Vorträge über die Sendschreiben an die 7 Versammlungen
Botschafter des Heils in Christo 1882
Vorträge über die Sendschreiben an die sieben Versammlungen - Teil 10/14
Sechster Vortrag
Wir haben uns am vorigen Abend die allgemeinen Charakterzüge der Versammlung zu Philadelphia vergegenwärtigt, soweit es nötig war, um den Zusammenhang dieser Versammlung mit der vorigen (Sardes) zu zeigen. Mit des Herrn Hilfe werden wir heute die Einzelheiten der Versammlung von Philadelphia betrachten. Da ist zunächst als ein Hauptzug hervorzuheben, dass es sich in diesem Sendschreiben um eine besondere Segnung handelt, einem besonderen Bedürfnis gegenüber. Nachdem wir in den vorhergehenden Versammlungen die Entfaltung des schrecklichen Bösen gesehen haben, finden wir jetzt bei Philadelphia nur Barmherzigkeit und Segnung.
Es ist sehr köstlich, zu bemerken, dass Gott, so arm und schwach sein Volk auch sein mag, selbst wenn die Getreuen sich auf einen Überrest von einzelnen Personen beschränken, dieselben nie vergisst. Sein Auge ruht stets auf ihnen, um ihnen aus seinen eigenen Hilfsquellen darzureichen, wie und wann sie es bedürfen, in einer Zeit, wo alles um sie her so dunkel wie möglich ist. Wenn beide, Kirche und Welt, sich in einer Finsternis befinden, dass man sie mit Händen greifen kann, so besitzen die wenigen Getreuen am meisten „Licht in dem Herrn.“ Denn das Leben des Glaubens wird stets durch die treue Gnade Christi in einer Weise genährt und unterstützt, die im Verhältnis steht zu der Macht, die sich dem Glauben entgegenstellt, und zu den Schwierigkeiten, die es durchzumachen gibt. Es ist eine andere Frage, in welchem Maß der Herr sich in dieser Zeit des Verfalls seines Volkes als Zeugnis bedienen kann; dies wird seine Weisheit entscheiden. Ein Beispiel hiervon sehen wir in Israel, wie wir dies schon früher bemerkten. Die Sünde des Volkes bei Gelegenheit der Aufstellung des goldenen Kalbes fand ihre Antwort in der inneren geistlichen Kraft bei Mose, als er das Zelt außerhalb des Lagers aufschlug; und als späterhin der Baalsdienst öffentlich anerkannt und eingeführt war, erweckte Gott Elias und Elisa mit gewaltigen äußeren Offenbarungen der Macht, während die siebentausend Getreuen damals von Gott verborgen waren. Der Herr mag es nicht für gut finden, das, was gefehlt hat, mit der äußeren Ehre des Zeugnisses zu bekleiden; aber Er verleiht die nötige Gnade und die innere Macht des Lebens, um die einzelne Seele zu unterstützen, und diese Gnade, welche im Blick auf die jetzigen Heiligen von dem verherrlichten Haupt zur Erhaltung des Leibes auf Erden ausströmt, kann nie fehlen. So mögen z. B. jene Gaben in der Versammlung, welche zuweilen „Wundergaben“ genannt werden – als „Sprachen, Gaben der Heilung“ usw. – und der Versammlung als ein Zeugnis für die Welt und als Zeichen für die Ungläubigen gegeben waren, verschwunden sein; aber die Gaben, welche zur Erhaltung der Glieder des Leibes von dem Haupt herabfließen, können nie zurückgezogen werden; „denn niemand hat jemals sein eigenes Fleisch gehasst, sondern er nährt und pflegt es, gleich wie auch der Christus die Versammlung.“
In dem Brief an die Epheser, wo die Versammlung in besonderer Weise als der Leib Christi dargestellt ist, wird von den Gaben gesagt, dass sie der Versammlung „zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes Christi“ gegeben sind. Hier werden die Wundergaben mit keinem Wort erwähnt, während wir im Korintherbrief von „Gaben der Heilung.“ „Arten von Sprachen“, „Auslegung der Sprachen“ usw. lesen. Wir finden also in der Schrift zwei bestimmt unterschiedene Arten von Gaben, zunächst die Wundergaben, d. h. öffentliche Zeichen, welche der Versammlung zum äußeren Zeugnis gegeben waren, damit eine ungläubige Welt dadurch angezogen werde; und dann jene Gaben, welche von dem Haupt zur Ernährung des Leibes ausströmen. Diese Ernährung muss stets fortdauern, sei es in Verbindung mit einem äußerlichen Zeugnis, oder sei es, dass sie unmittelbar von Christus selbst durch die Wirksamkeit seiner Gnade ausgehe; nie aber wird diese von dem Haupt ausströmende Gnade fehlen. Und gerade dieses ist es, was in der Versammlung von Philadelphia zu Tage tritt; denn was sie kennzeichnet, ist Schwachheit – ein offenbarer Mangel an Kraft, aber ein umso näheres Verhältnis zu Ihm, der die Kraft ist, ein höherer Grad von Liebe zu dem Herrn, eine größere Innigkeit der Gemeinschaft und endlich ein viel bestimmteres Einssein mit Ihm in den ihr gegebenen Verheißungen.
