Botschafter des Heils in Christo 1883
Einige Bemerkungen über den Wert des Abendmahls - Teil 1/2
Das Formenwesen der Christenheit, wovon diejenigen ausgegangen sind, die sich einfach im Namen Jesu versammeln, hat in vielen von ihnen manche unklaren Vorstellungen über den Tisch des Herrn zurückgelassen. Es ist deshalb wichtig, in dem Wort Gottes zu untersuchen, was der Herr durch die Einsetzung dieses Gedächtnisses seiner Person und seines Todes beabsichtigte. Auf der anderen Seite sind diese Gläubige, die sich dem Wort gemäß versammeln und, nach dem Beispiel der Jünger in Troas (Apg 20), jeden ersten Wochentag zusammenkommen, „um Brot zu brechen“, in Gefahr, sich an die häufige Wiederholung dieses Mahls in einer Weise zu gewöhnen, dass sie in das Gegenteil der äußeren Feierlichkeit verfallen, womit die Landeskirche diese Handlung umgibt. Dort nimmt man ja an der so genannten „Kommunion“ nur in längeren Zwischenräumen, dann aber mit aller Feierlichkeit in der äußeren Form, teil, weil man leider das Wesen wenig versteht.
Das Abendmahl ist nur das Vorrecht der Erlösten, der Glieder des Leibes Christi, dieses „einen“ Leibes, welcher das unmittelbare Werk des Herrn selbst ist. Seine Glieder sind „alle in einem Geist zu einem Leib getauft“ (1. Kor 12,18). Das Brechen des Brotes unter ihnen ist der Ausdruck der Einheit dieses Leibes: „Denn ein Brot, ein Leib sind wir, die vielen, denn wir alle sind des einen Brotes teilhaftig“ (1. Kor 10,17). Daher ist es so wichtig, sich auf dem Boden der Einheit dieses Leibes zu versammeln; jedes Versammeln auf einem anderen Boden muss einen sektiererischen Charakter tragen.
Nach den beiden ersten Evangelien Matthäus (und Markus) fand die Einsetzung des Abendmahls während der Feier des jüdischen Passahs statt. Im Evangelium Johannes (Kap 13) finden wir eigentlich weder das Passah, noch die Einsetzung des Abendmahls, obwohl das, was uns dort mitgeteilt wird, geschichtlich an demselben Abend und bei derselben Gelegenheit stattfand. Johannes spricht nur von einem gemeinschaftlichen Abendessen des Herrn mit seinen Jüngern. Dies hat seinen Grund in der Eigentümlichkeit dieses Evangeliums, welches die Offenbarung des Vaters und des ewigen Lebens ist. Im Evangelium Lukas, dessen Charakter allgemeiner ist, werden Passah und Abendmahl getrennt dargestellt, indem wir die Feier des Passahs im 14. – 18., die Einsetzung des Abendmahls im 19. und 20. Vers des 22. Kapitels finden. Der Herr, geboren unter Gesetz (Gal 4,4), isst das Passah mit seinen Jüngern; sie bildeten seine Familie (2. Mo 12,3–4). Er betrachtet sie als die Erstlinge des treuen Überrestes Israels. Dieses Passah war das Letzte, so zu sagen der Abschluss des Vorbildes, welches am folgenden Tage durch das Opfer Christi seine Erfüllung finden sollte: „Denn auch unser Passah, Christus, ist geschlachtet“ (1. Kor 5,7). Mit Sehnsucht hatte der Herr sich gesehnt, dieses Passah mit seinen Jüngern zu essen, ehe Er litt, und Er erklärt ihnen, dass Er „nicht mehr davon essen werde, bis es erfüllt sein werde im Reich Gottes.“ Auch sagt Er, dass Er nicht mehr von dem Gewächs des Weinstocks (der Freude des Reiches) trinken werde, bis dieses Reich (d. i. das tausendjährige) komme. Und nachdem Er so diesem treuen Überrest gezeigt hat, dass die Aufrichtung des Reiches noch der Zukunft angehöre, setzt Er das Abendmahl ein, indem Er gleichsam in seinen Gedanken diesen treuen jüdischen Überrest in Christen verwandelt und ihnen sagt: „Ich kehre in das Haus meines Vaters zurück, wo ich euch teil mit mir gebe; ich gehe hin, euch dort eine Stätte zu bereiten und komme wieder, euch zu mir zu nehmen; aber während meiner Abwesenheit tut dies zu meinem Gedächtnis.“
