Vorträge über die Sendschreiben an die 7 Versammlungen
Botschafter des Heils in Christo 1882
Vorträge über die Sendschreiben an die sieben Versammlungen - Teil 14/14
Siebenter Vortrag
Aus den angeführten Stellen ersehen wir, dass die unmittelbare Veranlassung, der Gegenstand und die innere Quelle der kommenden schrecklichen Gerichte die bekennende Kirche selbst ist. Sie hätte das Zeugnis Gottes auf der Erde sein sollen, der Brief Christi, gekannt und gelesen von allen Menschen; da sie sich aber völlig verdorben hat, so ist sie es gerade, welche in erster Linie und endgültig den Zorn Gottes herbeiführt. Geliebte Freunde, es ist von außergewöhnlichem Ernst, sich sagen zu müssen, dass nicht nur Israel und Babylon dem Gericht anheimfallen werden, sondern dass auch, nach dem Wort Gottes, die bekennende Kirche dasselbe Los treffen wird. Ich verstehe hier unter dem Wort „Kirche“ die ganze Christenheit, alles, was bekennt, den Namen Christi zu tragen. Wir finden dasselbe Zeugnis in der Brief des Johannes: „Jetzt sind auch viele Antichristen geworden.“ Ich zweifle nicht daran, dass der Antichrist aus den Juden hervorkommen und eine völlige Offenbarung jenes antichristlichen Geistes sein wird, der jetzt schon den Vater und den Sohn leugnet, sowie leugnet, dass Jesus der Christus ist. Es ist ein schrecklicher Gedanke, dass dieser Abfall einen religiösen Charakter trägt. Das Kennzeichen der „vielen Antichristen“ besteht in der Verleugnung der christlichen Wahrheit; und obwohl ein völliger Abfall sich offenbaren wird, so wird es doch immer ein Abfall von den Lehren des Christentums sein. Ach, wie bald ist dieser Geist des Abfalls eingedrungen! Wie bald musste der Apostel sagen: „Alle suchen das Ihrige, nicht das, was Jesu Christi ist!“ Möchte der Herr in seiner Gnade die Augen seiner Heiligen öffnen, damit sie die Natur und den wahren Charakter dieser letzten bösen Tage erkennen und daran gedenken, dass Gott wohl lange Zeit Geduld beweisen kann und bewiesen hat, um Seelen zu erretten, und dass in diesem Sinn „die Langmut des Herrn für Errettung zu achten ist“, dass aber sein Gericht, wenn auch verzögert, doch nicht aufgehoben ist. Denn das Wort aus seinem eigenen Mund bezeugt es uns, und das einzige Heilmittel für das gegenwärtige Übel ist das Gericht.
Wie wir gesehen haben, drangen von Anfang an die Grundsätze des Verderbens in die Kirche ein, und das Zeugnis für Gott verschwand. Das Unkraut wurde gesät und so die Saat im Acker verdorben. Das Geheimnis der Gesetzlosigkeit begann sich wirksam zu erweisen. In dem Sendschreiben an Laodizea schreibt der Herr den doppelten Charakter des Bösen, das Er in dieser Versammlung vorfand, den bösen Grundsätzen zu, die im Anfang eingedrungen waren. Der Zweck, weshalb die Saat ausgestreut, war gänzlich verfehlt worden, denn anstatt ein Zeugnis für Gott zu sein, sagt die Kirche: „Ich bin reich und bin reich geworden und bedarf nichts.“ Zwei Dinge von besonderer Wichtigkeit kennzeichnen diese Versammlung in Laodizea; zunächst maßt sie; sich an, in sich selbst große, geistliche Reichtümer zu besitzen, und dann ist im Blick auf Christus ihr Zustand „weder kalt noch warm.“ So finden wir auf der einen Seite große Anmaßung und auf der Anderen nur die Form, aber nicht die Kraft des Lebens: „Du bist weder kalt noch warm.