Die Versammlung zu Philadelphia kennzeichnet sich durch ihre Schwachheit, ohne dass der Herr jedoch einen Tadel für sie hat. Und wir müssen uns stets daran erinnern – mag Gott durch äußerliche Entfaltung seiner Macht, durch Gaben der Heilungen, durch Sprachen und dergleichen der Welt gegenüber ein Zeugnis geben, oder mögen diese alle aufgehört haben – dass in dem Bewusstsein der Schwachheit stets eine hinlängliche Kraft liegt, vorausgesetzt, dass dasselbe mit dem Glauben vermischt ist. Das Herz mag bei diesem Bewusstsein der Schwachheit beklommen sein, ohne dass gerade Unglauben zu Grund liegt. In dem Herrn Jesus war dieses Bewusstsein der traurigen Szene um Ihn her in hohem Maß vorhanden, und Er gab demselben in den Worten Ausdruck: „Jetzt ist meine Seele bestürzt, und was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde!“ Aber gerade dieses Gefühl war es, das Ihn unmittelbar mit seinem Vater verband.
Bei uns ist es leider nur zu oft der Fall, dass wir uns so sehr mit den traurigen Umständen um uns her einlassen und unsere Seelen mit den Gegenständen der Trauer beschäftigen, dass wir in Gefahr kommen, zu zweifeln, ob Gott auch im Stande sei, in dieser Not zu helfen. Anstatt zu sagen: „Bei der Menge meiner Kummergedanken in meinem Innern haben deine Tröstungen mit Freude erquickt meine Seele“, sind wir in der Menge unserer Gedanken nur damit beschäftigt, zu Rat schlagen, was zu tun ist; und indem wir so auf die Umstände blicken, sowie auf das, was wir in uns finden, und uns damit beschäftigen, lassen wir Gott ganz aus dem Spiel. So handelte der Herr Jesus aber nie. Sobald die Stunde der Angst vor seine Seele trat, rief Er aus: „Vater, rette mich aus dieser Stunde!“ Wenn wir uns in einer anderen Weise mit unserer Schwachheit beschäftigen, als dass wir dadurch zu dem unmittelbaren Gefühl der Kraft Gottes gebracht werden, in welcher Er mit uns und für uns ist, so ist es Unglauben. Zudem liegt unsere Kraft nicht in dem Gefühl der Größe der Gaben und Offenbarungen Gottes; denn Zeichen und Wunder teilen keine innere Kraft mit. Wohl können sie uns in Zeiten der Prüfung sein Wort bestätigen, nie aber verleihen sie innere Kraft. Es ist sehr wichtig, dieses recht zu verstehen. Nehmen wir als Beispiel den Apostel Paulus. Er ward in den dritten Himmel entrückt und hörte dort Worte, welche auszusprechen einem Menschen unmöglich war. Dies war etwas Außerordentliches, und die Seele des Paulus fand ohne Zweifel in der Erinnerung daran eine Art von Halt in den mannigfachen Prüfungen seines Weges; aber innere Kraft verlieh es ihm nicht. Im Gegenteil, sein Fleisch würde sich, ohne die allmächtige Bewahrung Gottes, erhoben haben – und das ist nicht Kraft. Als er aber etwas empfing, das ihn zum Bewusstsein seiner eignen Schwachheit brachte, da konnte sich die Kraft Gottes geltend machen. Und so verhält es sich mit uns; unsere Herzen sind so trügerisch, und unser Fleisch ist so schlecht, dass, wenn wir nicht darüber wachten, wir alles missbrauchen würden, was Gott uns kund macht. Wir brauchen uns nicht bei der Frage aufzuhalten, worin jener „Dorn im Fleisch“ für Paulus bestand – obwohl man oft aus bloßer Neugierde viel darüber nachgeforscht hat; es ist für uns von viel größerer Wichtigkeit, zu bemerken, dass ein jeder von uns einen besonderen Dorn haben wird, ja nach der Gefahr, der er ausgesetzt ist. So viel wissen wir aus Galater 4,13–14, dass es etwas war, das ihn dem Fleisch nach verächtlich machen konnte, und so in seinem Dienst eine fühlbare Schwachheit hervorrief. Deshalb schrie Paulus dreimal zum Herrn, dass Er es wegnehmen möchte, aber der Herr antwortete ihm: „Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht.