Vorträge über die Sendschreiben an die 7 Versammlungen
Botschafter des Heils in Christo 1882
Vorträge über die Sendschreiben an die sieben Versammlungen - Teil 11/14
Sechster Vortrag
Man hört sehr oft die Frage: Was ist Wahrheit? In den Augen aller, die so fragen, mögen die oben genannten Ansprüche Gewicht haben. Die Synagoge Satans kann eine alte, geachtete Religion sein, voll von Anziehungskraft und von alle dem, was Autorität über das Fleisch hat, und sie wird von allen angenommen, die dem Pilatus gleichen, welcher fragte: was ist Wahrheit? – dann aber Jesus, der die Wahrheit ist, kreuzigte, um den Priestern der damaligen Zeit zu gefallen. Der Charakter dieser letzten Tage ist eben der, dass die Menschen immer die Wahrheit suchen, aber nie zur Erkenntnis derselben kommen. Ich habe nicht nötig zu fragen: Was ist Wahrheit? wenn ich die Wahrheit besitze. Was jemand sucht, das hat er noch nicht. Ein Mensch, der stets die Wahrheit sucht, bekennt damit, dass er sie noch nicht besitzt. Christus hat gesagt: „Ich bin die Wahrheit“; Er ist der Mittelpunkt aller Wahrheit und die Grundlage von allem, was uns mit Gott verbindet. Ein Ungläubiger wird in Bezug auf alles Zweifel erheben, aber nichts Gewisses aufstellen können. Wir bedürfen aber etwas Gewisses, und sobald wir die Person Christi haben, so besitzen wir die Wahrheit. „Niemand hat Gott je gesehen; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat Ihn kundgemacht.“ Wenn ich wissen will, was Gott ist und was der Mensch ist, so habe ich in Christus ein vollkommenes Bild von dem, was Gott für den Menschen ist und was Christus, als Mensch, für Gott ist. Alles findet sich in Christus. Sicherlich haben wir in dieser Erkenntnis zu wachsen. Ein Herz, welches Christus besitzt, braucht die Synagoge Satans nicht. Ein jeder, der sein Zeugnis angenommen hat, hat versiegelt, dass Gott wahrhaftig ist; die Seele, welche dies weih, wird auf die einfachste Weise vor dem Bösen bewahrt. Ich habe eben sowohl Gnade als Wahrheit empfangen: „Die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden.“ Als ich in der Lüge lebte, war es die Gnade, welche die Wahrheit in meine Seele brachte; und was bedarf die Seele mehr? Wohl empfindet sie Schmerz, weil der Schauplatz, den sie durchpilgert, verunreinigt ist; aber sie ist nicht mehr in Ungewissheit darüber, was ihr Teil ist – sie hat alles in Christus gefunden. Es braucht zu der verborgenen Segnung nichts mehr hinzugefügt zu werden. „Ich werde machen, dass sie kommen und huldigen vor deinen Füßen und erkennen, dass ich dich geliebt habe.“ Wir kennen diese Liebe jetzt schon, doch nicht als ob wir sie verdient hätten – denn alles ist Gnade; aber wir genießen sie jetzt durch die Gegenwart Christi. Wir kennen die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus, sowie die Liebe des Vaters nach den Worten des Herrn: „Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde kundtun, auf dass die Liebe, womit du mich geliebt, sei in ihnen und ich in ihnen.