“ Es ist zwar kein entschiedener Hass gegen Christus vorhanden, aber auch kein entschiedener Eifer für Ihn. Die Kirche geht äußerlich, in Bequemlichkeit und Weltförmigkeit voran, während sie zugleich auf große geistliche Reichtümer Anspruch macht, und dies ist ein sicheres Zeichen der Armut; denn da, wo man sich rühmt, in sich selbst die Reichtümer Gottes zu besitzen, kann man stets mit Sicherheit darauf rechnen, der Armut zu begegnen, weil diese Reichtümer in Christus allein zu finden sind. Wenn die Kirche sagt: „Ich bin reich und bin reich geworden und bedarf nichts“, so rühmt sie sich, Reichtümer in sich selbst zu besitzen, und macht auf diese Weise sich, anstatt Christus zum Gefäß der Gnade. Aber indem sie dieses tut, besiegelt sie weder durch ihr „Amen“ die Verheißungen Gottes in Christus Jesus, noch ist sie ein wahrhaftiges und treues Zeugnis für Gott. Sie hört auf, dies zu sein, sobald sie den Blick von Christus als der einzigen Quelle abwendet und sich selbst für das Gefäß der Reichtümer hält; ja, sie wird dann notwendigerweise zu einem falschen Zeugnis. Sobald ich sage: die Kirche ist dieses oder jenes, oder: die Kirche ist es, worauf ich blicke, und nicht Christus, so wird mein Auge völlig von Christus ab– und auf die Kirche hingewandt. Ich betrachte nicht mehr Christus, sondern die Kirche, wie sehr ich auch vorgeben mag, Ihn zu ehren. Es handelt sich hierbei nicht um die Treue Gottes, sondern um unsere Fehler. Dies festzuhalten ist von der höchsten Wichtigkeit, da es uns vor Täuschung zu bewahren vermag.
Die Gläubigen in Philadelphia machten nicht den vollen Gebrauch von allen den Segnungen, die ihnen in Christus zugehörten; sie hatten nur eine kleine Kraft, und alles, was der Herr von ihnen sagen konnte, war, dass sie sein Wort bewahrt und seinen Namen nicht verleugnet hatten. Da aber die Versammlung ihre Armut fühlte, so fand Christus seine Freude an ihr und konnte sagen: „Ich bin für euch, und ich komme für euch.“ „Ich werde machen, dass die, welche aus der Synagoge des Satans sind, erkennen, dass ich dich geliebt habe.“ Sobald aber die Kirche sich anmaßt, reich zu sein in sich selbst, sobald sie Reichtümer für sich in Anspruch nimmt und sich mit denselben Anerkennung verschafft, wird sie, anstatt der Gegenstand der Wonne Christi zu sein, Ihm zum Ekel, so dass Er ihr droht: „Ich werde dich ausspeien aus meinem Mund.“ Bei einem Blick auf die bekennende Kirche unserer Tage sehen wir, dass sie immer mehr in diesen Zustand hineinkommt, reich zu sein in sich selbst. Wenn ich finde, dass nur eine kleine Kraft vorhanden ist, dass aber das Wort bewahrt und der Name Christi nicht verleugnet wird, so kann ich sagen: „Freut euch! Der Herr kommt bald.“ Denn anzuerkennen, dass ich arm bin und nur wenig Kraft besitze, ist nicht Unglaube gegen Christus; wenn ich, um Kraft zu haben, mich auf Ihn stütze, weil ich mich selbst kraftlos fühle, so ist das nicht die Verleugnung dessen, was ich in dem Herrn habe, sondern ich offenbare den Charakter des Leibes, welcher seine Fülle in dem Haupt findet. Sobald ich aber sehe, dass eine Versammlung dem Gedanken Raum gibt, diese Fülle und diese Reichtümer in sich selbst zu haben, so kann ich ihr zurufen: Ihr seid auf dem Weg nach Laodizea, dessen Ende ist, aus Christi Mund ausgespien zu werben. Die Versammlung zu Laodizea glaubte, alles in sich selbst zu haben und nichts zu bedürfen, aber dies bewies nur, wie völlig unwissend sie war hinsichtlich ihres wahren Zustandes vor Gott. „Weil du sagst: Ich bin reich und bin reich geworden und bedarf nichts und weißt nicht, dass du der Elende und Jämmerliche und arm und blind und bloß bist. Ich rate dir, Gold von mir zu kaufen, geläutert im Feuer, auf dass du reich wirst, und weiße Kleider, auf dass du bekleidet wirst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, auf dass du siehst.“
Da die Versammlung in Laodizea diese Dinge nicht bei dem Herrn suchte, so fehlten sie ihr alle. „Gold“ bedeutet die göttliche Gerechtigkeit im Gegensatz zu der menschlichen und bezeichnet die Stellung und die Reichtümer der Heiligen, sowie die Grundlage, auf welcher sie stehen. Die „weißen Kleider“ sind die Werke der Heiligen, die Früchte ihres Glaubens an die göttliche Gerechtigkeit, welche aus dem Besitz dieser Gerechtigkeit hervorgehen. Menschliche Gerechtigkeit ist gänzlich verschieden von den Gerechtigkeiten der Heiligen; diese letzteren sind der Ausfluss solcher Herzen, die durch die göttliche