Betrachtungen über den Römerbrief
Botschafter des Heils in Christo 1883

Betrachtungen über den Römerbrief - Teil 7/8

Kapitel 8

„So sind Wir denn nicht Schuldner dem Fleisch, um nach dem Fleisch zu leben“ (V 12). Dasselbe hat uns in einen üblen Zustand und in eine üble Stellung gebracht; auch sind wir nicht mehr im Fleisch, sondern von demselben befreit durch die Erlösung; wir sind durch des Erlösers Tod in eine neue Stellung gebracht, wovon wir durch die Kraft des in uns wohnenden Heiligen Geistes auch das Bewusstsein haben. Die zwei Leben, die zwei Grundsätze stehen zueinander in schroffem Gegensatz, und es ist wichtig zu beachten (was schon im zweiten Kapitel als Grundsatz aufgestellt wurde), dass diese Naturen da, wo sie wirksam sind, ihre naturgemäßen Folgen hervorbringen. Ich kann das Fleisch durch den Geist überwinden. Ich habe das Recht und die Pflicht, es für tot zu halten. Aber wenn das Fleisch lebt, so bringt es den Tod hervor, und wenn ich nach dem Fleisch lebe, so ist der Tod mein Los. Die Natur und die Wirkung dieser Natur – ihre Folge – ist immer dieselbe: Gott kann mir eine neue Natur geben, und – sein Name sei dafür gepriesen! – Er gibt sie mir in Christus, und zwar in einer Weise, dass ich dadurch teil habe an der Errettung, und dass ich durch die Kraft des Geistes die alte Natur überwinden und nach dem Geist wandeln kann. Aber die Natur des Fleisches ist nicht verändert, noch auch an und für sich die Folge derselben: wenn ich nach dem Fleisch lebe, so muss ich sterben. Die Gnade erlöst, gibt mir ein neues Leben, worin ich nach dem Geist wandle und das Fleisch für tot halte, und gibt mir endlich die Herrlichkeit. Dieses neue Leben aber lebt nicht nach dem Fleisch, ja es kann nicht danach leben. Wenn ich nach dem Fleisch lebe, so sterbe ich, entfernt von Gott; denn die Frucht und der Lohn des Lebens des Fleisches ist der Tod. Wenn ich aber durch den Geist die Handlungen des Leibes töte, so lebe ich und werde für immer leben mit Gott, von dem dieses Leben meiner Seele zufließt, und dessen Geist die Kraft und der Leiter dieses Lebens ist.

Dies gibt dem Apostel Anlass, von der Stellung derer zu reden, die durch den Geist Gottes geleitet werden, und zwar zunächst von ihrem Verhältnis zu Gott. Der Geist, den sie empfangen haben, ist der Geist der Kindschaft; sie besitzen Ihn, weil sie Kinder sind. Aus diesem Verhältnis aber entspringen ausgedehnte Segnungen: wenn sie Kinder sind, so sind sie auch Erben – Erben Gottes und Miterben Christi. Indessen ist der Zustand der Kreatur, die uns hienieden umgibt, und in Sonderheit der Zustand unseres eigenen Leibes, noch nicht wiederhergestellt. Die Gesinnung des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott; gleicherweise ist auch die Freundschaft der Welt Feindschaft gegen Ihn. Die Grundsätze des Fleisches wie der Welt leisten uns Widerstand; beide sind der Knechtschaft des Verderbnisses unterworfen. Weil die Welt, welche wir zu durchpilgern haben, von Gott entfernt und unter der Herrschaft Satans ist, so gibt sie uns zahllose Quellen der Trauer und des Schmerzes. Der Herr war in dieser Welt „ein Mann der Schmerzen und mit Leiden bekannt.“ Eine Welt der Sünde, gegenüber seiner Heiligkeit – eine Welt der Trauer und der Leiden, gegenüber seiner Liebe – konnte für sein Herz nur eine Quelle der Trauer und der Leiden sein. Er stand vereinzelt und allein in einer solchen Welt und wurde nicht einmal von seinen Jüngern verstanden. Während Er voll von Mitgefühl war für alle, fand Er für sich nirgendwo Mitgefühl. Wenn ein solches je einmal die Finsternis des menschlichen Herzens durchbrach, so war dies etwas so Wunderbares, dass der Herr sagt: „Wo immer das Evangelium gepredigt werden wird in der ganzen Welt, da wird auch gesagt werden, was diese getan hat, zu ihrem Gedächtnis“ (Mk 14,9). Können wir, wenn wir den Geist Christi haben, durch dieselbe Welt gehen, ohne ihren Zustand zu fühlen? Sollten unsere Herzen nicht traurig sein, wenn wir auf Schritt und Tritt die Herrschaft der Sünde erblicken und täglich die Leiden des sündhaften Menschen vor Augen haben? Wenn wir sehen, dass alles der Knechtschaft des Verderbnisses unterworfen ist? Die Zeit wird kommen, wo unsere Augen die allgemeine Segnung der Welt sehen und wo wir uns mit Gott selbst darin erfreuen werden. Jetzt aber können wir, als solche, die im Herzen erneuert und befreit sind, nur leiden inmitten einer nicht befreiten Schöpfung.

