Botschafter des Heils in Christo 1883

Bruchstücke

Wenn ein Gläubiger in Sorglosigkeit und Gleichgültigkeit wandelt, so verändert dies zwar nicht seine Stellung vor Gott, noch benimmt es ihm sein Anrecht an dieselbe, aber es bringt ihm einen großen, unersetzlichen Verlust, indem es ihn des Genusses dieser Stellung und der Gemeinschaft mit Gott beraubt. Und ich glaube, dies ist einer der Gründe, weshalb so viele Gläubige immer wieder und wieder von der Hinwegnahme ihrer Sünden zu hören begehren. Gerade weil sie nicht treu sind in ihrem Wandel, kommen sie nie zu wahrer Ruhe. Ihr Gewissen verklagt sie, und sie fühlen immer von neuem das Bedürfnis, zu hören, dass Gott unserer Sünden und Übertretungen nie mehr gedenken will. Der Gedanke an den „heiligen“ Gott hat für sie stets etwas Beängstigendes. Sie haben keine Freimütigkeit zu diesem Gott, noch fühlen sie sich glücklich in dem Licht seiner Gegenwart. Sie kommen selten zu dem Genuss ihrer wahren Stellung vor Gott, da ihr praktischer Zustand dieser Stellung nicht entspricht.

Die Kraft Gottes ist gerade passend für die Schwachheit des Gläubigen, und umgekehrt, die Schwachheit des Gläubigen gerade passend für die Kraft Gottes. So passen wir einer zum anderen.

Alles, was wir hienieden tun, ist stets in Übereinstimmung mit dem Zustand, in welchem wir uns augenblicklich befinden, nicht aber immer in Übereinstimmung mit unserer Stellung. Es ist für uns, die wir etwas von unserer Stellung verstanden haben, Gefahr vorhanden, dass wir unseren Zustand übersehen. Wir sind beunruhigt, bis wir unsere Stellung kennen; eine größere oder geringere Gesetzlichkeit ist solange in uns wirksam, bis wir diese Stellung erkannt und eingenommen haben. Einer Seele, die sie zuerst kennen lernt, ist es gerade so zu Mut, als wenn die Sonne aufginge nach einer finsteren Nacht. Aber wenn eine solche Seele dabeistehen bleibt, so wird sie sicher über kurz oder lang Rückschritte machen. Wie mancher Gläubiger hat sich unaussprechlich gefreut, als er seine wunderbare Stellung in Christus vor Gott kennen lernte, aber wie bald hat er diese Freude wieder verloren, weil er nicht wachsam genug gewesen ist, einen dieser Stellung entsprechenden Zustand zu bewahren! Die Stellung ist unser ohne jede Anstrengung von unserer Seite, aber die Bewahrung eines entsprechenden Zustandes erfordert stete Wachsamkeit, unaufhörliches Gebet, unermüdlichen Kampf. Unser Zustand muss sowohl der Heiligkeit des Gottes entsprechen, mit dem wir es zu tun haben, als auch passend sein, um dem Bösen in diesem gegenwärtigen Zeitlauf in der rechten Weise zu begegnen. Je mehr er ein solcher ist, desto mehr sind wir fähig, zu handeln nach der Kraft, die in uns wirkt.

Unser Pfad durch die Wüste ist mit zahllosen Gnadenerweisungen Gottes bestreut, und doch braucht nur eine Wolke von der Größe einer Hand am Horizont aufzusteigen, um uns jene reichen Segnungen mit einem Mal vergessen zu lassen. Und wie oft zeigt es sich am Ende, dass gerade diese Wolke, vor der wir uns so sehr fürchteten, nichts als Segen über uns ausgegossen hat.

Nichts entehrt Gott mehr, als die Offenbarung eines klagenden Geistes von Seiten derer, die Ihm angehören.

Es erfordert einen himmlischen Geschmack, um sich stets von „dem Brot aus dem Himmel“ zu nähren. Die Natur kann an einer solchen Nahrung keinen Geschmack finden. Sie wird sich immer wieder nach Ägypten zurücksehnen, und deshalb muss sie im Tod gehalten werden.

Das Manna war so rein und zart, dass es keine Berührung mit der Erde vertragen konnte. Es fiel auf den Tau und musste gesammelt werden (vgl. 4. Mo 11,9), ehe die Sonne aufging. Ein jeder Israelit musste daher früh aufstehen und seine tägliche Portion einsammeln. Ebenso ist es jetzt mit dem Volk Gottes. Das himmlische Manna muss jeden Morgen frisch gesammelt werden. Das Manna von gestern genügt nicht für heute, noch das heutige für morgen. Wir müssen uns Tag für Tag von Christus nähren, mit immer neuer geistlicher Energie; anders werden wir aufhören zu wachsen. Das neue Leben in dem Gläubigen kann nur durch Christus genährt und erhalten werden. Und wenn ich mit Gott durch die Wüste wandle, so werde ich völlig mit der Nahrung zufrieden sein, die Er mir darreicht; und diese Nahrung ist Christus.

Es ist höchst beklagenswert, Christen zu finden, die nach den Dingen dieser Welt trachten. Es beweist nur zu klar, dass sie des himmlischen – Mannas überdrüssig geworden sind und es als eine „lose Speise“ betrachten. Sie dienen dem, was sie töten sollten.

Gerade so wie im natürlichen Leben der Hunger in demselben Maße zunimmt, wie die Kräfte des Körpers angestrengt werden, ebenso fühlen wir im geistlichen Leben umso mehr das Bedürfnis, uns jeden Tag von Christus zu nähren, je mehr unsere erneuerten Fähigkeiten und Kräfte in Ausübung kommen.

Zu wissen, dass wir Leben haben in Christus, verbunden mit einer vollkommenen Vergebung und Annahme vor Gott, ist eine Sache; aber eine ganz andere ist es, in täglicher, praktischer Gemeinschaft mit Ihm zu sein. Sehr viele bekennen, Vergebung und Frieden in Jesu gefunden zu haben, während sie sich in Wirklichkeit von allerlei Dingen nähren, die in gar keiner Verbindung mit Ihm stehen.

Das Verhalten eines Menschen zeigt stets am getreuesten seine Wünsche und Absichten an. Wenn ich daher einem Christen begegne, der seine Bibel vernachlässigt, während er Zeit genug findet, Zeitungen und andere weltliche Schriften zu lesen, so kann ich in meinem Urteil über ihn nicht im Unklaren sein. Ich kann ruhig sagen, dass er ungeistlich ist, dass er sich nicht von Christus nährt, nicht für Ihn lebt, noch für Ihn zeugt.

Man hört oft Personen, sei es im Gebet oder bei anderen Gelegenheiten, hohe Bekenntnisse machen und Ausdrücke der tiefsten Hingebung äußeren, während in der Stunde der Prüfung nicht die nötige geistliche Kraft vorhanden ist, um das auszuführen, was die Lippen geredet haben.

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