Botschafter des Heils in Christo 1883

Die Bibel - das Buch Gottes

1 Die Bibel ist das Buch aller Zeitalter. Sie ist das Buch Gottes, seine vollkommene Offenbarung. Seine eigene Stimme spricht zu einem jeden von uns. Sie ist ein Buch für alle Zeiten, für alle Länder, für alle Klassen von Menschen, hoch und niedrig, reich und arm, gelehrt und ungelehrt, alt und jung. Sie redet eine so einfache Sprache, dass ein Kind sie verstehen kann, und doch wieder so tief, dass der schärfste Verstand sie nicht zu ergründen vermag. Zudem spricht sie unmittelbar zu dem Herzen; sie dringt hinab bis zu den verborgensten Quellen unserer Gedanken und Gefühle und ergründet die geheimsten Winkel unseres moralischen seins – sie richtet und beurteilt uns durch und durch. Kurz, das Wort Gottes ist, wie der inspirierte Apostel sagt, „lebendig und wirksam und schärfer, denn jegliches zweischneidige Schwert, und durchdringend bis zur Zerteilung der Seele und des Geistes, sowohl der Gelenke, als des Markes, und ein Richter der Gedanken und Gesinnungen des Herzens“ (Heb 4,12).

Auch muss es unsere Bewunderung erregen, wie allumfassend dieses Buch ist. Es behandelt die Gewohnheiten und Gebräuche, die Sitten und Grundsätze des neunzehnten Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung mit derselben Bestimmtheit und Schärfe, wie diejenigen der frühesten Periode des menschlichen Daseins. Es entfaltet eine vollkommene Bekanntschaft mit dem Menschen in jedem Abschnitt seiner Geschichte. Das London oder Paris von heute finden ihr Spiegelbild mit derselben Treue und Genauigkeit auf den Blättern der Heiligen Schriften, wie das Tyrus vor dreitausend Jahren. Wir sehen in diesem wunderbaren Buch, welches Gott uns so gnädig zu unserer Unterweisung gegeben hat, das Bild der menschlichen Geschichte, auf jeder Stufe ihrer Entwicklung, von einer Meisterhand gezeichnet.

Welch ein Vorrecht, ein solches Buch zu besitzen, eine göttliche Offenbarung in unseren Händen zu halten, Zugang zu haben zu einem Buch, von welchem jede Zeile durch göttliche Inspiration eingegeben ist, eine göttliche Schilderung der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu besitzen! Wer könnte ein solches Vorrecht genügend schätzen?

Doch wie gesagt, dieses Buch richtet den Menschen, richtet seine Wege, beurteilt die Gedanken und Überlegungen seines Herzens. Es sagt ihm die Wahrheit über sich selbst. Deshalb liebt der Mensch das Buch Gottes nicht. Er zieht eine Zeitung oder eine spannend geschriebene Erzählung der Bibel weit vor. Er liest noch lieber einen Bericht über irgendeine interessante Gerichtsverhandlung, als ein Kapitel aus dem Neuen Testament. Daher auch seine fortwährenden Anstrengungen, Gottes gesegnetes Buch von dem Platz zu stoßen, den es behauptet. Ungläubige aller Zeiten und aller Stände haben sich die größte Mühe gegeben, Fehler und Widersprüche in der Heiligen Schrift zu entdecken. Die entschiedenen Feinde des Wortes Gottes finden sich nicht nur in den Reihen der Ungebildeten oder sittlich Verkommenen, sondern auch unter den Gelehrten, den Gebildeten und Wohlerzogenen. Es ist heute nicht anders, wie zu den Zeiten der Apostel. So wie damals „gewisse böse Männer vom Gassenpöbel“ und „anbetende und vornehme Weiber und die Ersten der Stadt“ – zwei in gesellschaftlicher wie in sittlicher Hinsicht einander so ferne stehende Klassen – in der Verwerfung des Wortes Gottes und derer, die es predigten (Apg 13,50; 17,5), eine Sache fanden, in welcher sie im Grund des Herzens übereinstimmen konnten, so erfahren wir auch heute, dass die Menschen, mögen sie sich in allem anderen noch so fernstehen, sofort einig sind, wenn es sich um den Widerspruch gegen die Bibel handelt. Um andere Bücher kümmert man sich wenig. Niemand denkt daran, in Virgil, Horaz, Homer oder Herodot 2 nach Fehlern und Widersprüchen zu suchen; nur die Bibel kann der Mensch nicht unbehelligt lassen, weil sie ihm die Wahrheit sagt über sich selbst und über die Welt, zu der er gehört.

