Betrachtungen über den Römerbrief
Botschafter des Heils in Christo 1882
Betrachtungen über den Römerbrief - Teil 3/8
Kapitel 4
Aber es gab noch einen anderen Beweis dafür, dass die Gerechtigkeit nicht aus Gesetzes Werken kommt, nämlich das Beispiel Abrahams, der die Verheißungen hatte, ehe das Gesetz gegeben und verkündigt war. Der Apostel bedient sich auch dieses Teils der Geschichte und der Vorrechte Israels, um seinen Hauptgrundsatz zu bestätigen. „Was sollen wir von Abraham sagen?“ fragt er. Wenn er durch die Werke gerechtfertigt worden wäre, so hätte er Ruhm, aber nicht vor Gott; denn was sagt die Schrift? „Abraham glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet.“ Also ist der Grundsatz, dass man durch den Glauben gerechtfertigt wird, in dem Beispiel Abrahams völlig bestätigt. Es ist nicht aus Werken; wäre es so, dann wäre der Lohn nicht als Gnade, sondern als Schuldigkeit zu betrachten. Wenn man aber nicht wirkt, sondern an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, so wird der Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet. Und wie es bei Abraham war, so war es auch bei David (Der Apostel führt das Beispiel dieser beiden Männer an, weil sie die Hauptquellen der Segnungen Israels bilden). Auch David beschreibt die Segnung des Menschen, den Gott für gerecht hält ohne Werke, indem er sagt: „Glückselig, deren Gesetzlosigkeiten vergeben und deren Sünden bedeckt sind! Glückselig der Mann, dem der Herr die Sünde gar nicht zurechnet!“ Die Annahme in Christus geht zwar weiter, aber hier finden wir im Blick auf die Verantwortlichkeit des Menschen die Wahrheit ausgesprochen, dass für die, welche an Christus glauben, alles vollbracht ist. Die Sünde wird ihnen gar nicht zugerechnet; sie sind frei von aller Schuld; alle Beschuldigung ist vorbei für immer. Von unserer Stellung in Christus spricht der Apostel später; angenommen zu werden in einer neuen Stellung in Christus, nach dem Wert und der Annahme Christi vor den Augen Gottes, ist noch mehr als die Rechtfertigung. Aber diese Rechtfertigung ist vollbracht für uns, als verantwortliche Menschen.
Nun aber entsteht die Frage: Ist diese Segnung für Israel allein? Das Beispiel Abrahams entscheidet auch diese Frage. Es wurde ihm der Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet; aber wann? Als er beschnitten, oder als er noch in der Vorhaut war? In der Vorhaut. – So sehen wir denn in diesem alten und entscheidenden Beispiel Abrahams, dass nach dem Willen und Ausspruch Gottes der Glaube eines unbeschnittenen Menschen ihm zur Gerechtigkeit gerechnet wird. Die Beschneidung ist dem Abraham nachher gegeben worden, als Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens, den er als Unbeschnittener hatte, auf dass er der Vater aller Gläubigen wäre – der Unbeschnittenen sowohl, damit auch ihnen nach seinem Beispiel die Gerechtigkeit zugerechnet würde, als auch der Beschnittenen, so dass er der Vater einer wahren Beschneidung ist, nicht allein derer, welche aus der Beschneidung sind, sondern auch aller Gläubigen, die in Absonderung für Gott in den Fußstapfen des Glaubens Abrahams wandeln, den er in der Vorhaut hatte.
