Botschafter des Heils in Christo 1882
"Bleibt in mir und ich in euch!"
Das fünfzehnte Kapitel des Evangeliums Johannes trägt vor allen anderen Abschnitten dieses herrlichen Buches einen ermahnenden Charakter. Es redet vom Fruchttragen und von der Verantwortlichkeit des Jüngers Christi; es fordert Frucht von einem jeden, der bekennt, ein solcher Jünger zu sein. Israel war vor Alters der Weinstock Gottes auf dieser Erde (vgl. Ps 80,8–19), und Gott hatte Frucht an ihm gesucht, aber nichts gefunden als Herlinge. Aber dann kam Christus, der wahre Weinstock, die Quelle alles Fruchttragens; und so wie Gott einst an Israel Frucht suchte, so sucht Er sie jetzt an einem jeden, der den Namen seines Sohnes bekennt. „Wer da sagt, dass er in Ihm bleibe, der ist – in Folge dieses Bekenntnisses – schuldig, selbst auch so zu wandeln, wir Er gewandelt hat“ (1. Joh 2,6).
Von dieser Verantwortlichkeit, die aus unserem Bekenntnis erwächst, ist an vielen Stellen der Heiligen Schrift die Rede. „Ihr seid das Salz der Erde“, sagt der Herr zu seinen Jüngern, fügt aber dann sogleich hinzu: „Wenn aber das Salz dumm geworden ist, womit soll es gesalzen werden? Es taugt zu nichts mehr, als draußen hingeworfen und von den Menschen zertreten zu werden.“ Und weiterhin: „Ihr seid das Licht der Welt: eine Stadt, die oben auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen sein“ (Mt 5,13–14). Welch treffende Bilder sind dies von der bestimmten Wirkung, welche das Zeugnis derer, die das Volk Gottes genannt werden, hervorbringen soll! „Denn der Name Gottes wird euretwegen gelästert unter den Nationen“, musste an einige geschrieben werden, die ihrer Verantwortlichkeit nicht entsprochen hatten (Röm 2,24), während der Apostel an die Korinther schreiben konnte: „Die ihr offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christus seid, gekannt und gelesen von allen Menschen“ (2. Kor 3,2–3). Diese Stellen reden also von einem Zeugnis vor den Menschen, während es sich in Johannes 15 mehr um das Fruchttragen für Gott handelt. Aber hier wie dort wird derselben Verantwortlichkeit Ausdruck gegeben, die auf allen denen ruht, welche das Volk Gottes in dieser Welt genannt werden. Es wird ein Wandel gefordert, der dem Wort Gottes entspricht, und zugleich Verwerfung und Gericht von Seiten Gottes angekündigt, wenn dieser Wandel fehlt.
Der Ackerbauer erwartet nicht nur Frucht von einem Teil des von ihm bebauten Ackers, sondern von dem ganzen Acker, und so richten sich auch die Forderungen Gottes an alle, die das Evangelium gehört haben, und vor allem an diejenigen, welche seinen Namen bekennen. Alle, welche sich Christen nennen und dadurch bekennen, Nachfolger Christi zu sein, gelten als Reben an dem Weinstock. Wir finden daher in Johannes 15 dieselbe Wahrheit wieder, welcher in so vielen ernsten Stellen des Neuen Testaments Ausdruck gegeben wird, dass es nämlich unter den bekennenden Christen zwei bestimmt unterschiedene Klassen gibt: solche, die Frucht tragen, und solche, die keine Frucht bringen, solche, deren Wandel mit ihrem Bekenntnis in Übereinstimmung steht, und solche, die am Ende ihres Weges „nackt“ erfunden