Vorträge über die Sendschreiben an die 7 Versammlungen
Botschafter des Heils in Christo 1881
Vorträge über die Sendschreiben an die sieben Versammlungen - Teil 4/14
Ephesus – Wenden wir uns jetzt zu dem Sendschreiben an die Versammlung zu Ephesus. Gott gibt uns in demselben ein bestimmtes Beispiel und eine ernste Warnung. Durch die Schriften in den Wegen und Handlungen Gottes unterwiesen zu werden, ist unzweifelhaft ein wirksames Mittel zur Stärkung und Befestigung der Seele; aber die Wahrheit direkt auf meine eigene Seele angewandt zu sehen, ist eine Quelle der Freude für mich. Obwohl die Kenntnis der allgemeinen Grundsätze der Schrift höchst gesegnet ist, so ist doch die persönliche Anwendung der Wahrheit auf Herz und Gewissen noch weit beglückender.
In allen sieben Sendschreiben wird zunächst der Charakter Christi vorgestellt, und zwar entsprechend dem Zustand der betreffenden Versammlung. In dem ersten finden wir, als eine Sache von allgemeiner Anwendung, die Worte: „Der die sieben Sterne hält in seiner Rechten, der da wandelt inmitten der sieben goldenen Leuchter“, d. h. Christus, offenbart in dem besonderen Charakter, in welchem Er das Gericht vollzieht. Zweitens begegnen wir in jeder Versammlung dem besonderen Charakter der Prüfungen der Getreuen, und drittens wird eine besondere Verheißung gegeben, um den Glauben derer, die sich inmitten der Prüfungen befinden, aufrecht zu halten. Viertens endlich, im Blick auf die Zeit völliger Segnung, wird uns das Teil gezeigt, welches Christus dem Überwinder gibt, wenn Er die Heiligen zu sich genommen hat.
Die Sendschreiben lassen sich in zwei große Teile zerlegen, von welchen der Eine die drei ersten, der Andere die vier übrigen Schreiben umfasst. Es ist dies ein Punkt von großer Wichtigkeit. In den drei ersten Sendschreiben wird, wie es scheint, die Kirche gemeinschaftlich angeredet, d. h. die Heiligen, wiewohl sie noch zu überwinden haben, werden als in dem großen Körper befindlich betrachtet, während in den vier letzten der kleine Überrest deutlicher abgetrennt ist. Durch diese Einteilung erhalten wir daher bestimmte charakteristische Abschnitte der bekennenden Kirche. In den drei ersten Sendschreiben geht die Ermahnung: „Wer ein Ohr hat zu hören, der höre“, den an die treuen Überwinder gerichteten Verheißungen voran; in den vier letzten folgt sie nach denselben. In den drei ersten wird von dem hörenden Ohr in Verbindung mit dem allgemeinen, an die Versammlung gerichteten Zeugnis gesprochen, bevor der treue Überrest, welcher überwindet, abgesondert wird; in den letzten folgt die Ermahnung zum Hören auf die Worte: „wer überwindet.“ In den drei ersten endlich wird das Kommen des Herrn nicht erwähnt, während mit dem Vierten die Aufmerksamkeit auf die Wiederkunft Christi gerichtet wird. Diese und nicht die Rückkehr zu der ursprünglichen Ordnung wird jetzt die Hoffnung des Überrestes, indem der öffentliche, bekennende Körper ganz und gar verdorben ist. In den drei ersten Sendschreiben wird der Versammlung gleichsam ihr ursprünglicher Zustand ins Gedächtnis zurückgerufen – ein Zustand, zu welchem sie möglicherweise zurückgebracht werden konnte, wenn sie Buße tat. Wir haben früher gesehen, dass Gott einem verantwortlichen Volk gegenüber sein Gericht nach zwei Grundsätzen oder Maßstäben misst: entweder nach der Gnade, welche das Volk an diesen Platz der Verantwortlichkeit gestellt hat, oder nach der Herrlichkeit, zu welcher es berufen ist. Der erste Grundsatz findet seine Anwendung auf die drei ersten Versammlungen. Bei Thyatira jedoch tritt ein Wechsel ein. Die Versammlung oder Kirche als ein Ganzes hat bewiesen, dass sie in einem hoffnungslosen Zustand ist (ich spreche natürlich von der Versammlung in ihrem Zeugnis hienieden, als einem sichtbaren Körper in der Welt) und somit wird von jetzt ab die persönliche Hoffnung vorgestellt, und der Geist wendet sich in Sonderheit an die, welche überwinden, und stellt ihnen die bei der Ankunft Christi erscheinende Herrlichkeit zur Ermunterung vor Augen. In Thyatira wird der Überrest zum ersten Mal auf diese besondere Hoffnung hingewiesen: „was ihr labt, das haltet fest, bis ich komme.“
Zu diesen allgemeinen Wahrheiten möchte ich noch hinzufügen, dass wir in dem ersten Sendschreiben (an Ephesus) den allgemeinen Charakter erwähnt finden, den Christus bei der Ausübung des Gerichts annimmt. „Der die sieben Sterne halt in seiner Rechten“, d. h. der da alle Autorität und Macht besitzt; „der da wandelt inmitten der sieben goldenen Leuchter“, d. h. der Versammlungen. Er wandelt umher, um zu sehen, ob die Lichter hell brennen und das wahre Licht ausstrahlen, welches Er angezündet hatte.