Ferner war auch die Verheißung, dass Abraham Erbe der Welt sein sollte, nicht durch das Gesetz gegeben worden, – weder ihm, noch seinem Samen – sondern durch die Gerechtigkeit des Glaubens; denn das Gesetz kam viel später. So beweist also die ganze Geschichte Israels, dass man nicht durch das Gesetz, sondern nur durch den Glauben Teil an der Segnung hat. Denn wenn die vom Gesetz, als solche, Erben sind, so ist die Verheißung aufgehoben und der Glaube, durch welchen Abraham sie empfangen hat, unnütz und erfolglos. Vielmehr bewirkt ein Gesetz Zorn, denn wo kein Gesetz ist, da ist auch keine Übertretung; die Sünde ist wohl vorhanden, aber man kann nicht übertreten, was nicht ge– oder verboten ist. Doch der Apostel entwickelt diesen Hauptgrundsatz der Segnung der Gläubigen aus den Nationen noch weiter aus der Schrift. Er sagt: „Darum ist es aus Glauben, auf dass es nach der Gnade sei, damit die Verheißung dem ganzen Samen fest sei, nicht allein dem, der vom Gesetz ist, sondern auch dem, der des Glaubens Abrahams ist, welcher ist unser aller Vater sowohl (der Gläubigen aus den Nationen, als auch derjenigen aus den Juden) vor dem Gott, dem er glaubte, der die Toten lebendig macht und das nicht Seiende ruft als seiend“ (V 16–17). Diese Worte enthalten eine neue Wahrheit. Sie weisen hin auf die Kraft der Auferstehung, auf die Kraft, das Leben zu geben, da wo alles im Tod liegt, auf die schöpferische Kraft. Diese Kraft aber gab auch den Nationen Einlass. Auf diese Kraft rechnete Abraham, als sein Leib schon gewissermaßen tot und der Mutterschoß der Sara ebenfalls zu einem Leichnam geworden war. Für den Glauben hängt alles ab von der Tätigkeit dieser Kraft, die hervorbringt, was Gott will. Es ist nicht allein ein Gnadenstuhl dargestellt für alle, die durch den Glauben an das Blut Christi herzukommen, als zu dem Ort, wo Gott mit dem Sünder zusammentrifft, sondern es ist eine Kraft, die da, wo nichts ist, Kinder schafft für sich aus den Seelen der Toten. Doch gibt es einen Unterschied zwischen dem Glauben Abrahams und dem unsrigen. Er glaubte, dass Gott die Toten auferwecken könne, und er hatte Recht; wir aber glauben, dass Gott es getan hat. Dieser Unterschied ist sehr wichtig. Abraham hatte Recht, indem er an das Wort Gottes selbst glaubte; wir haben denselben Glauben, aber er gründet sich auf ein vollbrachtes Werk, und da findet die Seele Ruhe. Christus ist auferstanden; Er, der einmal für unsere Übertretungen geopfert war, ist auferweckt worden, auf dass wir daran glauben und gerechtfertigt werden. Kapitel 5
Wir sind also gerechtfertigt durch den Glauben. Damit findet die Lehre von dem Werk Christi, soweit es sich um sein Blut und um das Wegtun unserer Sünden durch die Vergießung desselben handelt, gewissermaßen ihren Abschluss. Die Auferstehung Christi ist der Beweis, dass Gott dieses Werk angenommen hat als Genugtuung für unsere Sünden, und zwar zu seiner eigenen Herrlichkeit. Welch ein gesegneter Gedanke! Die Gerechtigkeit Gottes ruht in dem Wert des Werkes Christi! Diese Gerechtigkeit hat sich darin offenbart, dass Er seinen Sohn aus den Toten auferweckt und uns um seinetwillen gerechtfertigt hat; unsere Sünden sind vergeben, wir sind reingewaschen in seinem Blut. Nichts haben wir zu unserer Rechtfertigung beigetragen, nichts können wir dazu beitragen; wir sind allein gerechtfertigt durch das Werk Christi. Unsere Sünden sind der einzige Anteil, den wir an dem Leiden Christi haben, durch welches wir vor dem Angesicht Gottes gereinigt worden sind. Der Wert dieses Werkes ist uns durch den Glauben, der indes nichts zu demselben hinzufügen kann, zu Teil geworden. Dieses Werk ist für uns der höchste Beweggrund, Ihm zu dienen und Ihn immer und unaufhörlich zu loben; aber auch dadurch fügen wir dem Werk Christi vor dem Angesicht Gottes nichts hinzu – es ist vollendet, und nicht allem das, sondern auch angenommen, als völlig genügend anerkannt vor Gott. Wie köstlich ist es, zu wissen, dass alle unsere Sünden hinweggetan sind durch Gott selbst, und zwar gemäß seiner eigenen Gerechtigkeit, indem Er Christus um des Werkes willen, das Er für uns vollbracht, auferweckt hat – ein ewig gültiger Beweis, dass Gott dieses Werk angenommen hat als seiner Herrlichkeit völlig genügend. Dies würde genug sein für unsere Rechtfertigung; aber Gott hat noch mehr getan: Er hat Christus zu seiner Rechten erhöht; dort sitzt Er jetzt als Mensch zur Rechten Gottes, bis seine Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt sind. Durch ein Opfer hat Er, hinsichtlich des Gewissens, für immerdar vollkommen gemacht, die geheiligt werden. Wenn sie durch dieses Opfer nicht zur Vollkommenheit gebracht sind, so können sie es nie werden, und ebenso wenig können ihre Sünden je hinweggenommen werden. Denn ohne Blutvergießen ist keine Vergebung, und Christus kann sein Blut nicht noch einmal für uns vergießen; das Werk ist geschehen, oder es kann überhaupt nicht geschehen.
