Vorträge über die Sendschreiben an die 7 Versammlungen
Botschafter des Heils in Christo 1881
Vorträge über die Sendschreiben an die sieben Versammlungen - Teil 7/14
Im Vorübergehen möchte ich bemerken, dass wir in Psalm 110 in etwa eine Erklärung der Worte finden: „von jenem Tag und Stunde weiß niemand“, weder die Engel noch der Sohn. Der Sohn sitzt zur Rechten Gottes und wird in prophetischem Sinn als dort wartend betrachtet, nach den Worten Jehovas: „Sitze zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde lege zum Schemel deiner Füße.“ In diesem Sinn nun, als prophetischer Diener der offenbarten Wahrheit, (und als solcher redete Er in Israel; vgl. Hebräer 1) kann gesagt werden, dass Er weder den Tag, noch die Stunde kannte. Paulus spricht in Hebräer 10 von Ihm, als „fortan wartend, bis seine Feinde gelegt sind zum Schemel seiner Füße“, bis zu dem Augenblick, wo sie auch zu unseren Füßen liegen werden. In Übereinstimmung damit werden wir in dem Sendschreiben an Philadelphia ermahnt, das Wort seines Ausharrens zu bewahren, und wenn Er wartet, so ist es nicht zu verwundern, dass auch wir zu warten haben; und das beste von allem, was wir erwarten, ist Er selbst. Die Vereinigung mit Ihm ist das eigentümliche und besondere Teil der Versammlung; die Gewalt über die Nationen ist bloß die Frucht und Folge davon. Er muss richten; für uns aber ist Er der „Morgenstern.“ Das Richten ist gleichsam sein „fremdes Werk.“ Er ist langsam zum Zorn, aber Er muss Gericht ausüben, da Er die Ungerechtigkeit nicht für immer ungestört fortschreiten lassen kann. Er steht im Begriff, seinen eigenen Thron in Besitz zu nehmen, und Er kann dies nicht tun in Verbindung mit dem Thron Satans und seinem Bösen. Er muss deshalb das Böse beseitigen; Er kann es nicht zulassen. Die antichristliche Macht in der Welt muss niedergeworfen werden; denn Er kann seinen Thron nicht aufrichten und zugleich jene Macht bestehen lassen, wie in Psalm 94 geschrieben steht: „Sollte mit dir vereinigt werden der Thron der Ungerechtigkeit?“ Es ist völlig unmöglich. Darum muss Er sein „fremdes Werk“ tun; sein eigentliches Werk aber besteht, so zu sagen, darin, dass Er in seinem himmlischen Glänze leuchtet, und unser Teil ist es, dort mit Ihm vereinigt zu sein.
„Ich will ihm den Morgenstern geben.“ Fragen wir, wer den Morgenstern steht, so ist die Antwort: Derjenige, welcher wacht, während es Nacht ist. Die Sonne in ihrem Glänze wird von allen gesehen werden; aber nur diejenigen, welche nicht von der Nacht sind, jedoch wissen, dass die moralische Nacht herrscht – diese und nur diese sehen den Morgenstern und empfangen ihn als ihr Teil. Sie sind nicht Söhne der Nacht, sondern des Tages, und deshalb warten sie auf den Anbruch des Tages. Als der Stern aufging, welcher Jesus, den geborenen König der Juden, begrüßen sollte, gab es Hannas und Simeons, die auf den Trost Israels warteten. Und die Freunde Hannas in diesen Tagen der Finsternis waren solche, welche auf die Erlösung in Israel warteten; zu ihnen redete sie von Ihm. So erfüllte sich an ihnen das Wort des Propheten Maleachi: „Da redeten, die Jehova fürchten, einer zu dem Anderen“ (Kap 3,16). Wir sehen, dass sie einander kannten und mit einander im Geist den Trost von dem genossen, was wir in Maleachi 4,2 lesen: „Euch, die ihr meinen Namen fürchtet, wird aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit, und es wird Heilung sein unter ihren Flügeln.