Gerechtigkeit befreit sind. Bei einem indischen Fakir oder einem türkischen Derwisch finden wir eine Menge von Werken, aber nichts, was auf die Erlösung gegründet wäre. Die Werke des Geistes sind der Ausfluss des Geistes, welcher der Seele gegeben ist als Siegel der göttlichen Gerechtigkeit; diese heiligen Werke sind die Früchte des Heiligen Geistes in uns, jene „weißen Kleider“, welche in Laodizea gänzlich mangelten. Denn da die göttliche Gerechtigkeit fehlte, so konnte unmöglich eine praktische geistliche Gerechtigkeit vorhanden sein, wie in Offenbarung 19,8 gesagt ist: „Die seine Leinwand sind die Gerechtigkeiten der Heiligen.“ Auch fehlte ihnen die „Augensalbe“; sie waren für die Dinge Gottes so blind, wie die Natur es nur sein kann; sie hatten durchaus kein geistliches Verständnis und doch sagten sie: „Wir sehen.“ Deshalb bleibt ihre Sünde. Da sie so weder göttliche Gerechtigkeit, noch die daraus hervorgehenden Früchte des Geistes besaßen und noch in dem Zustand natürlicher Blindheit verharrten, so fehlte ihnen alles. Anmaßung war in Überfluss vorhanden, aber nichts, was vor Gott Anerkennung finden kann; alles war bloßer Schein.
Gleichwohl bricht der Herr noch nicht jede Verbindung mit Laodizea ab; aber Er spricht zu der Versammlung als außerhalb derselben stehend. Denn wenn die bekennende Kirche dahin gekommen ist, praktischer Weise eine jüdische Stellung einzunehmen, so nimmt der Herr seinen Standpunkt draußen und ruft den einzelnen Seelen, die sich innerhalb derselben befinden, zu: „Siehe, ich stehe an der Tür und klopfe an; wenn jemand meine Stimme hört“ ... Der Herr wünscht die Aufmerksamkeit ans sich zu lenken; Er begehrt Einlass; Er kündigt der Kirche an, was ihr bevorsteht: das gewisse Gericht; doch bis zur Vollziehung desselben kann Er nicht anders, als fortfahren, seine kostbare Gnade auszuüben. Die Gegenstände dieser Gnade sind jedoch jetzt einzelne Personen, da die Kirche aufgegeben ist – „wenn jemand ... die Tür auftut, zu dem will ich eingehen und das Abendbrot mit ihm essen, und er mit mir“; das heißt: nur ein solcher wird Gemeinschaft mit mir haben. „Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen.“ Auf den ersten Blick scheint dieses eine große Verheißung zu sein; ich glaube aber, dass es die geringste der in den Sendschreiben ausgesprochenen Verheißungen ist, da sie nur von einem Platz in der himmlischen Herrlichkeit redet, nicht aber von einer besonderen Verbindung mit Christus, wie dies in der Verheißung an Pergamus und selbst an die Getreuen in Sardes und Thyatira der Fall war. Die Freude einer persönlichen Vertraulichkeit – dieses ausschließliche Teil der Braut – wird hier nicht als Beweggrund vorgestellt. Mit Christus zu negieren, ist nur ein öffentliches Zeichen der Belohnung und der Herrlichkeit; etwas ganz anderes aber ist die innige Vertraulichkeit, welche durch „das verborgene Manna“ und „den weißen Stein“ ausgedrückt wird. Diejenigen, welche das Anklopfen gehört und durch die Gnade demselben Folge geleistet haben, gehen in die himmlische Herrlichkeit ein; sie haben überwunden, und der Lohn, der darin besteht, mit Ihm auf seinem Thron zu sitzen, kann ihnen deshalb nicht ausbleiben. Auch haben sie Teil an der ersten Auferstehung und somit Teil an der Herrschaft mit dem Christus. Indessen kann man von den beiden Zeugen in Offenbarung 11 dasselbe sagen. „Sie stiegen in den Himmel hinauf, und es schauten sie ihre Feinde.“ Sie sitzen auf Thronen; sie erhalten ihre Belohnung, aber diese beschränkt sich darauf, dass sie einen Platz in der Herrlichkeit haben; dagegen hören wir nichts von der philadelphischen Innigkeit der Beziehungen, von einer besonderen Wonne, die Christus darin findet, die geliebte Versammlung bei sich zu haben, und welche die Versammlung ihrerseits genießt in dem Besitz ihres geliebten Herrn. Immerhin aber haben sie ihren Platz in der Herrlichkeit.
