Botschafter des Heils in Christo 1884
Über das Verhalten des Gläubigen in den Tagen des Verfalls - Teil 1/3
1. Die Trennung vom Bösen
Es ist eine sehr verbreitete und tief eingewurzelte, aber mit dem Wort Gottes in völligem Widerspruch stehende Meinung, dass die von dem Staat oder den weltlichen Herrschern anerkannten religiösen Systeme die wahre Kirche bildeten, und dass ein jeder, der sich von diesen trenne, sich damit auch von der Kirche, als solcher, getrennt habe. Das Wort Gottes kennt nur eine Kirche oder Versammlung, mögen wir dieselbe nun betrachten in ihrem Charakter als der verantwortliche Körper auf der Erde, welcher alle einschließt, die sich Christen nennen, mit einem Wort, als die bekennende Kirche – oder in ihrem Charakter als der Leib Christi, als das Haus des lebendigen Gottes, das von Ihm selbst gebaut wird, und zu dem alle Erlösten, alle wahren Gläubigen gehören. Das Wort Gottes spricht zwar von lokalen Kirchen oder Versammlungen; diese bildeten aber nur ebenso viele Teile des Ganzen und waren unzertrennlich mit einander verbunden. Unabhängige Versammlungen, die in sich selbst eine Einheit bilden, die durch Lehre, Bekenntnis oder Namen ihre Vereinigung mit einem Teil der Christenheit kundgeben, während sie sich eben dadurch zu gleicher Zeit von allen anderen Christen trennen, sind ein deutlicher Beweis des Verfalls und in sich selbst nichts anders als Parteien oder Sekten, mögen sie nun groß oder klein, alt oder jung, von dem Staat anerkannt sein oder nicht. Ihr Bestehen ist ein Beweis des Abirrens von der Wahrheit, welche lehrt, dass die Kirche nur eine ist.
Wer sich nun von einer solchen Partei trennt, trennt sich dadurch noch keineswegs von der Kirche. Um dieses zu tun, müsste man das Christentum überhaupt verlassen und Jude, Heide oder Mohammedaner werden. Dass dieses böse und höchst verwerflich wäre und ein schreckliches Gericht zur Folge haben müsste, braucht kaum erwähnt zu werden. Das Aufrichten einer Partei aber, oder das Teilnehmen an einer solchen, nennt das Wort Gottes fleischlich und: nach Menschenweise wandeln (vgl. 1. Kor 1,12; 3,3–4). Schon hieraus geht hervor, dass eine Trennung von jeder Partei, wenn sie anders in der Furcht Gottes und aus Unterwürfigkeit unter sein Wort geschieht, eine Gott wohlgefällige Handlung des Gehorsams ist. Doch Gott hat noch deutlicher geredet. Seitdem die Kirche auf der Erde zu einem großen Haus geworden ist, hat sich viel Böses in dieselbe eingeschlichen. Gott aber hat in seiner großen Gnade die Aufrichtigen und Treuen im Voraus darauf aufmerksam gemacht und das Ihm wohlgefällige Verhalten klar bezeichnet. Wir lesen in 2. Timotheus 2,20–22: „In einem großen Haus aber sind nicht allein goldene und silberne Gefäße, sondern auch hölzerne und irdene, und die Einen zur Ehre, die Anderen aber zur Unehre. Wenn sich nun jemand von diesen reinigt, der wird ein Gefäß zur Ehre sein, geheiligt, nützlich dem Hausherrn, zu allem guten Werke bereitet. Die jugendlichen Lüste aber fliehe; strebe aber nach Gerechtigkeit, Glaube, Liebe, Frieden mit denen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen.“
Christus wandelte hienieden stets und in allem in Abhängigkeit und im Gehorsam. Sind wir nun aus Gott geboren und des Heiligen Geistes teilhaftig geworden, so besitzen wir dasselbe Leben, das in Christus hienieden offenbart worden ist, und denselben Geist, durch welchen Er alles auf Erden vollbracht hat. Wir sind dadurch zu dem „Gehorsam Christi“ (1. Pet 1,2), d. h. zu demselben Charakter des Gehorsams fähig gemacht worden; und deshalb ermahnt uns das Wort, gesinnt zu sein, wie Er es war, und zu wandeln, wie Er gewandelt hat (Phil 2,5; 1. Joh 2,6). Nur durch Gehorsam beweisen wir unsere Liebe zu Gott: „denn das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten, und seine Gebote sind nicht schwer“ (1. Joh 5,3).