Beachten wir jedoch, dass dies ein Leiden ist mit Christus, nicht für Ihn. Die Leiden für Christus sind ein Vorrecht, eine besondere Gabe Gottes (Phil 1,29). Man kann kein Christ sein, ohne mit Christus zu leiden; denn wie könnte der Geist Christi eine Gesinnung in uns hervorrufen, verschieden von derjenigen, welche in Christus war, als Er diese arme Welt durchpilgerte? Die Herrlichkeit der Kinder Gottes ist ein Gegenstand der Hoffnung; jetzt werden die Leiden Christi in Schwachheit wieder hervorgebracht in einem Herzen, in welchem Christus wohnt. Wir leiden da, wo Christus gelitten hat, als Miterben des Reiches der Liebe, worin alles Freude und Wonne sein wird. Obwohl wir jetzt schon Kinder, oder vielmehr Söhne, und deshalb auch Erben sind, so besitzen wir doch die Erbschaft noch nicht, ja, wir können sie noch nicht besitzen, da dieselbe jetzt noch verdorben und verunreinigt und in diesem Zustand nicht passend ist für uns. Christus sitzt zur Rechten Gottes, bis seine Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt sind. Dann werden wir mit Ihm herrschen und Ihm gleich sein.

Deshalb konnte der Apostel, der Wohl wusste, was Leiden sind, sagen: „Ich halte dafür, dass die Leiden der Jetztzeit nicht wert sind, verglichen zu werden mit der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden wird.“ Wir besitzen das Verhältnis der Sohnschaft und haben auch das Bewusstsein dieses Verhältnisses und deshalb keine Furcht mehr. Wo Furcht ist, da ist die Kenntnis dieser Stellung nicht im Herzen. Der Geist in uns ruft: „Abba, Vater!“ und kann nichts anderes rufen, denn Er ist erst gekommen, nachdem alles das vollbracht war, was uns in dieses Verhältnis versetzt hat. Christus hat uns seine eigene Stellung vor Gott gegeben. Nachdem Er alles vollbracht hatte, was erforderlich war, sowohl für die Herrlichkeit Gottes als auch für unsere Erlösung, und zwar da, wo es für beides geschehen musste, nämlich in der Stellung der Sünde – „zur Sünde gemacht“ – ist Er als Mensch in den Himmel hinaufgestiegen. Ein Mensch ist in Ihm eingegangen in die Herrlichkeit Gottes, jenseits der Sünde, jenseits des Todes, jenseits der Macht Satans, jenseits des Gerichts Gottes über die Sünde, so dass Er den Jüngern durch Maria Magdalena die Botschaft senden konnte: „Sage meinen Brüdern: ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ Darauf sandte Er den Heiligen Geist hernieder, als die gesegnete Folge dieses Hinaufsteigens des Menschen in den Himmel, nachdem Er alles zu unserer Erlösung vollbracht hatte. Dieser Geist wohnt in den Gläubigen, die dem Wert seines Blutes vertrauen, so dass ihr Leib ein Tempel Gottes ist (1. Kor 6). Sie sind durch den Geist versiegelt und haben das Unterpfand des Erbteils, das Bewusstsein, Kinder Gottes zu sein. Er vergegenwärtigt Christus, der im Himmel ist, und lässt uns die unsichtbaren Dinge genießen. Er kann deshalb unmöglich ein Geist der Furcht oder der Knechtschaft sein.