“ Paulus musste diese Schwachheit fühlen, um zu lernen, wo die wahre Kraft war; und dann konnte er sich seiner Schwachheiten rühmen, auf dass die Kraft Christi ihm einwohnte, wie er sagt: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich mächtig.“ Der Blick auf Gott verleiht immer Kraft; wenn aber unser Geist bei seiner Schwachheit stehen bleibt, anstatt sie vor Gott zu bringen, so ist das Unglauben. Schwierigkeiten mögen sich erheben, und Gott mag gestatten, dass mancherlei kommt, was unsere Schwachheit an den Tag bringt; allein der einfache Weg des Glaubens besteht darin, dass wir vorangehen, ohne im Voraus zu untersuchen, was wir zu tun haben, indem wir auf die Hilfe rechnen, welche wir bedürfen und auch finden werden, sobald es an der Zeit ist. Im Bewusstsein unseres eigenen Nichts sind wir glücklich, uns selbst vergessen zu dürfen, und dann wird Christus alles für die Seele. Wenn wir den einfachen Weg des Gehorsams in dem, was uns zu tun obliegt, verfolgen, so ist wirkliche Kraft für uns vorhanden, worin auch die Prüfung bestehen mag. So verhielt es sich mit David, als er kämpfen musste. Er sagte zu Saul: „Jehova, der mich errettet hat aus der Hand des Löwen und aus der Hand des Bären, Er wird mich erretten aus der Hand dieses Philisters.“ Für David war es nicht von Wichtigkeit, ob es sich um den Löwen, den Bären, oder den Riesen der Philister handelte; alles das war für ihn dasselbe, denn in sich selbst war er ebenso schwach dem Einen wie dem Anderen gegenüber; doch er geht ruhig voran und tut seine Pflicht, in der vollen Gewissheit, dass Gott mit ihm sein werde. Das ist Glauben. Einen völligen Gegensatz hierzu finden wir in dem Unglauben der von Mose ausgesandten Kundschafter. Sie sagten zitternd, dass sie wie Heuschrecken gewesen seien in den Augen ihrer Feinde, und vergaßen so völlig, was Gott für sie war. Sie stellten sich selbst den Kindern Enaks gegenüber, anstatt diese Gott gegenüber zu stellen. Sehe ich aber einfach auf den Herrn, so „vermag ich alles in dem, der mich kräftigt.“ Wenn die Schwierigkeiten kommen, so sollte unser Blick nicht auf uns, sondern in dem Bewusstsein, dass wir nichts als Schwachheit sind, einfach auf den Herrn gerichtet sein, in welchem alle Kraft für uns ist.
In Philadelphia sehen wir offenbare Schwachheit, – aber zugleich auch Treue. Es kann scheinbar eine große Kraft vorhanden sein und dennoch ist es nichts als Schwachheit; es kann, wie der Heilige Geist zu den Korinthern sagt, die Gabe, mit den Sprachen der Menschen und der Engel zu reden, das Verständnis aller Geheimnisse und alle Erkenntnis vorhanden sein, und doch zugleich die allergrößte Schwachheit herrschen, weil dieses alles nicht in Gemeinschaft mit Gott ausgeübt wurde. Es gibt keinen gefährlicheren Zustand, als wenn die äußere Kundgebung von Kraft die innere Verbindung und Gemeinschaft der Seele mit Gott überschreitet; das innere Leben muss in Übereinstimmung sein mit der äußeren Entfaltung der Kraft.
