Botschafter des Heils in Christo 1884
Die Gabe des Heiligen Geistes
„Warum bitten Sie nicht um die Gabe des Heiligen Geistes?“ so fragte eines Abends eine christliche Dame nach einer Versammlung zur Betrachtung des Wortes.
„Weil wir, nachdem wir an den Herrn Jesus Christus gläubig geworden sind, den Heiligen Geist empfangen haben. ‚Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist.‘“ (vgl. Eph 1,13; Röm 5,5)
„Aber belehrt uns der Herr selbst nicht ganz deutlich, dass wir um den Heiligen Geist bitten sollen? Hat Er nicht gesagt: ‚Wie viel mehr wird der Vater, der vom Himmel ist, den Heiligen Geist geben denen, die Ihn bitten?‘“ (Lk 11,13)
„Allerdings; und diese Bitte war damals, als der Heilige Geist noch nicht gegeben war, durchaus am Platz. Unser Herr und Heiland musste sterben und wieder auferstehen und sich setzen zur Rechten des Vaters, bevor Er den Heiligen Geist hernieder senden konnte, wie wir in Johannes 7,39 lesen: ‚Der Geist war noch nicht, weil Jesus noch nicht verherrlicht worden war.‘ Aber wo hören wir, nach seiner Herniederkunft am Tag der Pfingsten, einen der Apostel oder der Gläubigen um den Heiligen Geist bitten? Nirgendwo. Im Gegenteil reden sie stets von dem Geist, als wohnend in den Gläubigen und in der Kirche. Allerdings glaubt die Welt nicht, dass Er hienieden ist, weil sie Ihn nicht sieht, noch Ihn kennt; aber der Gläubige weiß, dass Er gegenwärtig ist und in Ihm wohnt – nicht, weil er Ihn sieht, sondern weil die Schrift es sagt – und er erfährt seine gnädige Wirksamkeit in sich in mancherlei Weise, besonders aber darin, dass Er von dem, was des Vaters und des Sohnes ist, nimmt und es ihm verkündigt, dass Er die Liebe Gottes in sein Herz ausgießt und in ihm den Ruf: ‚Abba, Vater!‘ erweckt, sowie das Bekenntnis, dass ‚Jesus Herr ist.‘“ (vgl. Joh 16,15; Röm 5,5; 8,15; 1. Kor 12,3)
„Aber Sie bitten doch um ein höheres Maß des Geistes, nicht wahr?“
„Wie könnte ich, da der Heilige Geist selbst Wohnung in mir gemacht hat? Wenn der Heilige Geist nur in mir wirksam wäre, oder wenn ich nur einen gewissen Einfluss des Geistes empfangen hätte, so könnte ich vielleicht um mehr bitten. Aber während dieses in gewissem Sinn wahr sein mochte im Blick auf die Gläubigen, welche auf dieser Erde lebten, bevor der Herr das Versöhnungswerk vollbracht hatte und verherrlicht worden war, so kann doch nichts klarer sein, als dass der Heilige Geist eine göttliche Person ist, ebenso wie der Vater und der Sohn. Der Vater sandte den Sohn, der Sohn kam, nahm Fleisch und Blut an und starb für uns; und nachdem Jesus mit seinem eignen Blut in den Himmel eingegangen ist, kam der Heilige Geist hernieder und machte Wohnung in denen, welche durch das Blut ihres Heilands von allen ihren Sünden gereinigt waren. Der Heilige Geist ist eine bestimmte Person, verschieden von derjenigen des Sohnes, welcher für uns litt und starb, sowie verschieden von der des Vaters, welcher den Sohn sandte, und doch ist Er in seiner Gottheit eins mit dem Vater und dem Sohn. Der Heilige Geist wird ‚Gott‘ genannt, Er hat göttliche Eigenschaften und ist es auch, durch den wir versiegelt sind auf den Tag der Erlösung. Wie konnte ich daher um ein größeres Maß bitten, wenn die Person selbst in mir wohnt? Wohl bitte ich darum, durch den Geist mit Kraft gestärkt zu werden an dem inneren Menschen, durch die Macht des Heiligen Geistes in Hoffnung überströmend zu sein und dergleichen; aber wo findet sich in den Schriften der Apostel eine Spur von dem Gedanken, den Sie aussprechen, dass ein Gläubiger um ein größeres Maß des Geistes bitten sollte?“
„Aber erwarten Sie nicht eine weitere Ausgießung des Geistes?“
„Ganz gewiss; denn Gott selbst hat erklärt: ‚und danach wird es geschehen, dass ich meinen Geist ausgießen werde über alles Fleisch.‘ Dieses wird ohne Zweifel im tausendjährigen Reiche stattfinden, weil die Prophezeiung sich auf eine zukünftige ‚Errettung auf dem Berg Zion und zu Jerusalem‘ bezieht. Die nämliche Prophezeiung wurde teilweise von Petrus am Tag der Pfingsten angeführt, um durch die Zeichen, welche geschahen, zu beweisen, dass der Heilige Geist wirklich herniedergekommen war, und dass es sich nicht um eine fleischliche Aufregung handelte, wie einige meinten“ (vgl. Joel 2,28–32).
