Botschafter des Heils in Christo 1881
Nicht vergeblich in dem Herrn
„Daher, meine geliebten Brüder, seid fest, unbeweglich, allezeit überströmend in dem Werk des Herrn, da ihr wisst, dass eure Mühe nicht vergeblich ist im Herrn“ (1. Kor 15,58).
Wir alle sind Diener Gottes, da wir Söhne Gottes sind – zuerst Söhne, dann Diener. Ein Diener Gottes zu sein ist für den Christen jedoch keine drückende Fessel, sondern ein Vorrecht und ein Trost. Hat er das Joch des Herrn Jesus, des einzigen vollkommenen Dieners, auf sich genommen, so findet er Ruhe und Segnung, denn sein Joch ist sanft und seine Last ist leicht. Ein wahrer Dienst kann indessen nur da vorhanden sein, wo die Verbindung und Gemeinschaft mit Gott wirklich gekannt wird. Ohne Zweifel kommt in der göttlichen Reihenfolge zuerst der Friede, dann die Gemeinschaft und dann erst der Dienst. Jede Frage des Gewissens in Betreff unserer ewigen Segnungen muss in Ordnung gebracht sein, bevor wir Frieden mit Gott haben können. Das Gewissen muss gereinigt sein durch das Blut Christi, um kein Bewusstsein mehr von Sünden zu haben. Wir müssen Christus kennen, bevor wir Ihm leben können. Wir müssen uns unserer Kindschaft bewusst sein, anders können wir unmöglich als Kinder Gottes wandeln. Aber dann kann die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn genossen werden, und hinaus kann ein williger und glücklicher Dienst hervorstießen.
Das, was heutzutage Dienst Gottes genannt wird, erweist sich bei einer Prüfung in dem Licht Gottes größtenteils als kein wahrer Dienst. Wie viele glauben, um nur ein Beispiel anzuführen, zuversichtlich, dem Herrn zu dienen, indem sie zu Missions– und anderen Zwecken Gaben von Ungläubigen erbitten und entgegennehmen! Nun aber fordert uns die Schrift nicht nur ans, aus der Mitte der Ungläubigen auszugehen und uns von ihnen zu trennen, sondern sie empfiehlt auch in ausdrücklicher Weise solche Christen, die „um des Namens willen ausgegangen sind und nichts genommen haben von denen aus den Nationen“ (3. Joh 7). Unzählig viele andere Dinge gelten heute als wahrer Dienst, die ebenso sehr der Lehre der Schrift zuwiderlaufen, wie das angeführte Beispiel. Wir haben tatsächlich eine Übung des Gewissens in Bezug auf das geschriebene Wort Gottes, sowie die Leitung des Heiligen Geistes nötig, um zu wissen, was des Herrn Wille betreffs unseres Dienstes ist. Es ist ganz etwas anderes, in einem Dienst beschäftigt zu sein, als mit Ehrerbietung, Treue und Gottesfurcht Ihm wohlannehmlich zu dienen.
Wir dienen dem Herrn Jesus, weil Er uns zuerst geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat. Sobald aber der Dienst unser Gegenstand und Zweck wird, anstatt der Herr selbst, so werden wir sicherlich fehlen und zu Schanden werden. Wer hat nicht schon unglückliche Beispiele hierfür gesehen, oder es in schmerzlicher Weise an sich selbst erfahren? Wenn das Auge unseres Herzens auf unserem Dienst ruht – so schriftgemäß er auch sein mag – anstatt auf dem Herrn selbst, so entfernen wir uns von der Quelle wahrer Kraft und gehen in der Kraft der Natur, anstatt in der Energie des Glaubens voran. Wir sollten „stark sein in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke“ (Eph 6,10). Anders haben wir keine Kraft, wie geschrieben steht: „Glückselig der Mensch, dessen Stärke in dir ist!“ (Ps 84,5) Alle unsere Quellen sind in Ihm. Machen wir daher den Dienst zu unserem Gegenstand, so sind wir tatsächlich von dem Herrn entfernt, und unser Dienst wird in bloß menschlicher Fertigkeit und toter Förmlichkeit getan werden, oder aber wir werden zusammenbrechen und ihn gänzlich aufgeben. Der vollkommene Diener konnte sagen: „Ich habe Jehova stets vor mich gestellt“ (Ps 16,8), und: „Meine Speise ist, dass ich den Willen dessen tue, der mich gesandt hat, und sein Werk vollbringe“ (Joh 4,34).