“ Sie bildeten ein armes, verachtetes Häuflein – nur wenig gekannt und noch weniger beachtet; aber sie „warteten“, auf die Erlösung in Israel. Sie fühlten den Verfall – und das Böse um sich her, weil sie ein lebendiges Bewusstsein von der Herrlichkeit Gottes und von dem Vorrecht hatten, sein Volk zu sein. Wir finden in ihnen, so schwach sie sein mochten, eine herrlichere Kundgebung des Glaubens, als selbst in Elias, da er das Feuer vom Himmel fallen ließ. Sie stellten nicht den Tempel wieder her, sondern unterhielten sich über die Gedanken Gottes. Elias beschäftigte sich mit der Wiederherstellung äußerer Dinge, aber für die inneren hatte er keinen Glauben. 1 Er hatte kein rechtes Vertrauen auf die unfehlbare Gnade Gottes dem Überrest gegenüber. Das Gesetz war der Maßstab, nach welchem er alles beurteilte; Hanna und Simeon hingegen besaßen das Geheimnis Gottes in ihren Seelen; denn „das Geheimnis Jehovas ist für die, welche Ihn fürchten, und sein Bund – um ihnen denselben kund zu tun“ (Ps 25,14). Sie wandelten auf dem schmalen und stillen Pfad des Glaubens. Sie versuchten nicht, den Tempel wiederherzustellen, aber sie redeten zu allen, die auf Erlösung warteten in Israel. Waren sie denn mit dem Zustand der Dinge zufrieden? Nein, aber getrennt vom Bösen, warteten sie auf den Trost Israels, der allein das Böse an seinen Platz setzen konnte. Genauso ist es in unseren Tagen. Der Christ kann Isebel nicht verändern, noch kann er sich mit den bloßen Tempel–Anbetern, den sogenannten religiösen Systemen unserer Zeit, vermengen. Indem er ihr Gericht dem Herrn anheimstellt, enthält er sich eines jeden gewalttätigen Angriffs auf sie und wandelt in stiller Trennung von allem Bösen. Er wacht während der langen, finsteren Nacht der Leiden und wartet mit Ausharren auf den Morgenstern des Tages der Herrlichkeit. „Dem, der überwindet ... will ich den Morgenstern geben“; und dieser Morgenstern ist Christus selbst. In dieser Weise wird Er von denen gekannt, welche, wiewohl in der Nacht, doch nicht von der Nacht sind; sie sind Kinder des Tages. Der Morgenstern wird verschwinden, bevor die Welt die Sonne steht, bevor die Sonne aufgeht und der Tag anbricht. Doch ehe sie aufgeht, ist der Morgenstern da für diejenigen, welche während der Nacht wachen. Die Welt wird die Sonne sehen, aber der Morgenstern ist, soweit die Welt in Betracht kommt, verschwunden, ehe die Sonne erscheint. Ebenso werden auch wir verschwunden sein und bei dem Morgenstern weilen, ehe der Tag Christi für die Welt anbricht; und wenn Christus offenbar werden wird, dann werden auch wir mit Ihm offenbar werden in Herrlichkeit.
Es gibt drei Stellen, die sich auf diesen Morgenstern beziehen, und es ist wichtig, sie etwas näher zu betrachten. In 2. Petrus 1 lesen wir: „Und wir haben das prophetische Wort befestigt, auf welches zu achten ihr wohltut, (als auf eine Lampe, welche leuchtet in einem dunklen Orte) bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.“ Die Propheten in Israel hatten den Tag völligen Segens für die Erde zuvor angekündigt: „Mache dich auf, leuchte; denn dein Licht kommt“ (Jes 60,1); „siehe, cm König wird regieren in Gerechtigkeit“ (Jes 32,1); und ihr Zeugnis wurde den Jüngern durch die Erscheinung auf dem heiligen Berge bestätigt. Sie prophezeiten auch von Ereignissen, welche über diese Welt kommen sollten, als ein Gericht über alle die Formen ihres widersetzlichen Willens und ihrer rebellischen Macht – von Ninive und Babylon, von den Tieren, welche sich auf der Erde erheben sollten – von Jerusalem und seinem Los, als abgewichen von Gott. Indem auf diese Weise das Gericht bestimmt angekündigt war, gab es eine warnende Lampe, die inmitten der Finsternis dieser Welt ein Licht verbreitete, welches diejenigen, die darauf Acht hatten, ermahnte, den Frevel des menschlichen Willens, der das göttliche Gericht herbeiführte, zu meiden. Und sie taten Wohl, auf dieses prophetische Wort zu achten, bis der Morgenstern in ihren Herzen aufging; es war eine – Lampe an einem dunklen Ort. Der Morgenstern selbst aber war noch etwas weit Köstlicheres.
