenen Fähigkeit.“ Bei der Rückkehr des Herrn fanden die beiden ersten Knechte Lob und Lohn, weil sie mit ihren Talenten gehandelt hatten. Ihre Bevollmächtigung dazu erkannten sie in der Tatsache, dass ihr Herr ihnen jene Talente anvertraut hatte. Der dritte Knecht aber wurde getadelt und gestraft, weil er kein Vertrauen zu seinem Herrn hatte und dem Auftrag desselben, mit dem ihm übergebenen Talente zu handeln, nicht nachkam.
Durch dieses Gleichnis belehrt uns der Herr ganz deutlich, dass die empfangenen Gaben für den Knecht Christi die völlig genügende Bevollmächtigung sind, um mit denselben zu dienen, wenn anders die Liebe Christi in seinem Herzen wirksam ist. Sind jenes Vertrauen und diese Liebe nicht vorhanden, und er dient nicht mit der ihm verliehenen Gabe, so ist er schuldig; er ist ein „böser und fauler Knecht.“ Durch den Dienst wird ein Knecht auf die Probe gestellt; es offenbart sich, ob Liebe und Vertrauen zu seinem Herrn bei ihm vorhanden sind, oder nicht. Ist die Liebe Christi in meinem Herzen wirksam, so ist es mir unmöglich, untätig zu sein, wenn sich Gelegenheit darbietet, den Heiligen zu dienen; und der Herr wird stets die nötige Kraft zu diesem Dienst darreichen, sowie auch die Weisheit, ihn wohlgefällig zu verrichten. Ist ferner Vertrauen zu Christus vorhanden, so habe ich Mut, mit den Gaben, die Er mir verliehen hat, zu dienen; anders werden allerlei Bedenken in meinem Herzen aufsteigen. – Wird Er meinen Dienst gutheißen? Wird Er zufrieden mit mir sein? Ist es nicht ein eigenwilliger, selbsterwählter Weg, wobei Selbstsucht und Stolz mich leiten? – Solche und ähnliche Fragen werden mein Inneres durchkreuzen und mich zum Dienst unfähig machen. Die Liebe aber hat Vertrauen zu Christus und ist deshalb stets in aufopfernder Weise tätig. Sie ist gehorsam und verständig; sie kennt ihre Pflicht und hat auch den Mut, dieselbe zu erfüllen. Sie weiß, was sie sucht und was sie will. Ihr Leben ist Christus, ihr Vorrecht sein Dienst, und ihr Verlangen seine Verherrlichung. Wenn deshalb die Liebe Christi in unserem Herzen wirksam ist, und wir durch seine Kraft und Weisheit geleitet werden, so sind wir wahrhaft fähig, den uns anvertrauten Dienst auszuüben. Sein Wort und seine Genehmigung genügen uns dann völlig; alles andere ist für uns ohne Wert. Möchte doch diese Gesinnung allezeit bei uns gefunden werden! Es ist sicher ein Geringes, von Menschen beurteilt zu werden; ihre Genehmigung, ihr Lob oder ihr Tadel in Bezug auf unseren Dienst im Werk des Herrn dürfen nicht unser Beweggrund sein. Es kommt aber ein Tag, der alles ans Licht stellen wird, und dann wird der treue Diener, der den Willen seines Herrn getan hat, sein Lob von Ihm empfangen und auch in den Augen der Menschen völlig gerechtfertigt dastehen.
In keinem Abschnitt des Neuen Testaments wird die Lehre von dem Leib und den Gliedern Christi so klar dargestellt, wie in dem 12. Kapitel des 1. Briefes an die Korinther; zugleich werden hier die Gaben mehr als die Wirkung des Heiligen Geistes betrachtet. „Dem Einen wird durch den Geist gegeben das Wort der Weisheit, einem Anderen aber das Wort der Erkenntnis nach demselben Geist. ... Alles dieses aber wirkt ein und derselbe Geist, jeglichem insbesondere austeilend, wie er will“ (V 8–11). In Vers 6 lesen wir, dass es Gott ist, der alles in allen wirkt, und in Vers 11 wird es dem Geist zugeschrieben. Dies zeigt uns, dass der Heilige Geist Gott ist. Er wohnt in der Versammlung und vollbringt durch seine Wirksamkeit das Werk Gottes auf der Erde, sei es in der Welt oder in der Versammlung; alles wird durch Ihn bewirkt. Er teilt einem jeden insbesondere aus, wie Er will, und bringt durch seine Wirksamkeit die verliehenen Gaben in Ausübung. Alle aber, die sie empfangen haben, sind Diener Christi und stehen unter seiner alleinigen Autorität (Schluss folgt).