Jede dieser Versammlungen trägt demzufolge einen besonderen Stempel der Verantwortlichkeit. Doch beachten wir, wie der Herr in dem Sendschreiben an Ephesus jeden Punkt, der irgendwie gutzuheißen ist, hervorhebt, bevor Er die Schattenseite des Gemäldes berührt. „Ich kenne deine Werke und deine Arbeit und dein Ausharren.“ Welch ein Glück, dass Er alles kennt, was uns betrifft, sogar die Gedanken und Gesinnungen des Herzens. „Aber ich habe wider dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast.“ Hier begegnen wir einem neuen wichtigen Grundsatz. Christus ist eifersüchtig auf seine Liebe zur Versammlung, die stärker war als der Tod. Und könnte es anders sein? Unmöglich kann Er seine Liebe zur Versammlung vergessen, und ebenso unmöglich ist es, dass Er ohne die Kundgebung ihrer Liebe zu Ihm befriedigt sein könnte; denn Liebe kann nur durch Liebe befriedigt werden. Gerade der Vorwurf, den Er der Versammlung macht, offenbart die Starke seiner Liebe zu ihr – einer Liebe, die nicht ruhen kann, bis sie von Seiten der Versammlung eine angemessene Erwiderung findet; sein Herz erkaltet nicht, so dass Er mit einer schwachen Antwort auf seine Liebe zufrieden sein könnte, so sehr auch die Gedanken der Versammlung betreffs seiner Liebe ihre ursprüngliche Wärme verloren haben mögen. Mag auch noch so viel äußere Frucht in „Werken und Arbeit und Ausharren“ vorhanden sein, allein die Quelle von diesem allen ist verschwunden. „Du hast deine erste Liebe verlassen“, darin besteht das große Übel. Es kommt nicht darauf an, wie viel man arbeitet und sich bemüht; wenn die Liebe Christi nicht der Beweggrund unseres ganzen Dienstes ist, so wird derselbe, nach den Worten des Apostels, gleich sein „einem tönenden Erz und einer schallenden Zimbel“, d. h. er wird vergehen mit seinem eignen Schall.