Und war es nicht genauso mit dem lebendigen Wort, dem Sohn Gottes, dem Herrn Jesus selbst, als Er hienieden unter den Menschen wandelte? Sie hassten Ihn, weil Er ihnen die Wahrheit sagte. Sein Dienst, seine Worte, seine Wege, sein ganzes Leben war ein beständiges Zeugnis gegen die Welt; daher ihr bitterer und beharrlicher Widerspruch. Alle anderen Menschen konnten unbehindert ihres Weges Ziehen; Er aber wurde auf Schritt und Tritt bewacht und belauert. Die Führer und Leiter des Volkes „suchten Ihn in seiner Rede zu fangen“; sie suchten eine Gelegenheit, um Ihn der weltlichen Macht überliefern zu können. So war es während seines ganzen Lebens. Und als es endlich dem menschlichen Hasse gelungen war, den Herrn der Herrlichkeit ans Kreuz zu bringen, Ihn zwischen zwei Mördern ans Fluchholz zu nageln, waren es nicht diese, auf welche die Schmähungen der Vorübergehenden gehäuft wurden. Für sie, die wegen ihrer Schandtaten Schmach und Spott verdient hatten, gab es hie und da vielleicht noch einen mitleidigen Blick, ein bedauerndes Achselzucken. Wenigstens dachten die Hohepriester und Schriftgelehrten nicht daran, in grausamem Spott über sie ihre Häupter zu schütteln. O nein; alle Beschimpfung, aller Spott, aller Hohn und alle Herzlosigkeit galten dem, der an dem mittleren Kreuz hing, dem reinen, fleckenlosen Lamm Gottes.

Doch was ist die wirkliche und eigentliche Quelle alles Widerspruches gegen das Wort Gottes, sowohl gegen das lebendige als auch gegen das geschriebene Wort? Es ist gut, dies zu verstehen; es wird uns befähigen, diesen Widerspruch nach seinem wahren Werte zu schätzen. Der Teufel hasst das Wort Gottes, und zwar mit einem vollkommenen Hass; er benutzt daher die Gelehrsamkeit jener Ungläubigen, indem er durch sie Bücher schreiben lässt, welche beweisen sollen, dass die Bibel nicht Gottes Wort ist, dass sie es nicht sein kann, weil es Irrtümer und Widersprüche in ihr gibt. Und nicht allein das; jene Gelehrten behaupten auch, dass wir im Alten Testament Gesetze und Verordnungen, Gewohnheiten und Gebräuche finden, die eines gnädigen und wohlwollenden Wesens ganz und gar unwürdig sind.

Auf alle Beweisführungen dieser Art haben wir nur eine kurze und bestimmte Antwort; von allen diesen ungläubigen Gelehrten sagen wir einfach: Sie wissen und verstehen nichts, absolut nichts von der ganzen Sache. Sie mögen gelehrt, befähigt und Wohl bewandert sein in der allgemeinen Literatur, sie mögen ein richtiges Urteil über irgendeinen Gegenstand auf dem Gebiet der natürlichen und moralischen Philosophie fällen können und im Stande sein, tief und selbständig zu denken, sowie wissenschaftliche Fragen jeder Art genau zu untersuchen. Sie mögen ferner liebenswürdig im Umgang, von ehrenwertem Charakter, gütig, wohlwollend, menschenfreundlich, beliebt und geachtet im öffentlichen Leben sein. Alles das ist möglich; aber wenn sie unbekehrt sind und der Geist Gottes nicht in ihnen wohnt, so sind sie völlig unfähig, sich über das Wort Gottes ein Urteil zu bilden, und noch unfähiger, ein solches abzugeben. Was würde man von einem Menschen denken, der, völlig unbekannt mit der astronomischen Wissenschaft, sich anmaßen wollte, über die Grundsätze des kopernikanischen Systems zu Gericht zu sitzen? Würde man ihm nicht einstimmig sagen, er sei völlig unfähig, über einen solchen Gegenstand zu urteilen, und verdiene nicht, angehört zu werden? Es ist ein allgemein anerkannter Grundsatz, dass niemand das Recht hat, ein Urteil über einen Gegenstand zu fällen, mit dem er gänzlich unbekannt ist; und wir handeln nur gerecht, wenn wir diesen Grundsatz auf den vorliegenden Fall anwenden.