“ Die Welt weiß es jetzt nicht, aber an jenem Tag wird sie erkennen, dass der Vater uns geliebt hat, gleich wie Er seinen Sohn geliebt. Wenn das Herz diese Liebe Christi versteht, so ruht es in derselben; es ist zufrieden, in der Gegenwart die Liebe Christi zu genießen, wenn auch seine Umgebung nichts davon versteht. Der Herr ist jetzt in mancherlei Weise bemüht, unsere Herzen von allem, was uns hier umgibt, zu entwöhnen, damit wir in dem Zeugnis seiner persönlichen Liebe zu uns das finden möchten, was unseren Glauben stärkt, das Gewissen befestigt und das Herz leitet. Christus sagt: „Ich bin der Hirte“, und dies berechtigt das Schaf, Ihm zu folgen. Als Er hienieden war, bestand die jüdische Haushaltung noch; Gott hatte sie eingesetzt, und niemand war ermächtigt, aus dem jüdischen System auszutreten, bis Christus dies tat; dann aber hatte das Herz, welches sich zu Christus hingezogen und mit Ihm verbunden fühlte, den besonderen Befehl, ebenfalls aus diesem bestehenden System hinaus und zu Ihm hinzugehen: „dem Lamm zu folgen, wohin irgend es geht.“
In dem Sendschreiben an die Versammlung zu Philadelphia finden wir die Verheißung, welche der Hoffnung der Getreuen, bei Christus in der Herrlichkeit zu sein, begegnet. Indem sie sich eins machen mit Ihm in seiner Stellung, werden sie auch eins gemacht mit Ihm selbst und mit dem Wort seines Ausharrens. Nicht die ganze Kirche war eines Sinnes mit den Gläubigen in Philadelphia, auch genossen diese noch nicht das völlige Resultat seiner Liebe, insofern sie Christus noch nicht persönlich und völlig bei sich hatten. Aber wenn die Liebe Christi die Richtschnur meines Verhaltens ist, so wünscht mein Herz, Christus bei sich zu haben; denn wenn wir jemanden lieben, so wünschen wir sicherlich bei Ihm zu sein. Ist aber Christus in unseren Herzen, dann bewahren wir das Wort seines Ausharrens. Es ist allerdings eine Zeit der Prüfung, der Sichtung, der Reinigung, der Übung, allein wir müssen warten. Beachten wir, wie dieses gesegnete Einssein und die Verbindung mit Ihm beständig betont wird. Es heißt nicht einfach: das Wort des Ausharrens, sondern „meines Ausharrens.“ Und weshalb? Weil Christus noch wartet (Ps 110). Dies bestimmt unser ganzes Verhalten; denn wenn Christus wartet, so müssen auch wir noch warten. Christus verharrt in einem Zustand des Wartens, so zu sagen in der Übung des Ausharrens, bis zu der vom Vater bestimmten Zeit. Dies ist auch, wie ich nicht zweifle, der Sinn seiner Worte, wenn Er sagt: „Von der Stunde weiß niemand, nur der Vater.“
Christus hat alles getan, was nötig war für seine Freunde, um sie Gott darzustellen, und hat sich zur Rechten Gottes gesetzt, „fortan wartend, bis seine Feinde gelegt sind zum Schemel seiner Füße.“ Christus wartet, bis Er alle seine Freunde gesammelt hat, bevor Er auf der Erde gegen seine Feinde in Tätigkeit tritt. Deshalb liegt für uns in dem Ausdruck: „mein Ausharren“ gerade das, was wir bedürfen; denn wir erwarten den Tag, von welchem Christus zu uns sagt: „Ich komme wieder und will euch zu mir nehmen“ (Joh 14).
