Samuel - der Mann Gottes
Die Rettung von Jabes-Gilead
Die erste Gelegenheit, sich auszuzeichnen, kam für Saul, als die Bewohner von Jabes–Gilead in Gefahr kamen. Der König der Ammoniter belagerte diese Stadt. Als Antwort auf die vom Volk erbetenen Bedingungen schlug er vor, allen das rechte Auge auszustechen und damit eine Schmach auf ganz Israel zu legen (1. Sam 11).
Hier kommt uns 4. Mose 32 in den Sinn und die ungewöhnliche Bitte, welche die zweieinhalb Stämme Israels an Mose richteten. Der Jordan war damals noch nicht überschritten, und die Feinde Gottes und seines Volkes mussten noch vernichtet werden. Doch diese Stämme suchten schon jetzt ein Teil für sich da, wo sie gerade waren: das Land Jaser und das Land Gilead; ein Gebiet, das in ihren Augen gut war für Vieh. Der Beweggrund, der sie zu dieser Bitte leitete, war irdischer Wohlstand, nicht die Ehre Gottes. „Wenn wir Gnade in deinen Augen gefunden haben“, sagten sie, „so möge dieses Land deinen Knechten zum Eigentum gegeben werden; lass uns nicht über den Jordan ziehen!“ (4. Mo 32,5). Mose war darüber tief betrübt, denn sein persönlicher Wunsch war es, hinüberzugehen und teilzuhaben an dem guten Erbteil, das ein gütiger Gott für sein Volk ausgesucht hatte. Dennoch gewährte er den Stämmen, worum sie baten.
Der Jordan ist ein uns vertrautes Bild des Todes, nicht unseres Leibes, wie manche meinen, sondern des Todes Christi in seiner praktischen Anwendung auf uns, während wir noch im Leib sind. Wir sind „mit Christus ... gestorben“ und „mit dem Christus auferweckt“, sagt der Apostel in Kolosser 2,20 und 3,1. Haben wir diese Stellung wirklich eingenommen? Wenn dem so ist, dann sind wir geistlicherweise bereits über den Jordan gegangen, dann verwirklichen wir die Vereinigung mit Christus in den himmlischen Örtern und dann verstehen wir etwas von dem köstlichen Ausruf des Apostels: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus“ (Eph 1,3).
Es ist traurig, dass das Volk Gottes zu allen Zeiten bereit ist, sich mit weniger zufriedenzugeben, als was Gottes Berufung für sie vorgesehen hatte. Ruben, Gad und der halbe Stamm Manasse wollten es sich im Land Gilead heimisch machen, und auch heute begnügen sich viele wahre Gläubige damit, menschlichen Einrichtungen und Systemen anzugehören, obwohl sie sich durchaus dem Herrn Jesus, der sie durch sein Blut vom ewigen Verderben errettet hat, zu Dank verpflichtet fühlen.
Aber auf der falschen Seite des Jordans zu leben, ist ungemein gefährlich. Die zweieinhalb Stämme mussten dies wiederholt erfahren, denn in unruhigen Zeiten waren sie die Ersten, die den Angriffen der Eindringlinge ausgesetzt waren, und sie wurden auch als Erste in die Gefangenschaft des Königs von Assyrien weggeführt (2. Kön 15,29). Jetzt waren es die Männer von Jabes–Gilead, die in harte Bedrängnis geraten waren.
Das Grenzgebiet der Welt ist auch für uns heute gefährlich und setzt uns unnötigerweise den Angriffen des Feindes aus. Wir sind nur sicher, wenn wir uns mit ganzer Entschiedenheit abseits von der Welt aufhalten und für sie tot sind. Nur wenn unser Sinn wirklich nach oben gerichtet und der auferstandene Christus unsere Herzen in Beschlag nimmt, dann sind wir gegen die Versuchungen der Welt und des Teufels gewappnet. Wenn wir beginnen, Kompromisse einzugehen, öffnen wir damit auf Schritt und Tritt jedem Übel die Tür.