Nun sagt aber der inspirierte Apostel in seinem ersten Brief an die Korinther, dass „der natürliche Mensch nicht annimmt, was des Geistes Gottes ist, denn es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen, denn es wird geistlich beurteilt.“ Das ist entscheidend. Paulus spricht von dem Menschen in seinem natürlichen Zustand, sei er noch so gelehrt oder gebildet. Er spricht nicht von einer bestimmten Klasse von Menschen, nicht von einem in grobe Unwissenheit versunkenen Barbaren, sondern einfach von dem Menschen in seinem unbekehrten Zustand, ohne den Geist Gottes, er spricht von dem „natürlichen Menschen“, mager nun ein gelehrter Philosoph oder ein unwissender Bauer sein. „Er kann nicht erkennen, was des Geistes ist.“ Wie kann ein solcher Mensch es mm wagen, zu beurteilen, was Gottes würdig und was seiner unwürdig ist? Wie kann er ein Urteil fällen über das Wort Gottes, wie zu Gericht sitzen über Gott selbst? Und wenn er dennoch kühn genug ist, dies zu tun – leider ist er es ja! – wer wird so töricht sein, auf ihn zu hören? Seine Beweise sind grundlos, seine Meinungen und Behauptungen wertlos, seine Bücher nur passend für den Papierkorb. Und alles dies, ich wiederhole es, nach dem eben angeführten Grundsatz, dass keiner Ansprüche machen kann, in einer Sache gehört zu werden, über die er völlig unwissend ist.

So und nicht anders können wir den ganzen Schwarm der ungläubigen Schriftsteller betrachten. Wer wollte nur daran denken, einem blinden Mann ein Urteil über Licht und Schatten zuzutrauen? Und dennoch hat ein solcher Mann noch weit mehr Anspruch auf das Recht, gehört zu werden, als ein unbekehrter Mensch, der über das Wort Gottes und über göttliche Inspiration abzuurteilen wagt. Menschliche Gelehrsamkeit und menschliche Weisheit, so umfassend und tief sie auch sein mögen, können einen Menschen nicht befähigen, sich ein Urteil über Gottes Wort zu bilden. Ein Gelehrter kann ohne Zweifel, wenn es sich einfach um Kritik in Bezug auf den Text handelt, die alten Handschriften der Bibel prüfen und vergleichen; er kann sogar sehr fähig sein, sich ein Urteil über die richtige oder unrichtige Lesart einer besonderen Stelle zu bilden; allein das ist etwas ganz anderes, als wenn ein ungläubiger Schriftsteller es unternimmt, die göttliche Offenbarung selbst zu beurteilen, welche uns Gott in seiner unendlichen Güte gegeben hat. Wir behaupten, dass kein Mensch dies zu tun vermag. Die Heiligen Schriften können allein durch den Heiligen Geist verstanden und gewürdigt werden, durch denselben Geist, der sie eingegeben hat. Das Wort Gottes muss auf seine eigene Autoritär hin aufgenommen werden. Wenn der Mensch es mit seiner Vernunft beurteilen könnte, dann wäre es nicht mehr Gottes Wort. Hat uns Gott eine Offenbarung gegeben oder nicht? Wenn Er es getan hat, so muss diese Offenbarung auch in jeder Hinsicht unbedingt vollkommen sein und als solche gänzlich über dem Bereich menschlicher Beurteilung stehen. Der Mensch ist ebenso wenig befugt, die Schrift zu beurteilen, als über Gott selbst zu Gericht zu sitzen. Die Schrift beurteilt den Menschen, nicht der Mensch die Schrift.