Der Geist aber wirkt zweierlei in uns: Er lehrt uns die Herrlichkeit, die vor uns steht, würdigen, und gibt uns das Gefühl, dass die Leiden, in welche wir durch das Streben, diese Herrlichkeit zu erlangen, und durch die Treue für Christus gebracht werden – nicht wert sind, verglichen zu werden mit der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll, so dass wir mit Ausdauer und getrostem Mut den Weg Gottes gehen können. Desgleichen nimmt Er sich auch unserer Schwachheit an, auf dass wir Gott gemäß teilnehmen an diesen beiden und unser Herz durch den Geist das Gefäß des Mitgefühls ist, dem Herzen Christus entsprechend, indem wir durch unser Seufzen dem Seufzen der leidenden Kreatur zu Gott einen Ausdruck geben. Welch eine köstliche Stellung, auf diese Weise die Herrlichkeit und die Liebe dessen, der in die Mitte der leidenden Schöpfung herniederkam, verwirklichen zu können, so dass unsere Herzen, indem wir dem Leib nach teilhaben an der gefallenen Schöpfung, durch den Geist der Mund der ganzen Schöpfung sein und ihrem Seufzen zu Gott einen gottgemäßen Ausdruck geben können! Mit diesem Gefühl war das Herz Christi in völliger Liebe und in Vollkommenheit erfüllt. Weil Er, obgleich wahrhaftiger Mensch, persönlich durchaus frei war von der Sünde, die diese Leiden über die Schöpfung gebracht hatte, so war sein Mitgefühl mit den Folgen der Sünde für uns umso vollkommener. „Er hat unsere Leiden getragen, und unsere Schmerzen hat Er auf sich geladen“ (vgl. Mt 8,17). Als Er an der Gruft des Lazarus die Maria und alle die Juden weinen sah, seufzte Er tief im Geist und erschütterte sich. 1 So ist es auch uns, obgleich wir als gefallene Menschen in Schwachheit und Unvollkommenheit sind, durch den in uns wohnenden Geist gegeben, teil zu nehmen an den Leiden der Kreatur, und zwar nicht in der Ungeduld der Selbstsucht, weil wir selbst leiden, sondern Gott gemäß. Die Darstellung, die uns der Apostel von dem Zustand der uns umgebenden Schöpfung gibt, wird diese Erfahrung klarer machen. Obgleich wir in dem Vorhergehenden schon verschiedene Punkte betrachtet haben, so können wir doch noch einmal mit dem 19. Vers beginnen.

Es ist schon gesagt worden, dass wir in der Welt zu leiden haben, weil alles in der Sünde liegt und in Unordnung ist, während wir zu Gott zurückgebracht sind: und ferner, dass wir auch im Herzen zu leiden haben, weil wir inmitten einer nicht befreiten Schöpfung wohnen. Die Augen des Glaubens aber sind auf die vor uns liegende Herrlichkeit gerichtet, und sowohl diese erfreuliche Aussicht, als auch unsere Gemeinschaft mit Gott, die wir schon hienieden genießen, lässt uns fühlen, dass alles um uns her unversöhnt ist.