Doch bevor wir von dem Wert des Abendmahls, reden, verweilen wir noch einen Augenblick bei den Umständen, unter welchen der Herr es eingesetzt hat. Während Er mit den Seinen in dem Obersaal das Passah atz, beriet man sich in der Stadt, wie man Ihn umbringen sollte. Die „Dinge, welche Ihn betrafen“, gingen ihrer Vollendung entgegen. Aber anstatt die Gedanken der Seinen auf seine Umstände zu richten, ist Er beschäftigt, ihnen ein Zeichen seiner Liebe zu geben und sie verstehen zu lassen, was Er während seiner Abwesenheit von ihrer Liebe erwartet. Der Apostel Paulus erinnert uns daran, dass der Herr dieses Mahl einsetzte „in der Nacht, da Er überliefert ward.“ In der Nacht vor seinem Tod, im Bewusstsein der Verräterei des Judas und alles dessen, was Ihm auf dem Kreuz bevorstand, zeigte Er den Seinen, wie sein Herz nur mit ihnen beschäftigt war und wie Er sehnlich begehrte, dass sie sich seiner während der Zeit seiner Abwesenheit gemeinschaftlich erinnern sollten. Ein Herz, welches Ihn liebt, findet etwas überaus Köstliches in der Tatsache, dass der Herr gewünscht hat, dass wir uns seiner erinnern.
Wohl ist das Abendmahl das Gedächtnis seines Todes, seines vollkommenen Werkes für uns, und Er hat uns darin für die ganze Dauer unseres Weges eine Erinnerung an die Vollkommenheit und Unwandelbarkeit dieses Werkes geben wollen; aber beachten wir wohl, dass der Herr sagt: „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Er zeigt uns dadurch, welch einen Wert seine anbetungswürdige Person für unsere Herzen haben sollte. Er sagt gleichsam: „Erinnert euch meines Werkes zum Gedächtnis meiner Person.“ Dies ist von hoher Wichtigkeit; denn man steht nicht selten, dass Christen sich anstrengen, auf ihre Weise das Werk Christi hervorzuheben, während sie die Heiligkeit und die Herrlichkeit seiner anbetungswürdigen Person wenig beachten.
„Tut dieses zu meinem Gedächtnis!“ Wie könnten unsere Herzen unempfindlich sein für diesen Wunsch? Sein Auge ruht auf den Seinen, die auf der Erde versammelt sind, und Er selbst ist in ihrer Mitte. Es ist eine Freude für sein Herz, dass es in dieser Welt, wo Er verworfen wurde, einige gibt, die glücklich sind, in seinem Namen versammelt zu sein, um seiner zu gedenken. Und wir tun das, indem wir Ihn erwarten: „Denn so oft ihr dieses Brot esst und den Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis Er kommt“ (1. Kor 11,26). Er ist gestorben, um uns zu erretten, Er kommt wieder, um uns zu sich zu nehmen, und zwischen diesen beiden großen Tatsachen gedenken wir seiner. Der Tod Christi – die Ankunft Christi – das Abendmahl zwischen beiden! Ich habe euch erkauft, sagt Er, gedenkt meiner während meiner Abwesenheit, dann werde ich kommen, euch zu mir zu nehmen.
Es ist bemerkenswert, wie die beständige Erwartung des Herrn sich an die häufige Feier des Abendmahls knüpft. Als der Herr gen Himmel fuhr, bezeugten die Engel den Jüngern, dass Er auf dieselbe Weise wiederkommen werde. Dann kam der Heilige Geist auf sie hernieder, und wir lesen, dass „sie verharrten in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten ... und indem sie täglich einmütig im Tempel verharrten und zu Haus das Brot brachen, nahmen sie Speise mit Frohlocken und Einfalt des Herzens, lobten Gott und hatten Gunst bei dem ganzen Volk“ (Apg 3). Ebenso sehen wir in Apostelgeschichte 20,7, dass die Gläubigen in Troas am ersten Wochentage versammelt waren, um Brot zu brechen. Es war dies der besondere Zweck ihres Zusammenkommens.