Die ganze Schöpfung um uns her seufzt in der Erwartung dieses Tages, und auch wir selbst seufzen in uns selbst, indem wir die Erlösung des Leibes erwarten. Aber bis dahin ist alles in Unordnung. Wo sind die Juden, „die immer noch Geliebten um der Väter willen?“ Sie irren heimatlos auf der ganzen Erde umher, ohne Priester, ohne Teraphim, ohne alles; sie sind wie ein verdorrter Baum, wie eine Eiche, wenn sie ihre Blätter abgeworfen hat (Jes 6,13), obwohl der Herr unter ihnen wirkt. Blicke ich auf die Welt, so ist alles Sünde und Elend; betrachte ich die ganze Schöpfung – sie seufzt; und von dem, was sich Kirche nennt, höre ich den allgemeinen Ausruf: „Wer wird uns das Gute schauen lassen?“ – Wer fühlt sich befriedigt durch irgendetwas, was es auch sei? Ich rede nicht von dem Gefühl der Unzufriedenheit im schlechten Sinne; aber es gibt nichts, worin die Seele Ruhe finden, könnte, gleichviel, welches System man auch ins Auge fassen mag. Das allgemeine Gefühl ist, dass die Grundfesten der Welt wanken. Wohl mag der Nabe ausstiegen und sich auf einen schwimmenden Leichnam niederlassen; die Taube aber findet nirgends Ruhe für ihren Fuß, als nur in der Arche. Was haben wir inmitten der dichten Finsternis der Nacht, was unseren müden Seelen Ruhe geben könnte? Nichts, als die gewisse Erwartung der Ankunft des glänzenden Morgensterns.
Bis wann wird Christus warten, um das Gericht auszuüben? Sobald Er seine Freunde zu sich genommen hat, wird Er sich mit seinem richterlichen Charakter bekleiden; ich meine nicht, dass Er dann alle seine Feinde mit einem Schlag vernichten wird; aber wenn dieser Augenblick gekommen ist, wird Er seine große Macht übernehmen. Vor allem aber wartet Er darauf, dass diejenigen, welche mit Ihm Teil haben, auch bei Ihm und Ihm gleich sind. Wir sind „zuvor bestimmt“, seinem „Bilde gleichförmig zu sein“ (Röm 8,29). Und wenn Er einst seine Braut bei sich haben wird in seiner Herrlichkeit, dann wird Er „von der Mühsal seiner Seele die Frucht sehen und gesättigt werden.“ Wenn der Starke, der als Haupt mit seinen Gliedern zu einem Körper vereinigte Christus, dieser geheimnisvolle Mensch, das männliche Kind von Offenbarung 12, in Tätigkeit treten soll, muss Er zuvor vollständig sein; natürlich ist Er dies seinem Wesen nach schon in sich selbst, aber noch nicht als das Haupt über alles, welches der Versammlung, seinem Leib, gegeben ist. Das Haupt und der Leib müssen vereinigt sein, ehe Er unter diesem Titel vor der Welt auftreten kann; denn das Haupt ohne den Leib bildet nicht den vollständigen Menschen, den Christus, der nach den Ratschlüssen Gottes als der, der alles in allem erfüllt, erscheinen wird, um das Gericht auszuüben. Deshalb muss die Versammlung, als der Leib, mit Christus, als dem Haupt, im Himmel vereinigt, also zu Ihm aufgenommen sein, ehe Christus zum Gericht erscheinen kann.