Diese Schöpfung erwartet ihre Erlösung; aber sie kann nicht eher befreit und wiederhergestellt werden, bis die Kinder Gottes in der Herrlichkeit des Reiches bereit sein werden, sie als Miterben Christi in Besitz zu nehmen. Christus sitzt zur Rechten Gottes, bis diese Miterben gesammelt sind. Es ist ein köstlicher Gedanke, dass, wie wir die irdische Schöpfung unter die Knechtschaft des Verderbnisses gebracht haben, sie auch jetzt auf unsere Verherrlichung warten muss, um wiederhergestellt und von dieser Knechtschaft befreit zu werden (V 19).

Nicht der Wille der Kreatur hat sie dieser Knechtschaft unterworfen; wir haben es getan – aber auf Hoffnung; denn dieser Zustand wird nicht immer bleiben: die Schöpfung wird wiederhergestellt werden. Gott beginnt jedoch in den Ratschlüssen seiner Gnade mit den Schuldigen, mit den am weitesten Entfernten – mit denen, an welchen Er in den kommenden Zeitaltern den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade in Güte gegen uns in Christus Jesus erweisen will (Eph 2,7; vgl. Kol 1,20–21). Die Kreatur könnte, weil sie nur physisch ist, nicht in die Freiheit der Gnade eintreten; sie muss die Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes erwarten. Wenn diese befreit sind und ihre Leiber, die zu der Kreatur gehören, umgewandelt und verherrlicht sein werden und wenn Satan gebunden ist, dann wird auch die Kreatur freigemacht werben von der Knechtschaft des Verderbnisses, in welcher sie gefangen liegt.

Denn wir wissen – wir, die wir in der christlichen Lehre unterrichtet sind – dass die ganze Kreatur zusammen seufzt und zusammen in Geburtswehen liegt bis jetzt. Wir wissen dies aber noch viel mehr, weil wir die Erstlinge des Geistes haben, und – „wir seufzen in uns selbst, erwartend die Sohnschaft: die Erlösung unseres Leibes.“ So harren wir darauf, das zu besitzen, was errettet ist in Hoffnung; nicht allein das ewige Leben, als Leben, zu besitzen – dieses haben wir schon – sondern verherrlicht zu werden, indem unser Leib, der zu der Kreatur gehört, umgewandelt wird und wir Christus, dem Herrn, gleich gestaltet werden, nach der Kraft, womit Er alle Dinge sich zu unterwerfen vermag (Phil 4,21).