Der erste Abschnitt des fünften Kapitels fasst alle die Züge dieser unendlichen Gnade Gottes zusammen (V 1–11). Betrachten wir kurz den Inhalt dieser köstlichen Verse. Das Werk ist vollbracht; der Glaube weiß, dass es von Gott angenommen ist, indem Er Christus auferweckt und zu seiner eigenen Rechten gesetzt hat. Es bleibt nichts zwischen dem wiedergeborenen, geheiligten Menschen und Gott, als nur der Wert des Werkes Christi und die Annahme seiner Person. Das Blut Christi ist immer vor den Augen Gottes, und Er selbst erscheint in der Gegenwart Gottes für uns. Das gibt uns für die Gegenwart die köstlichsten Vorrechte, sowie für die Zukunft die Hoffnung der Herrlichkeit, die wir bei ihm genießen werden. Doch wir wollen nicht über unser Kapitel hinausgehen, sondern uns auf die Betrachtung der Vollkommenheit der Gnade Gottes, die in demselben so wunderbar entwickelt ist, beschränken. Wir finden hier das, was Gott für uns ist, während unsere Stellung vor Ihm in Christus erst später behandelt wird.
Die ersten elf Verse enthalten also die Entwicklung der Gnade und der Wege Gottes in Gnade; sie sprechen zuerst von dem, was die Gnade gibt, und dann von den Erfahrungen der Begnadigten. Indem Christus für unsere Sünden dahingegeben und zu unserer Rechtfertigung auferweckt ist, sind wir durch den Glauben gerechtfertigt worden. Es ist eine vollendete Rechtfertigung; unsere Sünden sind ausgelöscht, unser Gewissen ist gereinigt, und da der Wert dieses Werkes unwandelbar und immer vor den Augen Gottes ist, so ist unsere Rechtfertigung gültig für ewig. In Folge dessen besitzen wir einen beständigen Frieden mit Gott. Keine Sünde kann uns zugerechnet werden, denn sie sind alle schon getragen, so dass wir kein Bewusstsein mehr von Sünden haben können. Wohl sind wir uns des Vorhandenseins der Sünde im Fleisch bewusst; aber von den Sünden, die Christus schon für uns getragen hat, kann nicht mehr die Rede sein. Wohl können wir uns demütigen, wenn wir durch irgendeinen Anlass daran erinnert werden, dass wir der hässlichen Früchte der Sünde schuldig waren und diese Last auf den geliebten Heiland gebracht haben; aber wir können nicht in der Gegenwart Gottes, wo sich Christus und sein Blut für immerdar befinden, in Frage stellen, ob alles vergeben ist. Es ist wichtig, dass ich nicht den Zustand meiner Seele verwechsle mit dem Wert eines außer mir vollbrachten Werkes, eines Werkes, an dessen Vollbringung ich kein Teil gehabt habe, es sei denn durch meine Sünden. Wenn aber meine Sünden dort auf Christus gelegt waren, so können sie jetzt nicht mehr vor Gott sein – Christus hat sie im Himmel nicht mehr auf sich. Befinde ich mich vor Gott, so finde ich dort einerseits nur eine unendliche, unveränderliche Liebe, weil Christus dort ist, und andererseits nur eine vollkommene göttliche Gerechtigkeit in Ihm, ebenfalls weil Er dort ist. Unendliche Liebe, vollkommene und göttliche Gerechtigkeit und unveränderliche Gnade sind dem Gläubigen zu Teil geworden in Christus vor Gott.