Nichts verdient unsere Verachtung mehr, als jene Bücher, welche von Ungläubigen gegen die Bibel geschrieben werden. Jede Seite, jeder Abschnitt, ja jeder Satz beweist die Wahrheit der Worte des Apostels: „Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist, denn es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen, denn es wird geistlich beurteilt“, ihre grobe Unwissenheit über den Gegenstand, mit welchem sie sich zu beschäftigen unterfangen, hält nur gleichen Schritt mit ihrer Dreistigkeit und ihrem Selbstvertrauen. Von ihrer Geringschätzung der Bibel wollen wir schweigen; denn wer würde in den Schriften von Ungläubigen nach Ehrfurcht vor dem Wort Gottes suchen? Ein wenig mehr Bescheidenheit dürften wir vielleicht erwarten; aber wir wissen ja wohl, welch ein Geist bitterer Feindschaft alle diese Schriften hervorruft und durchweht und sie unserer Beachtung völlig unwürdig macht. Andere Bücher unterzieht man einer unbefangenen, ruhigen Prüfung; aber an das kostbare Buch Gottes tritt man stets mit der Voraussetzung heran, dass es keine göttliche Offenbarung ist, weil die Ungläubigen sagen, dass Gott uns keine geschriebene Offenbarung seiner Gedanken geben könne.

Wie sonderbar! Der Mensch kann dem Anderen seine Gedanken mitteilen, und die Ungläubigen haben es in ihren Büchern so klar und deutlich getan; aber Gott kann es nicht. Welch eine Torheit! Welch eine Vermessenheit! Wir dürfen mit allem Recht fragen: Warum kann Gott seine Gedanken seinen Geschöpfen nicht mitteilen? Warum soll das unglaublich, ein Ding der Unmöglichkeit sein? Es gibt keinen anderen Grund dafür, als dass es die Ungläubigen einmal so haben wollen. In diesem Fall ist sicher der Wunsch der Vater des Gedankens. Schon vor ungefähr sechstausend Jahren ist durch die alte Schlange im Garten Eden die Frage aufgeworfen und durch alle Jahrhunderte hindurch von allen Zweiflern, Vernunftgläubigen und Ungläubigen wiederholt worden: „Ist es wirklich so, dass Gott gesagt hat?“ Wir erwidern mit inniger Freude und Wonne: Ja! Gepriesen sei sein heiliger Name! Er hat gesprochen – gesprochen zu uns! Er hat uns seine Gedanken offenbart; Er hat uns sein Wort, die Heiligen Schriften, gegeben. „Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nütze zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu allem guten Werk völlig geschickt“ (2. Tim 3,16–17). „Denn alles, was zuvor geschrieben ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, auf dass wir durch das Ausharren und durch die Ermunterung der Schriften die Hoffnung haben“ (Röm 15,4).

Der Herr sei gepriesen für solche Worte! Sie versichern uns, dass alle Schrift von Gott eingegeben und uns geschenkt ist. Welch eine kostbare, gesegnete Verbindung zwischen der Seele und Gott! Welche Zunge vermöchte den Wert derselben auszusprechen? Gott hat gesprochen – zu uns gesprochen. Das Wort Gottes ist ein Fels, an welchem alle die Wogen ungläubiger Meinungen und Lehren machtlos zerschellen; sie vermögen seine göttliche Kraft und ewige Dauer nicht zu erschüttern. Durch nichts kann das Wort Gottes angetastet werden. Die vereinigten Mächte der Erde und der Hölle, der Menschen und der Teufel, vermögen nimmermehr das Wort des lebendigen Gottes umzustoßen. Es steht da in der ihm eigentümlichen, moralischen Herrlichkeit und Macht von Zeitalter zu Zeitalter, trotz aller Angriffe seiner zahlreichen Feinde. „In Ewigkeit, o Jehova, steht fest dein Wort in den Himmeln.“ „Du hast dein Wort herrlich gemacht wie deinen Namen.“ Was bleibt für uns zu tun übrig? Nur das Eine: „Dein Wort habe ich bewahrt in meinem Herzen, dass ich nicht sündige wider dich.“ Darin liegt das tiefe Geheimnis des Friedens. Das Herz ist verbunden mit dem Thron, ja mit dem Herzen Gottes selbst, mittels des kostbaren Wortes, und ist dadurch im Besitz eines Friedens, welchen die Welt weder geben noch nehmen kann. Was können alle die Meinungen, Vernünfteleien und Beweise der Ungläubigen bewirken? Nichts. Sie sind gleich dem Staub der Dreschtenne des Sommers. Für den, der durch die Gnade wirklich gelernt hat, auf das Wort Gottes zu vertrauen, auf der Autorität der Heiligen Schrift zu ruhen, für einen solchen sind alle Bücher der Ungläubigen, so viele je geschrieben wurden, völlig wert– und kraftlos; sie Zeigen ihm nur die Unwissenheit und schreckliche Anmaßung ihrer Schreiber. Aber das Wort Gottes werden sie lassen, wo es immer gewesen ist und in Ewigkeit sein wird, „festgesetzt in den Himmeln“, so unerschütterlich wie der Thron Gottes selbst. 3 So wenig die Angriffe der Ungläubigen den Thron Gottes zu erschüttern vermögen, ebenso wenig können sie sein Wort erschüttern, und ebenso wenig, gepriesen sei sein Name! vermögen sie den Frieden anzutasten, der ein jedes Herz erfüllt, welches auf dieser ewig feststehenden Grundlage ruht. „Große Wohlfahrt haben die, die dein Gesetz lieben, und keinen Anstoß gibt es für sie“ (Ps 119,165). „Das Wort unseres Gottes besteht in Ewigkeit“ (Jes 40,8). „Alles Fleisch ist wie Gras, und alle seine Herrlichkeit wie die Blume des Grases. Das Gras ist verdorrt, und seine Blume ist abgefallen; aber das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit. Dies aber ist das Wort, das euch verkündigt worden ist“ (1. Pet 1,24–25).