Der Friede ist also gemacht, unsere Sünden sind hinweggetan, wir haben ein neues Leben, besitzen das Unterpfand des Geistes, die Herrlichkeit liegt vor uns in Hoffnung, und wir werden dem Herrn gleich sein. Solange wir jedoch diese Herrlichkeit noch nicht erreicht haben, seufzen wir mit der Kreatur. Denn indem wir unsere herrliche Hoffnung verwirklichen, fühlen wir, da wir durch unseren Leib mit der gefallenen Schöpfung verbunden sind, den traurigen Zustand der ganzen Schöpfung. Frei vor Gott, frei vom Gesetz der Sünde und des Todes, erfüllt mit der Hoffnung der Herrlichkeit, werden wir durch die Kenntnis dieser Herrlichkeit und der vollkommenen Befreiung der Kreatur zu einem Seufzen gebracht, welches die Stimme ihres Seufzens zu Gott ist. Unser Seufzen aber ist nicht eine Klage, eine Frucht der Unzufriedenheit, sondern die Wirkung des Heiligen Geistes im Herzen. Dieser Geist richtet unsere Blicke auf die Herrlichkeit, wo wir keinen Anlass mehr zum Seufzen haben werden, und lässt uns nach der Liebe Gottes das Leid einer geknechteten Schöpfung fühlen; wir fühlen es mit, da wir mit unserem Leib noch zu ihr gehören. Der Geist Gottes, der in uns wohnt, bildet diese Gefühle Gott gemäß. Gott erforscht das menschliche Herz, und in dem Herzen des befreiten Christen findet Er diese Wirkung des Geistes. Der Geist selbst ist da die Quelle des göttlichen Mitgefühls mit einer seufzenden Schöpfung (V 27). Die Blicke des Christen werden durch den Heiligen Geist, der in ihnen wohnt, nach oben gerichtet, auf die Herrlichkeit und die Ruhe Gottes, wo alles Segnung ist. Er verwirklicht das, was vor ihm liegt, mit Freude. Da er aber noch im Leib ist, so fühlt er umso mehr den Zustand der gefallenen Schöpfung, nimmt teil an ihrem Seufzen und macht sich dadurch zur Stimme der seufzenden Schöpfung vor Gott. Doch geschieht sein Seufzen im Geist der Liebe, Gott gemäß, weil er in seinem Verhältnis zu Gott vollkommen frei ist. Hinsichtlich seines Zustandes ist er errettet in Hoffnung; vor Gott aber ist sein Herz frei, im Bewusstsein seiner Liebe. Er kann sich freuen in Hoffnung, in der Hoffnung der Herrlichkeit; sein Gewissen ist vollkommen; die Liebe Gottes ist ausgegossen in sein Herz durch den Heiligen Geist. Und so kann er nach dieser Liebe an dem allgemeinen Elend, das ihn umgibt, teilnehmen. Er weiß zwar nicht, um was für ein Heilmittel er bitten soll; vielleicht gibt es keins. Aber die Liebe kann die Bedürfnisse ausdrücken und tut es nach der Wirkung des Geistes; und obgleich der Christ nicht weiß, um was er bitten soll, so findet doch der, welcher die Herzen erforscht, in seinem Seufzen die Gesinnung des Geistes; denn der Geist ist es, der im Grund des Herzens den Gefühlen des Bedürfnisses Ausdruck gibt. Dies ist umso mehr Mitgefühl, da wir selbst noch im Leib sind und also in unserem eignen Zustand einen Teil der seufzenden Schöpfung ausmachen und auf die Erlösung unseres Leibes warten.

Doch obgleich wir oft nicht wissen, um was wir bitten sollen, so gibt es doch etwas, was wir vollkommen gewiss wissen, nämlich, dass Gott alles zusammen wirken lässt zum Besten derer, die Ihn lieben, die Er nach seinem Vorsatz berufen hat.

Welch ein Vorrecht ist uns durch die Gnade zu teil geworden, ein Vorrecht, das wir durch den Heiligen Geist genießen! Wir sind Kinder Gottes, kennen unser Verhältnis zu Gott und können es durch den Heiligen Geist verwirklichen; wir rufen „Abba, Vater!“ sind Kinder und deshalb Erben, „Erben Gottes und Miterben Christi.“ Der Geist offenbart uns unser Erbteil und lässt uns verstehen, was es ist: wir werden Christus gleich sein in der Ruhe Gottes und in seiner eigenen Ruhe, vollkommen zur Ehre Christi, und werden mit Ihm herrschen über alles. Als Menschen auf der Erde richten wir unsere Blicke auf die Herrlichkeit Gottes, die unsere Hoffnung ist, und die wir mit Christus teilen werden, da, wo alles rein ist, der Reinheit Gottes gemäß. Im Blick auf diese niedrige Welt sind unsere Herzen von der Liebe Gottes erfüllt, in welcher wir an den Leiden der nicht befreiten Schöpfung teilnehmen, und zwar Gott gemäß, so dass der, welcher die Herzen erforscht, die Gesinnung des Geistes darin findet, welcher dieses Mitgefühl mit den Leiden der gefallenen Schöpfung in uns hervorbringt, auf dass wir durch unser Seufzen der Mund der Schöpfung vor Gott werden. Und weil wir aus Mangel an Erkenntnis nicht immer wissen, um was wir bitten sollen, so tröstet uns das Wort Gottes, indem es uns versichert, dass Gott nach seinem eignen Willen und nach seiner eignen Liebe alles zusammen wirken lässt zu unserem Besten.

