Botschafter des Heils in Christo 1880

Abraham und Lot

Die Zerstörung Sodoms ist ein Vorbild von den Ereignissen, welche die Ankunft des Herrn begleiten werden. Die Bewohner jener Stadt handelten, als wenn die Welt ewig bestehen würde. Das ist auch heute noch die große Sünde der Welt und zeigt den Unglauben des Herzens (2. Pet 3). Der Mensch trifft alle möglichen Vorkehrungen für die Zukunft; und dennoch kann die Welt seit dem Tod Jesu nicht mit Sicherheit auf einen einzigen Tag rechnen. Gott wartet, bis die Gottlosigkeit der Erde ihren Höhepunkt erreicht hat, bevor Er Gericht ausübt. Die Welt benutzt dies zu ihrem Vorteil. „Weil das Urteil über böse Taten nicht schnell vollzogen wird, darum ist das Herz der Menschenkinder in ihnen voll, Böses zu tun“ (Pred 8,11). Dies ist der Grundsatz und die Praxis des Unglaubens – es war die Geschichte der vorsintflutlichen Bewohner der Erde, wie die Geschichte der beiden Städte Sodom und Gomorra.

Der Christ hat eigentlich nur einen Gegenstand – Christus im Himmel; er ist daher berufen, in seinem Herzen von allem, was hienieden ist, getrennt zu sein. Abraham ist, soweit er ein Fremdling und ein Pilger auf der Erde war, ein Vorbild der Gläubigen. Er sah die Verheißungen von ferne, war von ihrer Erfüllung überzeugt und bekannte, dass er ein Pilger hienieden sei (Heb 10). Gott schämte sich daher nicht, sein Gott genannt zu werden. Er würde sich schämen, solche als sein Volk anzuerkennen, welche die Welt zu ihrem Vaterland machen. „Und wenn sie an jenes gedacht hätten, von welchem sie ausgezogen, so hätten sie Zeit gehabt, zurückzukehren. Jetzt aber suchen sie ein besseres, das ist ein himmlisches, deshalb schämt sich Gott ihrer nicht, ihr Gott genannt zu werden.“ Abraham hatte in dem Land Kanaan nur einen Begräbnisplatz. Da er Gott treu nachfolgte, so nahm Gott ein besonderes Interesse an ihm; er wird „der Freund Gottes“ genannt. In allen seinen Bewegungen gibt es nichts Ungewisses. Er verlässt Ur in Chaldäa und nachher mit allen den Seinen Haran. „Sie zogen aus, zu gehen in das Land Kanaan; und sie kamen in das Land Kanaan.“

Auf der anderen Seite verlieh Lots Weib wohl ihrem Leib nach Sodom, ihr Herz aber blieb dort. Ihr Gericht wird durch den Herrn unserer besonderen Aufmerksamkeit empfohlen. „Gedenkt an Lots Weib.“ Welchem von diesen beiden Beispielen ist das Christentum zu vergleichen? Der Christ ist nicht in einem Zustand, den Gott anerkennen kann, wenn er nicht in Tat und Wahrheit dasselbe sagt, wie Abraham.

Gott teilt Abraham seine Gedanken mit, und Abraham beantwortet, so viel er vermag, diese Gnade, die ihm von Seiten Gottes zu Teil wird. Er bittet nicht, wie im 15. Kapitel, etwas für sich, sondern er übt Fürbitte für andere. Es gibt kaum eine lieblichere Szene, als die uns im Anfang des 18. Kapitels mitgeteilt wird – eine Szene, über welche der Ungläubige die ganze Lauge seines Spottes ergießt; aber er gibt dadurch nur seine moralische Unfähigkeit zu erkennen, die gnädige Herablassung Gottes, seinem „Freunde“ gegenüber, zu würdigen. Abraham, gewöhnt an die Wege und Worte Gottes, fühlt bald die göttliche Gegenwart; doch er wartet ruhig, bis es dem Herrn gefällt, sich ihm zu offenbaren, und handelt inzwischen mit einer rührenden und unwillkürlichen Ehrerbietung.