Das feierliche Zeugnis des Herrn, dass die bekennende Kirche aus seinem Mund ausgespien werden soll, sollte unsere Herzen mit weit mehr Betrübnis erfüllen, als der Gedanke an das Gericht über die Welt; denn für das Herz hat es einen viel schrecklicheren Charakter, als selbst das Gericht über den Antichristen, weil es etwas betrifft, das den Abscheu Christi erregt, das Ihn anekelt, da es früher in einer äußeren Verbindung mit Ihm gestanden hat. Und wie wichtig ist dieses, wenn wir bedenken, dass wir mitten darin leben! Wenn ich von der bekennenden Kirche unserer Tage rede, so verstehe ich darunter das, was man gewöhnlich die Christenheit nennt, was den Namen Christi trägt, während es ihn in den Werken verleugnet. Gerade das, was einst bekannt hat, in Verbindung mit Ihm zu stehen, wird von dem Herzen, dem Geist und dem Wesen Christi, als seinen Abscheu erregend, völlig verworfen.
Der Judaismus und das Namenchristentum werden am Ende weit mehr mit einander verbunden sein, als man im Allgemeinen denkt. Das Lamm mit den zwei Hörnern, der falsche Prophet der Offenbarung, wird seine Macht zu Gunsten des römischen Kaisers verwenden. Von Anfang an trug das Verderbnis in der Kirche diesen doppelten Charakter; zunächst des Götzendienstes, der Anbetung der Engel usw. und dann des Judaismus. So lesen wir z. B. im Kolosserbrief: „Seht zu, dass nicht jemand sei, der euch als Beute wegführe durch die Philosophie und eitlen Betrug.“ „Lasst nun niemanden euch richten über Speise oder Trank oder in Ansehung eines Festes oder Neumondes oder Sabbate. ... Lasst niemanden euch um den Kampfpreis bringen, der Seinen eigenen Willen tut in Niedriggesinntheit und Dienst der Engel“ (Kol 2,8.16.18). Die Galater beobachteten, von den Juden überredet, „Tage und Monate und Zeiten und Jahre.“ Von jeher war die Neigung vorhanden, das Christentum mit dem Judentum zu vereinigen. Nachdem aber das letztere von Gott bei Seite gesetzt ist, ist es um kein Haar besser, als das Heidentum (vgl. Gal 4,8–10). Eine Religion des Fleisches, eine heidnische Anbetung der Engel, Philosophie und eitler Betrug einerseits, und das Judentum, welches Tage, Monate und Jahre beobachtet, andererseits, drangen voll Anfang an in die Kirche ein und veranlassten den Apostel Paulus, die Gläubigen vor der Rückkehr zu den armseligen Elementen der Welt und vor dem jüdischen Joch zu warnen, von welchem sie befreit worden waren. So schreibt er an die Galater: „Da ihr Gott erkannt habt ... wie wendet ihr wieder um zu den schwachen und armseligen Elementen, denen ihr wieder von neuem dienen wollt?“
Gott hatte in Israel dem Fleisch Gelegenheit gegeben, zu zeigen, dass nichts Gutes in ihm wohnt; Er hatte den Juden gestattet, der Richtung einer jeden menschlichen Religion zu folgen; indem Er ihnen das Gesetz, Satzungen, reiche Kleider, prächtige Gebäude, Posaunenschall und dergleichen gab. Aber dann kam Christus, und „Er ist des Gesetzes Ende, jeglichem Glaubenden zur Gerechtigkeit.