Hier haben wir wieder dasselbe kostbare Band. Das Wort Gottes, welches uns in der Form einer guten Botschaft erreicht hat, ist das Wort des Herrn, welches „bleibt in Ewigkeit“, und daher sind unsere Errettung und unser Friede ebenso fest gegründet, als das Wort selbst, auf welchem sie ruhen. Wenn alles Fleisch wie Gras ist und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blume, was sind dann die sämtlichen Beweise der Ungläubigen wert? Sie sind wertloser als verdorrtes Gras oder eine verwelkte Blume, und wer sie aufstellt oder sich durch sie beeinflussen und leiten lässt, wird ihre völlige Wertlosigkeit früher oder später erkennen müssen. O welch eine sündhafte Torheit ist es, zu streiten Wider das Wort unseres Gottes – zu streiten wider das Einzige, was in dieser Welt dem armen, müden Menschenherzen Trost und Ruhe geben kann, was armen, verlorenen Sündern die frohe Botschaft der Errettung bringt, unmittelbar von dem Herzen Gottes hinweg!

Vielleicht ist es hier am Platz, einer oft aufgeworfenen Frage zu begegnen, welche schon viele beunruhigt hat und zu der Tausende ihre Zuflucht nehmen; es ist die Frage von der „Autorität der Kirche.“ Eigentlich lautet die Frage so: „Wie können wir wissen, dass das Buch, welches wir die Bibel nennen, Gottes Wort ist?“ Unsere Antwort hierauf ist einfach; sie lautet: Der, welcher uns in seiner Gnade dieses gesegnete Buch geschenkt hat, kann uns auch allein die Gewissheit geben, dass es von Ihm ist. Derselbe Geist, welcher die verschiedenen Schreiber der Heiligen Schriften inspiriert hat, kann heute noch in uns die Erkenntnis bewirken, dass diese Schriften wirklich die Stimme Gottes sind, die zu uns redet. Diese Erkenntnis kann aber auch nur durch den Heiligen Geist hervorgebracht werden, wie wir bereits gesehen haben: „Der natürliche Mensch nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist, denn es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen, denn es wird geistlich beurteilt.“ Wenn der Heilige Geist uns nicht die Erkenntnis und die Gewissheit gibt, dass die Bibel Gottes Wort ist, so ist überhaupt keine Gewissheit zu erlangen; denn kein Mensch, noch irgendeine menschliche Körperschaft vermag sie uns zu verschaffen; und andererseits, wenn Er sie uns gegeben hat, so bedürfen wir sicherlich keines menschlichen Zeugnisses mehr.