Dies führt uns in der Betrachtung der Früchte der Gnade einen Schritt weiter. Nicht allein sind unsere Sünden durch die Gnade hinweggetan, so dass wir Frieden mit Gott haben, sondern wir können auch genießen von der Gnade Gottes, die den Frieden gestiftet hat – von einer Gnade, die Acht beständig in dem Herzen Gottes für uns ist. Die Gnade hat nicht allein durch das Werk Christi alle Hindernisse beseitigt, sondern sie bleibt auch immer unveränderlich in dem Herzen Gottes. Sein Auge ruht auf uns mit derselben Liebe, wie auf Christus. Durch Christus haben wir Frieden, durch Ihn auch Zugang durch den Glauben zu der Gnade und Gunst, in welcher wir in Ihm vor Gott stehen. Diese Gunst genießen wir in der Gegenwart Gottes. Nicht allein rechtfertigt uns der himmlische Richter, sondern ein himmlischer Vater nimmt uns auf; ein lichtvolles, gnädiges Antlitz voll väterlicher Liebe erleuchtet und erfreut unsere Seele und erquickt unser Herz, so dass wir mit einem völlig ruhigen Herzen in seiner Gegenwart sind und in seinen Pfaden wandeln; wir haben das köstliche Bewusstsein, dass wir in der Gunst Gottes stehen. Was unsere Sünden betrifft, sie sind alle hinweggetan; was unseren gegenwärtigen Zustand vor Gott betrifft, so ist alles Liebe und Gunst, in der hellen Klarheit seines Angesichts; was die Zukunft betrifft, so wartet unser die Herrlichkeit – sie ist unser Teil, wenn wir sie auch jetzt noch nicht genießen. Friede, göttliche Gunst, die Herrlichkeit in Hoffnung – das ist das Teil des Glaubenden, die gesegnete Frucht der Liebe Gottes.
Man könnte min sagen: Es ist also alles vorhanden für die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und doch hat der Apostel noch etwas hinzuzufügen. Weil die Herrlichkeit für uns noch in der Zukunft liegt, so haben wir noch einen Weg zu machen, um sie zu erreichen. Und Gott vergisst uns auch auf diesem Weg nicht. Der Apostel sagt deshalb: „Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale.“ Die Wüste ist der Ort, wo die Erfahrungen der Erlösten in Betreff ihres wirklichen Zustandes und der Regierungswege Gottes gemacht werden. Die Erlösung ist vollbracht; wir sind zu Gott gekommen, wie geschrieben steht: „Ich habe euch getragen auf Adlersflügeln und euch zu mir gebracht.“ Dies ist eine im Ratschluss Gottes vorher bestimmte und jetzt vollendete Tatsache. Die Herrlichkeit ist ein Teil des Ratschlusses Gottes, und auch dieser Teil muss für die Gerechtfertigten erfüllt werden. Die Wüste bildet keinen Teil dieses Ratschlusses, aber sie ist der Ort, wo wir seine Wege mit uns kennen lernen. Allerdings ging der Räuber am Kreuz mit Christus denselben Tag noch ins Paradies ein, um dort bei Ihm zu wohnen. Sein Zustand war passend für eine solche Stellung. Wenn er die Folgen seiner Missetaten von Seiten der Menschen tragen musste, so ertrug Christus für ihn von Seiten Gottes alles, dessen er vor Ihm schuldig war, und der gerechtfertigte Sünder folgte Ihm denselben Tag noch nach in die Wohnungen der Seligkeit. Er hatte also keinen weiten Weg der Erfahrungen zu machen. Im allgemeinen aber durchpilgert der Gläubige eine Welt, wo Schwierigkeiten und Versuchungen ihm entgegentreten und ihn von allen Seiten umringen. Christus ist vor uns durch diese Welt gegangen, und wir sind berufen, in seinen Fußstapfen zu wandeln. Dadurch aber wird unser Zustand geprüft. Die Erlösung kommt dabei nicht in Frage; denn eben sie ist es, die uns in die Wüste gebracht hat. Wir sind aber schuldig, unserer Berufung und der Stellung gemäß, in welche die Erlösung uns versetzt hat, zu wandeln, würdig des Gottes, der uns zu seinem eignen Königtum und zu seiner eignen Herrlichkeit berufen hat. Die Trübsale prüfen die Seele, in wie weit der Eigenwille wirksam ist; sie machen die Wirkung der Sünde in uns offenbar, so dass wir dieselbe entdecken. Wir werden von Gott erforscht. Einerseits lernen wir dadurch erkennen, was wir sind, andererseits aber auch, was Gott für uns ist in seiner Treue und täglichen Fürsorge. Wir werden von der Welt entwöhnt, und unsere Augen werden mehr befähigt, das, was himmlisch ist, wahrzunehmen und zu schätzen. So wird die Hoffnung, die schon im Herzen ist, viel lebendiger und klarer. In diesem Sinn können wir alle Trübsale betrachten, weil wir den Schlüssel zu allem besitzen: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist.“ Die Fürsorge Gottes in dieser Beziehung ist wunderbar. „Er zieht seine Augen von dem Gerechten nicht ab.“ Er denkt an alles bei seinen Kindern, an ihren Charakter, ihre Umstände, ihre Versuchungen; Er tut alles, was nötig ist, um sie zum glückseligen Ende ihrer Pilgerschaft zu bringen. Die Füße der Israeliten waren nach vierzigjähriger Wanderschaft nicht geschwollen und ihre Kleider nicht abgenutzt. Er lässt alles Zusammenwirken zum Besten derer, die Ihn lieben.
