Samuel - der Mann Gottes
Das Los von Mizpa
Schon einmal hatte sich Israel in Reue und mit Fasten in Mizpa versammelt und daraufhin einen überwältigenden Sieg über seinen gefährlichsten Feind errungen (1. Sam 7). Derselbe Ort war jetzt erneut der Sammelpunkt für das Volk, damit dort der König eingeführt wurde, den das Volk gefordert hatte (1. Sam 10,17–27). Samuel schilderte ihnen sehr genau ihre Lage: Sie hatten durch ihre Forderung nach einem König den HERRN, ihren Gott, verworfen, der sie aus Ägypten herausgeführt und sie beständig aus ihren Nöten und Bedrängnissen errettet hatte. Sie hatten also nicht nur ihren treuen Mahner, Samuel, beiseitegesetzt, sondern vor allem ihren Gott. Gottes unmittelbare Herrschaft über sie war zu Ende, und zwar bis zum Kommen des Herrn Jesus in Macht. In dieser Hinsicht war Israel von nun an „wie alle Nationen“. Das war in der Tat ein sehr niedriges Niveau für das auserwählte Volk Gottes. Wie beklagenswert wahr ist es doch, dass Gottes Volk es immer vorzieht, eine niedrigere Stellung einzunehmen, als Gott sie für die Seinen vorgesehen hat! – Wie steht es in dieser Beziehung mit uns?
Aber die Dinge müssen jetzt ihren Lauf nehmen. Das Volk musste sich nach seinen Stämmen und nach seinen Tausenden vor dem HERRN aufstellen, um das Los entscheiden zu lassen. Das war notwendig, um späteren Streitigkeiten vorzubeugen. Sicher hatte Gott soeben einen Mann, geradeso wie sie ihn wünschten, für sie ausgesucht, und der Prophet hatte ihn auch schon gesalbt. Aber bis zur Versammlung in Mizpa hatte noch keine öffentliche Handlung stattgefunden. „Das Los wird im Gewandbausch geworfen, aber all seine Entscheidung kommt von dem HERRN“ (Spr 16,33). Zum letzten Mal im Wort Gottes wird das Los bei der Berufung des Matthias erwähnt, der den Platz des Judas in der Schar der Apostel einnehmen sollte (Apg 1,26). Nachdem jedoch die Heilige Schrift vollendet ist und der Heilige Geist persönlich in der Versammlung auf der Erde wohnt, hat das Los in den Wegen Gottes keinen Platz mehr.
Als alle Stämme in Mizpa vor dem HERRN versammelt waren, wurde zuerst der Stamm Benjamin getroffen, dann das Geschlecht Matri und schließlich der Sohn Kis. Aber dieser Mann konnte nicht gefunden werden! Selbst eifriges Suchen nach ihm war erfolglos, und als sie den HERRN befragten, sagte er ihnen: „Siehe, er hat sich beim Gerät versteckt“ (1. Sam 10,22).
Dies war kaum ein Zeichen königlicher Würde, noch war es wirkliche Bescheidenheit. Es gleicht eher der Heuchelei. Das Fleisch ist immer unaufrichtig. Es verbirgt sich, wenn es hervortreten sollte, und es stellt sich zur Schau, wenn es gar nicht gesehen werden sollte. Wir sehen dies traurigerweise bei zwei der auserlesensten Heiligen der Bibel: bei Mose im Alten Testament und bei Petrus im Neuen Testament. Mose handelte sehr voreilig, als er den Ägypter erschlug und ihn im Sand verscharrte; aber er war quälend langsam und unwillig, als Gott ihn rief, dass er zum Pharao gehen und die Befreiung des Volkes Gottes verlangen solle (2. Mo 2,12; 4,10). Petrus war kühn genug, um im Garten mit seinem Schwert dreinzuschlagen, aber er stand feige vor den Mägden am Hof des Hohenpriesters (Joh 18). Unter welchen Umständen auch immer – wir können dem Fleisch nicht trauen, dass es das Richtige für Gott tut. Einer der Wesenszüge des Christen ist es, dass er „nicht auf Fleisch vertraut“ (Phil 3,3).
Nachdem Saul schließlich gefunden worden war, „stellte er sich mitten unter das Volk, und er überragte alles Volk, von seiner Schulter an aufwärts“ (1. Sam 10,23). Für den fleischlichen Zustand des Volkes war dies bewundernswert, so dass die Erde widerhallte von dem Geschrei: „Es lebe der König!“ Wir erinnern uns dabei an einen anderen Benjaminiter, der bemerkenswerterweise den gleichen Namen trug wie Israels erster König und ebenso auffällig unter seinen Genossen hervorragte. Hören wir, was Paulus sagte: „Wenn irgendein anderer meint, auf Fleisch zu vertrauen – ich noch mehr: Beschnitten am achten Tag, vom Geschlecht Israel, vom Stamm Benjamin, Hebräer von Hebräern; was das Gesetz betrifft, ein Pharisäer; was den Eifer betrifft, ein Verfolger der Versammlung; was die Gerechtigkeit betrifft, die im Gesetz ist, für untadelig befunden“ (Phil 3,4–6), und an anderer Stelle: „...dass ich in dem Judentum zunahm über viele Altersgenossen in meinem Geschlecht, indem ich übermäßig ein Eiferer für meine väterlichen Überlieferungen war“ (Gal 1,14). Aber nachdem er nur ein einziges Mal den Herrn geschaut hatte, erschien ihm dies alles wertlos, so dass er bereit war, alle seine Vorzüge demütig in den Staub zu legen. Als er erfahren hatte, dass bei Gott nichts anderes als Christus Wert hat, galt auch für ihn nichts anderes mehr als Christus allein. Glücklicher Mann!
„Und Samuel sagte dem Volk das Recht des Königtums, und er schrieb es in ein Buch und legte es vor dem HERRN nieder. Und Samuel entließ das ganze Volk, jeden in sein Haus“ (1. Sam 10,25). Dieses Buch wurde damit eine beständige Urkunde; es würde seine Nützlichkeit zeigen, wenn das Volk in seiner neuen Stellung untreu werden sollte. So bewahrt Gott gewissermaßen auch heute sein Buch auf, in dem alles, was uns betrifft, aufgezeichnet ist.
Saul begann gut. Er versuchte nicht, sich gegen einige aufsässige Männer zu verteidigen, die verächtlich von ihm sprachen; „er war wie taub“ (1. Sam 10,27). Im Augenblick verlangte er auch nicht nach Prunk, sondern er ging still nach Hause, „und mit ihm zog die Schar, deren Herz Gott gerührt hatte“ (1. Sam 10,26). Und auch Samuel ging, wie wir annehmen können, nach Hause, um zu beten. Mochte das Volk jubeln, sein Herz war ernst gestimmt und traurig. Eine ernste Lage war geschaffen worden, deren Schwere Israel jedoch nicht erfassen konnte, da es zu abgestumpft war.