Wir finden also hier, in dem Sendschreiben an Ephesus, den ersten großen Grundsatz des Abfalls und demzufolge das große allgemeine Gericht, welches über die ganze Kirche kam. „Gedenke nun, wovon du gefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke“; beachten wir, wie der Herr hier die Seinen zu dem Punkt zurückführt, von welchem sie abgewichen sind; „wenn aber nicht, so komme ich dir, und ich werde deinen Leuchter wegtun aus seiner Stelle, wenn du nicht Buße tust.“ Der Herr kann demjenigen, welches ermangelt, die große Liebe kund zu tun, womit Er die Versammlung geliebt hat, kein längeres Bestehen in der Welt gestatten; wenn Er es täte, so würde Er nicht „der treue und wahrhaftige Zeuge“ sein. Der zarte Vorwurf, den Er hier der Versammlung macht, ist der gesegnete Beweis davon, dass seine Liebe nie erkaltet, so mangelhaft die unsrige auch sein mag. In dieser Beziehung ist die Handlungsweise des Herrn mit einzelnen Seelen dieselbe, wie mit der Versammlung. Er nimmt Kenntnis von jeder Entfremdung von seiner Person; doch bleibt die Tür zur „Buße“ stets offen, und sobald die Sünde gerichtet und in dem Licht, worin Gott sie sieht, gesehen wird, so steht der augenblicklichen Wiederherstellung nichts im Weg. In dem Augenblick, wo sich das Gewissen wegen der Sünde demütigt und sie bekennt, wird es aufrichtig. Die Aufrichtigkeit einer Seele erweist sich, wenn etwas Böses vorhanden gewesen ist, in dem Bewusstsein dieses Bösen und in der Kraft, es zu bekennen; deshalb muss sowohl die Versammlung Gottes, als auch die einzelne Seele zu dieser Aufrichtigkeit vor Gott gelangen, damit Er sie für sich wiederherstellen kann (Hiob 33,23–26), Sobald die Sünde im Gewissen gerichtet ist, offenbart sich die nie fehlende Liebe Gottes, um dem Bedürfnis zu begegnen. Ähnlich verhält es sich mit den täglichen Einzelheiten des christlichen Lebens. Obwohl Gerichte das Volk Gottes treffen mögen, so ist doch in allem seine züchtigende Liebe zu erblicken.
Dies lässt uns verstehen, warum der Herr der Versammlung vorwirft, sie habe ihre erste Liebe verlassen. Durch die Verurteilung ihres Zustandes schimmert seine vollkommene und unveränderliche Liebe hindurch. In den verwandtschaftlichen Verhältnissen des Lebens finden wir etwas Ähnliches. Nehmen wir als Beispiel das eheliche Verhältnis. Eine Frau mag ihr Hauswesen aufs Beste besorgen und ihre Pflichten so erfüllen, dass sie ihrem Mann nicht den geringsten Anlass zum Tadel gibt; wird aber alles dieses ihn befriedigen, wenn ihre Liebe zu ihm abgenommen hat, während die seinige unverändert geblieben ist? Gewiss nicht. Ebenso wenig kann es Christus befriedigen. Er will, dass die Strahlen seiner Liebe von seiner Braut auf Ihn zurückgeworfen werden. Er sagt gleichsam: „Ich bin nicht blind für deine guten Eigenschaften; allein ich muss dich selbst haben.“ Ist die Liebe, welche ehedem die Quelle war, aus der jede Handlung stoß, verschwunden, so ist der Dienst ohne Wert. Wenn die Liebe fehlt, so ist alles Übrige wie nichts. Sicherlich kann unsere Liebe nicht der Seinen in einer ihr würdigen Weise entsprechen, aber sie vermag es doch in einer wahren und aufrichtigen Weise. Der Herr erwartet, wenn auch unsere Zuneigung der Seinen nie gleichkommen kann, wenigstens eine Ungeteiltheit des Herzens in Bezug auf seinen Gegenstand. Da wo eine Unbeständigkeit der Liebe vorhanden ist, muss das Herz geteilt sein. Dies war die verborgene Ursache des Rückgangs in Ephesus. Die Ungeteiltheit des Herzens in Bezug auf den Gegenstand der Zuneigung war verloren gegangen; die Einfalt des Auges war verschwunden, und der vollkommene Abglanz jener Liebe, welche die Versammlung für sich selbst erworben hatte, war nicht mehr vorhanden. Allein obwohl Christus sagt: „Ich habe etwas wider dich“, so erwähnt Er dennoch alles Gute. „Du hast Ausharren und hast getragen um meines Namens willen, und bist nicht müde geworden.“ Man möchte da fragen: Was will der Herr noch mehr? Seine Antwort lautet: „Ich will dich selbst.“ Vergessen wir dieses nie im Blick auf die Versammlung. Hernach sagt Er: „Gedenke nun, wovon du gefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke.“ Dieses Wort ist für uns, dünkt mich, überaus ernst und rührend; denn wir haben uns noch weit mehr von der ersten Liebe entfernt, als jene. Indessen findet das Herz des Getreuen eine sichere Zufluchtsstätte in Christus, da es gerade in jenem Vorwurf einen untrüglichen Beweis seiner unveränderten Liebe erblickt.