Doch noch einige andere, sehr wichtige Punkte haben wir hier zu beachten. Zum ersten Mal finden wir an dieser Stelle den Heiligen Geist erwähnt. Die Ausgießung des Geistes in das Herz ist etwas ganz anderes, als die neue Geburt. Man muss allerdings von neuem geboren werden, um den Heiligen Geist empfangen zu können; aber der Sünder hat noch mehr nötig, als die neue Geburt. In dieser Stelle wird der Heilige Geist betrachtet als das den Gläubigen gegebene Siegel des Wertes des Blutes Christi und der vollkommenen Reinigung, deren sie durch die Anwendung dieses Blutes teilhaftig geworden sind. Gewaschen von ihren Sünden, werden sie die Wohnung – des Heiligen Geistes. Er ist die Salbung, das Siegel der Gläubigen und das Pfand der Herrlichkeit. Durch Ihn rufen sie: „Abba, Vater!“ (Gal 4,6); durch Ihn wissen sie, dass sie in Christus sind und Christus in ihnen (Joh 14,16–20), und hier an dieser Stelle wird uns mitgeteilt, dass durch Ihn auch die Liebe Gottes ausgegossen ist in ihre Herzen. Die Anordnung Gottes über die Reinigung des Aussätzigen (3. Mo 14) liefert uns ein treffendes Vorbild von dem, was in der gegenwärtigen Zeit mit dem Gläubigen geschieht. Der Aussätzige wurde zunächst mit Wasser gewaschen, dann mit Blut besprengt und schließlich mit Öl gesalbt. So wird auch jetzt ein Mensch zuerst bekehrt, dann teilhaftig der vollkommenen Reinigung, die durch das Blut Christi bewirkt ist, und schließlich empfängt er die Versiegelung des Heiligen Geistes. Durch Ihn haben wir die vollkommene Versicherung unseres Teilhabens an der vollbrachten Erlösung, kraft unseres gesegneten Verhältnisses zu Gott und zu Christus, und Er ist das Pfand der zukünftigen Herrlichkeit. Alles aber ist die Folge der Besprengung mit dem Blut Christi.
So ist Gott von uns gekannt, wir sind teilhaftig geworden der göttlichen Natur, wir haben unsere Erlösung und Rechtfertigung verstanden und machen die Erfahrung von seiner Treue. Er offenbart sich unseren Seelen und offenbart uns auch die Herrlichkeit, die vor uns liegt. Wir wissen, dass wir in Ihm sind, und dass Gott in uns wohnt. So rühmen wir uns nicht allein dessen, was Er uns gegeben hat, nicht allein unserer Errettung, sondern auch Gottes selbst. Ein dankbares Kind ist nicht nur darüber glücklich, dass es viel von seinem Vater empfangen hat, sondern sein Herz erfreut sich auch darin, dass sein Vater ein solcher ist, wie ihn seine liebevollen Wege offenbart haben; es ist glücklich, weil sein Vater für sein Herz alles ist, was es liebt; es erfreut sich in persönlicher Erfahrung in seinem Vater und rühmt sich seiner. Welch ein Vorrecht, uns Gottes selbst rühmen zu können! Das macht die Freude und den Genuss der Gnade groß. Der höchste Charakter unserer ewigen Freude wird dadurch schon hienieden verwirklicht, und diese Freude ist begleitet von einem tiefen Frieden. Was Gott ist in sich selbst, ist der unendliche, aber gegenwärtige Gegenstand für eine Natur, die fähig ist, Ihn zu genießen, indem der Heilige Geist Ihn in der Seele offenbart.