“ Durch diese Gerechtigkeit waren die Galater von ihrer heidnischen Unwissenheit und ihren falschen Göttern befreit worden; allein sie wandten sich wieder zurück, denn indem sie die jüdischen Grundsätze annahmen, kehrten sie – als wenn sie noch im Fleisch in der Welt lebten – tatsächlich zu ihrem alten Heidentum zurück, dessen Wesen die Religion des Fleisches ist. Als Vorbilder konnte Gott die jüdischen Anordnungen benutzen, um den Menschen auf die Probe zu stellen, bis der verheißene Same gekommen wäre; nachdem dieser aber gekommen ist, haben diese Formen denselben Charakter, wie diejenigen des Heidentums; beide sind ganz und gar „ohne Gott“ und dienen nur der Gerechtigkeit des Fleisches, welches alles eifrig benutzt, was ihm einen schönen Anschein zu geben vermag. Diese Flut des Verderbens, welche von Anfang an in die Kirche eingedrungen ist – die Rückkehr zu den armseligen Elementen, die Religiosität des Fleisches, welche in Zeremonien und Satzungen ihre Ruhe findet und alles andere eher sucht, als Augensalbe – wird bis ans Ende stetig zunehmen. Die Grundsätze einer solchen Religion sind überall dieselben, und so wird sie sich mit dem verbinden, was der Form nach das Judentum ist; ebenso wird sich das Judentum seinerseits am Ende mit dieser Religion in dem Charakter des ausgeprägtesten Götzendienstes vereinigen. Die falsche Religiosität unserer Tage hat den Charakter des Judentums; – man begnügt sich damit, die Form der Gottseligkeit zu haben, ohne ihre Kraft zu besitzen.
Dieser Grundsatz des babylonischen Götzendienstes ist es, welcher am Ende durch das Tier herrschen wird. Der Geist des Unglaubens wird alles annehmen – das Judentum sowohl, wie das babylonische System – nur nicht die Wahrheit, und die Folge wird sein, dass die ungläubigen Juden durch die babylonische Macht verführt werden. Dieselbe wird im Osten die Form des Judentums annehmen, während im Westen diejenige des babylonischen Götzendienstes unverhüllt hervortreten wird. Wie überaus ernst ist der Gedanke, dass diese Welt, durch welche wir gehen, der Schauplatz solcher Ereignisse sein wird! So sehr der Mensch sich jetzt auch dieser bekennenden Kirche rühmen mag, so wird sie dennoch am Ende aus dem Mund Christi ausgespien werden, – sie, die sich anmaßt, die volle Macht des Heiligen Geistes zu besitzen, während sie alles dessen ermangelt, was Christus in seinem Wert anerkennt, dagegen sich selbst allen Wert beimisst und sich dadurch Anerkennung verschafft.
Möge uns der Herr in der Stellung von Philadelphia bewahren, so dass wir, wenn auch die Kraft gar klein ist, das Wort seines Ausharrens bewahren! Möge Er uns erhalten in dem empfundenen Genuss unserer vollkommenen Verbindung mit Ihm, der Eine offene Tür vor uns gegeben hat und der sie offenhalten wird, bis Er kommt, um uns zu sich aufzunehmen! Anhang
Die vorstehenden Betrachtungen sind Auszüge aus einer Reihe von Vorträgen und hatten die praktische Erbauung der Heiligen Gottes zum Zweck. Es ist deshalb in denselben keine Rede von den verschiedenen, aufeinanderfolgenden Zuständen der Kirche, auf welche der moralische Zustand einer jeden der sieben Versammlungen seine Anwendung findet. Zur Ausfüllung dieser Lücke mögen die nachfolgenden kurzen Bemerkungen dienen.
Der Leser wird sich erinnern, dass wir in den Sendschreiben niemals der wirkenden Macht des Geistes Gottes, welche die Quelle der Segnung der Versammlung ist, begegnen, sondern dass es sich in denselben vielmehr stets um die Form oder den Zustand der bekennenden Kirche handelt, nachdem diese Macht des Geistes wirksam gewesen und die Verantwortlichkeit des Menschen eingetreten ist. Es mag sich ein gewisses Maß von Segnung oder eine große Strafbarkeit vorfinden, aber nie kann die wirkende Macht des Heiligen Geistes Gegenstand des Gerichts sein.