Eine solche Vertrautheit war nicht nur durchaus passend für den Menschen in seiner Kindheit, als er in den offenbarten Segnungen Gottes stand, sondern die passende Vorbereitung für Abraham, um die hohen Vorrechte kennen zu lernen, welche noch für ihn in Bereitschaft waren, und vor allem eine Vorbereitung auf jene köstliche Gemeinschaft, welche sich an der Segnung des Anderen erfreut und an seinem Schmerz teilnimmt. Gott versichert Abraham seines Interesses und seines Vertrauens in einer Weise, die er unmöglich missverstehen konnte. „Und Jehova sprach: Soll ich vor Abraham verbergen, was ich tue? Wird doch Abraham gewiss zu einer großen und mächtigen Nation werden, und in ihm sollen gesegnet werden alle Nationen der Erde. Denn ich kenne ihn, dass er seinen Kindern befehlen wird und seinem Haus nach ihm, und sie werden den Weg Jehovas halten, Gerechtigkeit und Recht zu tun, auf dass Jehova kommen lasse auf Abraham; was Er über ihn geredet hat“ (1. Mo 18,17–19). Abraham erfreut sich des innigsten Verkehrs mit Gott, und dieser offenbart ihm seine Ratschlüsse. Nicht nur wird ihm von neuem, und deutlicher wie je, der verheißene Same angekündigt, sondern er erfährt auch von Gott die bevorstehende schreckliche Zerstörung Sodoms.

Jetzt hat Gott andere, reichere und mehr geistliche Mittel entfaltet, um unsere Herzen seiner Liebe zu versichern; aber damals konnte nichts angemessener sein, als seine Handlungsweise mit Abraham. Er erscheint ihm bei den Eichen Mamres. Er kommt zu der Tür seines Zeltes, wandelt und unterredet sich mit ihm. Er wünschte in praktischer Weise das Herz Abrahams zu befestigen; dass Ihm dieses gelang, brauchen wir kaum hinzuzufügen. Der Erfolg zeigt sich in der Art und Weise, wie Abraham nachher mit Ihm redet. Für uns hat Gott in seiner unendlichen Gnade noch etwas Besseres vorgesehen. Er ist gekommen und hat sich in Jesu offenbart. Und wir haben die Gewissheit, dass wir in dem Menschen Christus Jesus jemanden haben, der immer für uns bittet; ja wir sehen uns selbst in Christus vor Gott, und der Heilige Geist gibt uns eine innige Vertraulichkeit mit Gott, deren Abraham sich nicht erfreuen konnte, weil der Grund, welcher dieselbe möglich macht, noch nicht gelegt war. Es ist gewiss, dass wir in der Benutzung dieser Nähe und Vertrautheit nur geringe Fortschritte gemacht haben; aber sie ist unser beständiges Vorrecht, und obwohl sie keine fühl– und sichtbare Sache ist, so ist die Wirklichkeit derselben darum nicht weniger groß. Die Ratschlüsse Gottes sind uns in seinem Wort offenbart, und der Heilige Geist ist uns gegeben, um sie zu erkennen und uns ihrer zu erfreuen. Was uns fehlt, ist der einfältige und starke Glaube Abrahams.

Abraham fürchtete nicht die Gegenwart Gottes; eine solche Furcht ist die Folge der Sünde. Wenn wir die Herrlichkeit Gottes in Jesu gesehen haben, so wird die göttliche Gegenwart köstlich für uns; wir finden dort völliges Vertrauen und Kraft. Ihn zu kennen ist wirklich ewiges Leben, und seine Gegenwart erfüllt uns mit der höchsten Freude und dem reinsten Glück.

Gott behandelt Abraham als einen Freund und sagt ihm selbst das, was die Welt betrifft. Mit einem Freund reden wir nicht nur über unser Geschäft, sondern über das, was wir auf dem Herzen haben. Fürbitte ist die Frucht der göttlichen Offenbarung und Gemeinschaft. Abraham, getrennt von der Welt und mit dem Herrn auf dem Berg, hört von dem Gericht, welches im Begriff stand, über die zu seinen Füßen liegende Stadt hereinzubrechen. Die Versammlung ist in einer noch vollkommeneren Weise von der Welt getrennt, zu Gott gebracht und von Ihm geliebt. Gott vertraut ihr seine Gedanken an – nicht nur, was Er beabsichtigt, für sie zu tun, sondern auch, was der Welt bevorsteht. Der Sohn des Menschen steht in Begriff, die Lebendigen und Toten zu richten, und Gott hat uns dies mitgeteilt.