werden. Von dieser Art ist das Gleichnis des Säemanns in Matthäus 13, wo nur eine Klasse der Hörer Frucht bringt, und zwar diejenigen, welche den Samen des Wortes Gottes in gutem Boden, d. h. in einem zubereiteten und verständnisvollen Herzen aufnehmen. Solche bringen ausnahmslos Frucht, aber auch nur sie. Ähnliches finden wir in den Gleichnissen von den Pfunden und von den Talenten (Lk 19; Mt 25); der eine Knecht, welcher am Ende dem Gericht begegnet, ist derjenige, welcher keinen Gebrauch von seinem Pfund oder von seinen Talenten gemacht hat; er hat das Geld seines Herrn nicht einmal in die Bank gegeben, damit dieser es bei seiner Rückkehr hätte mit Zinsen zurückfordern können. So wird auch in dem 6. Kapitel des Hebräerbriefes der Mensch, welcher von allen den Vorrechten des Evangeliums abfällt, mit einem Acker verglichen, der nur Dornen und Disteln hervorbringt, trotzdem alles an ihm geschehen ist, was geschehen konnte, und der deshalb „dem Fluch nahe und dessen Ende Verderben ist.“
In dem Kapitel, welches wir betrachten, lesen wir, dass die Reben, welche keine Frucht bringen, abgeschnitten werden, und „sie verdorren, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen.“ Es ist sehr wichtig, zu beachten, dass in allen den angeführten Stellen sich nicht ein einziger Fall findet, wo ein Mensch anfänglich Frucht bringt und dann fruchtleer wird; selbst in den beiden letztgenannten Kapiteln, Hebräer 6 und Johannes 15, die schon manchen Seelen Schwierigkeiten gemacht haben, trifft das Gericht nur solche, welche in den Augen dessen, der alles sieht, keine Frucht getragen haben, absolut keine von Anfang bis zu Ende. „Jegliche Rebe in mir, die nicht Frucht bringt, die nimmt Er weg.“ In einer solchen Rebe ist kein wahres Leben, kein Leben aus Gott. „Denn wie der Leib ohne Geist tot ist, so ist auch der Glaube ohne die Werke tot“ (Jak 2,26).
Die Worte des Herrn: „Jegliche Rebe in mir“ erfordern noch eine kurze Erklärung. Wir dürfen hier selbstverständlich nicht an jene innige, unauflösbare Verbindung denken, von welcher wir in Römer 8 und Epheser 2 lesen. Die Rebe, von der hier gesprochen wird, ist nicht in demselben Sinne „in Christus“, wie der wahre Gläubige durch den Heiligen Geist in Ihm ist. Von dieser Wahrheit, dass Gott uns als in Christus betrachtet, und dass wir in Ihm versetzt sind in die himmlischen Örter, ist an dieser Stelle gar nicht die Rede. Wir müssen die Stelle in ihrem Zusammenhang lesen. Der Herr gebraucht das Gleichnis des Weinstocks, um ein Bild von dem zu geben, was auf der Erde vorging, ein Bild von dem äußeren Bekenntnis oder von der Jüngerschaft. Alle, welche bekennen, Christus nachzufolgen, befinden sich in dem hier besprochenen Verhältnis, sie sind Reben an dem Weinstock. Ein jeder aber, der nicht in Christus bleibt, in dem sich keine lebendige Wirklichkeit, keine wahre Abhängigkeit von Christus findet, wird weggeworfen wie die Rebe und verdorrt; und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen: gleich wie der Baum, welcher keine Frucht bringt, abgehauen und ins Feuer geworfen wird. Das Feuer ist bekanntlich ein Bild von Gericht und Verdammnis.