Die Prophezeiungen sind einfach, und ihre Ermahnungen klar. Sie warnen uns vor dem Geist der Welt, deren Gericht angekündigt wird. Inder Offenbarung lesen wir von unreinen Geistern (Kap 16), gleich Fröschen, welche ausgehen zu den Königen des ganzen Erdkreises, um sie zu versammeln zu dem Krieg jenes großen Tages Gottes, des Allmächtigen. Wenn wir selbst nicht genau verstehen, wer diese Frosche sind und was sie bedeuten, so ist doch der Hauptgedanke der Prophezeiung unzweifelhaft. Es handelt sich nicht um die Macht des Guten, denn sie verführen die Könige der Erde zum Krieg jenes großen Tages Gottes. Das prophetische Wort ist also eine Lampe an einem dunklen Orte, in der Nacht der Geschichte dieser Welt, während der Abwesenheit Christi. Der Morgenstern hingegen ist Christus selbst, wie wir dies aus Offenbarung 22 ersehen. Er ist der glänzende Morgenstern. Wenn Christus erscheint, wird Er die Sonne der Gerechtigkeit für die Welt sein, und dann wird das Gericht beginnen. Die Gesetzlosen werden Zertreten werden wie Asche unter den Fußsohlen, wie Staub – „an dem Tag, den ich machen werde, spricht Jehova der Heerscharen“ – und der Tag Jehovas wird sein wie Feuer. Der Stern aber erscheint denen, welche wachen, ehe die Sonne den Blicken der Welt erscheint; denn ebenso wie ich durch die prophetische Warnung verstehen kann, dass dieser dunkle Ort bald dem Gericht anheimfallen wird, „dass die Nacht weit vorgerückt und der Tag nahe ist“, so weiß ich auch, dass es jetzt Nacht ist, was immer auch die Menschen darüber denken mögen. Was ich bedarf, ist der Morgenstern in meinem Herzen – die Hoffnung der Ankunft Christi, um die Versammlung zu sich zu nehmen vor dem Anbruch des Tages; denn der Morgenstern wird denen gegeben, welche überwinden. Ich muss Ihn haben, damit meine Seele erquickt werde während der langen und schrecklichen Nacht, die jetzt weit vorgerückt und noch dunkler ist wie damals, gleich wie die Finsternis der Nacht stets zunimmt, bis die Dämmerung eines neuen Tages am anderen Ende des Himmels anbricht und der Morgenstern dem Auge der wachenden und wartenden Seele aufgeht und das Herz durch eine gewisse und sichere Hoffnung erfreut. Und was bedürfen wir von den Dingen dieses dunklen Ortes, dieser Welt, welche unter dem Gericht steht, weil sie den Sohn Gottes ans Kreuz genagelt hat? Lasst uns doch nicht die Reichtümer, die Ehre und die Macht dieser Welt suchen, über welche Christus bei seiner Ankunft das Gericht ausüben wird. Ein einziger Strahl der Herrlichkeit Christi wird alle Herrlichkeit dieser verunreinigten Welt hinwelken lassen, gleich einem herbstlichen Blatte. Möge daher der Herr uns bewahren, dass wir uns nicht mit der Welt vermengen, noch Reichtümer aufhäufen. Was wollen wir damit, wenn Christus kommt? Erinnern wir uns, dass der Herr nahe ist. Indessen möchte gefragt werden: Soll ich mich denn nur deshalb von dieser Welt getrennt halten, weil sie dem Gericht verfallen ist? Gewiss nicht. Mein ganzes Teil für Zeit und Ewigkeit ist in Christus, und der Morgenstern ist aufgegangen in meinem Herzen. Nicht die Furcht, sondern die Liebe soll mich von der Welt trennen.
