Botschafter des Heils in Christo 1882
Sicherheit, Gewissheit und Genuss - Teil 2/2
Wieder andere fragen: „Wie kann ich wissen, dass ich wirklich glaube? Ich habe oft genug versucht, zu glauben, und habe in mich geblickt, um zu sehen, ob ich den rechten Glauben besitze, aber je mehr ich auf meinen Glauben blicke, desto weniger scheine ich ihn zu haben.“ Ach, alle diese blicken in der verkehrten Richtung, und gerade ihre vergeblichen Anstrengungen, zu glauben, beweisen, dass sie auf dem falschen Wege sind. Wieder möchte ich versuchen, durch ein einfaches Beispiel aus dem täglichen Leben den Kern der Sache bloßzulegen.
Denke dir, du säßest eines Abends ruhig in deinem Zimmer. Plötzlich klopft es, und auf dein „Herein!“ tritt ein Mann ins Zimmer, den du als eine wenig vertrauenswürdige Person kennst, die es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Er erzählt dir, dass der Stationsvorsteher des Ortes soeben verunglückt und tot nach Haus gebracht worden sei. Glaubst du diesem Mann, oder versuchst du nur, ihm zu glauben?
„Sicherlich nicht!“ wirst du sagen. Aber warum nicht? Weil du auf deinen Glauben oder auf deine Gefühle blickst? Nein, weil du den Mann, der dir die Nachricht bringt, als einen Lügner kennst.
Einige Minuten später besucht dich ein Nachbar, der dich einmal vor langer Zeit betrogen hat und sagt: „Haben Sie schon gehört, dass der Stationsvorsteher heute Abend von einem Güterzug überfahren und sogleich getötet worden ist?“ – Immer noch weißt du nicht, ob du die Botschaft als wahr annehmen sollst, da du auch diesem Mann nicht völliges Vertrauen schenken zu können glaubst. Kaum aber hat er dich verlassen, so tritt dein bester Freund ins Zimmer und wiederholt die Worte der beiden Besucher. „Jetzt glaube ich es“, rufst du aus, „denn mein Freund hat mich noch nie betrogen, und wird es auch sicherlich nie tun.“ Und nun frage ich noch einmal: „Warum glaubst du jetzt? Glaubst du, weil du in dir die rechten Gefühle entdeckst?“ O nein; du glaubst, weil dein Freund dein völliges Vertrauen verdient. Ebenso ist es mit der frohen Botschaft, welche Gott mir in seinem Wort verkündigt. Ich glaube sie, weil Er, der sie mir bringt, nicht lügen kann, weil Er mein gänzliches, rückhaltloses Vertrauen verdient. Ich blicke nicht auf meinen Glauben, sondern auf den, der zu mir redet, und indem ich Ihn betrachte, rufe ich aus: „Ja, Er ist würdig, dass ich Ihm ganz vertraue; Er kann nicht lügen – Er wird sein Wort wahrmachen.“ „Wenn wir das Zeugnis der Menschen annehmen, das Zeugnis Gottes ist größer; denn dies ist das Zeugnis Gottes, das Er gezeugt hat über seinen Sohn. Wer an den Sohn Gottes glaubt, hat das Zeugnis Gottes in sich selbst; wer Gott nicht glaubt, hat Ihn zum Lügner gemacht, weil Er nicht geglaubt hat an das Zeugnis, das Gott gezeugt hat über seinen Sohn“ (1. Joh 5,9–10). „Abraham glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet“ (Röm 4,3).
So mancher betrachtet den Glauben als ein unbeschreibliches etwas, das er in sich fühlen müsse, um dann sicher zu sein, dass er für den Himmel passend sei. Aber das ist der Glaube durchaus nicht. Der wahre Glaube blickt nach außen auf eine lebendige Person, auf Christus und auf sein vollbrachtes Werk, und lauscht ruhig auf das Zeugnis eines Gottes, der die Wahrheit und das Licht selbst ist. Und dieser Blick nach außen gibt der Seele inneren Frieden. Wenn ich mein Antlitz der Sonne zukehre, so ist mein Schatten hinter mir; ich sehe ihn nicht. Ebenso unmöglich ist es, einen verherrlichten Christus im Himmel und zu gleicher Zeit sich selbst anzuschauen.
So sehen wir, dass die gesegnete Person des Sohnes Gottes mein Vertrauen gewinnt. Sein vollbrachtes Werk gibt mir ewige Sicherheit, und das Wort Gottes über alle, die an Ihn glauben, verleiht mir eine unumstößliche Gewissheit im Blick auf meine Errettung. Ich finde in Christus und in seinem Werk den Weg des Heils und in dem Wort Gottes die Erkenntnis des Heils.
Aber woher kommt es, dass so mancher, der seiner Errettung gewiss ist, dennoch so oft die Freude des Heils verliert und in einem ebenso unglücklichen, ja vielleicht noch unglücklicheren Seelenzustand einhergeht, als vor seiner Bekehrung? Diese Frage führt uns zu dem dritten Abschnitt unserer Betrachtung.