Doch die wahre Rebe, die in unmittelbarer Lebensverbindung mit Christus, dem Weinstock, steht und in Ihm bleibt, bringt Frucht und wird von dem Vater gereinigt, auf dass sie mehr Frucht bringe. Wie köstlich ist es, zu wissen, dass der Vater der Ackerbauer ist, dass Er, der uns so vollkommen liebt, das Messer in der Hand hält, um alles Überflüssige, alles Unnütze, alles, was keine Frucht bringt, sondern vielmehr die Rebe am Fruchttragen hindert, wegzuschneiden! Die fruchttragende Rebe selbst kann nicht weggeschnitten werden, sie bleibt im Weinstock, in Christus. Doch es möchte gefragt werden: Wenn die gute Rebe nicht weggeschnitten werden kann, warum dann die Ermahnung: „Bleibt in mir?“ – Welt es möglich ist, dass ich, obwohl eine gute Rebe an dem wahren Weinstock, in meinem praktischen Wandel diesen Platz aus dem Auge verliere, d. h., dass ich aufhöre, in der fortgesetzten, innigen Gemeinschaft mit Christus und in der steten Abhängigkeit von Ihm voranzugehen. Und was ist dann die Folge? Sie ist von der traurigsten Art: ich bringe keine Frucht für den Ackerbauer. Denn „außer mir könnt ihr nichts tun“, sagt der Herr; „gleich wie die Rebe nicht von sich selbst Frucht bringen kann, sie bleibe denn im Weinstock, also auch ihr nicht, ihr bleibt denn in mir.“ Ach, wie viele wahre Reben, die in lebendige Verbindung mit dem wahren Weinstock gebracht sind, gehen Monate und Jahrelang dahin, ohne viel Frucht zu bringen! – Obwohl ihrer Stellung nach „in Christus“, nehmen sie in ihrem praktischen Leben diesen Platz nicht ein, und deshalb sind sie ohne Kraft und unfähig, Frucht zu bringen; denn alle Kraft liegt in Ihm verborgen. Statt dass der Vater durch sie verherrlicht würde, wird Er vielmehr verunehrt.
Doch was sind die Folgen, wenn wir in Christus bleiben? Sie sind ebenso herrlich und köstlich, wie sie im umgekehrten Fall traurig sind. „Bleibt in mir, und ich in euch.“ Das ist die erste Folge: Christus in uns. Wenn wir in Ihm bleiben, so ist sein Leben und seine Kraft tätig in uns, ja Er selbst ist in uns in gefühlter Gemeinschaft. Etwas ähnliches finden wir im 14. Kapitel in den Worten: „Wer mich liebt, der wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich selbst ihm offenbar machen“, und: „Wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen“; und ferner: „Wenn jemand meine Stimme hört und die Tür auftut, zu dem will ich eingehen und das Abendbrot mit ihm essen und er mit mir“ (Off 3,20). Wir können nicht Christus in unsere Herzen bringen, aber wir können in Ihm bleiben, und dann ist Er in uns; diese beiden Dinge gehen stets mit einander. Doch dies ist noch nicht alles. Unser Bleiben in Christus hat nicht nur den Genuss der köstlichsten Herzensgemeinschaft mit Ihm zur Folge, sondern gibt sich auch äußerlich kund. „Wer in mir bleibt und ich in ihm, dieser bringt viel Frucht, denn außer mir könnt ihr nichts tun.“ Welch eine stete und völlige Abhängigkeit, aber auch welch eine innige Gemeinschaft ist unser Teil! Welch eine Kraft fließt aus dieser Gemeinschaft hervor! Durch Ihn können wir alles tun. Paulus vermochte alles durch den, der ihn kräftigte. Ohne Ihn können wir nichts tun. Erfüllt dies nicht unsere Herzen mit tiefer, seliger Freude? Ist es nicht köstlich, so gänzlich auf Ihn geworfen zu sein? Aber ach! Wie oft vergessen wir diese völlige Abhängigkeit, und dann bedürfen wir der Zucht, um wieder daran erinnert zu werden. Denn wenn wir nicht abhängig sind, so können wir keine Frucht bringen. Wir wandeln durch Glauben, nicht durch Schauen.