Doch was ist es, das der Herr in Ephesus als vorzüglich anerkennt? „Werke, Arbeit und Ausharren.“ Es wird nichts Bestimmtes genannt, was den Rückgang bewiese; allem die Werke, welche die Epheser ausgeübt hatten, waren nicht mehr mit der ersten Liebe verbunden. Und beachten wir hier, dass die Versammlung einen ganz bestimmten Dienst, völlig verschieden von dem, was den Juden jemals oblag, zu erfüllen hat. Gott erwartete nicht von den Juden, dass sie in Liebe von sich ausgehen sollten; die Versammlung aber, welche Gnade empfangen hat, ist berufen, in Gnade auszugehen und den verlorenen Sünder einzuladen. Die Juden besaßen das Gesetz wie eine Mauer, um die Gerechtigkeit darin zu bewahren; aber keine Tür war geöffnet, um der Liebe ein Ausströmen zu gestatten.
Wenden wir uns für einen Augenblick zu den Thessalonichern. Sie befanden sich in direktem Gegensatz zu den Heiligen in Ephesus und standen in der Frische der „ersten Liebe.“ Was wird nun von ihnen gesagt? „Unablässig eingedenk eures Werkes des Glaubens und der Bemühung der Liebe und des Ausharrens der Hoffnung auf unseren Herrn Jesus Christus“; es sind genau dieselben Dinge, welche auch bei Ephesus gelobt werden. Worin bestand denn der Unterschied? Es wird nicht zu Ephesus gesagt, dass es keine Werke habe, wohl aber, dass die wahre Quelle derselben verschwunden sei; und diese sprudelte bei den Thessalonichern voll und ungetrübt fort. Die drei großen Grundsätze des Christentums: Glaube, Liebe und Hoffnung, diese wahre Verbindung des Herzens mit der Quelle der Kraft, waren in Thessalonich völlig vorhanden. Der Glaube, der ihr „Werk“ charakterisierte, erhielt ihren Wandel in der Gemeinschaft mit Gott; die Liebe, welche ihre „Bemühung“ kennzeichnete, verband sie mit der Quelle der Kraft; die Hoffnung endlich, die ihr „Ausharren“ charakterisierte, stellte das Kommen des Herrn als Gegenstand vor ihre Seele, so dass sie mit Geduld ihres Dienstes warteten. Bei den Thessalonichern war daher nicht nur geistliche Kraft vorhanden, sondern Christus selbst war der Gegenstand ihrer Herzen, und die Liebe charakterisierte alles. Wie groß ist der Unterschied, wenn ich das mir anvertraute Werk in dem Geist der Liebe vollbringe, so dass meinem ganzen Dienst der Charakter dieser Liebe aufgedrückt ist! Besteht mein Dienst auch nur in der Verkündigung des Evangeliums, in welcher Fülle werde ich einer verlorenen Welt die Liebe Gottes vorstellen, wenn die Liebe Christi in meiner eigenen Seele frisch sprudelt! Aber ach! wie oft haben wir uns anzuklagen, dass wir zwar die uns obliegenden christlichen Pflichten in gewissem Sinn treu erfüllen, dass aber unsere Bemühung nicht aus der lebendigen Verwirklichung der Liebe Christi zu uns entspringt.