Was ist nun das große Hindernis, welches der völligen Segnung der Versammlung im Weg steht? – Von Anfang an hat sich alles verdorben: Adam – der Mensch vor der Flut – Noah – der Mensch unter dem Gesetz – und wenn wir auf das Christentum blicken, wie viel Unkraut ist unter den Weizen gesät worden! Betrachten wir endlich das Priestertum, so sehen wir, dass es unter dem Einfluss Satans den Platz Christi und unserer Verbindung mit Ihm einnimmt. Wenn dies alles zurzeit des gänzlichen Abfalls seinen Höhepunkt erreicht haben wird, dann wird die Tätigkeit der richterlichen Macht beginnen, um das Böse hinweg zu tun. Die erste Handlung dieser Macht wird, nachdem Christus mit seinem Leib vereinigt ist, darin bestehen, dass Satan mit seinen Engeln aus dem Himmel ausgeworfen wird (Off 12,9), um nie wieder dort gesehen zu werden. Auf die Erde geworfen, wird der Teufel große Wut haben, „da er weiß, dass er wenig Zeit hat“; in seinem Zorn wird er seinen Charakter als der große Widersacher des Herrn Jesus Christus in seiner höchsten Entfaltung zeigen, indem er alles wider Ihn aufwiegelt. Allein der Herr wird dann mit seinen Heiligen kommen, um das Gericht auf Erden auszuführen. Er muss die Dinge dadurch zurechtbringen, dass Er das Böse hinweg tut. Und sobald seine Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt sind, führt Er die Fülle der Segnung herbei. Ich wiederhole jedoch noch einmal, dass das Gericht erst nach der Vereinigung der Versammlung mit Christus erfolgen wird. Der geheimnisvolle Mensch muss erst in dem oben angedeuteten Sinne vollendet sein, ehe Er das Gericht ausführen kann. Sobald dies aber geschehen ist, nimmt Christus einen ganz neuen Charakter an. Bis zu dem Augenblick, da Er uns in die Herrlichkeit einführt, wird Er als Heiland dargestellt; und selbst nach der Aufnahme der Versammlung wird ohne Zweifel wieder ein geretteter Überrest vorhanden sein. Dann aber ist die Zeit der Annehmung vorüber, und Christus „richtet und führt Krieg in Gerechtigkeit.“ Und wenn Er so erscheinen wird, werden wir völlig verstehen, warum es jetzt das „Wort seines Ausharrens“ ist; denn bis dahin, dass Er seine große Macht übernimmt und regiert, sind wir nach Herz und Sinn in dem Wort seines Ausharrens mit Ihm verbunden; und die besondere Segnung, die für uns darin liegt, ist, dass wir mit Christus selbst vereinigt sind und in allen Dingen vollkommen dasselbe Los haben, wie Er selbst. Ohne im Geringsten die göttliche Herrlichkeit seiner Person anzutasten, können wir sagen, dass Christus, als Mensch, in seinem Charakter als Diener, warten muss, bis es Gott gefällt, alles unter seine Füße zu legen, und dies ist, wie ich nicht zweifle und bereits angedeutet habe, der Sinn der Worte: „Von jenem Tag aber oder der Stunde weiß niemand, weder die Engel, noch der Sohn, sondern nur der Vater“ (Mk 13,32). Indem wir so mit Christus verbunden sind und seine stete Liebe als das Teil besitzen, das unsere Seele völlig befriedigt, ziehen wir vor, zu warten und das Glück mit Ihm zu empfangen, als vor Ihm. Eine vollkommene Verbindung mit Christus selbst ist es, was die Versammlung Gottes charakterisiert; sie ist nicht nur gesegnet, sondern mit dem verbunden, welcher segnet. Wir sind seine Braut; dies ist unser besonderer Platz, und wenn wir in unseren Gedanken oder unserem Herzen nach einen niedrigeren einnehmen, so entfernen wir uns von der vollen Kraft der Gedanken der Liebe Gottes über uns und von dem, was Christus nach diesen Gedanken für uns ist.
Was auch von Christus in Bezug auf den Tag der Herrlichkeit gesagt werden mag, wir finden die Versammlung in allem mit Ihm verbunden. In seinem Melchisedek–Charakter z. B. nimmt Er als König den höchsten Platz der Autorität und als Priester den nächsten in der Anbetung ein; so sind auch wir zu Königen und Priestern gemacht. Eva wurde dem Adam in der Herrschaft beigesellt; aber außer ihr gab es nichts in der ganzen Schöpfung, das diesen Platz hätte einnehmen können, wie geschrieben steht: „Für den Menschen fand Er keine Hilfe seines Gleichen.“ Als aber Eva zu Adam gebracht wurde, konnte er sagen: „Dieses Mal ist es Gebein von meinen Gebeinen und Fleisch von meinem Fleisch.“ Jetzt war eine Gehilfin für ihn gefunden. Ebenso ist es mit dem Herrn und der Versammlung; auch Er kann sagen: „Dieses Mal ist es Gebein von meinen Gebeinen und Fleisch von meinem Fleisch“, und Er kann sich erfreuen und seine Wonne finden in dem, was seine eigene Liebe hervorgebracht hat.
