Botschafter des Heils in Christo 1884
Was ist wahre Bekehrung?
Der Herr selbst muss stets den Mittelpunkt unseres Zeugnisses bilden, so gesegnet es auch ist, das Evangelium von der Gnade Gottes zu verkündigen. In Thessalonich waren die bekehrten Seelen dahin geführt worden, „dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten.“ Der ganze Mensch war zu Gott gewandt worden, wodurch ein gänzlich neuer Zustand von Anfang bis zu Ende herbeigeführt wurde. Nicht nur war das Gewissen die Bürde seiner Sünden los, sondern Gott selbst in Christus war der Gegenstand der Seelen geworden. Die Bedeutung einer Bekehrung, wie wir sie in 1. Thessalonicher 1,9–10 finden, ist diese: Der Mensch hat Buße getan vor Gott, hat geglaubt an den Herrn Jesus Christus, ist völlig zu Gott umgewandt.
Sobald der Mensch glaubt, empfängt er ein ganz neues Leben und richtet das Vergangene; er bereut, weil er glaubt. Wie der verlorene Sohn, so empfängt auch er, sobald er zum Vaterhaus kommt, ein neues Leben, eine neue Stellung, sowie einen neuen Gegenstand und Zweck des Lebens. „Die, welche nach dem Geist sind, sinnen auf das, was des Geistes ist“, und „unser Wandel ist in den Himmeln.“ So lehrt das Wort. Um jedoch von sich selbst befreit zu werden, muss man sich selbst kennen lernen. Wenn ich in Wahrheit sagen kann: „Ich bin tot“, so vermag Satan nichts wider mich; er kann mich nicht versuchen. Ich bin vielleicht nicht allezeit imstande, es zu sagen, aber es ist mein Vorrecht, als einer, der „aus Wasser und Geist geboren“ ist. Das Wasser reinigt, der Geist aber gibt eine neue Stellung und ein neues Leben.
Wir wissen, dass wir aus Gott geboren sind. Jenes ewige Leben, das bei dem Vater war, ist unser Leben, und dieses Leben ist Christus; Er ist unser Leben geworden. Wenn der Herr nach seiner Auferstehung in die versammelten Jünger hauchte, so war dies nicht die Mitteilung des Heiligen Geistes, der vom Himmel kommen sollte. Erst nachdem Er aufgefahren war, empfing Er den Heiligen Geist für uns. Er besaß ihn zuvor, aber für uns empfing Er Ihn erst, als Er zur Rechten Gottes war. Dadurch, dass „der zweite Mensch, Christus“, in die Herrlichkeit einging, nachdem Er unsere Sünden hinweggetan hatte, haben wir den Heiligt Geist empfangen. Gott kam als Mensch herab zu uns in unseren Sünden, und als Mensch ging Er hinauf und empfing den Heiligen Geist für uns. Der Mensch in Christus nimmt in der Auferstehung einen neuen Platz ein. Das Werk Christi am Kreuz befreit das Gewissen; dann aber wird Christus selbst unser Leben, und das ist eine gänzlich neue Stellung – „eine neue Schöpfung“ (2. Kor 5,17).
Zu allererst muss die Frage betreffs der Sünde geordnet werden – wir müssen wissen, dass alle unsere Sünden durch Christus getragen und hinweggetan sind. Wer kann mir meine Sünden vorwerfen, wenn Gott erklärt, dass das Blut Christi, das mich reinigte, allezeit vor seinen Augen ist? Er kann nicht mir meine Sünden zurechnen, da Er sie Christus zugerechnet hat. Was Gott vor Augen hat, spricht mich frei. Die Tatsache, dass das Werk Christi die Frage betreffs der Sünde vollkommen geordnet hat, gibt mir völligen Frieden.