Ferner finden wir in den Briefen, dass der Apostel die Heiligen gelehrt hatte, beständig den Herrn zu erwarten. Den Korinthern sagt er: „Ihr verkündigt den Tod des Herrn, bis Er kommt“ (1. Kor 11,26); weiterhin schreibt er ihnen: „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: wir werden zwar nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden, in einem Nu, in einem Augenblick, bei der letzten Posaune; denn posaunen wird es, und die Toten werden auferweckt werden unverweslich, und wir werden verwandelt werden“ (1. Kor 15,51–52). Durch die Worte: „wir werden verwandelt werden“, stellt sich der Apostel hier, wie in 1. Thessalonicher 4, unter die Zahl derer, welche noch am Leben sein werden, wenn der Herr kommt. Überhaupt stellten der Herr und seine Apostel diese Ankunft stets so dar, als wenn sie stattfinden würde während der Dauer des Lebens derer, welchen sie angekündigt wurde. Es war und ist eine gegenwärtige Hoffnung. Die ersten Christen erwarteten den Herrn zu ihren Lebzeiten, und wir haben im 3. und 20. Kapitel der Apostelgeschichte gesehen, dass sie das Abendmahl häufig feierten.
Das Brotbrechen und die Erwartung des Herrn sind also, wie wir gesehen haben, enge mit einander verbunden; man verkündigt den Tod des Herrn, bis Er kommt. Deshalb finden wir auch, dass die Christen, sobald sie die Ankunft des Herrn und die persönliche Gegenwart des Heiligen Geistes, welcher mit der Braut ruft: „Komm!“ aus den Augen verloren, auch kein Bedürfnis mehr hatten, häufig das Brot zu brechen, während in unseren Tagen, nachdem die herrliche Wahrheit von der Ankunft des Herrn zur Aufnahme der Heiligen wieder auf den Leuchter gestellt worden, das Bedürfnis von neuem erwacht ist, nach dem Beispiel der ersten Christen, an jedem Tag des Herrn das Brot zu brechen. Der Ausgangspunkt des Abendmahls ist also das Kreuz – der Zielpunkt: die Ankunft des Herrn.
Wir gedenken des Todes des Herrn, als unserer vollkommenen Befreiung. Er hat seinen Leib für uns gegeben und sein Blut vergossen, um uns von unseren Sünden rein zu waschen; aber wir feiern seinen Tod zum Gedächtnis der anbetungswürdigen Person, die sich so für uns hingegeben hat. Und während wir dies tun, sind wir in Verbindung mit Ihm als dem Lebendigen, welcher tot war, aber lebt in die Zeitalter der Zeitalter und die Schlüssel des Todes und des Hades hat (Off 1,18). Wir verkündigen also seinen Tod, bis Er kommt, mit dem Bewusstsein unserer Vereinigung mit Ihm in seinem Auferstehungsleben.
Die Feier des Abendmahls ist eine gemeinschaftliche Sache; ein Einzelner kann es nicht feiern. Die gemeinschaftliche Teilnahme an diesem Mahl ist der Ausdruck der Einheit des Leibes, denn wir, die vielen, sind ein Brot, ein Leib, denn wir alle sind des einen Brotes teilhaftig (1. Kor 10,17). Jeder zur Feier des Abendmahls aufgerichtete Tisch muss diesem Grundsatz der Einheit des Leibes entsprechen.
Um am Abendmahl teil zu haben, muss man nicht allein bekehrt, sondern auch mit dem Heiligen Geist versiegelt sein; „denn in einen Geist sind wir alle zu einem Leib getauft“ (1. Kor 12,13).
