Gedanken über das Zusammenkommen der Gläubigen
Botschafter des Heils in Christo 1883
Gedanken über das Zusammenkommen der Gläubigen - Teil 1/4
Der Zweck dieser Zeilen ist, einige der gesegneten Wahrheiten in Erinnerung zu bringen, welche uns das Wort Gottes im Blick auf das zusammenkommen der Heiligen vorstellt. Wir befinden uns in den „schweren Zeiten“, von welchen der Apostel in 2. Timotheus 3,1 redet. Die Bemühung des Feindes zielt darauf ab, das Zeugnis, welches Gott inmitten des Verfalls in den „letzten Tagen“ aufgerichtet hat, umzustoßen und die Gläubigen jene Wahrheiten vergessen zu machen. Daher ist es so dringend nötig für uns, stets zu den einfachen und köstlichen Grundsätzen zurückzukehren, welche der Herr in seiner Gnade und nach seinem Wohlgefallen uns kundgetan hat. Vor allem gilt es, gewisser Punkte eingedenk zu bleiben, welche von der höchsten Wichtigkeit sind, um uns in einem Wandel zur Ehre dessen zu leiten, der uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat.
Wenn der Apostel Johannes „der auserwählten Frau“ schreibt, um sie vor den Verführern zu warnen, so redet er von der Wahrheit, von der Liebe und von dem Gehorsam – von drei Dingen, welche enge mit einander verbunden sind und die nicht getrennt werden dürfen, ohne ihre Wirklichkeit und ihren wahren Ausdruck zu zerstören. Ferner sagt der Apostel: „die ich liebe in der Wahrheit“, und weiter: „Dies ist die Liebe, dass wir nach seinen Geboten wandeln“ (V 1.6).
Es hieße die Wahrheit nicht wirklich erkennen und besitzen, wenn dieselbe keinen Einfluss auf unser Gewissen ausübte, um uns vor den Gott zu bringen, der ein Recht hat auf unseren Gehorsam und auf unsere Zuneigungen, um sie an den zu fesseln, der die Wahrheit ist. Christus ist die Wahrheit, weil Er allein uns Gott, die Welt und den Menschen in ihrer wahren moralischen Natur offenbart. Diese Offenbarung aber findet nur statt in dem Leben, welches durch den Heiligen Geist in uns hervorgebracht wird. „Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen“ (Joh 17,3). Der Gegenstand dieses Lebens ist Christus, die Wahrheit. Sein Charakter ist die Liebe, wie geschrieben steht: „Die Liebe ist aus Gott; und ein jeglicher, der liebt, ist aus Gott geboren und kennt Gott“ (1. Joh 4,7). Ohne die Liebe ist die Erkenntnis der Wahrheit, welche man zu besitzen vorgibt, nichts als die Frucht der Ausübung unserer natürlichen Fähigkeiten.
Die Wahrheit steht also in Verbindung mit einer göttlichen Person. Der Heilige Geist, der Geist der Wahrheit, offenbart dieselbe der Seele, indem Er sie lebendig macht und auf diese Weise Liebe zu dieser gesegneten Person in ihr hervorruft. Es ist daher offenbar, dass die Liebe, die göttliche Liebe, nicht bestehen kann ohne die Wahrheit. Alles, was die göttliche Wahrheit antastet, kann nur die göttliche Liebe verletzen. Die Liebe erträgt die Unwissenheit, sie erbarmt sich des Irrenden und weist ihn zurecht, sie hofft, dass er zurückgebracht werde, und hat Geduld; nie aber kann sie etwas dulden, was in irgendeiner Weise die Wahrheit, die Person und die Ehre Christi antastet. „Sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit, sondern sie freut sich mit der Wahrheit“ (1. Kor 13,6), wie jemand gesagt hat: „Der Prüfstein der wahren Liebe ist das Aufrechthalten der Wahrheit.“
Doch was ist das Resultat und der Beweis der wahren Liebe? Der Gehorsam. „Wenn ihr mich liebt“, sagt der Herr, „so haltet meine Gebote“, und weiterhin: „Wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben.“ „Wenn, ihr meine Gebote haltet, so werdet ihr in meiner Liebe bleiben; gleich wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe.“ „Dies ist die Liebe Gottes, dass wir seine Gebote halten“ (Joh 14,15.23; 15,10; 1. Joh 5,3). Wahre göttliche Liebe und Gehorsam können nie voneinander getrennt werden. Wenn wir in der Kraft des Heiligen Geistes die Wahrheit kennen gelernt haben in der gesegneten Person Christi, der uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat, so richten sich die Zuneigungen des erneuerten Herzens auf Ihn hin; wir erkennen seine Autorität als Herr an, und es ist unsere Freude, zu gehorchen. „Seine Gebote sind nicht schwer“, weil das ich beiseitegesetzt ist und der Gehorsam als Frucht des göttlichen Lebens hervorkommt. „Nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir.“ Der Christ ist berufen, Christus zu gehorchen, mit der Wahrheit im Herzen und der Liebe, als der Quelle von allem, und das ist Christus. Gehorchen ohne Liebe, ist Gesetz; gehorchen aus Liebe, ist Christus. Er selbst wandelte auf Erden in der Liebe, nach der Wahrheit und in einem vollkommenen Gehorsam. Möchten wir seinen Fußstapfen nachfolgen!