Wenn über dieser großen Frage auch nur ein Schatten von Ungewissheit läge, es wäre für uns die größte Qual, das größte Unglück. Doch wer kann uns Gewissheit geben? Gott allein. Wenn alle Menschen auf der Erde eins wären in ihrem Zeugnis über die Autorität der Heiligen Schriften; wenn alle Kirchenversammlungen, die je abgehalten wurden, alle Lehrer, die je gelehrt, alle Väter, die je geschrieben haben, der Lehre von der Inspiration ihre Zustimmung gegeben hätten; wenn die ganze Kirche, wenn alle Parteien in der Christenheit die Wahrheit bestätigten, dass die Bibel in der Tat Gottes Wort sei; mit einem Wort, wenn wir alle erdenkliche menschliche Autorität für die Echtheit des Wortes Gottes besäßen – es würde uns dies alles keinen festen Grund der Gewissheit geben: wenn unser Glaube auf einer solchen Autorität ruhte, so wäre er völlig wertlos. Gott allein kann uns die Gewissheit geben, dass Er gesprochen hat; und, gepriesen sei sein Name! wenn Er sie gibt, dann sind alle die Beweise, alle die Vernunftgründe, alle die Untersuchungen der alten und neuen Ungläubigen gleich dem Schaum auf den Wogen des Meeres. Der wahre Gläubige verwirft alles dieses als ebenso viel wertlosen Auskehricht und ruht in heiligem Seelenfrieden auf der unvergleichlichen Offenbarung, welche unser Gott uns gegeben hat.

Es ist von der höchsten Wichtigkeit, dieser Frage gegenüber durchaus klar und bestimmt zu sein, um einerseits vor den Einflüssen des Unglaubens, und andererseits vor den Verirrungen des Aberglaubens bewahrt zu bleiben. Der Unglaube erkühnt sich, zu sagen, Gott habe uns keine schriftliche Offenbarung seiner Gedanken gegeben, habe sie nicht geben können; der Aberglaube behauptet, Gott habe zwar eine solche Offenbarung gegeben, aber man könne dies ohne eine menschliche Autorität nicht gewiss wissen, noch auch die Offenbarung ohne menschliche Auslegung verstehen. Es liegt auf der Hand, dass uns beide in gleicher Weise die kostbare Gabe des Wortes rauben wollen. Und das ist gerade das Ziel, welches Satan verfolgt. Er wünscht uns des Wortes Gottes zu berauben; und er kann diesen Zweck ebenso gut durch den Aberglauben erreichen, der demütig und ehrerbietig weise und gelehrte Menschen als Autoritäten anerkennt, als durch den Unglauben, welcher alle göttliche und menschliche Autorität frech verwirft.

Nehmen wir ein Beispiel an. Ein Vater schreibt an seinen in Kanton weilenden Sohn einen Brief voll der zärtlichsten Ausdrücke der Liebe eines Vaterherzens. Er erzählt ihm von seinen Plänen und Einrichtungen; er schreibt ihm alles, wovon er glaubt, dass es das Herz des Sohnes interessieren könnte, alles, was die Liebe eines Vaterherzens nur zu ersinnen vermag. Der Sohn fragt bei dem Postamt in Kanton an, ob nicht ein Brief von seinem Vater für ihn angekommen sei. Einer der Postbeamten antwortet ihm, es sei kein Brief da, sein Vater habe nicht geschrieben, er könne gar nicht schreiben, könne überhaupt durch ein solches Mittel seine Gedanken nicht mitteilen; es sei eine Torheit von ihm, so etwas nur zu glauben. In demselben Augenblick tritt ein anderer Postbeamter an den Schalter und sagt: „Ja, es ist doch ein Brief für Sie da, aber Sie können ihn unmöglich verstehen; er ist ganz und gar nutzlos für Sie, da Sie unfähig sind, ihn richtig zu lesen. Sie müssen ihn daher in unseren Händen lassen, und wir werden einige Stellen, die wir für Sie passend halten, aus demselben aussuchen und Ihnen den Inhalt erklären.“ Der Erste dieser Beamten stellt den Unglauben, der Zweite den Aberglauben vor. Beide wollen den Sohn des lang ersehnten Briefes, der kostbaren Mitteilungen des Vaterherzens berauben. Doch was würde der Sohn jenen Beamten erwidern? Seine Antwort würde sicher sehr kurz und bestimmt lauten. Er würde dem Ersten sagen: „Ich weiß, dass mein Vater mir seine Gedanken durch einen Brief mitteilen kann, und dass er es getan hat.“ Und dem Zweiten würde er antworten: „Ich weiß, dass mein Vater mir seine Gedanken viel besser verständlich machen kann, als ihr es zu tun vermögt. Deshalb gebt mir sofort den Brief meines Vaters heraus! Er ist an mich adressiert, und niemand hat ein Recht, mir denselben vorzuenthalten.“