Nichtsdestoweniger bleibt es eine gesegnete Wahrheit, dass alle Gläubige Diener sind, dass uns allen ein Dienst, ein Werk übertragen ist, das wir ausführen sollen, bis Er kommt. Er hat einem jeden seine Arbeit gegeben. „Er berief aber zehn seiner eigenen Knechte und gab ihnen zehn Pfunde – einem jeden ein Pfund – und sprach zu ihnen: Handelt, bis ich komme“ (Lk 19,13). Ein jedes Glied des Leibes Christi hat sein besonderes Werk. „Einem jeden aber von uns ist die Gnade gegeben nach dem Maß der Gabe des Christus“ (Eph 4,7); und die Auferbauung des ganzen Leibes ist abhängig von der Treue eines jeden Gliedes. Wir haben deshalb alle unseren Dienst; aber was der Charakter und das Maß desselben ist, das kann allein der Herr, der ihn uns übertragen hat, uns kundtun, und allen denen, die auf Ihn warten, wird Er es offenbaren. Haben wir aber gelernt, worin der Dienst besteht, den Er uns anvertraut hat, so sollten wir uns demselben zu seiner Verherrlichung mit Eifer hingeben. Wir lesen von einigen, dass sie „sich selbst zum Dienst verordneten“; dasselbe sollten wir tun. Solche kennen ihre völlige Abhängigkeit von dem Herrn und geben sich dem Gebet und ihrem Dienst hin. Sie rechnen auf Gott, dass Er sie segnen werde, und unmöglich können sie beschämt werden. Bei ihnen findet sich Entschiedenheit, sowohl in ihrem Vorhaben, wie auch in ihren Handlungen, und sie schauen nach bestimmten Resultaten aus. Sie klammern sich an den Herrn und rechnen auf Ihn.
Vielleicht zeigt nichts den schwachen und ungesunden Zustand vieler Christen deutlicher, als der unbeständige, ziellose Charakter ihrer Handlungen. Ein gelegentlicher Diener und ein unbeständiger, vorübergehender Dienst scheinen in den Briefen völlig unbekannt, zu sein. Im Gegenteil werden wir ermahnt „fest, unbeweglich, allezeit überströmend zu sein in dem Werk des Herrn.“ In demselben Briefe gibt der Apostel den Korinthern viele Unterweisungen über die mannigfaltigen Gaben und Wirkungen des Heiligen Geistes, und nachdem er ihnen das Geheimnis der bei der Ankunft des Herrn stattfindenden Verwandlung mitgeteilt hat, ermahnt er sie, allezeit unbeweglich und überströmend zu sein in dem Werk des Herrn. Denn gerade die Ankunft des Herrn erinnert uns immer wieder daran, dass unsere Gelegenheit, Ihm in dieser Welt zu dienen, bald aufhören wird.
Haben wir von dem Herrn gelernt, welches unser Platz in der Versammlung und welches der Dienst ist, mit dem Er uns in seiner Gnade betraut hat, so sollten wir ihn, wie schon gesagt, mit allem Fleiß erfüllen; wir sollten „fest“ sein und Tag für Tag unseren Lauf mit aller Treue fortsetzen. Wir sollten beten und arbeiten, arbeiten und beten. Blicken wir unverrückt auf Ihn und hängen wir an Ihm mit ungeteiltem Herzen, so wird Er uns leiten und bewahren, wie Er es jene tat, welche „versuchten, nach Bithynien zu reisen, und der Geist Jesu erlaubte es ihnen nicht.“ Wir mögen durch die Einen geschmeichelt, von Anderen kalt behandelt und von Satan versucht und verfolgt werden, wir mögen geneigt sein, bei den mancherlei Prüfungen, die der Dienst mit sich bringt, kleinmütig zu werden oder uns wegen unserer Erfolge zu überheben, aber trotz allem sollten wir stets „unbeweglich“ sein. Auch kann unser Dienst, solange wir hienieden sind, nie aufhören. Dem Herrn zu dienen und den guten Kampf des Glaubens zu kämpfen und mit Ausharren den vor uns liegenden Wettlauf zu laufen, das liegt uns ob bis ans Ende. Ferner erwartet der Herr nicht einen kärglichen, sondern einen überströmenden Dienst von uns. Wir sollten alle Gelegenheiten, die Er uns gibt, wohl benutzen, die Zeit auskaufen, zur rechten Zeit Frucht, und Zwar viel Frucht bringen und „allezeit überströmend“ sein in dem Werk des Herrn.