„Dieses sagt der Heilige und der Wahrhaftige.“ Wir sehen hier in Philadelphia den Herrn in seinem moralischen Charakter, nicht aber in seiner persönlichen Macht als Sohn Gottes. Sein Charakter als „der Heilige und der Wahrhaftige“ ist der Maßstab des Gerichts über alles, was mit Ihm nicht übereinstimmt; zugleich aber passt Er sich auch als solcher in Gnade der Lage und den Bedürfnissen seiner Getreuen an und gibt ihnen durch seine Wahrheit die Fähigkeit des Urteils, die Sicherheit des Herzens und das Vertrauen. Es stehen Ihm auch zu Gunsten der Versammlung solche Mittel zu Gebote, dass, wenn Er eine Tür öffnet, niemand zu schließen, und wenn Er sie schließt, niemand zu öffnen vermag. Wir finden hier also zweierlei: Zunächst ist Er für alle, welche Ihm vertrauen, der Heilige und der Wahrhaftige; und dann besitzt Er, obwohl wir hier nicht die wirkliche Entfaltung der Gewalt sehen, den Schlüssel der Gewalt, wie Jehova von Eliakim zu Sebna sagt (Jes 22,22): „Und auf seine Schulter will ich legen den Schlüssel des Hauses Davids, und Er wird öffnen und niemand zuschließen, und Er wird zuschließen und niemand öffnen.“ Wo also jene Schwachheit sich findet, ermuntert Er die Versammlung, auf Ihn, den Heiligen und den Wahrhaftigen, zu blicken und Ihm zu vertrauen; und wo sein Recht, zu öffnen und zu schließen, der Stützpunkt der Seele ist, wo dieses Vertrauen auf seine Person, diese Gleichförmigkeit mit seinem Charakter vorhanden ist, da ist die Versammlung in völliger Sicherheit. Was sich auch ereignen möge, selbst wenn die Macht des Menschen und des Satans bis zum Äußersten ginge – ruhe ich in Christus, der vollkommen wahrhaftig ist, und hat Er eine Tür vor mir geöffnet, so kann weder Mensch noch Teufel sie schließen.
Diese Stellung der Versammlung zu Philadelphia hat eine überraschende Ähnlichkeit mit derjenigen des Herrn, als Er hienieden war. Alles suchte vor Ihm die Tür zu verschließen: Pilatus, Herodes, Schriftgelehrte, Pharisäer und das ganze Volk der Juden. Auch befand Er sich, gleich der Versammlung in Philadelphia, inmitten einer Ordnung von Dingen, welche Gott einst eingesetzt hatte, die aber in gänzlichen Verfall geraten war; denn zurzeit Christi war keine Bundeslade da, kein Urim und Tummim, keine Scheschina (die Herrlichkeit der Gegenwart Gottes im Tempel); alles das, was die sichtbare Entfaltung der Macht und des Zeugnisses ausgemacht hatte, war verschwunden, und anstatt, dass Jehova in Jerusalem einen Thron gehabt hätte, waren die Juden selbst unter die Macht der Nationen geraten, waren Sklaven eines menschlichen Thrones geworden. Gerade dieses Verhältnis machte die Frage der Pharisäer und Herodianer: „Was denkst du: Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu geben oder nicht?“ so überaus spitzfindig. Hatte der Herr mit „nein“ geantwortet, so würde Er damit die Strafe Gottes wegen ihrer Sünden geleugnet haben; hätte Er ihre Frage bejaht, so würde das einem Aufgeben seiner Rechte als Messias gleichgekommen sein. Doch Er erkannte ihre Bosheit, und seine Antwort ließ sie verstummen. Die Bedeutung derselben war diese: Da ihr euch wegen eurer Sünden unter diese Herrschaft gebracht habt, so müsst ihr euch jetzt den Gesetzen derselben unterwerfen. Er erklärt damit nicht allein, dass die Gewalten, welche sind, von Gott verordnet sind, und wir uns denselben als solchen zu unterwerfen haben, sondern hier in dem Fall Israels würde Er, wenn Er anders geantwortet, verneint haben, dass die Strafe Gottes wegen ihrer Sünden über sie gekommen war, wie geschrieben steht: „Siehe, wir sind heute Knechte ... um unserer Sünden willen.“