Was Gott nun zunächst von uns erwartet, ist die Trennung von dem Bösen, worin dieses auch bestehen möge. Sein Wort ermahnt uns: „Von aller Art des Bösen haltet euch fern“ (1. Thes 5,22). „Hasst das Böse, haltet fest am Guten“ (Röm 12,9). Die Trennung vom Bösen ist der erste Schritt auf dem Weg zum Guten. Das Wort Gottes zeigt uns beides, das Böse wie das Gute, und sagt uns deutlich, wie wir uns zu beidem zu verhalten haben. Nimmt nun die Verherrlichung Gottes wirklich den ersten Platz in unserem Herzen ein, so werden wir stets in seinem Wort forschen und in allem uns seinem guten und wohlgefälligen Willen unterwerfen.
Wir wissen durch die Botschaft des Herrn selbst, „dass Gott Licht ist und gar keine Finsternis in Ihm ist“ (1. Joh 1,5). Wandeln wir nun in wahrer Furcht, indem wir uns bewusst sind, dass wir den als Vater anrufen, der ohne Ansehen der Person richtet nach eines jeglichen Werk, und dass wir durch das kostbare Blut Christi von allem eitlen Wandel erlöst worden sind (1. Pet 1,17–19), so werden wir alles verurteilen, was nicht jenem Licht gemäß, was nicht in Übereinstimmung mit dem untrüglichen Worte Gottes ist. Wir werden nicht nur das Böse richten und verwerfen, welches, wie Johannes schreibt, „von der Welt“ ist: die Lust der Augen, die Lust des Fleisches und den Hochmut des Lebens, d. h. das, was moralisch böse ist und wobei stets die Ehre des Menschen mehr oder weniger in Frage kommt, sondern auch ebenso sehr das Böse, bei welchem es sich zunächst nur um die Ehre und Autorität Gottes handelt. Und hierzu gehört alles, was der Mensch auf religiösem oder kirchlichem Gebiet sich angemaßt hat, alle seine eigenwilligen Anordnungen und Einrichtungen auf demselben, das Bestehen einer jeden kirchlichen Partei, mag sie in den Augen der Menschen noch so ehrwürdig und angesehen und von den Herrschern dieser Welt noch so völlig anerkannt sein – ja alles, wodurch der Herr entehrt, der Heilige Geist betrübt und das Wort Gottes beiseite gesetzt wird. Wohl mögen die Menschen sich ihres Tuns rühmen und erfreuen und mit Stolz auf ihre Partei Hinblicken, wohl mögen sie zu deren Verherrlichung glänzende Feste feiern – Gott aber erkennt sie nicht an, und der Heilige Geist wird durch sie betrübt und verunehrt. Es ist nur ein Werk des Feindes, der schon in den ersten Jahrzehnten des Bestehens der Kirche auf der Erde bemüht war, dieselbe zu zersplittern und sie in menschliche Parteien aufzulösen, wie uns dies der erste Brief an die Korinther so deutlich zeigt (vgl. auch Apg 15). Und ach! Wie sehr ist es ihm gelungen!
Ein einsichtsvoller Christ, der die Ehre seines Herrn wirklich liebt und sein Wort hochschätzt, wird nur mit tiefem Schmerz auf diese Zersplitterung Hinblicken; aber unmöglich kann er irgendeine kirchliche Partei anerkennen oder mit ihr in Gemeinschaft sein, obwohl die wahren Gläubigen, die sich darin befinden mögen, seinem Herzen teuer sind. Er kann nie gleichgültig sein in einer Sache, bei welcher die Ehre Gottes in Frage kommt; er wird mit Fleiß seinen Willen in seinem Wort zu erforschen suchen, und sich demselben, sobald er ihn erkannt hat, willig unterwerfen, was es auch kosten möge. Er wird sich sicher von allem fernhalten, von allem trennen, wovon er weiß, dass es Gott missfällig und seinem Wort entgegen ist, ohne sich irgendwie um das Urteil der Menschen zu kümmern; und hat er einmal diesen ersten Schritt auf dem Weg des Gehorsams getan, so wird Gott in seiner Gnade ihn weiterführen. Er wird durch sein Wort ihm seinen wohlgefälligen Willen mehr und mehr kundtun und durch seinen Geist ihn leiten.