Wenn ich in meinem praktischen Leben als Christ sündige, so fehle ich nicht nur in ganz trauriger Weise, sondern ich tue auch gerade das, wofür Christus den schrecklichen Tod im Gericht sterben mühte. Dennoch aber kann es mir, wenn Er dafür gestorben ist, nicht mehr zugerechnet werden. In 4. Mose 19 finden wir in dem Vorbild der roten Kuh Belehrung über unseren praktischen Zustand. Die Asche, welche die am Kreuz im Gericht verzehrte Sünde vorstellt, wurde mit fließendem Wasser Gottes (Wort) auf den Unreinen gesprengt. Die Asche deutete der Seele an, dass das Ganze verzehrt, dass die Sünde hinweggenommen war. Ohne Zweifel wird, wenn ich nur einen törichten Gedanken hege, der Heilige Geist schon betrübt, aber ich kann mich nicht über die Sünde richten, wenn ich nicht gewiss bin, dass sie mir nicht mehr zugerechnet wird. Die Antwort ans alles ist das am Kreuz geschehene Werk. Dieses Werk bringt mich in die Gegenwart Gottes, in sein Licht, und zwar fleckenlos, da meine Sünde auf Christus gelegt und von Ihm getragen worden ist, nach dem Maß, wie Gott meine Sünde kennt, d. h. vollkommen. Nichts stellt so das Herz auf die Probe, als die Verwirklichung der Tatsache, dass der Anbeter, einmal gereinigt, kein Gewissen (Bewusstsein) mehr von Sünde hat (Heb 10). Bei niemand kann eine wahre oder wirkliche Heiligung stattfinden, solange er die Frage betreffs der Sünde nicht vollständig und göttlich geordnet sieht. Solange ich nicht meiner völligen Annahme gewiss, solange ich nicht der Errettung völlig versichert bin, durch das Bewusstsein, dass alle Sünde hinweggetan ist, vermenge ich stets meinen Zustand mit meiner Stellung. Die heilige Natur ist vorhanden, aber eine eigentliche Heiligung kann nicht eher da sein, bis ich einsehe, dass Christus nicht nur meine Sünden getragen hat bis zu dem und dem Tag, sondern dass sie alle hinweggetan sind, und überdies, dass ich in Christus eine völlige Annahme gefunden habe.
Für den Gläubigen gibt es drei Dinge: Friede, was seine Sünden betrifft, Gnade für die Gegenwart und Herrlichkeit in der Zukunft (Röm 5,1–2). Nicht nur gibt es für die, welche in Christus Jesus sind, „keine Verdammnis mehr“, da alle Sünde hinweggetan ist, sondern sie besitzen auch eine neue Stellung; ein neuer Platz in Christus selbst ist unser Teil. Alles, was den ersten Adam betrifft, ist am Kreuz geordnet worden; und ich habe in Christus meine Stellung und bin nun berufen, so zu wandeln, wie Er gewandelt hat. Ja, ich bin schuldig, so zu wandeln, wie Christus gewandelt hat. Ich kann nicht so sein, wie Er war; denn Er war ohne Sünde; wir aber haben Sünde in uns. Nie aber ist Sünde in meinem Wandel erlaubt.
„Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit“ (2. Kor 3,18). Nicht nur bin ich von meinen Sünden befreit und freigesprochen, ich sehe auch einen Menschen, der in die Herrlichkeit eingegangen ist, und nun begehre ich, nicht allein nicht mehr zu sündigen, sondern ich trage auch das Verlangen, Christus in der Herrlichkeit gleich zu sein – „ich jage ihm nach“ (Phil 3). „Geliebte, jetzt sind wir Gottes Kinder, und es ist noch nicht offenbart worden, was wir sein werden; wir wissen aber, dass, wenn Er offenbart ist, wir Ihm gleich sein werden, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist“ (1. Joh 3,2). Jetzt sehe ich Christus in der Herrlichkeit durch den Glauben, weih aber, dass ich bald Ihm gleich sein werde, und begehre schon in der Gegenwart, Ihm so gleich zu sein, wie es mir nur immer möglich ist. Es ist wie mit einem Licht, das am Ausgang eines Tunnels steht; ich wandle in diesem Licht, und je näher ich ihm komme, desto heller wird es. Ich gewähre, wie das Fleisch in mir nie sich ändert; es scheint mir sogar immer verderbter zu werden; wenn aber mein Auge und mein Inneres auf Christus gerichtet, wenn mein Geist mit Ihm beschäftigt ist und ich nur von Ihm erfüllt bin, so werde ich Ihm von Schritt zu Schritt ähnlicher, gleichförmiger; ich werde verwandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit in dasselbe Bild!