Ebenso entschieden wird der einfältige Christ der Anmaßung des Unglaubens und der Unwissenheit des Aberglaubens entgegentreten und diese beiden besonderen Werkzeuge Satans in unseren Tagen zurückweisen. Er wird ihnen einfach sagen: „Mein Vater hat mir seine Gedanken mitgeteilt, und Er kann mir seine Mitteilungen allein verständlich machen.“ „Alle Schrift ist von Gott eingegeben.“ Und „alles, was zuvor geschrieben ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben.“ Gott sei Dank, dass Er uns diese herrliche Antwort für jeden Feind seines unvergleichlichen und kostbaren Wortes gegeben hat!

Nie hat es in der Geschichte der Kirche eine Zeit gegeben, in welcher es dringender geboten gewesen wäre, dem Gewissen des Menschen die Notwendigkeit eines unbedingten Gehorsams unter das Wort Gottes vorzustellen, als gerade jetzt. Leider wird das so wenig gefühlt! Der größte Teil der bekennenden Christen scheint es als ein Recht zu betrachten, den eigenen Gedanken, der eigenen Vernunft, dem eigenen Urteil oder dem eigenen Gewissen zu folgen. Man glaubt nicht mehr, dass die Bibel ein göttliches und in allen Einzelheiten des Lebens leitendes Buch ist. Man denkt, es gebe viele Dinge, in welchen man seiner eigenen Entscheidung folgen müsse. Daher die zahllosen Sekten, Parteien, Glaubensbekenntnisse und Richtungen. Wenn menschliche Meinungen überhaupt anerkannt werben, dann hat selbstverständlich der Eine so gut ein Recht, der seinigen zu folgen, als der Andere; und so ist es gekommen, dass die bekennende Kirche wegen ihrer Zersplitterung zu einem Sprichwort geworden ist.

Und welches ist das einzige, wirksame Mittel gegen diese allgemein verbreitete Krankheit? Es ist, wie schon oben gesagt, eine absolute und vollständige Unterwerfung unter die Autorität der Heiligen Schrift. Nicht dass der Mensch an das Wort Gottes herantreten sollte, um seine Meinungen und seine Ansichten darin bestätigt zu finden, sondern er sollte es lesen mit der Absicht, die Gedanken Gottes über alle Dinge zu erfahren, und er sollte sein ganzes moralisches sein unter die göttliche Autorität des Wortes beugen. Eine ehrerbietige Unterwerfung unter die Autorität des Wortes Gottes ist eine dringende Notwendigkeit für die Tage, in welchen wir leben. Ohne Zweifel gibt es eine große Verschiedenheit in dem Maß unseres geistlichen Verständnisses, in der Art und Weise, wie wir die Schriften erfassen und wertschätzen. Aber was wir allen Christen dringend ans Herz legen möchten, ist jener Zustand der Seele, welcher sich in den Worten des Psalmisten ausgedrückt findet: „Dein Wort habe ich bewahrt in meinem Herzen, dass ich nicht sündige wider dich.“ Eine solche Herzensstellung ist sicherlich Gott angenehm. „Aber auf diesen will ich blicken: auf den Armen und Zerschlagenen im Geist, und der da zittert vor meinem Wort.“