Schon die erste Versammlung (Ephesus) zeigt das Abweichen der Gläubigen von ihrem ersten gesegneten Zustand, welchen die Macht des Heiligen Geistes hervorgebracht hatte. Dieser Umstand bezeichnet hinlänglich den Zeitabschnitt, auf welchen sich das Sendschreiben bezieht. Zugleich deutet dasselbe in allgemeiner Weise das Endergebnis an, welches für die ganze bekennende Kirche aus dem Verlassen der ersten Liebe hervorgehen muss. Die Kirche wird hier betrachtet als ein von Gott in der Welt aufgerichtetes System, als ein Licht in der Welt, nicht aber in ihrer vollkommen sicheren Stellung, als der wahre, lebendige Leib Christi, der nach der Kraft der Erlösung durch die unfehlbare Macht Christi sichergestellt ist.
Die Kirche verließ ihre erste Liebe, und dies bewies, dass der Mensch in der Segnung, unter welche Gott ihn gestellt hatte, nicht geblieben war. Der Herr kündigt nun der Kirche, in ihrer Stellung in der Welt betrachtet, an, dass sie hinweggetan werden würde, wenn sie nicht zu ihren ersten Werken zurückkehre. Das also war schon ihr Zustand in den Tagen der Apostel unmittelbar nach ihrer Gründung. – So ist der Mensch. – Das an Ephesus gerichtete Schreiben spricht von Verantwortlichkeit im Blick auf die der Kirche zu Teil gewordene Gabe des Heiligen Geistes, redet von ihrem Verfall und bedroht sie mit dem Hinwegtun, wenn sie nicht zu ihrem ersten Zustand zurückkehrt. Sie wird ermahnt, die ersten Werke zu tun, zu gedenken an das Werk des Heiligen Geistes, wie es sich im Anfang in ihrer Mitte offenbart hatte. Wohl war noch manches Gute in Ephesus vorhanden; unter anderem konnten sie die Bösen nicht ertragen und verurteilten die, welche sich anmaßten, mit Autorität zu lehren; in Wirklichkeit aber hatte sich ihr Herz von Christus entfernt.
Dieser Zustand führte bald Trübsale für die Kirche herbei, wenn auch nur für eine beschrankte Zeit (Smyrna). Die Armen der Herde, die Getreuen, wurden den verleumderischen Anklagen derer ausgesetzt, welche vorgaben, ein wohlbegründetes Recht zu haben, sich Gottes Volk zu nennen; zugleich kamen Verfolgungen von außen über sie. Dieser Zustand dauerte von Nero bis auf Diokletian.
Nach diesem charakterisierte ein anderer Zustand der Dinge die Kirche. Sie war durch die Verfolgung hindurchgegangen, und manche hatten als treue Märtyrer ihr Leben gelassen. Die Welt, ihr irdischer Wohnungsort, hatte sich als ihre Feindin erwiesen. Jetzt aber drangen Lehren in die Kirche ein, welche sie zur Verbindung mit der Welt führten; sie wurde dahin gebracht, Hurerei zu treiben und Götzenopfer zu essen (Pergamus). Dasselbe hat einst Balaam Israel gegenüber getan. Da er es als Feind nicht verfluchen noch verderben konnte, so gab er als angeblicher Freund Nachschlage zu seinem Verderben. Auch wurden Lehren in der Kirche verbreitet, die zu bösen Werken führten, welche die Verletzung unmittelbarer, moralischer Bande guthießen. Es ergeht deshalb der Ruf an die persönlich Treuen, welche sich inmitten dieses Bösen befanden, dasselbe zu verlassen. Dieser Zustand kennzeichnete die Kirche seit den Tagen Konstantins; obwohl er sich schon früher eingeschlichen hatte, so entwickelte er sich doch erst von diesem Zeitpunkt an zu einem bestimmten System. Das Papsttum begann, innerhalb der bekennenden Kirche die Mutter von Kindern zu werden. Dies sehen wir deutlich in Thyatira. Isebel ist nicht einfach eine Prophetin, welche die Knechte Gottes verführt, wie es diejenigen taten, welche die Lehre Balaams hatten, sondern sie ist die Mutter von Kindern. Alle, welche sich mit ihr verbanden, sollten in große Drangsal kommen, ihre Kinder aber einem völligen Gericht anheimfallen. Schon hier wird die Aufforderung: „wer ein Ohr hat, der höre“, erst ausgesprochen, nachdem die „Übrigen zu Thyatira“ von der Masse unterschieden sind. In den drei ersten Sendschreiben richtet sich die Aufforderung an den ganzen Körper. Hernach aber, nachdem alle Buße verweigert und deshalb jede Hoffnung auf Wiederherstellung des Körpers, als eines Ganzen, verloren ist, wird die Ankunft Christi und die gänzliche Veränderung der gegenwärtigen Verwaltung den Heiligen als ihre Hoffnung vorgestellt. Meines Erachtens schließt hier die allgemeine prophetische Geschichte des bekennenden Körpers in seiner Gesamtheit.