Die Ankunft Christi als Morgenstern unterscheidet sich, wie wir gesehen haben, von dem Aufgang der Sonne; sobald diese über der Welt aufgeht, ist das Gericht da (Jes 2; Mal 4,1–3). Doch außer und vor diesem allen haben wir unser Teil in Christus. Wir sind nicht von dieser Welt, sondern sind aus derselben erlöst und gehören Christus an. Wir werden droben mit Ihm vereinigt sein, bevor Er zum Gericht dieser Welt erscheinen wird. Die Donner des Gerichts werden uns nicht erreichen können, weil wir mit Ihm im Himmel sitzen, von woher die Gerichte kommen. In Offenbarung 4 haben wir ein überaus gesegnetes und tröstliches – Bild von der Stellung der Versammlung. Dort sitzen die 24 Ältesten auf ihren Thronen, rings um den Thron, aus welchem Blitz und Stimmen und Donner hervorgehen, und sie bleiben vollkommen ruhig. Ist dies Unempfindlichkeit? Keineswegs; denn sobald Gott nach seinem heiligen Charakter erwähnt wird, fallen sie augenblicklich nieder und werfen ihre Kronen vor Ihn hin (V 8–11). Sie zeigen nicht die geringste Furcht, wenn die lebendigen Wesen die dreifache Heiligkeit dessen verkündigen, der auf dem Thron sitzt; dies ruft vielmehr ihre Anbetung hervor, sie fallen nieder und werfen ihre Kronen vor Ihn hin in dem überströmenden Gefühl der Würde dessen, der allein auf dem Thron sitzt.
Christus ist also dieser Morgenstern, und wenn der Tag angebrochen und der Morgenstern in unseren Herzen aufgegangen ist, so erkennen wir unsere Verbindung mit Christus selbst, innerhalb jenes Ortes, von wo die Gerichte ausgehen. Am Ende der Offenbarung finden wir den Stern wieder (Off 22,16). Der Herr führt uns von dem prophetischen Zeugnis zu sich selbst zurück. „Ich, Jesus, habe gesandt meinen Engel.“ „Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, (dieser Titel steht in Verbindung mit Ihm, als der Quelle und dem Erbe der Verheißung, als König in Zion: ‚Herrsche inmitten deiner Feinde‘) der glänzende Morgenstern.“ Und sobald Er sich als den glänzenden Morgenstern ankündigt, rufen der Geist und die Braut: „Komm!“ Der Heilige Geist in der Versammlung sagt: „Komm!“ Diese Antwort steht in Verbindung mit Ihm; seine persönliche Anmeldung verursacht und erweckt die Antwort des Geistes. Gott hat in der Liebe seines eigenen Herzens die Versammlung mit Christus vereinigt, und sobald nun sein Name erwähnt wird, ertönt der Ruf: „Komm!“ denn die bloße Erwähnung dieses köstlichen Namens berührt eine Saite in dem Herzen des Gläubigen, welche augenblicklich Antwort gibt. Der Herr sagt hier nicht: „Ich komme bald!“ Es handelt sich an dieser Stelle nicht darum, wann Er kommen wird, sondern, dass Er selbst es ist, der kommt. Er spricht nicht von seinem Kommen, wie köstlich dieser Gedanke auch sein mag, sondern Er offenbart sich selbst; und dies erweckt die Antwort des Herzens durch die Kraft des Heiligen Geistes. Wir sind für Ihn und werden bei Ihm sein; nichts Geringeres als das ist möglich, denn Er nennt uns „Seinen Leib.“ Welch ein bewunderungswürdiger – ja mehr als das – welch ein herrlicher Platz! Wir sind völlig eins gemacht mit dem Christus Gottes. Keine Erklärung des prophetischen Teiles der Schrift (wie schön und wahr sie auch sein und welchen Nutzen sie haben mag als eine feierliche Warnung in Bezug auf diese Welt) kann je in einer von Gott unterwiesenen Seele den Platz der Kenntnis ihrer lebendigen Vereinigung mit einem kommenden Jesus und der gegenwärtigen Erwartung seiner selbst einnehmen. Die Hoffnung des Heiligen ist keine bloße Auslegung seiner Ankunft, als Lehre. Sie ist keine Prophezeiung, sondern