Der Herr selbst unterwarf sich der Entrichtung der Tempelsteuer. Aber wenn auch Israel – als Volk – Gott gegenüber nicht treu geblieben war, so konnte doch Gott seine Treue gegen dasselbe nicht verleugnen; denn sein Geist wohnte in ihrer Mitte (vgl. Hag 2,5). Deshalb gab es auch einen kleinen Überrest in Israel, wie z. B. Hanna und Simeon, welcher auf die Erlösung in Israel wartete. Es herrschte also ein Zustand gänzlicher Finsternis in Israel, und als der, welcher das Licht war, erschien, wurde Er sogleich verworfen. Aber war nun die Tür vor Ihm verschlossen? Nein, – sondern: „diesem tut der Türhüter auf“ (Joh 10,3). Christus ging durch die Tür in den Schafhof ein und stieg nicht wie die, welche vor Ihm diesen Platz beansprucht hatten, anderswo hinüber. Er betrat, indem Er in göttlicher Macht wirkte, den von Gott bezeichneten Weg, und niemand konnte die Tür vor Ihm verschließen. Ebenso hat Gott auch uns den Weg bezeichnet; Christus sagt von sich selbst: „Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich eingeht, der wird errettet werden.“
Alles was unsere Stellung mit Christus, als einem Beispiel und Muster, verbindet, ist in Wahrheit eine Segnung für uns. Hat es wohl je einen Menschen gegeben, der in allem eine solch unwandelbare, demütige Treue Gott gegenüber bewies, wie Er? Vergleichen wir z. B. Seinen niedrigen Pfad mit demjenigen des Elias. Elias übte seinen Dienst aus mit großer äußerer Machtentfaltung, indem er Feuer vom Himmel herabfallen ließ, um die Propheten Baals zu vernichten, und er meinte, er sei allein Gott treu geblieben, während Gott noch siebentausend Mann kannte, die ihre Knie nicht gebeugt hatten vor Baal; aber Elias hatte sie nicht entdeckt. Christus dagegen war zufrieden, nichts zu sein in einer Welt, wo der Mensch alles und wo Gott ausgeschlossen war; Er ließ es über sich ergehen, als der Auskehricht der Welt behandelt zu werden. Und doch gab es zu gleicher Zeit kein einziges verlorenes Schaf vom Haus Israel, mochte (es auch der verworfenste Sünder, das Weib von Samaria, die Ehebrecherin, oder ein Zöllner sein) das seine Stimme, die Stimme des guten Hirten, nicht erreicht, oder das sein Auge nicht entdeckt hätte. Deshalb stellt Er, kraft dieser seiner Erniedrigung, alle, welche jetzt nur jene „kleine Kraft“ besitzen, an denselben Platz, den Er eingenommen hat, und gleich wie der Türhüter Ihm aufgetan, so tut Er jetzt auch ihnen die Tür auf, welche niemand zu schließen vermag.
Wir warten auf die Herrlichkeit: „die Herrlichkeit, die du mir gegeben, habe ich ihnen gegeben“; aber während wir so warten, müssen wir einen Schauplatz durchschreiten, der gleichsam die Überschrift „Ikabod“ (Nicht–Herrlichkeit; vgl. 1. Samuel 4,21) trägt. Das Zeugnis der gegenwärtigen Verwaltung ist, was seine öffentliche Macht anlangt, dahin, um nie wiederhergestellt zu werden. Was der Herr jetzt seinen Heiligen einschärft, ist, dass sie nicht denken sollen, ein Übel, wie dasjenige von Thyatira und Sardes, könne je wieder geordnet werden. Er sagt nur: „Ich komme bald; halte fest, was du hast, auf dass niemand deine Krone nehme“; das heißt: Bewahre das Wort meines Ausharrens, bis ich komme. Wir befinden uns also in Umständen, die denjenigen des Herrn ähnlich sind, und wenn Er sagt: „Ich komme bald“, so geschieht dies, um unsere Stellung der Seinen umso ähnlicher zu machen – eine Stellung, welche, wenn auch verbunden mit Prüfungen und Demütigungen, eine sehr segensreiche ist, indem sie derjenigen völlig gleicht, welche Jesus einnahm und dieselbe Verheißung hat: eine geöffnete Tür, die niemand zu schließen vermag. Der Glaube ist nötig für die gegenwärtige Zeit. Es handelt sich nicht um viel Kraft; was wir am meisten bedürfen, ist mehr Ähnlichkeit mit der Stellung Christi.