Der Wandel in der Wahrheit und im Gehorsam ist aber nichts anders, als der Wandel nach dem Wort, wie der Herr sagt: „Dem Wort ist Wahrheit“ (Joh 17,17). „Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nütze zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch Gottes vollkommen sei“ (2. Tim 3,16–17). Die Schrift allein offenbart uns Gott, seine Ratschlüsse, seine Gedanken und Wege; sie allein darf Autorität über uns haben, um unsere Gedanken zu bilden und unseren Wandel zu regeln in allem. „Der Eingang deines Wortes erleuchtet, gibt Einsicht den Einfältigen“ (Ps 119,130). Zwar vermag nur der Heilige Geist uns ein göttliches Verständnis von dem Wort zu geben und es auf unsere Gewissen und Herzen anzuwenden. Aber Er ist dem Christen gegeben, um ihn in die ganze Wahrheit zu leiten. Dies schließt notwendig jede Einmischung der Meinungen, der Vernunftschlüsse und des Willens des Menschen aus und erfordert eine völlige Unterwürfigkeit und unbedingte Abhängigkeit der Seele; anders kann der Geist Gottes uns nicht durch das Wort belehren und leiten. Unsere Sprache sollte stets sein: „Rede, Herr, denn dein Knecht hört.“
Das natürliche Herz will von einer solchen Unterwürfigkeit und Abhängigkeit nichts wissen; es sucht derselben durch allerlei Vernünfteleien zu entgehen. Es will hinzufügen, Ausnahmen machen und auslegen, da wo Gott klar und deutlich geredet hat. Wie sehr haben wir uns zu hüten vor diesem Geist der Unabhängigkeit! Derselbe nahm seinen Anfang im Garten Eden, als Eva ihr Ohr den Einflüsterungen Satans lieh; er hat seitdem fortgewirkt und zeigt sich heute überall, selbst unter den Christen, und bald wird er seine völlige Offenbarung in dem „Menschen der Sünde“ finden, welcher „widersteht und sich selbst erhöht über alles, was Gott heißt oder ein Gegenstand der Verehrung ist.“ Ach, wie oft zeigt sich dieser Geist auch in unserem persönlichen Wandel! Anstatt zu Gott zu sagen: „Latz mich doch deinen Weg wissen, dass ich dich erkenne“ (2. Mo 33,13), mühen wir uns ab, den unsrigen zu finden, je nachdem die Umstände liegen und es uns am besten gefällt.
Aber besonders im Mick auf den gemeinschaftlichen Wandel, oder mit anderen Worten, im Blick auf das zusammenkommen der Gläubigen, hat der Mensch – indem er die Vorschriften des Wortes vernachlässigte oder berufen zu sein glaubte, vermeintliche Lücken in demselben auszufüllen – geglaubt, alles nach seiner Willkür ordnen zu dürfen, als gäbe es in dem Wort keine bestimmte Anweisungen über den göttlichen Boden und die göttlichen Grundsätze dieses zusammenkommend zu welchen der Gehorsam alle diejenigen hinführen sollte, die da wünschen, in der Wahrheit und in der Liebe zu wandeln. Lasst uns deshalb untersuchen, was das Wort Gottes uns über diese Dinge lehrt.
Man denkt und sagt gewöhnlich, die Christen sollten sich versammeln als solche, die da einen Glauben haben, die, erlöst durch denselben Heiland, Kinder eines Gottes und Vaters und durch die Bande derselben Liebe verbunden sind; aber im Übrigen meint man frei zu sein und sich einrichten zu dürfen, wie man will, und so gut man kann. Allerdings ist es unmöglich, Gott gemäß versammelt zu sein, wenn die eben erwähnten Charakterzüge fehlen; aber keineswegs bilden dieselben jenen gesegneten Boden, auf welchem alle die geliebten Kinder Gottes, nach den klaren Unterweisungen des Wortes, zusammenkommen sollten, und der einzig und allein weit genug ist, um sie alle zu vereinigen, und der, wenn richtig erkannt, allen Spaltungen ein Ende zu machen vermag.