Vielleicht haben wir bemerkt, dass vieles um uns her geschieht, dass ein Dienst für den Herrn genannt wird, eine Prüfung durch das Wort Gottes aber nicht aushält; vielleicht ist es uns auch nicht unbekannt geblieben, wie sehr das Werk des Herrn durch menschliche Anordnungen, systematische Pläne und Einrichtungen gehindert worden ist. Aber sind nicht manche unter uns, die diese Dinge tief gefühlt haben, in das entgegengesetzte Extrem verfallen, indem sie nur sehr wenig für den Herrn tun und sich nur gelegentlich in seinem Dienst gebrauchen lassen? Dies erfordert eine ernste Selbstprüfung und ein gründliches Selbstgericht. Wir können das Werk des Herrn von zwei Seiten aus betrachten, zunächst im Blick auf die Kinder Gottes und dann im Blick auf die unbekehrten Seelen. Jeder Gläubige ist mehr oder weniger befähigt, nach diesen beiden Seiten hin tätig zu sein. Als ein Glied des Leibes Christi hat er seinen Platz lebendiger Tätigkeit zur Auferbauung des Leibes, und als ein erretteter, begnadigter Sünder hat er Christus zu bekennen vor den Menschen. Wir sollten deshalb nicht verfehlen, ernstlich danach zu forschen, was der Charakter und das Maß des uns von dem Herrn aufgetragenen Dienstes ist, und wir sollten schonungslos mit uns ins Gericht gehen, wenn wir bekennen müssen, dass wir diesen Charakter nicht zur Schau getragen und dieses Maß nicht erfüllt haben. Bin ich in brünstigem Gebet für die Heiligen, besonders für diejenigen, die mir nahestehen, beschäftigt? Das Wort ermahnt mich, ihre Auferbauung und ihr Gutes zu suchen. Fülle ich heute – ja heute – praktisch meinen Platz in dem Leib aus, in unbeweglichem und überströmendem Dienst für den Herrn? Habe ich, wo es Gelegenheit gab, Zeugnis abgelegt? Habe ich solchen, mit denen ich in Berührung kam, Christus und die frohe Botschaft von seiner Gnade und Liebe verkündigt? Habe ich meine Mittel, meine Gaben und Talente in aller Treue für den Herrn gebraucht? Habe ich heute mit dem Pfund, das Er mir anvertraut hat, gehandelt? So zart und gelinde unser Urteil über andere in dieser Beziehung sein sollte, so streng sollten wir mit uns selbst verfahren. Wünschen wir wirklich, dass das Werk des Herrn gedeihe und Fortschritte mache, so müssen wir bei uns selbst anfangen. Kein Tag sollte vorübergehen, ohne dass wir ein Segenskanal für andere gewesen wären. Das Christentum ist gerade das Gegenteil von Eigenliebe und Selbstsucht. Wir wissen, dass Jesus „sich selbst nicht gefallen hat.“
Niemand kann in einem gesunden Seelenzustand sein, der nicht auf die eine oder andere Weise mit unserem Herrn Gemeinschaft hat in dem Evangelium. Er liebte die Sünder und verkündigte ihnen die gute Botschaft, Er betete für seine ruchlosen Mörder, starb für die Gottlosen, vergoss sein Blut für verlorene, verdammungswürdige Sünder und sendet jetzt seine Diener aus mit der Botschaft: „Wen da dürstet, komme, und wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst!“ Wir sind überzeugt, dass viele der Leser dieser Zeilen ernste und fleißige Diener des Herrn sind. Aber alle sollten es sein. Alle sollten, in dem Bewusstsein der vollkommenen Liebe Gottes zu dem Sünder, eifrig suchen, Seelen in seine Nähe, unter das Gehör seines Wortes und in die Strahlen seines Lichtes zu bringen; alle sollten, gedrungen von göttlicher Liebe, im Glauben und Gebet vorangehen, seinen Willen tuend, Ihn verherrlichend und auf die Ankunft des Herrn wartend.
Doch was wir tun, muss wirklich auch das Werk des Herrn sein; nicht fleischliche Religiosität und menschliche Anmaßung, nicht eine bloß natürliche, gleichsam anerzogene Tätigkeit, sondern Gehorsam gegen das Wort Gottes und völlige Unterwerfung unter seinen Willen sollten sich bei uns finden. Diese Dinge kennzeichnen einen treuen Diener, einen wahren Nachfolger dessen, der gesagt hat: „Ich bin vom Himmel herniedergekommen, nicht auf dass ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat“ (Joh 6,38). Der Herr gebe uns Gnade, dass wir Ihm so dienen, eingedenk seiner gnädigen Worte: „Wenn mir jemand dient, der folge mir nach, und wo ich bin, da wird auch mein Diener sein. Wenn mir jemand dient, den wird mein Vater ehren“ (Joh 12,26).
Überdies lasst uns die Tiefe jener göttlichen Versicherung zu ergründen suchen, die in den Worten liegt: „Da ihr wisst, dass eure Mühe nicht vergeblich ist im Herrn.“ Wie ermutigend und tröstend sind solche Worte! Sind unsere Herzen versichert, dass unsere Mühe in dem Herrn ist, so kann über das Endresultat kein Zweifel, keine Besorgnis in uns aufkommen. Und sicherlich wenn es so ist, so müssen wir den Herrn vor uns haben, als den Einen, dessen Verherrlichung wir suchen, dessen Willen wir tun und dessen Wort wir halten! Wir werden dann in Ihm bleiben, von Ihm lernen, uns auf Ihn stützen, vorangehen in seiner Kraft und durch seine Gnade von dem Heiligen Geist geleitet werden. Wir werden abhängig sein, eifrig im Gebet, gehorsam, und es wird dann in Wahrheit von uns gesagt werden können: „Da ihr wisst, dass eure Mühe nicht vergeblich ist im Herrn.“