die wahrhaftige, gesegnete und heiligende Erwartung einer Seele, die Jesus kennt und sich danach sehnt, Ihn zu sehen und bei Ihm zu sein. Die Braut allein hört die Stimme des Bräutigams, und der Klang derselben ruft sogleich den Ausdruck ihres Verlangens nach seiner Ankunft wach. Er antwortet auf ihren Ruf und versichert sie, dass Er kommen werde. Das ist der Schluss der Offenbarung. Er lässt ihr diese Erwartung zurück, welcher Art auch die Mitteilungen gewesen sein mögen, die Er ihr zuvor in Bezug auf das Gericht dieser Welt, zu der sie nicht gehört, gemacht hat. Der Herr Jesus wird dargestellt als weggehend und wiederkommend, um seine Braut zu sich zu nehmen. Und dann, wenn die Welt sagen wird: „Friede und Sicherheit, dann kommt ein plötzliches Verderben über sie ... und sie werden nicht entfliehen.“
Paulus schließt das vierte Kapitel seines ersten Briefes an die Thessalonicher mit den Worten: „Also werden wir allezeit bei dem Herrn sein.“ Ist das alles? Ja, das ist alles; denn einem Herzen, das Ihn lieben gelernt hat, kann nichts Höheres gesagt werden. Dann fügt er hinzu: „Was aber Zeit und Zeiten betrifft, Brüder, so habt ihr nicht nötig, dass euch geschrieben werde.“ 2 Ihr seid Kinder des Tages; ihr wartet auf diesen Tag. Eine Auslegung hierüber, in Form einer Lehre, könnte nie das Herz erreichen. Es ist unmöglich, jemandem ein Verhältnis zu erklären; um es zu verstehen, muss er sich selbst darin befinden. Eine nicht erneuerte Seele mag in gewisser Beziehung den Sinn der Weissagung verstehen; aber nur das Bewusstsein und der Genuss unserer Vereinigung mit Christus erweckt das Verlangen nach seiner persönlichen Ankunft. Und warum das? Weil hierzu die Kenntnis des Verhältnisses notwendig ist. In Offenbarung 22,16 ist das Verhältnis gekannt, die Zuneigung ist wachgerufen, und die Antwort erfolgt sogleich.
Ich führe zur Erläuterung des Gesagten ein Beispiel an. Eine Frau erwartet ihren Mann. Er klopft an die Tür. Noch kein Wort hat er gesprochen, und doch weiß sie schon, wer draußen steht. Er ist es, den sie liebt. Die einer Frau natürlichen Gefühle und Zuneigungen werden wach, sobald die Saite berührt wird durch das, was auf jene einwirkt. Aber das Band muss im Herzen, die Liebe muss vorhanden sein, um die Antwort hervorzurufen; die Saite, welche durch die gesegnete Wahrheit von der Ankunft Jesu in Bewegung gesetzt wird, muss da sein, um durch dieselbe zum Klingen gebracht werden zu können. Durch die Kraft des Geistes Gottes ist das Bewusstsein der Einheit mit Jesu so stark, dass, sobald in diesem Charakter von Ihm die Rede ist, die Saite berührt wird, und ganz naturgemäß der Ruf erschallt: „Komm!“ Ein bloßes Verständnis, so entwickelt es auch sein mag, kann nie diesen Ruf hervorbringen. Welch ein Unterschied besteht zwischen der Erwartung des Herrn, weil Er mich und seine Heiligen zu einem Teil von sich selbst und zu seiner Braut gemacht hat, und dem Ausschauen nach Ihm, als demjenigen, welcher verlorene Sünder richten wird! Die praktische Wirkung dieser Erwartung Jesu ist groß. Sie nimmt uns aus der Welt heraus und versetzt uns in den Himmel. Wenn meine Liebe zu Ihm wirklich und wahr ist, so ist mein Blick so unverrückt nach oben gerichtet, dass ich nicht Acht habe auf das, was mich umgibt. Es gibt in dieser Welt allerlei Dinge um mich her, Überfluss an Unruhe und Geräusch; aber das stört nicht die süße Ruhe meiner Seele, denn nichts kann meine unauflösliche Verbindung mit einem kommenden Jesus lockern, wie mich auch nichts von der Hoffnung seiner Erwartung trennen sollte.