Dann gibt es noch etwas anderes, was der Versammlung zu Philadelphia eigentümlich ist. Der Herr beschäftigt sich nicht damit, ihre Werke zu prüfen, sondern Er stellt die Herzen dieser Armen und Schwachen zufrieden mit dem Bewusstsein, dass Er dieselben kennt. Bei den früheren Versammlungen war es anders; dort hob Er stets den Charakter ihrer Werke hervor. So sagt Er zu Sardes: „Ich habe deine Werke nicht völlig erfunden vor meinem Gott.“ Für uns aber genügt es, zu wissen, dass Er unsere Werke kennt. Welch ein Trost ist das für uns! Ach, wenn wir nach Vollkommenheit zu suchen hätten, wie schwer würde es uns werden, Rechnung abzulegen! Die gegenwärtige Verwirrung, der schwache Glaube, alles das würde uns verzagt machen; denn unsere Werke entsprechen in Wirklichkeit durchaus nicht der empfangenen Gnade. Wohl ist viel Tätigkeit vorhanden, viel, was von Seiten des Menschen Beifall finden kann; wenn wir aber den allgemeinen Charakter des Dienstes betrachten, wie schwer ist es dann, etwas zu finden, das Gottes Beifall haben könnte. Im Blick auf den allgemeinen Zustand der Dinge um uns her und denjenigen der Versammlung Gottes selbst würden unsere Herzen ganz und gar verzagen müssen, wenn wir unsere Zuflucht nicht zu der gesegneten Wahrheit nehmen könnten, dass Christus alles weiß.
Doch sagt der Herr, dass gar nichts bei ihnen vorhanden sei? O nein; Er sagt: „Du hast mein Wort bewahrt.“ Das, was Christus charakterisierte, muss auch das Kennzeichen der Versammlung Gottes sein. Christus konnte sagen: „In meinem Herzen habe ich verborgen dein Wort“, und dies ist auch das besondere Kennzeichen der Treue in den letzten Tagen. Paulus schreibt an Timotheus, dass in den letzten Tagen schwere Zeiten kommen und eine schreckliche Form der Gottseligkeit ohne Kraft vorhanden sein würde – denn schon damals war das Geheimnis der Gesetzlosigkeit wirksam – und dass „böse Menschen und Gaukler im Bösen fortschreiten“ würden. Den einzigen Schutz gegen dieses Übel bezeichnet der Apostel mit den Worten: „Du aber bleibe in dem, was du gelernt Haft und dessen du überzeugt bist, da du weißt, von wem du gelernt hast, und weil du von Kind auf die Heiligen Schriften kennst“, – jenes einfache, geschriebene Wort, welches wir die Bibel nennen und das er von Jugend auf gelesen hatte. Die Sicherheit sollte nicht in der Kundgebung äußerer Macht, noch auch in Zeichen und Wundern bestehen, sondern einfach und allein in dem geschriebenen Wort. Dies war das Mittel der Segnung, dies die von Timotheus anerkannte Autorität. Selbstredend war die Gnade Gottes zu seiner Bekehrung notwendig gewesen.
Ich erwähne dieses hier, weil das treue Festhalten an dem Wort, an der unbedingten Autorität des Wortes Gottes selbst, in diesen letzten Tagen die einzige Sicherheit bietet. Das war es, was Timotheus als Kind in den Schriften gefunden hatte; und diesem war natürlich das hinzugefügt worden, was er von den gleichfalls inspirierten Aposteln gelernt hatte, und was auf diese Weise für ihn zu einer gekannten und unmittelbar göttlichen Autorität in einer Person wurde – „du weißt“, sagt der Apostel, „von wem du gelernt hast“ – und was seitdem für uns das geschriebene Wort geworden ist. Dieses geschriebene Wort Gottes ist es, in welchem für uns durch die Gnade alle Sicherheit liegt.