Möge uns der Herr davor bewahren, dass wir eine geringere Stellung einnehmen, als diese, denn sie ist unser wahrer Platz! Möchte Er uns das tiefe und bleibende Gefühl schenken, dass wir auf diese Weise in eine völlige und gesegnete Verbindung mit ihm gebracht sind; denn das Herz Christi könnte durch nichts anders befriedigt sein, und das unsrige sollte es ebenso wenig sein. Es handelt sich nicht um unsere Würdigkeit (denn in uns selbst, als im Fleisch, sind wir nichts als elende Sünder), sondern es handelt sich um die Liebe Christi. Die wahre Demut besteht nicht darin, dass wir schlecht von uns denken, sondern dass wir gar nicht an uns denken; aber es ist viel schwerer, sich ganz zu vergessen, als selbst schlecht von sich zu denken. Wenn wir nicht demütig sind, so müssen wir gedemütigt werden.
„Weil du das Wort meines Ausharrens bewahrt hast, so will auch ich dich bewahren“ usw. Beachten wir, dass der Herr nicht sagt: wenn du meine Anerkennung hast, dass du einige Kraft besitzest, sondern dass du „das Wort meines Ausharrens“ bewahrst; wenn ich dich kenne, als vereinigt mit mir selbst, so „will ich dich bewahren“ usw. So verbindet Er uns mit sich selbst, so arm und schwach wir auch sein mögen gleich wie die Klippendächse nur ein kraftloses Volk sind und doch ihr Haus auf den Felsen setzen (Spr 30,26). „So will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, zu versuchen, die auf der Erde wohnen.“ Welch ein Trost liegt in diesen Worten hinsichtlich alles dessen, was kommen wird! Es handelt sich keineswegs um Kraft, sondern darum, bewahrt zu werden vor einer schrecklichen Zeit, die da kommen soll, um „zu versuchen, die auf der Erde wohnen.“ Diese letzten Worte bezeichnen den moralischen Zustand einer Klasse von Personen. Hat Gott denn Wohlgefallen daran. Sein Volk in Trübsal zu bringen? Sicherlich nicht; Er wünscht nicht, uns in Versuchung zu führen. Aber wenn wir uns in eine Stellung begeben haben, in welcher wir mit, denen vermengt sind, die auf der Erde wohnen, so muss auf uns eingewirkt werden, um uns von dem los zu machen, was dieser schrecklichen Stunde der Versuchung, entgegengeht. In der gegenwärtigen Zeit wird das Evangelium verkündigt, und durch dasselbe werden Seelen aus der Welt herausgeführt, und alle Gedanken, Gefühle, Wünsche und Neigungen der Heiligen sollten auf den Tag der Herrlichkeit gerichtet sein. Wenn sie sich in der Stellung des Ausharrens Christi befinden, so haben sie nicht nötig, wie die Welt gerichtet zu werden; sind sie aber mit der Welt vermengt, so müssen sie auch die Trübsale der Stunde, der Versuchung teilen, welche kommen wird, um die zu versuchen, die auf der Erde wohnen; oder sie müssen vorher praktisch gesichtet werden, um sie von der Welt zu trennen. Die Zeit wird kommen, wo das Tier die im Himmel Wohnenden lästern wird, aber es wird sie nicht anzutasten vermögen.