Zunächst folgt jetzt der Protestantismus – ich sage nicht die Reformation, als ein Werk der Macht Gottes mittels des Heiligen Geistes, sondern der Protestantismus, als das große öffentliche Resultat dieses Werkes unter den Menschen, inmitten der bekennenden Christenheit. Christus wird deshalb hier von neuem als derjenige vorgestellt, der alles für die Kirche in seiner Hand hält. Was diese selbst betrifft, so hat sie den Namen, dass sie lebe, aber sie ist tot. Wir begegnen in Sardes nicht der Prophetin Isebel, welche Kinder des Verderbnisses, der Hurerei und des Götzendienstes hervorbringt; sein Zustand besteht vielmehr darin, dass es nicht dem entspricht, was es empfangen und gehört hat. Es wird ihm daher angekündigt, dass es bei der Ankunft Christi zum Gericht behandelt werden wird wie die Welt (vgl. 1. Thes 5). Ich bemerke hier noch, dass diese allgemeine Zustände, welche die Kirche charakterisieren, bis zum Ende ihren Fortgang haben; so der Zustand von Ephesus, Thyatira, Sardes, Philadelphia und selbstredend auch von Laodizea, obwohl einige dieser Zustände erst spät beginnen mögen.
Indessen sollte nicht alles in diesem Zustand von Sardes bleiben. Eine Wiederherstellung der Kraft sollte zwar nicht stattfinden – die sieben Geister und die sieben Sterne in der Hand Christi dienten, wenn ich so reden darf, zu nichts anderem als zur Verurteilung – aber es sollte ein Häuflein von Getreuen vorhanden sein, welches das Wort Christi bewahrt und seinen Namen nicht verleugnet, das allerdings nur eine kleine Kraft besitzt, aber eine geöffnete Tür vor sich hat. Der Charakter Christi und nicht seine Macht wird in dem Sendschreiben an Philadelphia in den Vordergrund gestellt und der Heilige Geist bezeichnet Festigkeit, Gehorsam, Abhängigkeit und ein treues Bekennen Christi als die Eigenschaften derer, welche Christus einst darstellen wird als die, welche Er geliebt hat. Sie werden durch die Zusicherung, dass Er bald kommt, gestärkt und getröstet.
Nach der Offenbarung dieser Verachteten von Philadelphia, wird uns in Laodizea gezeigt, was das Ende des allgemeinen, bekennenden Körpers sein wird. Sein Zustand kennzeichnet sich nicht so sehr durch das Verderben Isebels, als durch eine abscheuerregende Lauheit, eine hohe Meinung von sich selbst und seinem vermeintlichen Reichtum, während in Wahrheit göttliche Gerechtigkeit, geistliche Unterscheidung und die Früchte eines geistlichen Charakters völlig fehlen. Die in diesem Zustand befindliche Kirche wird aus dem Mund Christi ausgespien werden. Das ist das Ende der bekennenden Welt, insoweit sie sich von Isebel unterscheidet. So geben uns die sieben Sendschreiben in großen Zügen die Geschichte der bekennenden Kirche von den Tagen der Apostel bis dahin, wo sie gänzlich verworfen oder durch Gott gerichtet wird. Dieses Gericht wurde schon Ephesus angekündigt, es wird aber erst ausgeführt werden in Isebel und Laodizea, nachdem Gott eine bewunderungswürdige Geduld bewiesen hat. Schließlich nimmt Christus in dem Charakter, unter welchem Er sich in dem Sendschreiben an Laodizea ankündigt, den Platz des Zeugnisses ein, das die Kirche nicht vermocht hat, aufrecht zu erhalten. – Möchte der Herr uns allen die Gnade schenken, in der gegenwärtigen Zeit einen wahrhaft philadelphischen Charakter zur Schau zu tragen.
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