Wir finden in dem Wort Gottes, dass wir, errettet durch das Werk Christi und gewiss gemacht durch das Wort Gottes, in dem Genuss des Heils, in unserer Freude und in unserem Trost aufrecht gehalten werden durch den Heiligen Geist, welcher in jedem Erretteten wohnt. Doch zugleich dürfen wir nicht vergessen, dass ein jeder Gläubiger „das Fleisch“, d. h. die böse Natur, mit welcher er geboren wurde und die sich schon zeigte, als er noch als ein hilfloses Kind auf dem Schoß seiner Mutter lag, an sich trägt. Der Heilige Geist in dem Gläubigen widersteht dem Fleisch und wird durch jede Regung desselben, sei es in Gedanken, Worten oder Werken, betrübt. Wenn der Christ „würdig des Herrn“ wandelt, so wird der Heilige Geist in ihm seine gesegneten Früchte: „Liebe, Freude, Friede. Langmut, Freundlichkeit usw.“ hervorbringen (Gal 5,22). Wandelt er in einer fleischlichen, weltlichen Weise, so wird der Geist betrübt, und jene Früchte fehlen in größerem oder geringerem Maß.
So wie das Werk Christi und unsere Errettung mit einander stehen oder fallen, so stehen oder fallen auch mit einander unser Wandel und unser Genuss. Gott sei Dank, dass das Werk Christi nie fallen kann! es besteht ewig, und damit unsere Errettung. Anders aber ist es mit unserem Wandel; er kann fallen, d. h. nicht in Übereinstimmung sein mit unserer Stellung und Berufung, und dann wird sicherlich auch unsere Freude schwinden. Meine geistliche Freude wird stets mit dem geistlichen Charakter meines Wandels nach meiner Bekehrung in Übereinstimmung stehen. So lesen wir von den ersten Christen in Apostelgeschichte 9,31: „Sie wandelten in der Furcht des Herrn und wurden vermehrt durch den Trost des Heiligen Geistes“, und in Apostelgeschichte 13,52: „Die Jünger aber waren erfüllt mit Freude und Heiligem Geist.“
Wir sehen also, dass unsere Sicherheit abhängt von dem Werk Christi für uns, dass unsere Gewissheit beruht auf dem Wort Gottes zu uns, und dass endlich unser Genuss davon abhängig ist, ob wir den Heiligen Geist in uns nicht betrüben. Niemals aber dürfen wir unsere Sicherheit und Gewissheit mit unserem Genuss verwechseln. Wenn wir als Kinder Gottes etwas tun, was den Heiligen Geist betrübt, so ist unsere praktische Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn unterbrochen, und zwar solange, bis wir uns selbst richten und unsere Sünden bekennen. Erst dann wird die Freude der Gemeinschaft wiederhergestellt. Das Beispiel eines unartigen Kindes ist schon so oft angeführt worden, dass ich hier nur darauf hinzudeuten brauche. Ein solches Kind erfreut sich nicht eher wieder des praktischen Genusses der Liebe und der Gemeinschaft des Vaters, bis es seine Unart bekannt und seiner Trauer über das Vorgefallene Ausdruck gegeben hat. Doch dies hat nichts mit seiner Kindschaft zu tun. Diese beruht auf seiner Geburt, nicht aber auf seinem Verhalten. Als David sich so schwer mit dem Weib des Uria vergangen hatte und zum Bewusstsein seiner Sünde gekommen war, betete er nicht: „Lass mir wiederkehren deine Rettung“, sondern: „Lass mir wiederkehren die Freude deiner Rettung!“ (Ps 51,12)
So ist es mit jedem Gläubigen. Hat er gesündigt, so ist die Gemeinschaft unterbrochen und seine Freude solange gestört, bis er mit einem „gebrochenen und zerschlagenen Herzen“ zum Vater kommt und seine Sünde bekennt. Aber dann erhält er die Gewissheit, dass ihm die Sünde vergeben ist; denn das Wort Gottes bezeugt klar und bestimmt: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit“ (1. Joh 1,9). O, möchte doch keins der teuren Kinder Gottes jemals vergessen, dass es nichts Festeres gibt, als das Band des Kindesverhältnisses zu seinem Gott und Vater, aber auch nichts Zarteres, als das Band der Gemeinschaft! Keine Macht der Erde und der Hölle vermag das erstere zu verletzen, während ein einziger unreiner Gedanke, ein einziges unnützes Wort das letztere notwendig Zerreißen muss.