Bevor wir jedoch auf die Einsetzung dieses Gedächtnismahles des Todes des Herrn näher eingehen, möchten Wir die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Heiligkeit und Vollkommenheit des Herrn als Mensch hienieden lenken. Er hat die menschliche Natur angenommen, um für uns sterben zu können. Er war ein wirklicher Mensch, und dies ist von der höchsten Wichtigkeit. Ohne Zweifel war Er der Sohn Gottes, ja Er war Gott selbst, aber Er war auch wirklicher Mensch hienieden. Indes blieb Er als solcher ganz und gar allein bis nach seinem Tod und seiner Auferstehung; erst dann hatte Er Brüder, und zwar kraft der Erlösung, welche Er für sie am Kreuz vollbracht hat. Er war der zweite Mensch, der letzte Adam, welcher an der gefallenen Natur des Ersten nach keiner Seite hin und in keiner Weise teilhaben durfte, noch konnte. Denn was ist sein Ursprung als Mensch? „Der Heilige Geist wird über dich kommen“, so sagte der Engel zu Maria, „und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden“ (Lk 1,35). Er war also selbst hinsichtlich des Fleisches geboren aus dem Heiligen Geist, ohne Sünde. Er hat an Fleisch und Blut teilgenommen (Heb 2,14), aber Er war das Gegenbild des in 3. Mose 2 beschriebenen Speisopfers, ohne Sauerteig, mit Öl gemengt. „Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch; und was aus dem Geist geboren ist, ist Geist“ (Joh 3,6). So ist der Herr, selbst hinsichtlich des Fleisches, im Schoß der Jungfrau, aus dem Geist geboren; Er war also ein Mensch aus dem Geist. Deshalb öffnet sich auch der Himmel über einem solchen Menschen (Mt 3); der Geist kommt auf Ihn hernieder, und der Vater verkündigt, dass dieser Mensch sein geliebter Sohn sei, an dem Er Wohlgefallen gefunden habe. Zum ersten Mal begegnen wir einem Menschen auf der Erde, welcher als solcher ein Gegenstand des Wohlgefallens des Himmels ist. – Er ist gerechtfertigt worden im Geist (1. Tim 3,16). Seine Werke, seine Worte, alles in Ihm war der Beweis seines Ursprungs, als eines Menschen aus dem Geist. So hat sein Leben seinen Ursprung gerechtfertigt, ebenso wie das Leben des natürlichen Menschen dessen Ursprung als Sünder beweist. – In Hebräer 9,14 wird von Christus gesagt, dass Er durch den ewigen Geist sich selbst ohne Flecken Gott geopfert hat. Sein ganzes Leben war ein Speisopfer, ein Feueropfer lieblichen Geruchs dem Jehova, und sein Tod zugleich ein Sündopfer und ein Brandopfer. „Er hat sich selbst für uns hingegeben als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch“ (Eph 5,2). Deshalb, wenn Er durch die Gnade für uns in den Tod ging, so tat Er es als der Heilige Gottes. „Du wirst deinen Heiligen nicht hingeben, Verwesung zu sehen“ (Apg 2,27.31). Denn so wenig Er in irgendwelcher Weise an der gefallenen Natur Adams teilhaben konnte, als Er von der Jungfrau geboren wurde, ebenso wenig konnte Er teil daran haben, als Er im Grab lag; und seine Auferstehung war der Beweis dessen, was Er war: „Er ist als Sohn Gottes in Kraft erwiesen, dem Geist der Heiligkeit nach, durch Totenauferstehung“ (Röm 1,4).
Dieses Geheimnis der Person des Sohnes Gottes war so groß, dass, wie Er selbst sagt, niemand Ihn kannte, als nur der Vater (Mt 11,27). Niemand kann die Vereinigung der Gottheit und der Menschheit in dieser heiligen Person, „Gott offenbart im Fleisch“, verstehen; es ist eine unergründliche Herrlichkeit, die Gott allein kennt. Der Mensch dieser Welt spottet darüber, aber der Christ betet an!
Es ist den Menschen gestattet worden, diese anbetungswürdige Person im Garten Gethsemane zu binden, zum Hohn mit Purpurmantel und Dornenkrone umher zu führen, zu schlagen und endlich ans Kreuz zu nageln, wo sie öffentlich dem Spott preisgegeben wurde, „damit Er durch Gottes Gnade für alles den Tod schmeckte“ (Heb 2,9). (Schluss folgt)