Es gibt nun viele Gläubige, die sich einfach deshalb von einer kirchlichen Partei oder von einer der so genannten Konfessionen trennen, weil sie in denselben das Eine oder Andere finden, das sie nicht in Übereinstimmung mit dem Wort Gottes halten, wie, um ein bekanntes Beispiel anzuführen, die Zulassung der Ungläubigen zum Tisch des Herrn. Solche Christen haben aber noch nicht erkannt, dass eine Partei schon deshalb dem Wort Gottes entgegen und verwerflich ist, weil sie eine Partei oder Sekte ist, wenn auch noch so viel Gutes in ihr gefunden werden mag, und sie sind deshalb stets in Gefahr, eine neue Partei aufzurichten. Es mag in der ihrigen nun viel mehr Wahrheit gefunden werden, als in derjenigen, welche sie verlassen haben, aber bei all ihrer Treue und ihrer guten Meinung haben sie doch nur die Trennung in der Kirche vergrößert und die Parteien oder Sekten um eine neue vermehrt, und haben dadurch das Werk des Feindes gefördert. Sie haben sich nicht völlig vom Bösen getrennt. Ihre Partei kann und wird Gott deshalb nicht anerkennen, obwohl Er in seiner großen Geduld und Langmut ihre Unwissenheit übersehen und die ihnen durch den Geist verliehenen Gaben für sein Werk, sowohl zur Errettung von Sündern, als auch zur Erbauung der Gläubigen, benutzen mag. Solche Gläubige aber, die wissentlich und aus Untreue in einer Gemeinschaft oder Sache verharren, wodurch der Herr verunehrt und der Heilige Geist betrübt wird, dürfen sich sicher nicht der Geduld und Langmut Gottes getrost sein; für sie steht das ernste Wort geschrieben: „Jener Knecht aber, der den Willen seines Herrn wusste und sich nicht bereitet, noch nach seinem Willen getan hat, wird mit vielen Schlägen geschlagen werden“ (Lk 12,47).
Haben wir erkannt, dass das Errichten und Bestehen einer Partei, wie viel Wahrheit in ihr auch gefunden werden mag, eine Unehre für Gott und seinem Wort zuwider ist, so werden wir schon aus diesem einzigen Grund nicht teil daran nehmen und ebenso wenig bemüht sein können, eine andere aufzurichten. Gewiss ist es Gott wohlgefällig, dass wir mit jedem Gläubigen, der treu wandelt und von falscher Lehre sich fernhält, einen herzlichen und brüderlichen Verkehr haben in Wahrheit und Liebe, aber die Partei, zu der er sich bekennt, und alles, was mit derselben in Verbindung steht, können und dürfen wir nicht anerkennen, wenn wir anders Gott und seinem Wort unterworfen sein wollen. Viele mögen dies engherzig und einen Mangel an brüderlicher Liebe nennen; das Wort aber sagt: „Hieran wissen wir, dass wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten“ (1. Joh 5,2). Die Liebe zu den Brüdern kann nie von dem Gehorsam gegen Gott getrennt werden; wo dieser Gehorsam fehlt, da ist die brüderliche Liebe nur eine menschliche und dient nicht zur Verherrlichung Gottes. 2. Die Bewahrung der Einheit des Geistes
Betrachten wir die Kirche oder Versammlung Gottes als die „Behausung Gottes im Geist“, von Gott selbst erbaut (Eph 2,22), oder als den „einen Leib“, dessen Haupt Christus ist (Eph 1,22–23; Kol 1,18), so gehören, wie schon gesagt, nur diejenigen dazu, welche durch den Glauben an Christus erlöst und des Heiligen Geistes teilhaftig geworden sind. Diese alle, die auf dem ganzen Erdboden zerstreut gefunden werden, sind, wie wir in 1. Korinther 12,13 lesen, durch einen Geist zu einem Leib getauft. Sie sind völlig eins; sie sind nicht nur eine Gesamtheit von Personen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen, bilden nicht nur ein Geschlecht oder eine Familie, sondern sie sind ein Leib, dessen Haupt oder Kopf Christus ist. Er ist der Mensch der Ratschlüsse Gottes, das Haupt über alle Dinge, die in den Himmeln und die auf der Erde sind, und als solcher ist Er der Versammlung gegeben. Und nach denselben Ratschlüssen, die von den Zeiten vor Grundlegung der Welt an bis zu den Tagen der Apostel und Propheten des Neuen Testaments in Gott verborgen waren, ist die Versammlung unzertrennlich mit Christus verbunden; sie gehört zu Ihm, wie der Leib zum Kopf gehört; sie ist ein Teil von Ihm selbst, seine Fülle, „die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt“ (Kol 1,16; Eph 1,22–23; 5,30–32; Apg 9,4–5).