Der Herr sagt nicht zu Philadelphia: „Ihr habt Kraft“, wohl aber: „ihr habt mein Wort bewahrt“; auch sagt Er nicht: „ihr habt mich unter diesem oder jenem Charakter gekannt“, sondern: „ihr habt meinen Namen nicht verleugnet.“ Der Name des Herrn bedeutet immer die Offenbarung dessen, was Er ist. Der Herr sagt hier gleichsam: Da du an mir festgehalten hast, so wie ich mich offenbart habe, so will ich machen, dass die, welche einen falschen Namen und falsche Ansprüche haben, „kommen und huldigen vor deinen Füßen und erkennen, dass ich dich geliebt habe.“
Hier sehen wir die beiden Charaktere einander gegenübergestellt. Beachten wir auch den Nachdruck, der auf dem Wort „mein“ liegt. Ich bin berufen, mich auf das Wort Christi zu stützen. „Mein Wort“ sagt Er; es ist das Wort Christi selbst, die persönliche Gemeinschaft mit Ihm selbst – nicht das Wort der Kirche. Würde ich z. B. das Wort der Kirche annehmen, so schriebe ich dadurch der Kirche Autorität zu; ist es aber das Wort Christi, das ich annehme, so besitze ich die Autorität Christi selbst, und durch dieses Wort muss ich alles, auch wenn es die Kirche selbst betrifft, beurteilen. Das Wort Christi verbindet uns mit Ihm, mit seinem Namen und mit seiner Person, und beides ist für uns ganz besonders nötig, um uns in den Stand zu setzen, den verführerischen Machten zu widerstehen, welche, wie wir wissen, ein Charakterzug dieser letzten Tage sind; wie geschrieben steht: „Böse Menschen aber und Gaukler werden im Bösen fortschreiten“; und: „dieses habe ich euch von denen geschrieben, die euch verführen.“
Wenn es sich um den allgemeinen Charakter der Zeiten handelt, so wissen wir, dass wir jetzt eine verführerische Macht zu erwarten haben. Ein bestimmter, persönlicher Antichrist wird erscheinen, um diese Macht der Verführung in ganz besonderer Weise zu offenbaren; aber „auch jetzt sind viele Antichristen geworden“, und deshalb haben wir „für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben zu kämpfen.“ Wenn der, dessen Ankunft nach der Wirksamkeit Satans ist, in aller Macht und Zeichen und Wundern der Lüge, diejenigen betrügen wird, welche verloren gehen, „darum dass sie die Liebe zur Wahrheit nicht annahmen, damit sie errettet würden“, so tut es uns Not, an dem festzuhalten, was uns vor ihm, der als ein Engel des Lichts erscheint, allein bewahren kann; die aber, welche die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, werden in seinen Schlingen gefangen werden. Und diesen Schutz besitzen wir in dem Wort Christi selbst, indem wir das Wort seines Ausharrens bewahren und seinen Namen nicht verleugnen. Es muss dies eine persönliche Sache sein; denn da die verführerische Macht vorhanden ist, so sind die Zeiten, in denen wir leben, „schwere Zeiten“ – nicht wegen offener Verfolgungen oder ähnlicher Schwierigkeiten, sondern weil unsere Herzen, gleich wie Eva durch die List der Schlange verführt wurde, in Gefahr stehen, verdorben und von der Einfalt, die in Christus ist, abgewandt zu werden. Und ich wiederhole noch einmal, dass der einzige Schutz gegen die List und Macht Satans nicht in unserer Kraft besteht – denn wir sind die Schwachheit selbst: „du Haft eine kleine Kraft“ – sondern darin, dass eine jede einzelne Seele persönlich an dem geschriebenen Worte Christi festhält und seinen Namen nicht verleugnet.
Es scheint nicht viel zu sein, wenn von den Gläubigen zu Philadelphia gesagt wird, dass sie sein Wort bewahrt und seinen Namen nicht verleugnet haben; sie hatten in der Tat nicht viel getan. Allein wenn dieses von ihnen gesagt werden konnte zu einer Zeit, da die verführerische Macht des Bösen vorhanden war, so war damit alles gesagt. Sie bewahrten das geschriebene Wort, als alles um sie her darauf hinarbeitete, es bei Seite zu setzen; sie verleugneten den Namen Christi nicht, während er auf allen Seiten verleugnet wurde. In den Augen Gottes ist es nicht etwas Großes, Feuer vom Himmel herabfallen zu lassen, wie Elias dies tat, sondern treu zu sein inmitten der uns umgebenden Untreue. So schien es auch nicht viel zu sein, wenn von den siebentausend, die sich dem groben Baalsdienst nicht angeschlossen hatten, gesagt wurde: „sie haben ihr Knie nicht vor Baal gebeugt“; in Wahrheit aber hieß dies alles zu ihren Gunsten sagen, da ihre ganze Umgebung sich willig vor Baal in den Staub beugte. So wurde auch die Kirche Gottes im Anfang in Macht aufgerichtet, aber bald wurde das Unkraut in Menge unter den Weizen gesät. Das Kennzeichen der Getreuen besteht nun darin, dass sie, wenn die verführerische Macht des Bösen hereinbricht, sich durch dieselbe nicht verführen und mit fortreißen lassen. Es besteht nicht in der Kundgebung äußerer Macht, sondern in der Treue im Wandel mit Gott inmitten des Bösen. In der Versammlung zu Philadelphia war diese Treue im Wandel vorhanden, und sie verlieh den Getreuen innere Kraft, obwohl keine äußere Macht Entfaltung vorhanden war.