Doch es gibt hier noch etwas anderes, worauf ich aufmerksam machen möchte. Unter dem Gesetz wurde von dem Menschen Frucht gefordert, und wir wissen, dass er dieser Forderung nicht entsprechen konnte. Der Mensch im Fleisch kann keine Gott wohlgefällige Frucht bringen, er ist ganz und gar unfähig dazu. Selbst unter der Gnade vermag er es nicht. Gott weiß dies, und deshalb fordert Er keine Frucht mehr von dem Menschen. Würde Er es tun, so wäre der Mensch heute ebenso völlig verloren, wie einst unter dem Gesetz. Selbst nachdem wir geglaubt haben und des Lebens aus Gott teilhaftig geworden sind, sind wir unfähig, aus eigener Kraft Frucht zu bringen. Würde Gott an uns die Forderung stellen: „Bringt Frucht!“ so würden wir einer völligen Unmöglichkeit gegenüberstehen. Woher sollten wir die Kraft, woher die Fähigkeit nehmen, die verlangte Frucht hervorzubringen? Doch was sagt Gott? „Bleibt in Christus, und dann werdet ihr viel Frucht bringen, und ich werde verherrlicht werden.“ Wie überaus herrlich ist das! Gott wünscht Frucht von seinen Kindern zu sehen, und da sie unfähig sind, Frucht zu bringen, so hat Er ihnen in seinem Geliebten eine unerschöpfliche Quelle der Kraft, des Lebens, der Weisheit, ja alles dessen gegeben, was sie je bedürfen können. Wo diese Wahrheit wirklich verstanden und genossen wird, erfüllt sie das Herz mit unaussprechlicher Freude und unerschütterlichem Frieden und befähigt zugleich zu einem Gott wohlgefälligen, fruchtreichen Leben. Habe ich Kraft nötig? In Christus ist die Fülle von Kraft. Bedarf ich der Weisheit? In Christus ist wahre, göttliche Weisheit. Kurz, auf alle meine Bedürfnisse gibt es die Eine, völlig genügende Antwort: „Christus.“ Ist mein Auge auf Ihn gerichtet, pflegt mein Herz eine stete, innige Gemeinschaft mit Ihm, so bin ich fähig, „gekräftigt mit aller Kraft nach der Macht seiner Herrlichkeit, würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen, in allem guten Werke fruchtbringend“ (Kol 1,10–11). „Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn – nicht uns, oder unsere Schwachheit – anschauend, werden verwandelt – nicht dereinst, wenn der Herr kommt, darum handelt es sich hier gar nicht, sondern jetzt, hienieden – nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist“ (2. Kor 3,18).
Ach, wie viele Tausende der teuren Kinder Gottes mühen sich Tag für Tag rastlos ab, Gott aus eigener Kraft Frucht zu bringen! Aber anstatt dem Ziel näher zu kommen, sehen sie es täglich weiter entschwinden. Anstatt Fortschritte zu machen, erkennen sie mehr und mehr, dass sie das Gute, das sie wollen, nicht tun, während sie das Böse, das sie nicht wollen, ausüben. Woher kommt dies? Weil sie etwas tun wollen, was Gott gar nicht von ihnen fordert und was sie gar nicht zu tun vermögen: Frucht bringen ans ihrer eignen Kraft. Gott muss sie darum zu Schanden werden lassen. Anstatt sich selbst zu vergessen und sich zu betrachten, wie Gott sie betrachtet, als völlig wertlos und unfähig zu irgendetwas Gutem, ja mehr als das – als gerichtet und gestorben mit Christus auf dem Kreuz – sind sie mit ihrem eignen Ich und mit ihrem eignen Tun beschäftigt. Anstatt mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anzuschauen, sich in Ihn zu versenken und auf diese Weise seine Kraft in ihre Herzen einströmen zu lassen, betrachten sie sich und ihre Schwachheit. Wie töricht ist das! Kann ein Lahmer dadurch Kraft gewinnen, dass er unaufhörlich seine gelähmten Beine betrachtet und darüber wehklagt, dass sie ihm nicht gehorchen wollen? Unmöglich. Soll ihm Hilfe gebracht werden, so muss sie von einem anderen außer ihm kommen.