Es gibt also nur einen Leib, wie es auch nur einen Geist gibt, durch welchen alle zu einem Leib getauft sind. Diese Einheit ist die Einheit des Geistes, und diese allein wird vor Gott anerkannt, und wir werden ermahnt, uns „Zu befleißigen, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens“ (Eph 4,3). Jede andere Vereinigung, auf welchem Grund und unter welcher Form sie auch errichtet werden mag, ist eine Einheit des Menschen, wodurch das Werk des Geistes zerstört und dessen Autorität verworfen wird; und, deshalb kann Gott sie nie anerkennen. Anstatt in dem großen Verfall um uns her die Unfähigkeit, Ohnmacht und Untreue des Menschen zu erblicken und sich darüber zu demütigen, mähen viele sich an, durch neue Vereinigungen nach menschlicher Weisheit und auf menschlichem Boden den großen Schaden zu heilen. Wahrlich, solche Anstrengungen verraten nicht nur eine hohe Anmaßung und eine große Unkenntnis über den armseligen Zustand des Menschen, sondern zeigen zugleich auch einen großen Mangel an wahrem Verständnis des Wortes Gottes und an Ehrfurcht vor demselben. Es gibt, ich wiederhole es, nur eine wahre und von Gott anerkannte Vereinigung aller Gläubigen, und das ist die Einheit des Geistes, und diese Einheit bleibt vor Gott bestehen, trotz aller menschlichen Parteien, und jeder Christ ist für ihre Anerkennung und Aufrechthaltung verantwortlich.
Obwohl nun das Wort Gottes stets nur von einem Leib redet, so spricht es doch von mehreren Versammlungen. Der Leib Christi, obwohl er nur einer ist, kann sich an vielen Orten versammeln; und so kann eine örtliche Versammlung die „Versammlung Gottes“ genannt werden, wenn sie als solche ihren wahren Platz einnimmt. Der Apostel richtete z. B. zwei Briefe an die „Versammlung Gottes“ zu Korinth, einen anderen an die Versammlungen von Galatien usw. Jede Versammlung ist an ihrem Ort der Ausdruck und die Offenbarung der ganzen Kirche oder Versammlung, des Leibes Christi, wenn sie anders der Wahrheit gemäß wandelt. „lhr seid der Leib Christi und Glieder in Sonderheit“, schreibt der Apostel an die Korinther (1. Kor 12,27). Es war ihre Verantwortlichkeit, alle Erfordernisse dieser gesegneten Stellung aufrecht zu halten. Ebenso sind wir, trotz des großen kirchlichen Verfalls um uns her, verantwortlich, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens, mag es sich nun um eine örtliche, oder um die Versammlung in ihrer Gesamtheit handeln. Dieses Band des Friedens soll alle umschlingen als einen Leib; der Friede des Christus soll in jedem Herzen wohnen und bei allem Verkehr unter einander zum wahren Ausdruck kommen. Alle sind ermahnt, würdig zu wandeln der Berufung, womit sie von Gott berufen sind mit aller Demut und Sanftmut, mit Langmut, einander ertragend in Liebe (Eph 4,1–2). Das allem ist die wahre Gesinnung, die uns befähigt, den Gliedern des Leibes Christi zu dienen und die Einheit des Geistes zu bewahren.