„Aber wird denn nicht eine größere Ausgießung des Geistes in der Kirche stattfinden?“
„Wie wäre dies möglich, wenn der Heilige Geist infolge der Vollendung des Versöhnungswerkes und der Verherrlichung Christi, als des Sohnes des Menschen zur Rechten Gottes, hienieden ist? Wo wird eine solche Erwartung von den Aposteln erwähnt? Gibt uns Paulus nicht vielmehr eine erschreckende Beschreibung von dem Charakter der ‚letzten Tage?‘ Warnt er die Gläubigen nicht vor verderblichen Wölfen, welche der Herde nicht schonen würden? Sagt er ihnen nicht, dass die Zahl der Verführer immer mehr zunehmen und viele durch sie verführt werden würden? Sagt Petrus nicht vorher, dass ‚falsche Lehrer‘ unter den Gläubigen anstehen würden, ‚welche Sekten des Verderbens neben einführen und den Gebieter verleugnen, der sie erkauft hat?‘ ‚Und viele‘, fährt er dann fort, ‚werden ihren Ausschweifungen nachfolgen, um welcher willen der Weg der Wahrheit verlästert werden wird.‘ (2. Pet 2,1–2) Schreibt nicht auch Johannes: ‚Kindlein, es ist die letzte Stunde, und wie ihr gehört habt, dass der Antichrist kommt, so sind auch jetzt viele Antichristen geworden; daher wissen wir, dass es die letzte Stunde ist?‘ Aus alledem geht klar hervor, dass die Apostel nichts weniger als eine so genannte größere Ausgießung des Heiligen Geistes erwarteten; sie konnten es auch nicht, weil sie ja wussten, dass der Heilige Geist selbst, der andere Sachwalter, hienieden war und für immer bei uns bleiben wird. Gerade diese Wahrheit verleiht der ganzen Frage eine solch ernste Wichtigkeit.“
„Dann würden Sie es auch wohl für verkehrt halten, wenn jemand um eine neue Taufe mit dem Heiligen Geist bitten würde, nicht wahr?“
„Wenn Sie die Schrift erforschen, so werden Sie finden, dass der Herr im Blick auf die Gabe des Heiligen Geistes zu seinen Jüngern sagte: ‚Siehe, ich sende die Verheißung meines Vaters auf euch. Ihr aber, bleibt in der Stadt, bis ihr angetan werdet mit Kraft ans der Höhe.‘ (Lk 24,49) Und derselbe Schreiber, Lukas, teilt uns in der Apostelgeschichte mit, dass der Herr bei jener Gelegenheit noch die Worte hinzufügte: ‚Denn Johannes taufte wohl mit Wasser, ihr aber werdet mit dem Heiligen Geist getauft werden nach nicht vielen Tagen. Ihr werdet Kraft empfangen, indem der Heilige Geist auf euch kommt, und ihr werdet meine Zeugen sein bis an das Ende der Erde.‘ (Kap 1,5.8) Und im nächsten Kapitel hören wir, dass der Heilige Geist am Pfingsttag wirklich herniederkam, und sehen zugleich die geistliche Kraft, welche seine Ankunft begleitete. Wenn Sie sich jetzt zu 1. Korinther 12,13 wenden wollen, so werden Sie sehen, was die Taufe mit dem Heiligen Geist bedeutet. Es heißt dort: ‚In einem Geist sind wir alle zu einem Leib getauft.‘ Die Taufe mit dem Heiligen Geist ist also die Vereinigung aller Gläubigen zu ‚einem Leib‘, dadurch dass Er sie alle mit Christus, dem Haupt im Himmel und unter einander als Glieder verbindet. Wir werden deshalb ‚Glieder seines Leibes, von seinem Fleisch und von seinen Gebeinen‘, genannt. Der Gedanke an eine neue, wiederholte Taufe des Heiligen Geistes ist der Schrift völlig fremd.“
„Vielmehr belehrt die Schrift uns, die wir an den Herrn Jesus Christus geglaubt haben, dass Gott in uns wohnt durch den Geist, welchen Er uns gegeben hat, dass unsere Leiber zu Tempeln des Heiligen Geistes gemacht sind, und dass Er in unsere Herzen gesandt ist, um uns in alle Wahrheit zu leiten und uns über alles zu belehren. Wir sind durch den Geist gesalbt, mit Christus vereinigt und versiegelt, und Er ist zugleich das Unterpfand unseres Erbes bis zur Erlösung des erworbenen Besitzes (vgl. 1. Joh 3,24; 1. Kor 6,19; Gal 4,6; 2. Kor 1,21–22; Eph 1,13–14). Der Heilige Geist wohnt ferner in der Kirche auf der Erde (1. Kor 3,16). Alles, was in Wirklichkeit ein Werk Gottes in den Seelen genannt werden kann, ist durch seine Kraft und Wirksamkeit hervorgebracht. Durch den Geist mittels des Wortes Gottes werden Sünder dahin gebracht, an den Herrn Jesus Christus zu glauben und so ewiges Leben zu haben. Alle, die wahrhaft an Jesus gläubig geworden sind, sind ‚aus dem Geist gebogen‘, und deshalb auch ‚aus Gott geboren‘, und der Geist ist in ihre Herzen gesandt, um dort zu wohnen. ‚Weil ihr Söhne seid, so hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der da ruft: ‚Abba, Vater!‘ Wir sind berufen, diesen Geist, der in uns wohnt, nicht zu ‚betrüben‘, und da durch seine Kraft ‚Gaben‘ in dem Dienst der Wahrheit gebraucht werden, so sind wir auch ermahnt, den Geist nicht ‚auszulöschen.‘“
„So viele durch den Geist Gottes geleitet werden, diese sind Söhne Gottes.“