Versteht man diese Ankunft des Herrn Jesus für die Versammlung, so bekommen unzählige Schriftstellen einen ganz anderen Charakter. So z. B. die Psalmen, welche von dem Gericht über die Gottlosen reden. „Er (der Gerechte) wird seine Füße waschen im Blut des Gesetzlosen.“ Wir sind es nicht, die dies sagen. Es ist die Sprache der Juden, ja die Sprache frommer Juden, welche durch den Stab seiner Macht, der ihre Feinde schlägt, befreit werden, wenn alle Stämme des Landes über Ihn wehklagen. Müssen aber meine Feinde vernichtet werden, damit ich zu Christus komme? Gewiss nicht; ich werde sie zurücklassen, um bei Ihm zu sein. Es ist in der Tat ein schmerzlicher Gedanke, obwohl wir darin das gerechte Urteil Gottes anerkennen müssen, dass ein solches Gericht über alle hereinbrechen wird, welche Ihn und seine Gnade verachten. Was aber mich betrifft, so gehe ich geraden Weges zu Christus in den Himmel. Mein Platz ist in Ihm, während Er in Gott verborgen ist; ich stehe in der nächsten und innigsten Verbindung mit Ihm. Ich gehöre zur Braut; ich bin ein Glied seines Leibes; ich bin von seinem Fleisch und von seinen Gebeinen. Wenn wir diesen gesegneten – Mittelpunkt, Christus, und mit Ihm Gott selbst erfasst haben, so bekommt jede Schriftstelle den ihr zugehörenden Platz; und durch den Heiligen Geist erlangen wir ein geistliches Verständnis über die Dinge in den Himmeln und die Dinge auf der Erde, sowie über unsere Verbindung mit den ersteren und unsere Abgeschiedenheit von den letzteren. Vor allem aber nehmen unsere Herzen den ihnen gehörenden Platz ein; denn wenn unsere Blicke auf Jesus gerichtet sind, so warten wir auch auf Ihn. Wenn Er offenbar werden wird, dann werden auch wir mit Ihm offenbar werden in Herrlichkeit; aber wir werden allezeit bei dem Herrn sein.
Der Herr gebe uns ein solches Verständnis von der Erlösung und unserer Stellung in Ihm, dass wir unsere Herzen fest auf Ihn richten, damit wir hienieden täglich als solche wandeln, die ihren Herrn erwarten, der verheißen hat, zu kommen und uns zu sich zu nehmen – uns, die wir wachen inmitten einer Nacht der Finsternis, in dem Bewusstsein, dass es Nacht ist, obschon wir nicht von der Nacht sind, sondern wachen und den Tag erwarten, indem der Morgenstern bereits aufgegangen ist in unseren Herzen. Der Herr wolle uns bewahren vor den Götzen und vor allem, was irgendwie Isebel gleicht, damit wir vorsichtig seien, aus Furcht, Ihn zu betrüben durch irgendeins jener Dinge, welche eingedrungen sind, um das zu verderben und zu verwüsten, was Er einst so herrlich gepflanzt und bestimmt hatte, zur Offenbarung seiner Herrlichkeit in dieser finsteren und argen Welt zu dienen! (Fortsetzung folgt)
Fußnoten
- 1 Beachten wir hier den Charakter Christi. Selbst vollkommen unter dem Gesetz stehend, ließ Er durch die unermüdliche Geduld seiner Gnade, und indem Er alles ertrug, die Stimme des guten Hirten an jedes Schaf der Herde gelangen, während der arme Elias, so ergeben er auch war, Feuer vom Himmel herniederkommen ließ auf die Widerspenstigen, aber nicht zu den sieben tausend gelangte, die Gott kannte. Christus schlug es aus, Feuer vom Himmel fallen zu lassen. Er unterzog sich dem Gericht, während Er das Gesetz hielt, und scheute keine Mühe, um die Stimme Jehovas dem ärmsten, schuldigsten und verborgensten Glied der Herde nahe zu bringen. Die Folge – und in der Tat auch die Ursache – hiervon ist, dass die Schafe der Herde Ihm angehören, und dass Ihm die richterliche Gewalt über alles gegeben ist.
- 2 Ich zweifle nicht daran, dass Kapitel 5 in unmittelbarem Zusammenhang steht mit Kapitel 4,14; die Verse 15–18 des 4. Kapitels bilden eine Parenthese.
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