Botschafter des Heils in Christo 1884
Wahrhaftige Anbeter
In der jüdischen Haushaltung gab es „ein weltliches Heiligtum“ – „ein mit Händen gemachtes Heiligtum“ – „einen Altar“, viele „Opfer“, ein „veränderliches Priestertum“, einen „Vorhang“ zwischen Gott und seinem Volk, eine „Anbetung“, die an einen besonderen Ort auf der Erde geknüpft war, und endlich „Anbeter“, welche kein gereinigtes und vollkommen gemachtes Gewissen besaßen. Jetzt aber ist alles verändert. Anstatt eines weltlichen Heiligtums haben wir „die wahrhaftige Hütte, welche der Herr erbaut hat, nicht der Mensch.“ Anstatt des mit Händen gemachten Heiligtums, welches, wie uns gesagt wird, „ein Gegenbild des wahrhaftigen“ war, lesen wir jetzt, dass „der Christus eingegangen ist in den Himmel selbst, um jetzt zu erscheinen vor dem Angesicht Gottes für uns.“ Statt eines Altars, auf welchem unaufhörlich dieselben Schlachtopfer dargebracht wurden, die niemals Sünden hinwegnehmen können, haben wir jetzt „einen Altar, von welchem kein Recht haben zu essen, die der Hütte dienen“; einen Altar, welcher davon zeugt, dass unsere Sünden gerichtet und für immer vor den Augen Gottes hinweggetan sind, einen Altar, der wirklich nichts anders ist, als „der Thron der Gnade“, der uns zum Gebet, zur Danksagung und Anbetung einladet und nicht für sichtbare und fleischliche Schlachtopfer, sondern für die Opfer des Lobes und der Danksagung bestimmt ist. Anstatt der vielen Opfer, die alljährlich ununterbrochen dargebracht wurden, wissen wir, dass Christus, „nachdem Er ein Schlachtopfer für die Sünden dargebracht, sich für immerdar gesetzt hat zur Rechten Gottes“, so dass „kein Opfer für die Sünde mehr bleibt.“ Es bedarf auch keines anderen Opfers mehr wegen des ewigen Wertes des einmaligen Opfers Christi, das ein für alle Mal dargebracht worden ist, und wodurch Er eine „ewige Erlösung erfunden“ hat, damit wir „die Verheißung des ewigen Erbes empfingen.“
Auch das Priestertum ist verändert; denn statt einer fleischlichen und irdischen Ordnung von aufeinander folgenden und sündigen Priestern, haben wir jetzt Jesus, den Sohn Gottes, der in den Himmel selbst eingegangen ist mit seinem eignen Blut und Priester geworden ist „in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks.“ Er ist Priester für immer und ewig, voll von Liebe und Mitgefühl und ohne Sünde, ein Priester, der immerdar lebt, um sich für uns zu verwenden. Er ist der Hohepriester, und alle Gläubige sind Priester. Auch ward „der Vorhang“, das Vorbild „Seines Fleisches“, zerrissen von oben an bis unten aus, als Christus auf Golgatha seine Seele für uns „ausschüttete in den Tod“, so dass wir mit Freimütigkeit in das Heiligtum eintreten können, „durch das Blut Jesu, den neuen und lebendigen Weg, den Er uns eingeweiht hat durch den Vorhang, das ist sein Fleisch“ (Heb 10).
Die Anbetung hat deshalb jetzt einen ganz neuen Charakter angenommen. Sie muss „im Geist und in Wahrheit“ geschehen, unter der mächtigen Leitung des Heiligen Geistes und in Übereinstimmung mit der jetzt offenbarten Wahrheit. „Der Vater“ ist jetzt der Gegenstand der Anbetung. Auf Ihn richten Geist und Wahrheit jetzt unsere Gedanken; „denn durch Ihn (Christus) haben wir den Zugang durch einen Geist zu dem Vater“ (Eph 2,18). Es ist daher ein sehr ernster Fehler, jetzt von einem bestimmten Orte der Anbetung zu reden. Als das Weib am Jakobsbrunnen von Jerusalem sprach, als dem Ort, wo man anbeten sollte, erwiderte der Herr ihr sogleich: „Weib, glaube mir, es kommt die Stunde, da ihr weder auf diesem Berg, noch zu Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr betet an, ihr wisst nicht was. ... Es kommt aber die Stunde und ist jetzt, da die wahrhaftigen Anbeter den Vater im Geist und in Wahrheit anbeten werden; denn auch der Vater sucht solche als seine Anbeter. Gott ist ein Geist, und die Ihn anbeten, müssen Ihn im Geist und in Wahrheit anbeten“ (Joh 4,21–24),
Man kann unmöglich die Belehrung, die der Herr hier dem Weib gießt, missverstehen, dass es sich nämlich jetzt nicht mehr um bestimmte Orte der Anbetung handelt, sondern einfach um Anbetung und Anbeter, und dass der Vater wahrhaftige Anbeter sucht und im Geist und in Wahrheit angebetet werden muss. Wahrhaftige Anbeter sind daher Kinder Gottes; anders könnten sie nicht „den Vater“ anbeten. Sie kennen den Vater. Sie haben seine Liebe erkannt und geglaubt – jene Liebe, die sich darin kundgab, dass Er seinen eingeborenen Sohn in die Welt sandte, damit wir durch Ihn leben möchten. Sie wissen, dass ihre Sünden vergeben sind um seines Namens willen. Sie glauben, dass Jesus, nachdem Er von den Toten auferstanden, mit seinem eignen Blut in den Himmel selbst eingegangen ist und uns jetzt vor dem Angesicht Gottes vertritt. Sie gehen daher kraft des Blutes Jesu in das Allerheiligste hinein, nahen dem Thron der Gnade mit Freimütigkeit und stehen vor dem Altar, der von einer ewigen Vergebung der Sünden redet, welche die Seele mit Danksagung und Anbetung erfüllt.