Indessen haben Gerechtigkeit und Heiligkeit, sowie das Verhalten der Versammlung in Verbindung mit diesen Charakteren Gottes, eben sowohl ihren Platz wie die Liebe, welche die Natur Gottes ist. „Du kannst die Bösen nicht ertragen.“ Der natürliche, normale Zustand der Versammlung kennzeichnet sich durch die volle Kraft des Guten inmitten des Bösen, indem sie durch die göttliche Kraft ein klares Zeugnis ablegt. Die Versammlung sollte nicht der Ort sein, wo Gutes und Böses einander bekämpfen, sondern sie sollte sich in einem Zustand befinden, der sie zu der Offenbarung des Guten inmitten des Bösen macht. Sobald ein Rückschritt eintritt, erhebt sich die Frage des Bösen in ihrer Mitte. „Aus dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers stießen“, das bezeichnet den allem richtigen Zustand der Versammlung; es ist ihr ursprünglicher Zustand, der einzige, welcher unbedingt anerkannt ist. Danach kommt die Macht, das Böse hinweg zu tun und es zu einer Gelegenheit der Segnung zu machen, wenn es sich zeigt (vgl. die Apostelgeschichte). Hört es aber auf, also zu sein, so erhebt sich, wie hier, die Frage des Bösen innerhalb der Versammlung. „Du kannst die Bösen nicht ertragen.“ Diese Worte beweisen, dass das Böse sich eingeschlichen hatte. Der Strom des Guten hatte nachgelassen, in seiner mächtigen Fülle zu stießen, und so war es eine mühevolle Arbeit geworden, ihn in Sicherheit und Segen zu befahren. Die Dämme waren durchbrochen, und das Böse war eingedrungen; anders könnte hier nicht in dieser Weise von dem Bösen die Rede sein. Nehmen wir als Beispiel die Geschichte von Ananias und Saphira. Sie wünschten den Charakter der Hingebung zu haben, so wie die Versammlung ihn damals trug, aber ohne die Kosten desselben auf sich nehmen zu wollen. Auf diese Weise verschaffte sich die Heuchelei Eingang in die Versammlung, doch die Macht des Guten war vorhanden, um das Böse, welches sich des Ansehens halber den Charakter des Guten beizulegen suchte, aufzudecken. In Wirklichkeit war es Geldliebe, welche Ananias und Saphira beherrschte, modifiziert durch das Verlangen, seitens der Versammlung geehrt zu werden. Es wurde notwendig, dass sich die Gegenwart des Heiligen Geistes im Gericht offenbarte. Das war in der Tat ein trauriger Anfang; das Gute musste sich durch den Kampf mit dem Bösen charakterisieren, anstatt sich dadurch zu offenbaren, dass es das Böse fernhielt. In Betreff der Lehre ist es ebenso: „Aber dieses hast du, dass du die Werke der Nikolaiten hassest, die auch ich hasse.“ Die Geduld musste in Ausübung gebracht werden. Wir sehen auf den ersten Blick, dass dies nicht der erste Zustand (die Freude am Guten) war, sondern ein Werk der Geduld wurde notwendig; und in unserem Wandel als Christen haben wir auf diesen Charakterzug ganz besonders unser Augenmerk zu richten. Die Geduld charakterisiert die persönliche Kraft, wenn die Zeit des Kampfes mit dem Bösen beginnt.
Wir begegnen hier indessen noch einem anderen Grundsatz. Es gibt Fälle, in welchen Christus den Hass gutheißt. „Du hassest ... die auch ich hasse.“ Die Lehre der Nikolaiten befürwortete unter dem Charakter der Gnade ein Gestatten des Bösen und verband auf diese Weise Christus und das Böse. Es ist aber sicher eine schreckliche Sache, etwas einzuführen, was Gott mit dem Bösen in Verbindung bringt. Satan sucht die Gnade nachzuahmen oder zu verfälschen und auf diese Weise Gott mit dem Bösen zu vereinigen – mit dem, wovon Er sagt: „meine Seele hasst es.“
Wir haben bereits gesehen, dass der Charakter, unter welchem Christus in dem Sendschreiben an Ephesus dargestellt ist, mit dem Gericht in Verbindung steht: Er wandelt inmitten der Leuchter. Und so wie diese Versammlung einen einleitenden und allgemeinen Charakter trägt, so ist auch das Gericht ein allgemeines und endliches. Die Drohung besteht darin, dass die Versammlung weggenommen werden solle. Wir haben hier also dreierlei: Die Verantwortlichkeit, den Rückschritt und das darauffolgende Gericht. Dann lesen wir bezüglich der Verheißung: „Dem, der überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Baum des Lebens, der in dem