Wenn wir unseren himmlischen Charakter kennen, so werden wir dadurch zu Fremdlingen und Pilger auf der Erde, anstatt hier zu wohnen und hier unser Teil zu suchen; alle diejenigen aber, welche hier ansässig sind, müssen durch diese Stunde der Versuchung hindurchgehen, welche diejenigen versuchen wird, die auf der Erde wohnen. Wir dürfen das hier Gesagte jedoch nicht mit der Trübsal verwechseln, von welcher in Matthäus 24 die Rede ist; denn diese Zeit der Drangsal beschränkt sich auf Jerusalem, wie wir in Jeremia lesen: „Es ist eine Zeit der Bedrängnis für Jakob; dennoch wird er daraus errettet werden.“ Hier aber ist es „die Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um zu versuchen, die auf der Erde wohnen.“ Diejenigen, welche jetzt das Wort des Ausharrens Christi bewahren, wird Er vor jener Stunde bewahren. Wenn der Herr jetzt bei ihnen eine Frucht findet, wie sie durch diese Versuchung hervorgebracht werden soll, dann bedürfen sie der Versuchung nicht.
„Ich komme bald.“ Wie ermunternd sind diese Worte! Es ist, als ob der Herr sagte: Ihr müsst fortfahren, mein Los im Ausharren und unter dem Kreuz zu teilen, wenn ihr meine Herrlichkeit teilen wollt; aber: „Ich komme bald.“ Seine Ankunft wird hier nicht, wie es Sardes gegenüber geschieht, wie die eines Diebes in der Nacht vorgestellt. Was der Herr jetzt der Versammlung ans Herz zu legen wünscht, ist, dass seine Ankunft ganz nahe ist. Er bestimmt den Augenblick nicht, aber Er weist auf seine Ankunft hin als auf ihren Trost, ihre Freude und Hoffnung, und lenkt dadurch das Herz auf seine eigene Person; denn es handelt sich nicht so sehr darum, dass Er bald kommt, als dass Er selbst kommt: „Ich, Jesus“ usw. Wenn das Herz die Liebe Gottes genießt, welch ein Trost ist es dann, in Ihm selbst zu ruhen, wie wir es am Ende dieses Buches sehen! Nachdem Christus die Blicke der Versammlung auf alles das hingelenkt hat, was Er auf Erden zu tun beabsichtigt, führt Er ihr Herz zu sich selbst zurück: „Ich, Jesus.“
Der besondere Charakterzug der Versammlung in Philadelphia ist ihre unmittelbare Verbindung mit Ihm: es ist Christus selbst, welcher kommt. Weder die Erkenntnis noch die Prophezeiung können das Herz befriedigen; aber der Gedanke, dass Christus kommt, um die Seinen zu sich zu nehmen, ist die gesegnete Hoffnung aller derer, welche durch die Gnade mit Ihm verbunden sind. Die Prophezeiung hat Bezug auf die Ankunft Christi auf der Erde; aber die eigentliche und köstliche Hoffnung dessen, der durch den Glauben mit Ihm verbunden ist, besteht darin, zu Ihm zu gehen. Sicher habe ich alle Ehrfurcht vor den Mitteilungen Gottes, die das kommende Gericht ankündigen; aber diese rufen nicht die Gefühle des Herzens für Ihn hervor. Die Ratschlüsse Gottes über Jerusalem, Babylon und andere Gegenstände, wovon die prophetischen Schriften zeugen, sind überaus wichtig und lehrreich für unseren Geist; aber die Gefühle des Herzens werden nicht in Tätigkeit gesetzt durch die Kenntnis dessen, was das Los Babylons, des Antichristen usw. sein wird. Ich liebe Christus, und deshalb sehne ich mich danach, Ihn zu sehen: die Prophezeiungen über das kommende Gericht aber verbinden das Herz und den Geist nicht mit der Person des Herrn Jesus.