Nichts sollte im Herzen oder Wandel sein, das Christus ungleich ist, alles muss Ihm hingegeben werden, und ich soll, wie schon gesagt, so wandeln, wie Er gewandelt hat. Vom Fleisch hören wir im Wort Gottes, dass es vor der Sintflut gesetzlos war, und dass es unter dem Gesetz sich das goldene Kalb machte; und als Christus in Gnade kam, verwarf und kreuzigte es Ihn, sowie es später den Heiligen Geist in der Person des Zeugen Stephanus verwarf; und als endlich ein Mensch in den dritten Himmel entrückt wurde, mühte ihm, sobald er auf die Erde zurück kam, ein Pfahl für das Fleisch gegeben werden (2. Kor 12). Das Fleisch ist unverbesserlich, es bleibt stets dasselbe. Dennoch ist kein Grund vorhanden, dass wir ihm erlauben müssten, sich wirksam zu Zeigen. Solange die Seele von Christus erfüllt ist, wird die Wirksamkeit des Fleisches nicht wahrgenommen. Ich denke gar nicht an das Fleisch, wenn ich an Christus denke; ich halte es für tot, wozu ich ja berechtigt bin und von Gott aufgefordert werde (Röm 6). Wenn ein Mensch tot ist, so kann man ihm keinen bösen Willen und keine Lüste mehr vorwerfen. Nicht nur ist Christus gekreuzigt worden, sondern ich bin mit Ihm gekreuzigt worden. Was ich jetzt zu tun habe, ist, allezeit diesen Kreuzestod auf mich anzuwenden; ich besitze Christus als mein Leben. „Wenn wir mit Christus gestorben sind, so werden wir auch mit Ihm leben.“ Ich finde die Kraft Christi in mir wirksam durch dieses neue Leben. Die Sünde, die ich in meinem Fleisch finde, d. h. die sündige Natur, wurde in Christus mitgerichtet und gekreuzigt, und ich bin damit fertig (Röm 6,6; Gal 5,24; 1. Pet 4,1).
Jetzt beginnt etwas ganz Neues; Christus ist der Gegenstand und Zweck meines Lebens geworden. „Ich bin mit Christus gekreuzigt; und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir; was ich aber jetzt lebe im Fleisch, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich dahingegeben hat.“
Wie viele Gläubige gibt es, die sich der Vergebung ihrer Sünden wohl bewusst sind, die aber nicht wissen, dass sie mit Christus gekreuzigt worden sind. Nie aber wird man von sich selbst befreit sein, solange man dieses nicht weiß. Das 7. Kapitel des Römerbriefes stellt uns eine Seele dar, die lebendig gemacht, aber noch nicht befreit ist. Sie steht noch unter dem „ersten Ehemann.“ Sie ist zwar erneuert – denn sie erkennt, dass das Gesetz heilig und gut ist – aber sie muss noch lernen, dass in ihr keine Kraft ist. Nun ist es aber viel leichter und schneller gelernt, dass wir gottlos, als dass wir völlig kraftlos sind! Endlich aber ruft jene Seele aus: „Ich danke Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn!“ Sie wendet sich, im Bewusstsein ihrer völligen Ohnmacht, von sich ab, gibt sich gänzlich auf und wendet sich zu Christus, der alles für sie ist, in welchem sie alles besitzt. Das ist Befreiung. Sobald Christus auf den Schauplatz tritt, ist Kraft und Anbetung vorhanden. Meine Stellung ist im Geist, nicht im Fleisch. „Wenn aber jemand den Geist Christi nicht hat, der ist nicht sein“ (Röm 8,9). „Ihr in mir und ich in euch“, das ist die Stellung, die mir in Christus vor Gott zu teil geworden ist! Wenn ich aber in Ihm bin und Er in mir, so bin ich vollendet, und was den Leib angeht – ich habe ihn für tot zu halten.
Das Leben der Thessalonicher war ein höchst gesegnetes Zeugnis für alle die Versammlungen in Griechenland. Sie waren „Vorbilder geworden allen Gläubigen in Mazedonien und Achaja.“ Vergessen wir jedoch nicht, dass es unmöglich ist, ein solches Leben und ein so gesegnetes Zeugnis dadurch darzustellen, dass man versucht, es zu tun. Nur dann, wenn mein Herz von Christus erfüllt ist, werde ich sowohl das Böse scheuen und meiden, als auch, wie Paulus betet, begehren, „erfüllt zu sein mit der Frucht der Gerechtigkeit“, und ich werde, von Gottes Geist und Gesinnung geleitet, Ihm meinen Leib als ein lebendiges Schlachtopfer darstellen. Paulus tat nur eins; er jagte nach dem herrlichen Ziele, dem Kampfpreis unserer Berufung: Christus in der Herrlichkeit. Christus alles für die Seele – das ist wahre Bekehrung.