„Siehe, ich gebe aus der Synagoge des Satans von denen, die da sagen, dass sie Juden seien, und sind es nicht, sondern lügen.“ Hier wird diese persönliche Treue in einem verborgenen Wandel mit Gott denjenigen gegenübergestellt, welche einem festgestellten System anhingen, dem es an Formen und an Ansehen im Fleisch nicht fehlte. Dieselben rühmten sich, Juden zu sein, und unternahmen es, dasjenige wiederaufzurichten, was äußerlich das Volk Gottes gekennzeichnet hatte; aber sie berücksichtigten nicht, dass Gott etwas „Neues“ aufgerichtet hatte, welches das Herz auf die Probe stellt. Sie verwarfen das Wort Gottes nicht ebenso wenig (wie die Juden es taten), aber sie ließen sich nicht durch dieses Wort leiten. Die Juden erkannten die Schriften an, aber sie verwarfen Christus und töteten Ihn; wie Jesus selbst sagte: „Sie werden euch von der Synagoge ausschließen.“ Und sie taten dies in der Meinung, Gott damit einen Dienst zu erweisen. „Es kommt aber die Stunde, dass jeglicher, der euch tötet, meinen wird, Gott einen Dienst darzubringen.“ Dies aber war nichts anderes, als die Verwerfung des von Gott gesandten Lichtes: „Und dies werden sie tun, weil sie weder den Vater noch mich erkannt haben“ (Joh 16,23). Eine althergebrachte Wahrheit, welche in der Welt Anerkennung gefunden hat und deshalb als orthodox bezeichnet wird, kann das Herz nicht auf die Probe stellen; sie verleiht der Natur Ansehen und verschafft Achtung. Wenn die Religion mir Anerkennung verschafft, anstatt das Herz in der Übung des Glaubens auf die Probe zu stellen, so kann ich versichert sein, dass es nicht die Religion Gottes ist. Es mag bis zu einem gewissen Gerade die Wahrheit sein, aber es ist nicht der Glaube an Gott. So setzten jene Juden den Namen und das Wort Christi bei Seite für Dinge, auf welche sie sich stützen konnten, während es kein Herz für Christus mehr gab. Überlieferungen, Satzungen, die Väter usw., das waren die Dinge, welche sie liebten, aber nicht das Wort Christi. Allerdings waren die Juden das Volk Gottes gewesen, aber sie hatten den Namen Christi verworfen und mit Füßen getreten. Und dies ist es, was jetzt den ganzen Unterschied ausmacht. Seitdem Christus offenbart worden ist, erwartet Gott einen unbedingten Gehorsam gegen seinen Sohn. Ein treues Anhangen an Christus ist jetzt alles.
„Ich werde machen, dass sie kommen und huldigen vor deinen Füßen und erkennen, dass ich dich geliebt habe.“ Gott erkannte diejenigen, welche jenes religiöse Altertum für sich in Anspruch nahmen, nicht als sein Volk an. Das Einzige, was für sie blieb, war, zu erkennen, dass Christus diesen armen, verachteten Überrest geliebt hatte. „Ich werde machen, dass sie erkennen, dass ich dich geliebt habe.“ Hieraus ersehen wir, was das Herz befriedigen soll; es ist nicht die gegenwärtige Anerkennung von Seiten derer, welche vorgeben, Gott zu kennen, während sie Ihn in ihren Werken verleugnen, sondern das stille, feste Vertrauen, dass es von Christus geliebt ist. Darin wird das Herz auf die Probe gestellt. Suchst du gegenwärtigen Genuss, schöne Gemälde für deine Sinne, das, was den Geschmack befriedigen und die Einbildungskraft nähren kann; wünschest du Menschen zu gewinnen und etwas vom „ehrwürdigen Altertum“ zu haben, so wisse, dass Christus in keinem dieser Dinge ist. „Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit“, und Er selbst ist die Wahrheit, „der Heilige und Wahrhaftige.“ Und wenn die Liebe zu Jesu als etwas Gegenwärtiges unsere Seelen erfüllt, so haben wir in Ihm alles, was wir bedürfen (Fortsetzung folgt).
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