Botschafter des Heils in Christo 1882
"Was ist mit dir, du Schläfer?"
Es war der Prophet Jona, an welchen die obige Frage gerichtet wurde. Gott hatte ihm den Auftrag gegeben, der Stadt Ninive, deren Sünden überhandgenommen hatten, das Gericht anzukündigen. Doch er wollte dem Wort Gottes nicht gehorchen und versuchte dem Angesicht Jehovas zu entfliehen. Er ging deshalb hinab nach Joppe und stieg in ein Schiff, das nach Tarsis fuhr. Welch ein törichtes Beginnen! Wie war es möglich, dass er Gott entfliehen konnte? Gott sah ihn eben sowohl auf dem Meer, wie auf dem Land. „Und Jehova warf einen großen Wind auf das Meer, und es ward ein großer Sturm auf dem Meer, so dass das Schiff zu brechen drohte“ (Jona 1,4). Doch Jona merkte von dem allen nichts. Er war in den unteren Schiffsraum hinabgestiegen und in tiefen Schlaf gesunken. Er schlief so fest, dass das Tosen des Sturmes und das Rauschen der empörten Wellen ihn nicht zu wecken vermochten. „Wie ist es möglich“, fragst du vielleicht, „dass ein Mensch unter solchen Umständen ruhig schlafen kann?“ Aber erlaube mir die Frage, ob es dir nicht genau so geht, wie dem Jona. Schläfst du nicht auch ganz ruhig inmitten einer Gefahr, die dich von allen Seiten umringt? Es mag kein Sturm sein, den dein Ohr vernimmt, noch wogende Wellen, die dich bedrohen, aber darum ist die Gefahr für dich nicht weniger groß. Der Tod hält täglich seine Ernte um dich, her. Du hörst, wie unerwartet und plötzlich so viele dahingerafft werden, die durchaus nicht daran dachten, noch auf den Tod vorbereitet waren. Sie wussten, dass nur ein Schritt lag zwischen ihnen und dem Tod, sie hatten oft genug gesehen, wie unsicher das Leben des Menschen ist, um überzeugt zu sein, dass auch für sie jeden Augenblick die Stunde kommen konnte, wo sie aus der Zeit in die Ewigkeit hinübergehen mussten. Aber alles das war vergeblich. Sie schliefen fort, wie Jona es tat, bis die kräftige Stimme des Obersteuermanns ihn mit den Worten aufweckte: „Was ist mit dir, du Schläfer?“ Aus seinem Schlaf aufschreckend, sah er mit Erstaunen die Gefahr, in welcher er sich befand – eine Gefahr, der er nicht mehr entrinnen konnte und in welche er nicht gekommen wäre, wenn er der Stimme des Herrn gehorcht hätte. „Stehe auf, rufe deinen Gott an!“ wird ihm gesagt. Doch Jona konnte nicht rufen – er hatte gesündigt gegen den Herrn, und er sah in dem Sturm und in dem Ungestüm der Wellen deutlich die Hand Gottes, die ihn verfolgte. Es war jetzt zu spät, und deshalb riet er selbst den Schiffsleuten, ihn in die wogende See zu werfen.
Wie zahlreich und wie ernst sind auch in unseren Tagen die Mahnungen, welche Gott an den Menschen gelangen lässt. Er lässt zu, dass in einem Augenblick Tausende durch die Sichel des Todes dahingemäht werden; Er beweist, dass Geld und Gut, Ehre und Ansehen nichtig und eitel sind, und dass derjenige ein Tor ist, welcher auf diese Dinge vertraut. Gewaltige Stürme sind in den letzten Jahrzehnten über Länder und Völker dahingebraust, die Mächte und Throne zum Wanken gebracht haben. Doch alles das scheint nicht im Stande zu sein, den Menschen aus seinem tiefen Schlafe aufzurütteln. – Wie steht es mit dir, mein Leser? Schläfst du auch noch ruhig weiter? Fährst du immer noch sorglos fort, zu bauen, zu pflanzen, zu arbeiten, die Welt zu genießen und Schätze zu sammeln, als ob du immerdar auf dieser Erde bleiben würdest? Ist noch kein anderer Gedanke, keine andere Frage in dir aufgestiegen, als diese: „Was soll ich essen oder trinken, und womit soll ich mich kleiden?“ Hast du noch kein einziges Mal Zeit gefunden, an die Ewigkeit zu denken? An wie viele Tausende ist in diesen letzten Tagen das Wort des Herrn herangetreten! Mehr wie je wird die frohe Botschaft von der Liebe Gottes auf der ganzen Erde verkündigt. An unzählige Herzen hat der Herr angeklopft und Einlass begehrt. Aber ach! Sie haben fortgeschlafen, bis der Tod seine kalte Hand auf sie legte. Da hätte so mancher noch gerne nach Gnade gerufen und sich zu Gott gewandt; aber es war zu spät, um dem Verderben zu entgehen. Krankheit und Tod überfielen ihn wie ein gewappneter Mann, und ehe er es ahnte, hatte das Herz seinen letzten Schlag getan.