Wir sind also nicht berufen, eine Einheit oder Vereinigung nach eigenem Gutdünken zu machen, sondern werden vielmehr ermahnt, diejenige aufrecht zu halten, welche der Heilige Geist gemacht hat, und alles zu vermeiden, wodurch diese Einheit verdunkelt oder gar zerstört wird. In welcher Weise haben sich nun die Gläubigen zu diesem Zweck zu versammeln? Sie haben sich, in Anerkennung und auf Grund dieser Einheit des Geistes, einfach im Namen Jesu zu versammeln und seinen Tod zu verkündigen; und ebenso ist es ihr Vorrecht, zum gemeinschaftlichen Gebet und zu gegenseitiger Erbauung und Belehrung zusammen zu kommen, um ihre Bedürfnisse vor Gott kund zu tun und getröstet, ermahnt und in allem Guten unterwiesen zu werden. Wenn der Name Jesu allein der Beweggrund, der Mittelpunkt, der Zweck und das Ziel ihres Zusammenkommens ist, so haben sie die bestimmte zusage vom Herrn, dass Er persönlich in ihrer Mitte sein will; denn Er sagt: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, (eigentlich: zu meinem Namen hin) da bin ich in ihrer Mitte“ (Mt 18,20). Welch ein Vorrecht und welch eine Gnade! Zweimal lesen wir in Johannes 20, dass am ersten Wochentag, als seine Jünger, deren Herzen erfüllt waren von Ihm und von dem, was sich mit Ihm ereignet hatte, bei verschlossenen Türen versammelt warm, der Herr in ihrer Mitte stand und sprach: Friede euch! „Es freuten sich nun die Jünger, als sie den Herrn sahen“ (V 20). Und sollten wir uns nicht ebenso sehr freuen, wenn wir in seinem Namen versammelt sind, und Er in unserer Mitte ist, obwohl unsere Augen Ihn nicht sehen? Und wenn wir also versammelt sind, können wir dann als eine Partei oder Sekte betrachtet werden? In den Augen der Menschen vielleicht, aber sicher nicht in den Augen Gottes; und wenn Er mit Wohlgefallen auf uns blickt, so hat das Urteil der Menschen keinen Wert für uns. Gibt es aber noch irgendetwas, das uns, wenn wir im Namen Jesu versammelt sind, so völlig befriedigen und glücklich machen könnte, noch irgendetwas, das so fähig Ware, unsere Herzen mit Dank und Anbetung zu erfüllen, als die persönliche Gegenwart unseres geliebten Herrn, der sein teures Leben für uns hingegeben hat? Gewiss nicht. Wenn sein anbetungswürdiger Name uns über alles teuer und köstlich ist, so wird das Bewusstsein seiner Gegenwart unsere Herzen mit Freude und Wonne erfüllen und uns willig und bereitmachen, alles zu verurteilen und hinweg zu tun, was dieser heiligen Gegenwart nicht entspricht. Wir werden es auch stets als eine große Huld Und Gnade anerkennen, dass der Herr für uns in dieser Zeit der traurigsten Verwirrung einen Weg vorgesehen hat, auf dem wir Ihn verherrlichen und die Einheit des Geistes bewahren können, indem wir uns, und wären unser auch nur zwei oder drei, in seinem Namen versammeln können, in dem glücklichen Bewusstsein, dass Er selbst in unserer Mitte ist.
