Botschafter des Heils in Christo 1883
"Du hast mein Wort bewahrt"
In Johannes 14,23 bezeichnet der Herr das Bewahren oder Halten seines Wortes als einen Beweis der Liebe zu Ihm. „Wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort“ – nicht „meine Worte“ – „halten.“ In Offenbarung 3 wird uns das Bewahren seines Wortes als einer der besonderen Charakterzüge Philadelphias vorgestellt. Es ist daher offenbar, dass wir demselben nicht zu viel Gewicht beilegen können und wohl daran tun, zu untersuchen, was denn das Halten des Wortes Christi bedeutet. Es ist mehr als Gehorsam; man könnte sagen, es ist das, was aus dem Gehorsam entspringt. Es heißt das Wort des Herrn so hochschätzen, dass man es in das Herz einschließt, wo es dann durch die Macht des Heiligen Geistes wirksam wird, göttliche Gedanken und Zuneigungen erweckt, von dem Bösen trennt und reinigt, so wie Christus selbst rein ist. So in dem Herzen bewahrt, wird es das Licht für den täglichen Pfad des Gläubigen und regiert sein ganzes Leben. Dann müssen wir uns erinnern, dass das Wort Christi – d. i. die Summe seiner Mitteilungen an die seinen – tatsächlich die Offenbarung seiner selbst ist. Jede Vorschrift, die uns durch die Schriften gegeben wird, ist daher ein Zug seines eigenen Lebens. Wenn wir z. B. ermahnt werden, „als Auserwählte Gottes, Heilige und Geliebte, herzliches Erbarmen, Güte, Niedriggesinntheit, Milde und Langmut anzuziehen“ (Kol 3,12), so geschieht es, weil Er auf seinem Weg durch dies Welt alle diese Dinge zur Schau trug, ja, weil Er dies in Tat und Wahrheit ist. Denn diese Dinge sind nur die Strahlen der Herrlichkeit, welche wir mit aufgedecktem Angesicht in Ihm, der jetzt zur Rechten Gottes sitzt, entdecken. Christus selbst ist deshalb, sowie Er in seinem Wort offenbart ist, unser einziges Muster, unser Maßstab für Wandel und Heiligkeit; wenn wir daher sein Wort halten, so wird nur das, was Ihm wohlgefällig und mit Ihm in Übereinstimmung ist, von uns angenommen, alles andere aber verworfen werden.
Der Ausdruck: „das Wort Christi halten oder bewahren“, umfasst also den ganzen Boden, auf welchem der Gläubige steht – sein Leben und seinen persönlichen Wandel, sein Verhältnis zu Christus und zu den übrigen Gläubigen, mit denen er ein Glied am Leib Christi bildet, sowie endlich seine und ihre Tätigkeit im Gottesdienst und im Werk des Herrn. Es ist indes möglich, dass wir sein Wort halten in Bezug auf die äußere Stellung, die wir einnehmen, und uns der Erkenntnis in demselben rühmen, während wir es in Wort und Wandel verleugnen. Wenn wir dies tun, so ist es der sichere Beweis, dass wir uns selbst betrügen und einen laodizäischen Geist in uns nähren. Ist jedoch der aufrichtige Wunsch in unserem Herzen, sein Wort zu halten, so werden wir es unausgesetzt dazu benutzen, alle unsere Wege und Handlungen, alle unsere Verbindungen, all unser Tun, sei es in oder außer der Versammlung, in seinem Licht zu prüfen.
Es braucht kaum gesagt zu werden, dass dies der Pfad ist, auf dem wir allein Segnung erwarten können. Es ist der Gegenstand des ganzen 5. Buches Mose, ja, in gewissem Sinn, eines jeden Buches der Heiligen Schrift. Wir finden es immer wieder bewahrheitet, dass das Volk Gottes, so oft es seine Freude fand an seinem Wort, in ungestörtem Glück und in Sicherheit wohnte und Tag für Tag die Güte, Gnade und Liebe des Herrn erfuhr. Sobald es aber dieses Wort vernachlässigte, oder gar verwarf, geriet es in Schwierigkeiten und Elend. Das belehrt uns unzweideutig, dass das Mittel zu unserer Wiederherstellung, mögen die Zeiten und Umstände sein, welche sie wollen, in einer aufrichtigen Rückkehr zu dem Wort Christi besteht. Wir müssen beginnen mit Selbstgericht, indem wir uns selbst und unsere Wege durch das Wort beurteilen: „Denn das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer, denn jegliches zweischneidige Schwert und durchdringend bis zur Zerteilung der Seele und des Geistes, sowohl der Gelenke als des Markes, und ein Richter der Gedanken und Gesinnungen des Herzens; und kein Geschöpf ist vor Ihm unsichtbar, sondern alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben“ (Heb 4,12–13). Wir sollten mit allem Ernst untersuchen, wo und wie wir zuerst von dem Wort abgewichen, alles prüfen, womit wir durch diese Abweichung in Verbindung gekommen sind, und ungesäumt hinweg tun, was nicht dem Wort entspricht, so schön und anziehend es uns auch bisher geschienen haben mag. Demütigen wir uns dann vor Gott mit Bekenntnis und wahrem Gebrochenem des Herzens und Geistes, bitten wir Ihn um die Gnade, dass sein Wort reichlich in uns wohne, so werden wir uns bald von neuem seiner Gegenwart und seiner Segnungen erfreuen. Der Herr Jesus muss den ersten Platz in unserem Herzen haben, und praktisch geben wir Ihm diesen Platz, wenn wir seinem Wort unterworfen sind.
Sicher ist unser gegenwärtiger Zustand ein schwacher, und die „schweren Zeiten“, von welchen Paulus an Timotheus schreibt, sind über uns gekommen; aber dennoch können wir mit aller Gewissheit sagen, dass da, wo eine Anzahl von Christen durch die Gnade Gottes und die Macht seines Geistes dahin geleitet wird, mit aufrichtigem Herzensentschluss das Wort Christi zu halten, reiche, unbegrenzte Segnungen ihr Teil sein werden. Sie werden in einer bisher ungekannten Weise die Gegenwart des Herrn in ihrer Mitte erfahren, wenn sie in seinem Namen versammelt sind; sie werden das Zeugnis seines Wortes begleitet sehen von der Kraft des Geistes und persönlich den Genuss der reichsten aller Segnungen erfahren – Christus selbst wird sich ihren Herzen offenbar machen (Joh 14,21–23). Möge der Herr in unseren Herzen wirken und den sehnlichen Wunsch in uns wachrufen, erfunden zu werden in dem Halten seines Wortes um seines Namens willen!