Samuel - der Mann Gottes
Prophet und Richter
1. Samuel 7,15–17 gibt uns ein interessantes Bild von den Lebensgewohnheiten Samuels: „Samuel richtete Israel alle Tage seines Lebens. Und er ging Jahr für Jahr und zog umher nach Bethel und Gilgal und Mizpa und richtete Israel an allen diesen Orten; und er kehrte nach Rama zurück, denn dort war sein Haus, und dort richtete er Israel. Und er baute dem HERRN dort einen Altar.“ Wir erkennen deutlich, dass die alte Ordnung völlig zusammengebrochen war. Die Stiftshütte befand sich im Land, und zweifellos übte irgendein Nachfolger Elis mit seinen aaronitischen Amtsgenossen den priesterlichen Dienst darin aus, aber das wird in unserer Stelle ganz übergangen.
Samuel lebte in Rama, was „Höhe“ bedeutet. Dort, abseits von der unruhigen Welt, baute er dem HERRN einen Altar, wo er sich heiliger Gemeinschaft mit Gott erfreute. Alte patriarchalische Zustände schienen wiedergekehrt zu sein (1. Mo 12,7; 26,25). Von Rama ging Samuel von Zeit zu Zeit aus, um das Volk zu unterweisen und zu richten und um hier und dort, so wie sich die Gelegenheit bot, Dinge in Ordnung bringen zu helfen. Aber wo war der Priester, dessen moralische Pflichten so klar in 3. Mose 10,8–11 und Maleachi 2,7 zum Ausdruck kommen? Er wird in dem Bericht nicht erwähnt, so als existiere er gar nicht.
Samuels Leben war durch Fürbitte gekennzeichnet. Der Wert der Fürbitte wird in Psalm 99,6 besonders hervorgehoben: „Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, sie riefen zu dem HERRN, und er antwortete ihnen.“ Kurz bevor das Volk aus dem Land vertrieben wurde, wird noch einmal auf die Kraft dieser Fürbitte hingewiesen: „Wenn auch Mose und Samuel vor mir ständen, so würde meine Seele sich nicht zu diesem Volk wenden. Treibe sie von meinem Angesicht weg, dass sie fortgehen“ (Jer 15,1).
Apostelgeschichte 3,24 spricht von Samuel als dem Ersten einer Reihe von Propheten in Israel. Obgleich es bei den Propheten keine geregelte Nachfolge gab1 wie bei den Königen und Priestern, so fehlte es seit der Zeit Samuels niemals an Propheten. Entsprechend dem Bösen, das sich im Volk entwickelte, fand Gott für den Notstand immer einen Mann, durch den Er sich an die Gewissen wenden konnte. Das sehen wir deutlich in Stellen wie 2. Könige 19,2 und 2. Könige 22,12–14. Im ersten Fall sendet Hiskia wegen der lästerlichen Worte des hochmütigen Assyrers zwei seiner Obersten mit dem Ältesten der Priester, alle in Sacktuch gehüllt, zu Jesaja. Beachten wir besonders: Obwohl „die Ältesten der Priester“ die Mehrheit der Abordnung bildeten, wurden sie nicht zu dem Hohenpriester jener Tage gesandt, sondern zu Jesaja, dem Sohn Amoz, der ganz außerhalb ihrer Ordnung stand. Der zweite Fall ist noch bemerkenswerter: Josia – beunruhigt über den Inhalt des Buches des Gesetzes, das er im Haus des HERRN entdeckt hatte – sandte den Hohenpriester selbst (mit anderen), um eine Frau, die Prophetin Hulda, zu befragen!
Darin tritt ein wichtiger Grundsatz zutage: Gott kommt es nicht auf die amtliche Form an, sondern auf die Frömmigkeit. Auch heute gefällt es Gott, nicht durch die anerkannte Geistlichkeit der Christenheit zu den Herzen und Gewissen seines Volkes zu reden, sondern durch demütige Menschen, die vor Ihm leben, vor seinem Wort zittern und darin seine Gedanken und seinen Willen zu erkennen suchen. Jemand mag durchaus „führend“ sein, ohne dass Gott durch ihn im Geist des Propheten zu den Heiligen reden kann. Sollten wir nicht alle, Schreiber und Leser, danach streben, ein Samuel zu sein?
Samuel scheint für die neue Ordnung, die Gott nach der Aufrichtung des Königtums einzuführen beabsichtigte, einige Vorbereitungen getroffen zu haben, denn er heiligte Schätze zur Unterhaltung des Hauses des HERRN, wie es David bald nach ihm tat (1. Chr 26,28). Es ist auch interessant, festzustellen, dass einer von denen, die später den Gesang in Israel leiteten, als dieser Dienst im Tempel eingerichtet wurde, ein direkter Nachkomme Samuels war (1. Chr 6,18).
So haben wir in Samuel einen gottesfürchtigen Mann, der mit geistlicher Einsicht die Zeiten beurteilte; der abgesondert lebte von den Bösen, die das Volk entehrten; der seine Seele in glücklicher Gemeinschaft mit Gott erhielt und für seine schuldig gewordenen Brüder unaufhörlich Fürbitte tat. Was für ein Beispiel für uns! Brauchen wir uns daher zu wundern, dass der Heilige Geist den Namen dieses außergewöhnlich treuen Dieners Gottes in der Liste der Glaubenshelden in Hebräer 11 aufführt? Das Gedächtnis eines solchen Mannes ist unvergänglich.
Fußnoten
- 1 Es scheint Bemühungen gegeben zu haben, eine geordnete Nachfolgeschaft der Propheten zu sichern, denn wir finden die Söhne der Propheten häufig in Gruppen beisammen, gewissermaßen zur Ausbildung (2. Kön 2,3; 4,38-41 u.a.). Es ist möglich, dass aus ihrer Mitte falsche Propheten hervorgingen, die im Namen des Herrn sprachen, obwohl sie von Ihm keine Botschaft empfangen hatten. Diese Männer waren eine größere Plage für Gottes wahre Propheten als die öffentlich bekannten Propheten der heidnischen Gottheiten (Jer 28). Die Souveränität Gottes in der Wahl seiner Instrumente ist sowohl im Alten wie im Neuen Testament klar erkennbar, aber dem Menschen ist die Sucht zum Organisieren und zur systematischen Ordnung gleichsam angeboren. Die führt jedoch stets dazu, dass das Zeugnis Gottes behindert wird.