Überdies sind ihre „Herzen besprengt und also gereinigt vom bösen Gewissen“; sie wissen, dass das kostbare Blut Christi in all seiner ewigen und unveränderlichen Gültigkeit zwischen ihnen und Gott steht und ihnen ein Recht gibt, allezeit in seiner Gegenwart zu weilen. Sie wissen aus dem Wort Gottes, dass ihre Sünden gerichtet und abgewaschen sind; ihre Gewissen sind daher gereinigt, und sie selbst sind gereinigte Anbeter. Der Heilige Geist ist ihnen gegeben, weil sie Vergebung der Sünden haben, und durch den Geist ist die Liebe Gottes in ihre Herzen ausgegossen, und sie werden durch Ihn in alle Wahrheit geleitet. Auf diese Weise haben Sie Kenntnis von den Gedanken Gottes und sind befähigt, Ihn als wahrhaftige Anbeter anzubeten. Welche Schuldner sind wir der göttlichen Gnade gegenüber!
Wir sehen also, in welch bemerkenswerter Weise Judentum und Christentum einander entgegengesetzt sind, und wie gänzlich Priestertum und Anbetung sich verändert haben. Auch dürfen wir nicht vergessen, dass in der jüdischen Haushaltung fast alles von dem Volk gesehen wurde. Sie sahen den Altar, sie sahen, wie das Opfertier geschlachtet, das Blut vergossen und überallhin gesprengt wurde, sie blickten dem Priester nach, wenn er in seinen heiligen Kleidern in das Heiligtum ging usw. Im Christentum aber ist alles Glaube. Wir glauben an einen, den wir nie gesehen haben, und wir dienen und gehorchen einem, den unser leibliches Auge nicht erblickt. Unser Heiligtum, unser Altar, Priester und Opfer – alles ist unsichtbar. „Wir wandeln durch Glauben, nicht durch Schauen.“ Israel aber, als Volk betrachtet, wird, gleich Thomas, nicht eher glauben, bis es den sieht, „in welchen sie gestochen haben.“ Der Christ aber ist gerechtfertigt durch Glauben; er steht, lebt und wandelt durch Glauben.
Was das Blut anbetrifft, so ist es sehr interessant zu sehen, wie in den Vorbildern der ganze Weg von der Erde bis zum Himmel durch dasselbe bezeichnet ist. Das Blut des Opfertieres wurde an die Hörner des Brandopferaltars getan, sowie auf den Altar selbst und an den Boden des Altars gegossen. Gegen den Eingang des Zeltes der Zusammenkunft wurde es siebenmal gesprengt. Es wurde getan auf die Hörner des Altars des wohlriechenden Rauchwerks, der in dem Zelt der Zusammenkunft stand, es wurde siebenmal gesprengt gegen den Vorhang des Heiligtums sowie vor den Gnadenstuhl, aber nur einmal auf denselben (vgl. 3. Mo 4,6–34; 16,14). Für das Auge Gottes genügte es, wenn das Blut einmal auf den Gnadenstuhl gesprengt wurde. Das siebenmalige Sprengen desselben gibt uns die völlige Versicherung, dass es eine göttlich vollkommene Gültigkeit und Wirksamkeit besitzt.
Alle diese verschiedenen Sprengungen des Blutes waren notwendig, um uns als Vorbilder über den unendlichen Wert des Blutes Jesu zu belehren und uns die Freiheit zu zeigen, mit welcher wir allezeit in der Gegenwart Gottes verweilen dürfen. Wie wunderbar ist die Gnade, die uns in Gerechtigkeit so nahegebracht hat! Welch ein Vorrecht, dass wir dort im Allerheiligsten sein dürfen als gereinigte Anbeter, da, wo ein vollkommener Friede herrscht und eine vollkommene Liebe uns umgibt! Lasst uns daher durch Jesus, unseren Herrn, „Gott stets das Opfer des Lobes darbringen, das ist die Frucht der Lippen, welche seinen Namen bekennen.“ Lasst uns auch nicht vergessen, wohl zu tun und mitzuteilen, „denn an solchen Opfern hat Gott Wohlgefallen!“ (Heb 13,15–16)