„Was ist mit dir, du Schläfer?“ Ja, Jona schlief fest, aber gewiss nicht ruhig; denn er floh von dem Angesicht des Herrn. Doch kaum war er erwacht, so sah er, dass es unmöglich war, Gott zu entfliehen; der Herr wusste ihn auch auf der See zu finden. Auch der Mensch wünscht dem Angesicht Gottes zu entfliehen und macht zu diesem Zweck die größten Anstrengungen. Er wirft sich in die Arme der Welt oder der Sünde, er sucht allerlei Zerstreuung, um dadurch die Stimme des Gewissens zum Schweigen zu bringen. Mag ihm dies auch gelingen, so kann er doch nimmermehr Gott entfliehen. Einmal kommt für einen jeden der Augenblick, wo Gott ihn finden wird, mag er sich auch verbergen, wo er will. Ob er sich in der Sünde wälzt, ob er Genuss sucht in der Welt, ob er sich in sein Geschäft vertieft, sich entschuldigt mit seinen Umständen und Verhältnissen, sich beruhigt mit seiner Bravheit und Ehrlichkeit – die Stimme Gottes wird ihn aufwecken. Er wird alles verlassen und in eine finstere, endlose Ewigkeit hinübergehen müssen. Ach, und dann ist sein Los für ewig entschieden, dann ist alles Klagen umsonst, keine Umkehr und Rettung mehr möglich. Erwache deshalb, wenn du noch schläfst, und nimm deine Zuflucht zu Jesu, um bei Ihm ewiges Heil und ewiges Leben zu finden! Tue es jetzt, ehe jene schreckliche Zeit kommt, wo du keine Gnade mehr erlangen kannst!
Jona hatte gesündigt, aber er fand Gnade bei Gott. Er erkannte, was er getan hatte, und Gott erbarmte sich über ihn. Auch du bist ein Sünder, aber auch über dich will Gott sich erbarmen, auch dir will Er Gnade schenken, jedoch nicht, ohne dass du deine Schuld und Sünde vor Ihm bekennst und richtest. Solange Jona dies nicht tat und dem Herrn zu entfliehen suchte, fand er in Gott seinen Verfolger; und solange du auf eine andere Weise dein Gewissen zu beruhigen suchst, als auf dem Weg, den Er dir vorschreibt, nämlich dass du als ein armer, verlorener Sünder zu Jesu kommst, findest du in Gott deinen Gegner. Denn Gott kann dir nicht anders gnädig sein, als um Jesu willen. Er kann deine unzähligen Sünden nicht anders austilgen, als durch das Blut Jesu, seines reinen und fleckenlosen Opferlammes. Jesus ist der einzige Weg zum Vater. „Niemand“, so sagt Er, „kommt zum Vater, als nur durch mich.“ Bedenke dieses wohl und ruhe nicht eher, bis du Frieden gefunden hast in dem Blut, des Kreuzes! Besitzest du diesen Frieden, so Haft du keinen Grund, ängstlich zu sein, was auch geschehen möge; denn dann kannst du mit dem Apostel Paulus und mit allen, die den Herrn kennen, sagen: „Sei es, dass wir leben, sei es, dass wir sterben, wir sind des Herrn“ (Röm 14,8).
Vielleicht hast du schon manche Warn– und Mahnstimme unbeachtet gelassen; o so höre denn jetzt! die Stimme Gottes ist ernst, und doch so voll Gnade und Liebe. Er möchte dich so gerne durch seine Güte zur Buße leiten. Er will nicht den Tod des Sünders. Er will auch nicht dein Verderben, mein lieber Leser, sondern es ist seine Freude, dich zu erretten. Er sucht dich. Latz dich deshalb von Ihm finden und eile zu Jesu! Verschmähe es nicht, dieser Aufforderung Folge zu leisten! Vielleicht ist es die letzte, die an dich ergeht.