Und gerade so ist es mit dem Gläubigen. Die Kraft zum Wandel und Leben liegt außer ihm, in Christus, und darum die Ermahnung: „Bleibt in mir!“ Sein Leben ist ein Leben des Glaubens. Ein schönes Vorbild von einem solchen Leben sehen wir in Paulus, dem treuen Knecht des Herrn. Er konnte sagen: „Was ich aber jetzt lebe im Fleisch, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes“ (Gal 2,20). Eine Beschäftigung mit mir selbst ist kein Glaube. Ich denke dann an mich, und dazu ist kein Glaube nötig. Das eigene Ich ist mein Gegenstand; vielleicht bin ich beunruhigt, indem ich fühle, dass ich mich in Knechtschaft befinde, vielleicht auch gehe ich in Selbstgefälligkeit einher und bin mit meinem Tun recht zufrieden – in beiden Fällen aber wandle ich nicht durch Glauben, sondern vielmehr durch meine Gefühle. Ist der Glaube in mir wirksam, so habe ich Christus zu meinem Gegenstand – Er ist es, auf den ich mich stütze – nicht aber mich selbst oder meine Gefühle, mögen diese nun gut oder schlecht sein. Selbst die Segnungen, die der Herr uns gibt, können, wenn wir nicht wachsam sind, zu einem Anlass werden, seine Person aus den Augen zu verlieren. Wir sind so leicht geneigt, in den Segnungen zu ruhen und dann die Gemeinschaft und Gewissensübung zu verlieren, welche aus einer täglichen, wahren Abhängigkeit von Christus hervorstießen, „Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben“ – d. h. in der Übung des Glaubens. Durch Schauen zu wandeln, ist unsere stete Versuchung – durch Glauben zu wandeln, heißt: überwinden durch die Macht Gottes. „Dies ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube“ (1. Joh 5,4).
„Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, so werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch geschehen“ (V 7). Hier heißt es nicht mehr: „Wenn ihr in mir bleibt und ich in euch“, sondern: „und meine Worte in euch bleiben, so werdet ihr bitten, was ihr wollt usw.“ Das heißt, hier ist Gehorsam und Einsicht in die Gedanken Christi vorhanden. Wenn seine Worte in uns bleiben, so wird unser Wille mit dem seinen in Übereinstimmung sein, wir werden nichts anders bitten, als was Er will; „und dies ist die Zuversicht, die wir zu Ihm haben, dass, wenn wir etwas nach seinem Willen bitten, Er uns hört“ (.1. Joh 5,14). Es ist also möglich, die Gedanken und den Willen Gottes zu kennen und das inbrünstige Gebet eines Gerechten zu beten, welches viel vermag. Aber um dies zu können, müssen wir den Fußstapfen Christi nachfolgen, welcher nie sich selbst gefiel. Das Vertrauen des Herzens muss auf Gott gestützt sein und sein Wort in uns bleiben, d. h. die einzige Richtschnur für unseren Wandel; für unser Tun und Lassen bilden. Nur einer war auf dieser Erde, der sagen konnte: „Ich weiß, dass du mich allezeit erhörst“; aber wir sind ermahnt, an das Beispiel des Elias zu gedenken, der „ein Mensch war von gleichen Gemütsbewegungen wie wir, und er betete mit Gebet, dass es nicht regnen sollte, und es regnete nicht auf der Erde drei Jahre und sechs Monate. Und wiederum betete er, und der Himmel gab Regen, und die Erde brachte ihre Frucht hervor.“ Zugleich aber dürfen wir nie vergessen, dass ein wirkungsvolles Gebet stets einen gereinigten Herzenszustand voraussetzt. „Geliebte, wenn unser Herz uns nicht verurteilt, so haben wir Freimütigkeit zu Gott, und was irgend wir bitten, empfangen wir von Ihm, weil wir seine Gebote halten und das vor Ihm Wohlgefällige tun“ (1. Joh 3,21–22).