Hierin liegt auch das Geheimnis unserer moralischen Sicherheit. Unsere Kenntnis der Schrift mag sehr beschränkt sein, aber wenn wir eine tiefe Ehrfurcht vor ihr hegen, werden wir dennoch vor tausend Irrtümern und Fallstricken bewahrt bleiben. Es wird dann auch ein stetes Wachstum zu bemerken sein. Wir werden wachsen in der Erkenntnis Gottes, in der Erkenntnis Christi und des geschriebenen Wortes. Wir werden mit Freude und Wonne aus den unergründlichen Tiefen des lebendigen Wortes schöpfen und durch jene grünen Auen wandern, welche eine unbegreifliche Gnade für die Herde Christi aufgeschlossen hat. Das Leben aus Gott wird auf diese Weise genährt und gekräftigt; das Wort Gottes wird unseren Seelen von Tag zu Tage köstlicher, und wir werden durch die Macht des Heiligen Geistes immer mehr in die Tiefe, Fülle, Majestät und Herrlichkeit der Heiligen Schrift eingeführt. Wir werden völlig befreit von den verdorrenden Einflüssen aller theologischen Systeme, und das ist wahrlich eine gesegnete Befreiung! Wir werden im Stande sein, den Vertretern aller theologischen Schulen, die es unter der Sonne gibt, zu sagen: Wenn ihr auch einzelne Elemente der Wahrheit in euren Systemen haben möget, so besitzen wir doch die göttliche Vollkommenheit im Wort Gottes. Wir besitzen die Aussprüche Gottes, nicht entstellt und verdreht, um sie für das eine oder andere System passend zu machen, sondern an ihrem wahren Platz in dem weiten Kreis der göttlichen Offenbarung, die ihren Mittelpunkt in der gesegneten Person unseres Herrn und Heilands Jesu Christi findet.

Es gibt in dem ganzen inspirierten Buch nicht einen einzigen unnötigen Satz, nicht eine einzige überflüssige Bemerkung, nicht einen einzigen Ausspruch, der ohne bestimmte Bedeutung und ohne direkte Anwendung wäre. Ach, würde diese kostbare Wahrheit doch völliger verstanden in diesen unseren Tagen! Es ist von der höchsten Wichtigkeit, dass das Volk des Herrn festgewurzelt und gegründet sei in der so überaus wichtigen Lehre von der göttlichen Eingebung der ganzen Heiligen Schrift. Leider hat die Entschiedenheit in Bezug auf diesen Gegenstand in der bekennenden Kirche in erschreckender Weise abgenommen. Es gehört fast zum guten Ton, die Lehre von einer unbedingten, göttlichen Inspiration verächtlich zurückzuweisen. Man redet davon als von einem überwundenen Standpunkt kindlicher Leichtgläubigkeit. Viele halten es für einen Beweis tiefer Gelehrsamkeit, hohen Verstandes und selbständigen Denkens, vermeintliche Fehler in dem kostbaren Buch Gottes aufzuspüren. Der Mensch maßt sich an, über die Bibel und damit über Gott selbst zu Gericht zu sitzen. Die Folge davon kann nichts anderes sein, als die äußerste Finsternis und Verwirrung, sowohl für jene gelehrten Doktoren selbst, als auch für diejenigen, welche so töricht sind, auf ihre Lehren zu horchen. Und was wird das Ende aller dieser Verächter des Wortes Gottes sein? Wahrlich, ein Ende mit Schrecken! Sie werden sich vor dem Richterstuhl Christi zu verantworten haben wegen der Sünde, das Wort Gottes gelästert und Hunderte und Tausende durch ihre ungläubigen Lehren irregeleitet zu haben.

Wir verweilen jedoch nicht länger bei der sündhaften Torheit jener Ungläubigen und Zweifler, noch bei ihren ohnmächtigen Anstrengungen, Schmach auf das unvergleichliche Buch zu häufen, welches durch die gnädige Fürsorge Gottes zu unserer Unterweisung geschrieben worden ist. Sie werden eines Tages ihren verhängnisvollen Irrtum erkennen müssen. Gott gebe, dass es für sie dann nicht für ewig zu spät sei! Was uns aber anbetrifft, so lasst es unsere stete Freude sein, über das Wort unseres Gottes nachzusinnen, um immer neue Schätze aus der unerschöpflichen Goldgrube zu heben und immer neue Herrlichkeiten in der göttlichen Offenbarung zu entdecken

Fußnoten

  • 1 Auszug aus der Einleitung zu den Betrachtungen über das 5. Buch Mose von C. H. M.
  • 2 Dichter und Geschichtsschreiber der alten Römer und Griechen.
  • 3 Welch eine traurige, niederdrückende Tatsache ist es, dass wir heute die bei weitem gefährlichsten ungläubigen Schriftsteller unter denen zu suchen haben, welche sich Christen nennen. Wenn man früher das Wort „ungläubig“ hörte, dachte man sogleich an einen Tom Paine oder einen Voltaire. Heute aber sind es selbst so genannte Bischöfe und Lehrer der bekennenden Kirche, welche als Feinde des Wortes Gottes auftreten und seine göttliche Autorität leugnen.
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