Dieses führt den Apostel dahin, einige Worte über den Ratschluss Gottes zu sagen, obwohl dies nicht der Gegenstand des Briefes ist. Er spricht hier nur davon, um die Grundlage aller Segnungen zu zeigen. Sonst handelt der Brief, wie schon früher bemerkt, von der Verantwortlichkeit des Menschen, sowie von der Gnade und dem Werk Gottes, um uns von den Folgen dieser Verantwortlichkeit zu erretten.

Für die Berufenen ist Gott immer wirksam; denn Er hat sie zuvorgekannt, und die Er zuvorgekannt hat, die hat Er zuvor bestimmt, seinem eignen Sohn gleichförmig zu sein. „Welche Er aber zuvor bestimmt hat, diese hat Er auch berufen; und welche Er berufen hat, diese hat Er auch gerechtfertigt; welche Er aber gerechtfertigt hat, diese hat Er auch verherrlicht.“ Alles ist Gnade, und daher ist alles sicher. Deshalb beendigt Gott auch die Reihenfolge seiner Gnadenerweisungen nicht eher, bis der Zweck erreicht ist: die Wirksamkeit der Gnade Gottes hört nicht eher auf, bis die Berufenen verherrlicht sind. Die ganze Lehre des Evangeliums führt uns auf Gott zurück und auf seine Gedanken, die nicht fehlen und nicht verhindert werden können. Und da finden wir – sein Name sei dafür gepriesen! – dass Gott für uns ist. Diese Lehre entwickelt hier der Apostel in Vers 31–39. Wir sehen den Beweis dafür, dass Gott für uns ist, zunächst in dem, was Er gibt, dann darin, dass Er uns rechtfertigt, und endlich darin, dass nichts uns von seiner Liebe trennen kann. Dies ist die gesegnete Folgerung aus der ganzen Lehre des Briefes: „Gott ist für uns“; es ist die Quelle der Segnung; es ist die Folgerung des Herzens aus allem, was uns hier von Ihm offenbart wird. Nicht allein ist die Gerechtigkeit Gottes verherrlicht und befriedigt worden durch das Werk Christi, sondern wir sehen auch, dass die Liebe Gottes die Quelle von allem ist, und das verändert alle unsere Gedanken in Bezug auf Gott. Gerade in diesem Punkt war die Lehre der Reformatoren des sechzehnten Jahrhunderts mangelhaft. Ferne sei es von mir, den Wert dieser Männer herabsetzen zu wollen! Niemand könnte dankbarer sein für die Befreiung von dem Aberglauben, die uns durch die Reformation zuteilwurde, niemand den Glauben derer, die selbst ihr Leben um der Wahrheit willen aufgeopfert haben, höher schätzen, als ich es tue. Ich würde heute ja unmöglich über den Mangel ihrer Lehre ruhig schreiben können, wenn sie ihr Leben nicht freudig hingegeben hätten, um die Wahrheit aufrecht zu halten. Aber dennoch bleibt die Wahrheit in dem Wort Gottes immer dieselbe. Die Reformatoren lehrten zwar, dass Christus alles getan habe, was nötig war, um die Gerechtigkeit Gottes zu befriedigen, nicht aber, dass die Liebe Gottes das Lamm, seinen eigenen Sohn, dahingab, um das Werk zu vollbringen. Nach ihnen war Gott immer der Richter, wohl versöhnt mit uns durch das Werk Christi, nicht aber gekannt als der, welcher uns liebhatte, als wir noch Sünder waren. In Johannes 3,14 sagt der Herr: „Des Menschen Sohn muss erhöht werden“; denn Gott ist ein heiliger und gerechter Gott. Dann aber folgt im 16. Verse die Ursache von allem: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass Er seinen eingeborenen Sohn gegeben.“ Die praktische Folgerung ans der Lehre der Reformatoren war – ohne dass sie dies vielleicht gedacht oder gewollt haben – dass die Liebe in Christus ist und Gott auf dem Richterstuhl sitzt als ein kalter Richter. Aber „die Gnade herrscht durch die Gerechtigkeit“ (Röm 5,21). Am Tag des Gerichts wird die Gerechtigkeit herrschen. Die Liebe hat die Gerechtigkeit Gottes zu unseren Gunsten in Christus festgestellt. Die Gerechtigkeit war nötig – die Liebe hat sie verschafft.