Auf die Ankündigung der baldigen Ankunft des Herrn folgt dann die Ermahnung: „Halte fest, was du hast, auf dass niemand deine Krone nehme.“ O, möchte der Herr uns geben, sein Wort zu bewahren und Ihn jeden Augenblick zu erwarten! Wenn es dem Teufel gelänge, uns die Hoffnung seiner Ankunft, als einer Sache, die wir jeden Augenblick erwarten dürfen, zu rauben, so würde uns dadurch unsere Krone genommen werden. Weder Mensch noch Teufel kann uns etwas nehmen, wenn nur das lebendige Bewusstsein des Glaubens in unseren Herzen ist, welches uns mit der jeden Augenblick zu erwartenden Ankunft des Herrn Jesus Christus verbindet. Wenn wir dieses Bewusstsein verlieren, so verlieren wir unsere geistliche Kraft; alles aber, was uns dieser Kraft in unserer Verbindung mit Christus beraubt, führt uns zum Verlust unserer Krone. Und, geliebte Brüder, unser Weg führt uns jetzt durch Dinge aller Art, die geeignet sind, uns unsere Krone zu rauben, Dinge, welche den Glauben an das Kommen Jesu auf die Probe und dieses Kommen selbst in Frage stellen können.
In dem Gleichnis von den Zehn Jungfrauen sehen wir, dass sie alle schläfrig wurden und einschliefen, die klugen sowohl wie die törichten; und um Mitternacht, als der Ruf erschallte: „Siehe, der Bräutigam!“ da standen sie alle auf und schmückten ihre Lampen. In dieser Hinsicht war also kein Unterschied zwischen ihnen; allein die Einen hatten das Öl des Geistes, die Anderen nicht. Aber zwischen dem Ertönen des Rufes und der wirklichen Ankunft des Bräutigams war Zeit genug, um die Lampen, welche kein Öl hatten, erlöschen zu lassen, und so bestand der wahre Unterschied zwischen den Jungfrauen in dem Vorrat des Öls, den die Einen hatten, die Anderen aber nicht. Wäre der Bräutigam selbst erste Gedanke in den Herzen der törichten Jungfrauen gewesen, so hätten sie an das Licht gedacht, das Er bei seiner Ankunft nötig haben würde. Allein sie dachten an etwas anderes; sie waren zufrieden damit, in der Gesellschaft der, anderen Jungfrauen zu sein, und dafür genügten der Anzug und die Lampen ohne Öl. Aber ach! Ohne das Öl konnten sie ihre Lampen nicht für ihren Herrn brennend erhalten, bis Er kam. Doch gab es auch solche, welche bereit waren, Ihn zu empfangen. Als „der Bräutigam kam“, gingen diejenigen, welche bereit waren, mit Ihm ein zur Hochzeit, „und die Tür ward verschlossen.“ So ist es auch jetzt. Der Ruf ist erschollen, und zwischen dieser Zeit und der wirklichen Ankunft des Bräutigams prüft uns der Herr, um zu sehen, ob unsere Herzen wirklich auf Ihn gerichtet sind, oder nicht.
Kaum bleibt uns heute Abend noch Zeit genug, um die im 12. Verse enthaltene Verheißung zu betrachten. „Wer überwindet, den will ich zu einer Säule machen in dem Tempel meines Gottes usw.“ Wir sehen hier, wie genau alle Verheißungen in Verbindung stehen mit der Zeit der Herrlichkeit – dem „neuen Jerusalem“; – das Herz wird hier zu seinem eigentlichen Wohnplatz erhoben. Nehmen wir den Platz von Bewohnern des Himmels – ein, während wir auf dieser Erde wandeln? Es ist bemerkenswert wie ganz und gar die Heiligen mit dem himmlischen Jerusalem, ihrer ewigen Wohnung, verbunden sind. „Wer überwindet“, der wird in dem Tempel Gottes sein – im Gegensatz zu der Synagoge Satans – im vollen Genuss der Dinge Gottes, nachdem jeder Ratschluss seiner Liebe völlig ausgeführt worden ist. „Den will ich zu einer Säule machen.“ Er mag schwach gewesen sein auf der Erde, während die bekennende Kirche groß war, aber ihren Platz, den sie nach den Gedanken Gottes einnehmen sollte, als „Pfeiler und Grundfeste der. Wahrheit“, nicht einnahm; dort aber wird er sogar die Säule der Kraft sein, ja, der Kraft Gottes selbst, weil er der Macht der Verführung gegenüber festgeblieben ist.