Haben wir uns daher vergessen und den Genuss der Gemeinschaft mit unserem Gott und Vater und seinem Sohn Jesus Christus verloren, so lasst uns stille stehen und mit aufrichtigem Ernst unser Herz auf unseren Weg richten! Und haben wir den Dieb entdeckt, der uns unsere Freude und unseren Frieden geraubt hat, so lasst uns ihn sogleich ans Licht bringen, lasst uns unsere Sünde vor unserem Vater bekennen und schonungslos mit uns selbst ins Gericht gehen wegen des unwachsamen, gleichgültigen Zustandes unseres Herzens, der dem Dieb erlaubt hat, einzudringen. Denken wir nicht, dass die Sünde des Gläubigen vor Gott weniger hassenswert sei, als diejenige des Ungläubigen. Seine Gedanken über die Sünde sind stets dieselben; Er kann ebenso wenig stillschweigend an der Sünde des Gläubigen vorübergehen, wie an der Sünde eines Verächters seines geliebten Sohnes. Wohl gibt es einen Unterschied zwischen diesen beiden Personen. Die Sünden des Gläubigen waren alle zum Voraus Gott bekannt und wurden alle auf das von Ihm zuvor erkannte Lamm gelegt, als es auf Golgatha am Stamm des Kreuzes hing. Dort wurde ein für alle Mal die richterliche Frage in Bezug auf diese Sünden geordnet, indem das Gericht für dieselben das Haupt des reinen, fleckenlosen Opferlammes traf, welches „an seinem Leib unsere Sünden auf das Holz trug“ (1. Pet 2,24). Der Verwerfer Christi dagegen muss selbst seine Sünden für immerdar in dem Feuersee tragen. Wenn daher ein Erretteter fehlt, so kann die richterliche Frage nicht wieder erhoben werden, wohl aber wird die Frage der Gemeinschaft erhoben, so oft er den Heiligen Geist betrübt; und wenn ein solcher Christ trotz der Mahnungen seines Gewissens und der Stimme des Heiligen Geistes, die ihn in seinem Innern straft, auf seinem bösen Wege vorangeht, so werden Züchtigungen von Seiten des Vaters ihn treffen. Er wird gerichtet in den Wegen der Regierung Gottes hienieden, wie der Apostel den Korinthern zuruft: „Wenn wir aber gerichtet werden, so werden wir vom Herrn gezüchtigt, auf dass wir nicht mit der Welt verurteilt werden“ (1. Kor 11,32).
Indessen wiederhole ich noch einmal, dass durch die Untreue eines Gläubigen und durch die derselben notwendigerweise folgende ernste Sprache Gottes die Frage der Errettung in keiner Weise berührt wird. Wenn mein Herz in Folge meiner Unwachsamkeit und Untreue unglücklich und gedrückt ist, so wird dadurch weder das Werk Christi noch das Wort Gottes verändert. Was sich verändert hat, ist die Tätigkeit des Heiligen Geistes. Anstatt von den herrlichen Dingen Christi nehmen und mein Herz mit dem Bewusstsein und dem Genuss seiner Vortrefflichkeit und Schönheit erfüllen zu können, ist Er betrübt und muss sich mit meiner Sünde und Untreue beschäftigen, um mich zu einem Gefühl meines traurigen Zustandes zu bringen. Und der Vater, anstatt mich seine köstliche Gemeinschaft genießen lassen zu können, muss mich, wenn ich in der Sünde verharre, züchtigen und mit mir über mich selbst reden. Ach! welch ein unermesslicher Verlust ist das! Möchte der Herr uns mit jedem Tag wachsamer und eifersüchtiger über uns selbst machen, damit wir nicht den Heiligen Geist betrüben, durch welchen wir versiegelt sind für den Tag der Erlösung (Eph 4,30)!
Gepriesen sei unser geliebter Herr, dass Er in seiner Gnade und Güte sich nie verändert! „Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit“ (Heb 13,8). Auch sein Werk wird sich nie verändern. „Ich weiß, dass alles, was Gott tut, für ewig sein wird; es ist nichts hinzuzufügen und nichts davon hinwegzunehmen“ (Pred 3,14). Und ebenso wenig wird sein Wort jemals wanken. „Alles Fleisch ist wie Gras, und alle seine Herrlichkeit wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorrt, und seine Blume ist abgefallen; aber das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit“ (1. Pet 1,24–25). Welch eine Ruhe gibt uns dies angesichts unserer Schwachheit! Der Gegenstand meines Vertrauens, die Grundlage meines Heils, der Grund meiner ewigen Sicherheit und Gewissheit – sie sind alle gleich unveränderlich, so unerschütterlich wie Gott selbst.
Doch sollte uns das Bewusstsein, dass wir so hoch begnadigt sind, und dass unser Heil in Ihm für alle Ewigkeit feststeht, gleichgültig machen? O nein und abermals nein! Wo eine solche Gesinnung vorhanden ist, da verrät sie einen höchst traurigen Zustand des Herzens. Man gebraucht dann die Gnade Gottes und die Freiheit, zu welcher Er uns gebracht hat, zu einem Anlass für das Fleisch. Wie schrecklich dies ist, brauche ich nicht zu sagen. Gebe der Herr uns allen in seiner Gnade, dass wir würdig wandeln der Berufung, womit wir berufen sind! Möchte Er in unseren Herzen eine heilsame Furcht vor der Sünde, ja vor uns selbst, und zugleich eine wahre Gottesfurcht erwecken! Möchten wir nie vergessen, dass wir den als Vater anrufen, der Licht ist und der ohne Ansehen der Person richtet nach eines jeden Werk! „Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit Ihm haben, und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit. Wenn wir aber in dem Licht wandeln, wie Er in dem Licht ist, so haben wir Gemeinschaft mit einander, und das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde“ (1. Joh 1,6; 7).