Wir wissen also, dass Gott für uns ist nach seiner unendlichen Liebe und nach seiner ewigen und unveränderlichen Gerechtigkeit. Der erste Beweis dafür ist, dass Er seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern Ihn für uns hingegeben hat; „wie wird Er uns mit Ihm nicht auch alles schenken?“ Ja, wir können auf Ihn rechnen, dass Er uns alles Gute geben wird. – Aber wie kann Er, der Heilige, für uns sein im Blick auf unsere Sünden? Gerade da haben wir gesehen, wie vollkommen Er für uns ist; denn Er hat ja eben für unsere Sünden seinen Sohn gegeben. Wer wird wider die Auserwählten Gottes Anklage erheben? Gott selbst rechtfertigt uns – wer wird uns verdammen? Beachten wir, dass hier alles Gott zugeschrieben wird. Es heißt nicht: wir sind vor Gott gerechtfertigt, sondern: „Gott rechtfertigt“; so dass der Apostel wohl ausrufen kann: wer wird verdammen, wer es auch sei?

Dann verändert er in etwa die Form des Satzes. Er muss an Christus denken, und da sieht er durch Ihn auch alle Schwierigkeiten des Weges verschwinden. Nicht als ob sie nicht vorhanden wären; sie sind da, aber sie verschwinden, weil Er selbst alle Schwierigkeiten durchgemacht hat. Mensch geworden in seiner Liebe, hat Er alle die Prüfungen des Weges, alle menschlichen Schmerzen, alles, wodurch der Feind dem treuen Diener Gottes ans dem Weg der Heiligkeit, selbst bis zum Tod, Widerstand leistet, erfahren. Nicht allein also überwinden wir durch seine bewährte Kraft, sondern wir machen auch die Erfahrung seiner Liebe in besonderer Weise. Die Leiden sind das Unterpfand einer besseren Herrlichkeit. Und weil Er als Mensch alles erfahren hat, so hat Er dadurch seine unendliche Liebe als Gott erwiesen, und wir wissen, dass von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, uns nichts trennen kann.

In jeder Beziehung ist Gott für uns. Köstliche Wahrheit! Er hat seinen eignen Sohn gegeben – Er wird alles geben. Er selbst rechtfertigt uns – wer wird verdammen? Und von der Liebe, die sich also erwiesen hat, kann nichts uns trennen. Alles, was auf dem Weg zur Herrlichkeit wider uns ist, kann, als Kreatur, nicht größer sein, als Er, der Herr über alles ist. Gott ist für uns in Christus, in dem, welcher alles überwunden hat. Nicht allein ist der Weg, auf dem Er gewandelt hat – als Mensch, um leiden zu können, und als Gott, um alle Liebe in den Leiden zu offenbaren – der Beweis seiner Liebe, sondern, indem wir Ihm auf diesem Weg folgen, machen wir auch die Erfahrung seiner Liebe. Nichts kann uns von dieser Liebe trennen (Schluss folgt).

Fußnoten

  • 1 Die beiden an dieser Stelle in dem griechischen Urtext gebrauchten Wörter sind sehr starke Ausdrücke für eine innere Bewegung.
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