„Hierin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt, und ihr werdet meine Jünger sein“ (V 8). Der Herr spricht hier von seinem Vater, dessen Willen zu tun Er gekommen war und den Er seinen Jüngern offenbart hatte. Die Jünger waren die Frucht seines Werkes, und wenn sie durch die Gnade Christi viel Frucht brachten, so wurde der Vater verherrlicht. Dasselbe gilt heute von uns. Christus ist, nachdem Er sein Zeugnis hienieden vollendet hat, zum Vater zurückgekehrt, und wir sind zurückgelassen, um gleichsam an seiner Stelle die Zeugen Gottes auf Erden zu sein. Sind wir nun treue Zeugen, so wie Er es war, und bringen wir viel Frucht, so wird der Vater durch uns verherrlicht, und wir sind unserem Herrn und Meister nach unserem Maß ähnlich: „Ihr werdet meine Jünger sein.“ Wie köstlich ist es, auf diese Weise gewürdigt zu sein, an dem Werk Gottes und seines Sohnes teilzunehmen! Es ist hier nicht die Rede von unserer Gemeinschaft mit dem Vater, von unserem Verhältnis als Söhne, sondern wir werden als Jünger und Knechte betrachtet, trotzdem aber Freunde genannt und als Freunde behandelt. Von diesem Standpunkt aus müssen wir die Gnade unseres Herrn bewundern, die Ihn so zu uns reden lässt. Er lädt uns ein, sein Werk zu treiben, und rechnet auf das Interesse unserer Herzen an diesem Werk, das zur Verherrlichung des Vaters dient, und – beachten wir es wohl! – alles dieses in unmittelbarer Verbindung mit dem Ende des 13. Kapitels, wo Er zu Petrus sagen muss: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: der Hahn wird nicht krähen, bis du mich dreimal verleugnet hast.“ Einem solchen Herrn dürfen wir vertrauen. Welch eine anbetungswürdige Gnade gibt sich in seinen Worten kund! Noch wenige Stunden, und die armen, schwachen Schafe sollten Ihn verlassen und fliehen. Der Herr wusste dies, und dennoch ist Er hier nur beschäftigt, ihnen seine Liebe mitzuteilen und sie in der Wahrheit aufzuerbauen. Er kannte ihre Herzen, aber Er war der gute Hirte seiner Schafe, und „da Er die Seinen, die in der Welt waren, geliebt hatte, liebte Er sie bis ans Ende.“
Weiter redet der Herr zu den Jüngern von seiner Liebe und versetzt sie in den Kreis göttlicher Zuneigung. „Gleichwie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt“ – ein wunderbarer Vergleich, auf welchem unsere Herzen mit Wonne ruhen können – „bleibt in meiner Liebe.“ So wie wir in Ihm bleiben sollen, so sollen wir auch in seiner Liebe bleiben, in diesem lieblichen Ruheplatz der Seele auf der beschwerlichen Reise durch diese Welt. Doch wie können wir in seiner Liebe bleiben? Wenn wir seine Gebote halten. Tun wir das, was Ihm wohl gefällt, wandeln wir in dem Pfad des Gehorsams, so erfahren und genießen wir seine Liebe in unseren Herzen, so wie Jesus selbst die Gebote seines Vaters hielt und in seiner Liebe blieb – ein Beweis von der wunderbaren und gesegneten Wirklichkeit seines Pfades der Abhängigkeit und des Gehorsams, obwohl Er Sohn war. Es war seine Freude, sein Trank und seine Speise, den Willen dessen zu tun, der Ihn gesandt hatte, und sein Werk zu rollbringen (Joh 4,34). Und Er will, dass wir ebenfalls diese Freude genießen sollen. „Dieses habe ich euch gesagt, auf dass meine Freude in euch sei und eure Freude erfüllt werde“ (V 11). Der Herr wolle in seiner Gnade geben, dass wir in Wahrheit in seiner Liebe bleiben, indem wir seine Gebote erfüllen und das vor Ihm Wohlgefällige tun! Dann wird seine Freude und sein Friede in unserem Herzen wohnen; unser Pfad wird ein glücklicher und gesegneter sein und zur Verherrlichung des Vaters gereichen.