Dieser Boden ist ein ganz anderer. Bei den Kindern Israel gab es nur einen einzigen Ort, welchen Gott erwählt hatte, um seinen Namen daselbst wohnen zu lassen. Nur dort durfte Er angebetet werden; dort war der Mittelpunkt der Zusammenkünfte des Volkes. Alles, was auf den Gottesdienst Bezug hatte, war gottgemäß, weil Er selbst es angeordnet hatte. Auf diese Weise wussten die Israeliten, wiewohl sie in ihrem Gottesdienst nur die Schatten des zukünftigen besaßen, dennoch, was sie anbeteten. Sollten wir geringere Vorrechte besitzen, als das irdische Volk, die wir doch das „Ebenbild selbst“ haben? Nein, wir besitzen in jeder Beziehung mehr. Wir haben zwar keinen irdischen Mittelpunkt des Zusammenkommens. „Es kommt die Stunde“, sagt der Herr, „da ihr weder auf diesem Berg, noch zu Jerusalem den Vater anbeten werdet.“ Die Anbetung ist nicht an einen besonderen Ort gebunden. „Die wahrhaftigen Anbeter werden den Vater im Geist und in Wahrheit anbeten.“ Das ist der Charakter der Anbetung: „Im Geist“ – im Gegensatz zu einem äußerlichen, für ein irdisches Volk geziemenden Gottesdienst; zugleich zeigt es uns die Kraft, in welcher allein der christliche Kultus ausgeübt werden kann – aber auch „in Wahrheit“, d. h. gemäß der Offenbarung Gottes als Vater und unseres Verhältnisses zu Ihm. Dieser Wahrheit gemäß haben wir, eben sowohl wie das irdische Volk, einen einzigen Mittelpunkt des Zusammenkommens, und dieser steht in Übereinstimmung mit der Anbetung im Geist und mit unserer Stellung als ein himmlisches Volk.
Der Herr Jesus selbst macht uns in dem Wort mit dem Boden bekannt, auf welchem wir nach den Gedanken Gottes tatsächlich versammelt sein können, und wo „Er auch für uns seinen Namen wohnen“ lässt. Seine Gnade und Weisheit haben denselben bereitet als einen vollkommenen Zufluchtsort für alle Zeiten, für alle Orte und für alle Umstände, wie dies Anbetern „im Geist und in Wahrheit“ angemessen war. „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen“, spricht der Herr, „da bin ich in ihrer Mitte.“ Die Worte: „Wo zwei oder drei versammelt sind“, zeigen deutlich, dass weder der Ort von Bedeutung ist, noch dass die große Zahl die Versammlung ausmacht, oder ihren Charakter irgendwie verändert; sie darf so bescheiden sein als möglich. Die Worte: „In meinem Namen“, geben dem zusammenkommen seinen eigentümlichen Charakter. Der Ausdruck: „mein Name“ bedeutet alles, was Er ist, und erinnert an alles, was Er getan hat. Es ist der Name, welcher für Gott und für unsere Herzen so kostbar ist, in welchem wir das Heil haben und der über alle anderen Namen ist. „In seinem Namen“ – oder genauer: „zu seinem Namen hin“ – versammelt sein, will sagen, dass Er der ist, welcher uns gemeinschaftlich beschäftigt, um dessentwillen wir einzig und allein versammelt sind. Das ist es, was allein imstande ist, alle Kinder Gottes zu vereinigen. Es schließt nur das aus, was den Namen Christi verunehrt. „Da bin ich in ihrer Mitte“, ist die gesegnete Verheißung, welche zur Wirklichkeit wird, sobald das zusammenkommen wirklich in seinem Namen geschieht – eine köstliche Wirklichkeit, die unseren Zuneigungen entspricht und unsere Herzen stärkt und ermuntert. Der, welcher uns liebt, ist gegenwärtig. Der, dem alle Gewalt gegeben ist. Er ist ebenso wirklich da, als Er am Abend des Auferstehungstages inmitten der Seinen war (Joh 20). Seine Gegenwart ist zwar eine geistliche, wie dies Anbetern im Geist angemessen ist, aber sie ist wirklich, und der Glaube erfasst sie.
Wir besitzen also, eben sowohl wie Israel, einen einzigen Boden und einen einzigen Mittelpunkt unseres Zusammenkommens: Wir versammeln uns „in seinem Namen“, und Er ist in unserer „Mitte.“ Das Wort Gottes weist uns keinen anderen Boden an. Wie köstlich ist dies! Dieser Boden kann nie fehlen, und er ist durchaus einfach, vollkommen genügend, unendlich wertvoll für das Herz und von völliger Sicherheit für die Seele. Man versammelte sich nicht anders in den ersten Zeiten (vgl. 1. Kor 5,4; 14,25). Und jetzt, wo alles in Trümmern liegt, wo das, was einst für einen kurzen Augenblick durch die mächtige Wirksamkeit des Heiligen Geistes so schön und glänzend dastand, verfallen ist (vgl. Apg 2,42–47), jetzt, wo die Christenheit einem großen Haus mit Gefäßen zur Ehre und zur Unehre, gleich geworden ist, wo man nach allen Seiten hin nichts als Spaltungen und Sekten erblickt – was bleibt uns da zu tun übrig? Wohin sollen wir uns wenden? Welcher religiösen Benennung sollen wir uns anschließen? Wo ist der göttliche Boden, auf welchem man sich versammeln kann? Wir antworten: „Da, wo er immer gewesen ist.“ Gott sei Dank! Dieser Boden bleibt, trotz aller Untreue des Menschen, so unerschütterlich, wie Christus selbst. Immer noch können wir uns in seinem Namen versammeln, und immer noch ist Er da in der Mitte derer, die, gestützt auf seine Verheißung, sich also versammeln, und wären sie auch nur zu zweien oder dreien (Fortsetzung folgt).
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