Nahas, der König der Ammoniter, verachtete anscheinend das Volk Gottes zutiefst. Wenn er vorschlug, den Einwohnern von Jabes–Gilead das rechte Auge auszustechen und damit „eine Schmach auf ganz Israel“ zu legen, und ihnen überdies noch sieben Tage Frist gewährte, damit sie sich nach Hilfe umsähen, so zeigt dies deutlich, wie gering er die Kraft des Volkes einschätzte. So weit hatte Israels Untreue es in den Augen seiner Nachbarn erniedrigt! Wie kostbar ist es dagegen, zu lesen, was von der Versammlung in ihren ersten Tagen berichtet wird: „Von den Übrigen aber wagte keiner, sich ihnen anzuschließen, sondern das Volk rühmte sie“ (Apg 5,13)! Das war das Ergebnis der offenbaren Gegenwart Gottes und seiner Kraft, die unter den Gläubigen wirkte.
Aber Gott ist immer voller Erbarmen gegen die Seinen, in welche Nöte und Verwicklungen sie durch ihre eigene Torheit auch immer kommen mögen. So kam der Geist Gottes über Saul, und ganz Israel wurde zusammengerufen „hinter Saul und hinter Samuel her“, so dass ihnen ein großer Sieg geschenkt wurde (1. Sam 11,7). „Die Übriggebliebenen wurden zerstreut, und es blieben unter ihnen nicht zwei beieinander“ (1. Sam 11,11). Welche Güte unseres treuen Gottes, der sein Volk trotz allen Wankelmuts und alles Bösen in der Stunde seiner Bedrängnis nie vergisst!
Im Augenblick seines Triumphs handelte Saul gut. Als das Volk Samuel nahelegte, die Männer zu töten, die vor kurzem gesagt hatten, Saul solle nicht über sie regieren, entschied der neue König mit Milde: „Niemand soll an diesem Tag getötet werden, denn heute hat der HERR Rettung verschafft in Israel!“ (1. Sam 11,13). Er hatte Langmut geübt gegen „einige Söhne Belials“ (1. Sam 10,27), und auch jetzt zeigte er Milde (1. Sam 11,13), ja, er schrieb die große Errettung, die das Volk soeben erfahren hatte, dem HERRN zu. Das war ein guter Anfang für den König nach Israels Wahl. Aber wer kann dem Fleisch vertrauen? Es dauerte nicht lange und das Fleisch offenbarte sich völlig, so dass das junge Königtum in Verfall geriet.
Samuel lud das Volk ein, mit ihm nach Gilgal zu gehen und dort das Königtum zu erneuern. Friedensopfer wurden vor dem HERRN geschlachtet, „und Saul und alle Männer von Israel freuten sich dort sehr“ (1. Sam 11,15). Gilgal war der Ort, wo Israel zuerst lagerte, als es unter Josua das Land betrat und wohin es in seinen Tagen wiederholt zurückkehrte. Dort waren die scharfen Messer der Beschneidung gebraucht worden, ein Sinnbild der praktischen Anwendung des Todes auf alles Wirken des Fleisches. Daher war es angemessen, dass Israel nach dem großen Sieg über die Ammoniter nach Gilgal zog. Hätten Saul und das Volk die geistliche Bedeutung dieses Ortes verstanden und dementsprechend vor Gott gewandelt, wäre ihre ganze weitere Geschichte anders verlaufen, als es dann der Fall war.
Auch wir mögen den Tod und die Auferstehung Christi für uns angenommen haben, aber mehr als das ist nötig, wie die Ermahnung in Kolosser 3,5 zeigt: „Tötet nun eure Glieder, die auf der Erde sind: Hurerei, Unreinheit, Leidenschaft, böse Lust und Habsucht.“ Darin liegt das Geheimnis eines glücklichen und fruchtbaren Lebens für Gott.