Wir dürfen aber keineswegs übersehen, dass diese trostreiche Verheißung nur denen gegeben ist, die sich im Namen Jesu versammeln, und nicht einer Partei, die schon durch ihr Dasein die Einheit des Geistes leugnet, weil sie eine andere Vereinigung nach menschlichen Grundsitzen ist und sich durch ein besonderes Bekenntnis oder einen besonderen Namen von den übrigen Christen trennt. In ihrer Mitte mag sich viel Eifer für Christus und Liebe zu den Seelen finden, und das wird der Herr gewiss anerkennen und die Bemühungen segnen; unmöglich aber kann und wird es Ihm gleichgültig sein, ob die Seinen den Heiligen Geist betrüben, indem sie die durch Ihn gewirkte Einheit nicht beachten und nach eigenem Gutdünken handeln, oder ob sie sich befleißigen, die Einheit des Geistes zu bewahren, indem sie seinem Wort unterworfen sind. Unmöglich kann Er, der. Heilige und Wahrhaftige, die den Seinen gegebene Verheißung, in ihrer Mitte zu sein, in gleicher Weise erfüllen, wenn eine Anzahl von Gläubigen als eine abgesonderte Partei versammelt ist. Möchte doch jeder gläubige Leser dieser Zeilen diese so ernste und wichtige Sache mit aller Aufrichtigkeit vor dem Herrn erwägen!
Wie schon oben erwähnt, bilden sämtliche Gläubige, die an irgendeinem Ort wohnen, daselbst die Versammlung Gottes; allein nur diejenigen offenbaren dieselbe und geben ihr als solcher ihren wahren Ausdruck, so dass sie dem Grundsatz nach als die Versammlung Gottes an jenem Ort erkannt werden können, welche sich auf Grund der von dem Geist gemachten Einheit im Namen Jesu versammeln. Befindet sich nun irgendwo eine Versammlung, die auf diesem göttlichen Grund zusammenkommt und den Tod des Herrn verkündigt, und ein an demselben Orte wohnender Christ weigert sich, sie anzuerkennen und sich ihr anzuschließen, so ist er dem Wort Gottes nicht gehorsam; er ist nicht bemüht, die Einheit des Geistes zu bewahren. Er mag sich weigern, weil er unrichtig belehrt ist und die Wahrheit in dieser Beziehung nicht kennt; aber immerhin wird es für ihn selbst ein großer Schaden sein. Doch weit größer ist seine Verantwortlichkeit, wenn er nicht aus Unwissenheit, sondern aus menschlichen Rücksichten, aus Mangel an Gottesfurcht, oder aus irgendeinem anderen verwerflichen Grund sich weigert, seinen Platz in jener Versammlung einzunehmen.
Es geschieht in unseren Tagen auch nicht selten, dass Christen an einem Ort, wo sich schon Gläubige im Namen Jesu versammeln und seinen Tod verkündigen, einen zweiten Tisch aufrichten und, getrennt von jenen, anfangen, das Brot zu brechen, ohne irgendwie zu untersuchen, ob der vorhandene Tisch dem Wort Gottes gemäß ist und von dem Herrn anerkannt wird oder nicht. Sicher ist in den meisten Fällen ein von dem Herrn selbst gewecktes Bedürfnis vorhanden, wenn Gläubige zur Feier des Abendmahls oder zum Gebet und zur Erbauung zusammenkommen; aber es ist völlig verwerflich vor Ihm, wenn dies geschieht, um dadurch den Anschluss an eine bereits bestehende Versammlung, die in seinem Namen auf dem Boden der Wahrheit zusammenkommt, zu verhindern. Oft liegt diesen Bestrebungen von Seiten der Leiter jener Gläubigen Unwissenheit zu gründe, nicht selten aber auch Neid und Eifersucht. Gewiss ist die Verantwortlichkeit in beiden Fällen nicht dieselbe; aber niemals wird der Herr auf solche Anstrengungen, die Ihn verunehren und die Einheit des Geistes verdunkeln und zerstören, mit Wohlgefallen herabblicken. Und mag eine derartige Versammlung noch so sehr die äußere Form der Versammlung Gottes zur Schau tragen, so bildet sie doch in Wahrheit nur eine Partei oder eine Sekte, die errichtet worden ist, um von anderen Gläubigen und namentlich von denen getrennt zu sein, die sich auf dem wahren göttlichen Boden versammeln.