Es ist bemerkenswert, dass sich der Ausdruck „mein Gott“ hier so oft wiederholt; wir sehen daraus, wie Christus die Seinen stets mit sich selbst in Verbindung bringt. Er war einst dem Anschein nach der Schwache auf dieser Erde, und Er sagt: „Ich bin verworfen worden, und ihr habt diesen Platz der Verwerfung mit mir geteilt; aber ich kenne die, welche mir treu gewesen sind, und ich gehe zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ Er ist der Geduldige, welcher für die Ihm gebührende Herrlichkeit des Vaters Zeit abwartet, und wir nehmen Teil an seiner Geduld. „Ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes“, d. h. des Gottes, wie Christus als Mensch Ihn kennt. Dieser Name wird den Getreuen öffentlich aufgedrückt sein; denn sie haben seinen Namen hienieden nicht verleugnet. „Und den Namen der Stadt meines Gottes“, jener Stadt, die sie im Glauben erwarteten – sie ist ihr Wohnort. Abraham erwartete die Stadt, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. Sogar als das Fleisch eine irdische Stadt hier gebaut hatte, suchten jene für sich selbst eine himmlische. Dieses himmlische Bürgerrecht in der Stadt des Gottes unseres Herrn Jesus Christus, des Fremdlings hienieden, wird dann dem Getreuen aufgeprägt sein. Der Mensch kann jetzt, wenn er danach trachtet, eine feste kirchliche Einrichtung haben; allein sie ist nicht nach Gottes Wort. Wenn es ihm aber genügt, jetzt einfach mit Christus zu wandeln, indem er wartet, bis Gott eine Stadt als die seinige anerkennt (die Stadt meines Gottes), so wird er dann Teil an derselben haben. Sie kommt von Gott aus dem Himmel hernieder. Wenn ein Fürst aus seinem Land vertrieben ist, so fühlen sich seine Anhänger, solange er abwesend ist, als Fremdlinge in demselben. So verhält es sich jetzt mit dem Christen; er gehört Christus an und ist „ein Sohn des Tages“; er wartet auf Christus und auf den Tag seiner Erscheinung.
„Meinen neuen Namen“ – nicht seinen alten Namen als Messias, sondern den wunderbaren, neuen Namen, den Er als Resultat einer durch Ihn vollbrachten himmlischen Erlösung angenommen hat. Wir werden dann das Feste und Beständige haben, worauf wir jetzt in gewissem Sinn verzichten müssen. Möchte der Herr uns zu verstehen geben, was es heißt, wirklich mit Ihm selbst verbunden zu sein, und möchten wir den gesegneten Ratschluss Gottes über uns kennen, wie Er in den Worten ausgedrückt ist: „auf dass Er erwiese in den kommenden Zeitaltern den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade in Güte gegen uns in Christus Jesus!“ Er hat uns mit dem Gegenstand seiner unbegrenzten und ewigen Wonne verbunden; denn wir sind Glieder seines Leibes, von seinem Fleisch und von seinen Gebeinen, und deshalb haben wir das Teil und die Vorrechte Jesu selbst. Möchte Gott unsere Herzen unbefleckt von diesem bösen, gegenwärtigen Zeitlauf und in der Frische der Liebe zu Ihm erhalten! Dies aber ist nur dann möglich, wenn wir in der Gemeinschaft mit Christus bleiben. Unser Teil in Ihm und die Kostbarkeit seines Namens zu kennen, das gibt Mut und Kraft, um sein Wort zu bewahren und seinen Namen nicht zu verleugnen (Fortsetzung folgt).
Nächstes Kapitel der Zeitschrift »« Vorheriges Kapitel der Zeitschrift