Hiermit ist der erste Teil des Briefes und, man kann sagen, die Lehre des ganzen Briefes beendigt. Was jetzt noch folgt, ist unsere Stellung in Christus sowie die Erfahrungen, welche in der Seele gemacht werden, um in diese Stellung einzutreten. Dann folgen Ermahnungen für die Befreiten. Unsere Stellung ist nicht im Fleisch, sondern im Geist, oder in Christus. Um aber wahrhaft befreit zu werden, müssen wir lernen, was das Fleisch ist, und zwar durch die Erfahrung; dann, und nur dann, werden wir aus dem gesetzlichen Zustand der Seele in den geistlichen in Christus hinübergehen, kraft des Todes und des Lebens Jesu Christi. Doch wir werden später noch einmal hierauf zurückkommen. Zunächst müssen wir die Stellung selbst, oder vielmehr die zwei Stellungen, und die darauf bezügliche Lehre betrachten. Es ist wichtig, hier zu bemerken, dass es sich bei dieser Befreiung um Erfahrung handelt, durch welche sie allein gekannt werden kann. Mit der Vergebung der Sünden ist es anders. Wohl ist es wahr, dass Gott uns in allem belehren muss; aber zu glauben, dass etwas außer mir getan oder geschehen ist, ist etwas ganz anderes, als etwas von mir selbst zu glauben, was ich praktisch nicht in mir verwirklicht finde. Das Werk Christi auf dem Kreuz, wodurch ich Vergebung und, insofern es sich um Vergebung handelt, Frieden erlange, ist außer mir vollbracht worden, und ich bin berufen, zu glauben, dass Gott es als Genugtuung für meine Sünden angenommen hat. Dass ich dies glaube, ist wohl das Werk Gottes in meinem Herzen, aber die Sache an und für sich ist einfach. Ein Kind, welches bestraft werden soll, versteht ganz gut, was es heißt, Vergebung zu erhalten. Aber wenn man mir sagt: Wenn du glaubst, so bist du tot für die Sünde, so erwidere ich, und zwar gerade dann, wenn ich ernst und aufrichtig bin: Das ist nicht wahr, denn ich fühle ihre Wirksamkeit in meinem Herzen. Diese Frage nun – unser Zustand – wird in dem zweiten Teil des Römerbriefs behandelt. Sind wir im Fleisch oder im Geist? Sind wir in Christus und ist Christus in uns, sind wir also der Sünde gestorben, oder sind wir bloße Kinder Adams, so dass die Sünde ihre Kraft in uns ausübt, selbst wenn wir es nicht wollen?
Die Behandlung dieser Frage beginnt mit dem zwölften Vers des fünften Kapitels. Der Apostel spricht nicht mehr von dem, was wir getan haben, wie im ersten Teil des Briefes, sondern von dem, was wir sind, und zwar in Folge der Sünde Adams. Durch den Ungehorsam des einen sind die vielen, d. h. alle, die durch ihre Geburt mit ihm als ihrem Urvater in Verbindung stehen, zu Sündern gemacht worden. „Wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen und durch die Sünde der Tod und also der Tod zu allen Menschen durchgedrungen ist, indem sie alle gesündigt haben“ (V 12). Die Fortsetzung dieses Satzes erfolgt erst im 18. Verse. Die Verse 13–17 bilden einen Zwischensatz, dessen Zweck ist, zu zeigen, in welchem Verhältnis das Gesetz zu dieser Frage steht, und zu beweisen, dass der Mensch, ohne ein Gesetz von Gott empfangen zu haben, unter dem Joch der Sünde steht und dem Gericht verfallen ist. Der Beweis, dass die Sünde über alle Menschen herrscht, ist der Tod. Adam war unter einem Gesetz; es war ihm verboten, von der Frucht eines gewissen Baumes zu essen. Die Juden standen, wie wir alle wissen, als Volk unter dem Gesetz Moses. Wenn also Adam das ursprüngliche Gesetz, und die Juden die Gebote Gottes nicht beobachtet hatten, so waren sie in bestimmter Weise in dem Punkt schuldig, worin sie ungehorsam gewesen waren. Sie hatten das getan, was das Gesetz verboten hatte. Der 14. Vers bezieht sich auf das, was in Hosea 6,7 von Israel gesagt ist: „Sie haben den Bund übertreten wie Adam.“ Adam wie Israel standen mit Gott in Verbindung durch ein bestimmtes Gesetz. Mit den Heiden war es anders; sie besaßen kein Gesetz. Wohl hatten sie das Gewissen und die Pflicht, Gott gehorsam zu sein. Aber man konnte nicht sagen, dass sie in diesem oder jenem Punkt einen gekannten Befehl Gottes übertreten hätten, weil es keinen gab. Es war für sie kein Gesetz vorhanden, und so konnte man das, was sie getan hatten, ihnen nicht als Übertretung zurechnen. Aber die Sünde war da; das Gewissen nahm alles wahr, was gegen seine Stimme getan wurde, und der Tod herrschte über sie. Die Herrschaft des Todes bewies also das Vorhandensein der Sünde, deren Folge er war. Ein jeder, auch wenn er nicht unter Gesetz stand, hatte sein Gewissen verunreinigt, und der Tod war der beständige Beweis von dem Vorhandensein der Sünde. Die Nationen, die kein Gesetz hatten, starben eben sowohl wie die Juden.