Paradies Gottes ist“ – in dem Paradies, das Er für sich selbst bereitet hat. Es ist nicht das Paradies, in welchem Gott den Menschen besuchte, um zu sehen, was er tat, und ihm, wenn er das Gute tat, das Bleiben zu gestatten, entgegengesetzten Falls aber ihn hinauszutreiben; sondern Gott nimmt hier den Menschen in sein eigenes Paradies auf. Welch ein Unterschied zwischen dem Paradies des Menschen, in welches Gott kam und aus dem Er, da Er die Sünde vorfand, den Menschen vertreiben musste, und dem Paradies Gottes, in welches der Mensch in Folge der Erlösung eingeführt wird, um es nie wieder zu verlassen! Hier gibt es keine zwei Bäume; der Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen ist nicht vorhanden; wir haben genug davon gehabt in unserer eigenen Verantwortlichkeit. Dort werden wir diese Erkenntnis der Heiligkeit Gottes gemäß besitzen; in der Tat ist es bezüglich unserer Natur heute schon so, indem wir angezogen haben den neuen Menschen, welcher erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Bild dessen, der ihn erschaffen hat in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit. In dem Paradies Gottes gibt es nur einen Baum, den Baum des Lebens, die einzige untrügliche und vollkommene Quelle des Lebens in Gott; und die Teilnahme daran ist nicht das Resultat der Verantwortlichkeit, sondern der Erlösung und der Leben gebenden Kraft – einer Erlösung, die Gottes eigenen Gedanken und Ratschlüssen gemäß ist. Die Verantwortlichkeit ist nicht erlassen, sondern der Liebe Christi gemäß erfüllt. „Dem, der überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Baum des Lebens.“ Die Gnade hat den, der überwunden hat, aufrecht gehalten. Während die Versammlung in Verfall kam, haben diese Getreuen, anstatt mit dem allgemeinen Strom zu schwimmen, genug geistliche Energie besessen, um das Böse in der Versammlung zu beurteilen und vor Gott zu richten, und, anstatt entmutigt zu sein und zu erliegen, während andere ihre erste Liebe verließen, haben sie überwunden. Doch dürfen wir nicht übersehen, dass die Gnade es ist, die alles getan hat. „Meine Gnade ist dir genug.“ Das Endziel des Weges jener Getreuen ist ein Platz im Paradies Gottes, um sich dort von all den reifen Früchten, die der Baum des Lebens hervorbringt, zu nähren.
Indem wir alles dieses als einen allgemeinen Grundsatz anwenden, entdecken wir, dass das verborgene Zeugnis der Gnade an die Herzen der Getreuen die Quelle der Kraft ist. Ist „das Leben für mich Christus“, so ist es das Zeugnis der unfehlbaren Gnade, das mich durch alle Prüfungen und Schwierigkeiten hindurchführt; ja, je größer die Trübsal und der Verfall ist, desto mehr tritt es ans Licht, was Gott für meine Seele ist, so dass ich Gott auf eine Weise kennen lerne, wie ich Ihn nie zuvor gekannt habe. So war es mit Abraham, welcher, „als er versucht ward, den Isaak geopfert hat“; damals lernte er Gott als „den Gott der Auferstehung“ kennen, den er nie zuvor als solchen gekannt hatte. Welch ein Trost für uns, dass wir Christus umso mehr genießen, je mehr wir von Schwierigkeiten umgeben sind, und dass wir Angesichts des Verfalls auf Ihn schauen können, der nimmer fehlt. „Das Geheimnis Jehovas ist für die, welche Ihn fürchten, und sein Bund – um ihnen denselben kundzutun“ (Ps 25,14).
In Ephesus begegnen wir also dem Beginn des Verfalls der Kirche. So lautet das Zeugnis des Richters; die Folge des Verfalls soll die Wegnahme ihres Leuchters sein, wenn sie nicht Buße tut. Im Blick hierauf wird sie ermahnt, zu den ersten Werken zurückzukehren, anders wird sie aufhören, auf der Erde ein Zeugnis zu sein. Es fehlte in Ephesus nicht an einer öffentlichen Tätigkeit, noch an Gerechtigkeit und dem Widerstand gegen die falschen Lehrer, sondern an der Innigkeit der Gemeinschaft mit Christus in ihrer Liebe. Ihre Werke hatten weder an Zahl noch an Eifer abgenommen, aber der Charakter derselben war ein anderer geworden, und Christus entging es nicht, dass ihr Dienst nicht mehr durch dieselbe Liebe charakterisiert war, wie früher (Fortsetzung folgt).
Nächstes Kapitel der Zeitschrift »« Vorheriges Kapitel der Zeitschrift