Oft sucht man solches Aufrichten eines zweiten, oder gar dritten und vierten Tisches damit zu entschuldigen, dass man sagt, in den ersten Tagen des Bestehens der Kirche haben die Gläubigen in Jerusalem in verschiedenen Häusern das Brot gebrochen. Die fragliche Stelle in der Apostelgeschichte lautet: „Und indem sie täglich einmütig im Tempel verharrten und zu Haus das Brot brachen, nahmen sie usw“ (Kap 2,46). Man sieht auf den ersten Blick, dass der Ausdruck: „zu Haus“ hier dem: „im Tempel“ gegenübersteht. Die ersten Christen in Jerusalem, Tausende an der Zahl, kamen einmütig in den geräumigen Hallen des Tempels zusammen, um dort mit einander Gemeinschaft zu pflegen. Aber da sie an dieser Stätte jüdischer Anbetung unmöglich den christlichen Kultus feiern konnten, so versammelten sie sich daheim zum Brechen des Brotes. Ohne Zweifel geschah dies zu ein und derselben Zeit in verschiedenen Häusern, da die Zahl der Neubekehrten eine gar große war; denn täglich tat der Herr zu der Versammlung hinzu, die gerettet werden sollten. Aber beachten wir wohl, dass die Versammlung, obwohl durch die Umstände gezwungen, an verschiedenen Orten zusammen zu kommen, doch nur eine war und in einem Geist und in einer Gesinnung einherging. So kann auch heute die Zahl der Gläubigen an einem Ort so groß werden, dass es für sie nötig wird, sich in verschiedenen Räumlichkeiten zu versammeln; oder die Entfernungen sind (wie z. B. in so großen Städten wie Berlin, Paris oder London) so beträchtliche, dass die Gläubigen unmöglich in ein und demselben Lokal regelmäßig zusammenkommen können. Aber das ist nur ein örtliches Getrenntsein, während die selbständige Aufrichtung eines zweiten oder dritten Parteitisches einer wirklichen inneren Trennung oder Spaltung Ausdruck gibt und der uns im Wort Gottes gegebenen Ermahnung, die Einheit des Geistes zu bewahren, schnurstracks zuwiderläuft.
Diese Ermahnung, die Einheit des Geistes zu bewahren, bezieht sich jedoch nicht nur auf die Versammlung des Ortes, in welchem wir wohnen, sondern auch auf jede Versammlung auf der ganzen Erde, die sich in demselben Geist, der Wahrheit gemäß, versammelt. Solange eine solche als der Ausdruck der Versammlung Gottes an dem Ort, wo sie besteht, anerkannt werden kann, haben wir auch die Ausübung der ihr anvertrauten Verwaltung und Zucht, die sich in dem zulassen zum Tisch des Herrn und in dem Ausschließen von demselben kundgibt, ebenso anzuerkennen, als sei das von ihr Gemachte in unserer Mitte geschehen. Würden wir uns dessen weigern, so würden wir die Einheit des Geistes nicht bewahren, sondern dem Geist der Unabhängigkeit huldigen und auf diese Weise leugnen, dass da ein Geist und ein Leib ist.
Nicht allein aber dadurch wird der Ermahnung, die Einheit des Geistes zu bewahren, Genüge geleistet, dass wir uns einer Versammlung, die sich im Namen Jesu versammelt und seinen Tod verkündigt, anschließen, sondern wir haben auch in unserem Verkehr untereinander alles zu vermeiden, wodurch diese Einheit irgendwie gestört werden könnte. Wenn wir vergessen, über uns selbst zu wachen, wenn wir dem Neid, der Eifersucht und Selbstsucht in unserem Herzen Raum geben und in einem richtenden Geist über unsere Mitbrüder urteilen, so ist die innere Trennung schon vorhanden und damit auch der äußeren die Tür geöffnet. Sind wir aber niedriggesinnt und achten wir den Anderen höher als uns selbst, wandeln wir in der Gesinnung Christi, der sanftmütig und von Herzen demütig war, haben wir unter einander eine inbrünstige Liebe, die alles erträgt und alles erduldet, so werden wir sicher dazu beitragen, dass die Einheit des Geistes in dem Band des Friedens bewahrt bleibt. Zugleich wird der Herr durch uns verherrlicht, und wir selbst werden mit einem glücklichen Herzen unserer Berufung gemäß wandeln und zum Nutzen und Segen für andere sein (Fortsetzung folgt).