Sollte sich denn die Wirksamkeit der Gnade auf den engen Kreis des Judentums beschränken, weil die Juden allein die Verheißungen und alle Vorrechte einer Offenbarung, besonders das Wort Gottes, besaßen? Im Gegenteil. Das Christentum war die Offenbarung Gottes selbst, nicht allein des Willens Gottes in Bezug auf die Menschen; deshalb dehnte sich diese Offenbarung notwendigerweise weit über die Grenzen des Judentums aus. Im Christentum gibt es kein einem einzelnen Volk gegebenes Gesetz; dem Volk Israel war ein Gesetz gegeben worden, welches lehrte, was der Mensch sein sollte, aber es offenbarte Gott nicht. Wohl war es von Verheißungen begleitet, aber von Verheißungen, die noch nicht erfüllt waren; zugleich verbot es dem Menschen den Zugang zu Gott. Das Christentum aber gab eine Offenbarung Gottes nach der Liebe, in der Person des Sohnes; es verkündigte eine vollkommene Erlösung durch seinen Tod, eine vollkommene, gegenwärtige Rechtfertigung durch den Glauben, kraft dieses Todes. Es bezeugte, dass der Vorhang, der den Zugang zu Gott verbot, zerrissen ist, so dass der Zugang vollkommen frei geworden und der Gläubige mit Freimütigkeit auf diesem neuen und lebendigen Weg herzunahen kann. So ist also die ewige Segnung nicht in dem ersten sündhaften Menschen, noch auch durch das Gesetz. Denn dieses konnte, indem es auf jenen angewandt wurde, nicht anders, als ihn verdammen, weil es die vollkommene göttliche Richtschnur für das Verhalten eines Menschen bildete, und es stellte, da der Mensch ein Sünder war, alle, die unter Gesetz standen, unter den Fluch. Die Segnung Gottes ist in dem letzten Adam, dem zweiten, und zwar verherrlichten Menschen, nachdem Er vorher für uns zur Sünde gemacht worden war; in Ihm, welcher der Kraft Satans begegnete und sich dem Tod unterwarf, obgleich Er von demselben nicht behalten werden konnte, welcher sich dem Fluch und dem Verlassensein von Gott in seiner Seele unterzog und von Gott, der durch sein Werk vollkommen verherrlicht wurde, aus den Toten auferweckt und als Mensch zu seiner Rechten gesetzt worden ist. Ein Gott, der sich in solcher Weise offenbart hatte, konnte nicht Gott der Juden allein sein.
In den Versen 15–17 zeigt der Apostel, dass die Gnade die Sünde noch weit übertrifft. Wenn die Folgen der Sünde Adams nicht allein auf ihn beschränkt blieben, sondern sich auch auf seine Nachkommen erstreckten, so gehen noch vielmehr die Folgen des Werkes Christi auf diejenigen über, welche sein sind. Nach Vers 16 sind durch die Sünde Adams alle seine Nachkommen verloren, aber die Gnade, die freie Gabe, ist nicht allein für den verlorenen Zustand, sondern auch für viele Übertretungen gültig. Die Überschwänglichkeit der Gnade tritt besonders glänzend im 17. Vers hervor, in welchem wir lesen: „Denn wenn durch die Übertretung des Einen der Tod durch den Einen geherrscht hat, so werden vielmehr die“ – man sollte denken, es müsse der Nachsatz lauten: so wird vielmehr das Leben herrschen; aber nein, sondern – „die, welche die Überschwänglichkeit der Gnade und der freien Gabe der Gerechtigkeit empfangen, im Leben herrschen durch den Einen, Jesus Christus“ (Fortsetzung folgt).
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