Gott erzeigt der Welt gegenüber die äußerste Geduld. Er zögert; aber Er „verzieht nicht die Verheißung, wie es etliche für einen Verzug achten, sondern Er ist langmütig, da Er nicht will, dass irgendwelche verloren gehen, sondern dass alle zur Buße kommen.“ Wenn ein Mensch die Welt zu regieren hätte, so würde er ihre Undankbarkeit und Gottlosigkeit nicht eine Stunde lang ertragen können.

Gott lässt seinen Freund in gewissem Grad in seine Langmut eintreten und bringt sie gleichsam in ihm wieder hervor. Die Engel begeben sich, in der Gestalt von Menschen, nach Sodom; doch „Abraham blieb noch stehen vor Jehova.“ Das ist auch das Teil der Versammlung, vor Jehova zu stehen und seine Gedanken und Ratschlüsse kennen zu lernen. Sie ist sich seiner Liebe bewusst. Sie bittet für die Welt, in der Hoffnung, dass noch Raum für die Gnade vorhanden ist. Das Herz blickt dann von den Umständen ab und rechnet auf die Liebe, welche in Gott ist. Wenn wir für jemanden keine Fürbitte üben können, so ist die Sünde stärker als unser Glaube. Wenn wir praktisch in der Nähe Gottes sind, so bittet der Geist, der die Sünde sieht, für den Sünder. Abraham hört auf zu reden (V 32–33); „und Jehova ging weg, als Er mit Abraham ausgeredet hatte“, aber Er tat mehr, als Abraham gefordert hatte. Er führte Lot aus Sodom hinaus und rettete ihn. Nichts konnte geschehen, ehe Lot in Sicherheit war (Kap 19,16.22). Das Auge Gottes ruhte auf ihm. Welch eine Segnung, auf die Liebe Gottes zu dem Gerechten rechnen zu können!

Abraham beharrte in seiner Fürbitte, obgleich erbte Fülle der Barmherzigkeit Gottes nicht kannte. Wir wissen nicht, wie Gott, alles, was Er zu tun beabsichtigt. Nichtsdestoweniger können wir mit gläubigem Herzen Fürbitte üben. Abraham empfängt mehr und mehr Kraft, je weiter er geht; sein Vertrauen wächst. Am Ende kennt er Gott besser, als vorher. Der Friede Gottes bewahrte sein Herz. Die Frucht von diesem allem sehen wir in 1. Mose 19,27–28, wo uns erzählt wird, dass Abraham sich des Morgens frühe aufmachte an den Ort, wo er gestanden hatte vor dem Angesicht Jehovas, und herniederblickte auf die Ebene, die wie ein Ofen rauchte. Von oben sieht er die Wirkungen der schrecklichen Zerstörung. Dies ist auch unsere Stellung, wenn wir himmlisch sind. Auch wir sehen in dieser Weise das Gericht der Gottlosen.

Auf der anderen Seite waren Lot und seine Töchter verschont worden – gerettet, doch so wie durchs Feuer – nicht zu ihrer Ehre, sondern durch, die treue Sorgfalt und die Barmherzigkeit Gottes. Seine Untreue und sein Verlangen nach den Gütern dieser Welt hatten Lot nach Sodom gebracht. Zuerst hatte er seine Augen aufgehoben nach den wasserreichen Gefilden Sodoms, dann seine Zelte aufgeschlagen bis zu den Toren der Stadt (Kap 13). Nicht lange nachher wohnte er in Sodom (Kap 14), und am Abend vor dem Gericht saß Lot „in den Toren Sodoms“, an dem Ehrenplatz der Stadt (Kap 19,1). Trauriges Beispiel eines irdisch gesinnten Gläubigen, der den Pfad der Abweichung von dem Herrn wandelt! Ein solcher verunehrt den Herrn und durchbohrt sich selbst mit vielen Schmerzen. J. N. D.

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