Was ist Bekehrung?
Botschafter des Heils in Christo 1880
Was ist Bekehrung? - Teil 5/5
6. Es erübrigt uns noch, die letzten Worte unseres Kapitels einer kurzen Betrachtung zu unterziehen. Sie liefern uns einen überzeugenden Beweis von dem treuen und umfassenden Zeugnis des Apostels zu Thessalonich, sowie von der Wirklichkeit und Tiefe des Werkes in den jungen Bekehrten an jenem Ort. Sie hatten sich nicht nur von den Götzenbildern zu Gott bekehrt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen, sondern erwarteten auch „Seinen Sohn aus den Himmeln.“
Der Leser wolle dieser wichtigen Tatsache seine ganze Aufmerksamkeit zuwenden. Die glückselige Erwartung der Ankunft des Herrn bildete einen Hauptteil des Evangeliums, welches Paulus predigte, sowie des Christentums derer, die durch seinen Dienst bekehrt worden waren. Dieser gesegnete Knecht Gottes predigte ein vollständiges Evangelium. Er verkündigte nicht nur, dass der Sohn Gottes in die Welt gekommen sei, um das große Werk der Versöhnung zu vollbringen und den ewigen Grund zur Ausführung der herrlichen Ratschlüsse Gottes zu legen, sondern auch, dass Er in den Himmel zurückgegangen sei und als der siegreiche, erhobene und verherrlichte Mensch seinen Platz zur Rechten des Thrones Gottes eingenommen habe, und dass Er wiederkommen werde, zunächst, um die Seinen zu sich zu nehmen und sie in das Haus seines Vaters einzuführen, wo Er für sie einen Platz bereitet hat, und dann, um mit ihnen zu erscheinen und über seine Feinde Gericht auszuüben, aus seinem Reich alle Ärgernisse zusammenzulesen, und die das Gesetzlose tun, und seine glorreiche Herrschaft aufzurichten von Meer zu Meer, von einem Ende der Erde bis zu dem Anderen. Es war dies nicht ein trockner, dürrer Lehrsatz, den man als einen Teil eines kraft und wertlosen Glaubensbekenntnisses aufnehmen musste – es war eine lebendige Wirklichkeit, eine mächtige moralische Kraft in der Seele, eine kostbare, reinigende, heiligende und erhebende Hoffnung, die das Herz vollständig von den Dingen dieser Erde losmachte und es antrieb, jeden Augenblick nach der Rückkehr unseres geliebten Herrn und Heilands Jesu Christi auszuschauen, der uns geliebt und sich selbst für uns dahingegeben hat. Es ist höchst interessant, zu bemerken, dass in den beiden Briefen an die Thessalonicher weit mehr von der Ankunft des Herrn die Rede ist und auf sie angespielt wird, als in allen den anderen Briefen zusammengenommen. Dies ist umso bemerkenswerter, als sie die ersten Briefe sind, welche Paulus schrieb, und an eine Versammlung gerichtet wurden, die noch sehr jung im Glauben war.
Wenn der Leser einen flüchtigen Blick auf diese kostbaren Schriften werfen will, so wird er finden, dass die Hoffnung der Ankunft des Herrn in jedes der acht Kapitel eingeführt und mit allerlei Gegenständen in Verbindung gebracht ist. Im ersten Kapitel wird sie dargestellt als der große Gegenstand, der stets vor dem Herzen eines jeden Christen stehen sollte, welcher, Art auch seine Stellung und seine Beziehungen in dieser Welt sein mögen. Sie ist das glänzende Licht, welches an dem Ende seiner langen Reise durch eine finstere und mühevolle Wüste scheint. „Ihr habt euch von den Götzenbildern zu Gott bekehrt, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott und zu erwarten“ – Was? Die Zeit ihres Abscheidens? O nein, der Apostel denkt nicht im Entferntesten daran. Der Tod ist für den Gläubigen zunichtegemacht und wird nie als der Gegenstand seiner Hoffnung dargestellt. Was sollten denn die Thessalonicher erwarten? „Seinen Sonn aus den Himmeln, den Er auferweckt hat aus den Toten.“
Und beachten wir, welch schöne Worte der Apostel noch hinzufügt: „Jesus, der uns errettet von dem kommenden Zorn.“ Das ist die Person, welche wir erwarten, unser gepriesener Heiland, unser großer Befreier, Er, der es unternahm, uns aus unserem hoffnungslosen Zustand zu erretten, der aus der Hand der göttlichen Gerechtigkeit um unsertwillen den Kelch des Zorns empfing und ihn für immer und bis auf den letzten Tropfen leerte, der jede Wolke entfernte, so dass wir zum Himmel emporblicken können, ohne etwas anderes zu sehen, als den Glanz und die Größe seiner Herrlichkeit und Liebe, die für alle Ewigkeit unser Teil sein werden.
Wie gesegnet ist es, mein lieber christlicher Leser, allezeit, morgens, mittags, abends und nachts, auszuschauen nach der Ankunft unseres teuren Erlösers! Wie würde es unsere Herzen von allem Sichtbaren trennen und über die nichtigen Dinge dieser Welt erheben, wenn wir an einem jeden Tage unsere Arbeit – möge diese bestehen, worin sie will – begännen mit dem köstlichen Gedanken, dass wir, ehe die Schatten der Nacht wieder herniedersinken, vielleicht emporgehoben werden in die Luft, um unserem geliebten Herrn zu begegnen!
Ist dieses der bloße Traum eines Fanatikers oder eines aufgeregten Schwärmers? New, es ist eine unvergängliche Wahrheit, die auf demselben Fundament ruht, wie das ganze Gebäude unseres Christentums. Ist es wahr, dass der Sohn Gottes in der Person des Jesus von Nazareth auf dieser unserer Erde wandelte? Ist es wahr, dass Er lebte und wirkte inmitten der Sünden und dem Elend einer armen, gefallenen Menschheit? Ist es wahr, dass Er seufzte und weinte und sich im Geist erschütterte unter dem Gefühl der Verwüstung, welche die Sünde in dieser Welt angerichtet hatte? Ist es wahr, dass Er an das Kreuz ging und dort sich selbst ohne Flecken Gott opferte, um die göttliche Majestät zu befriedigen, allen Ansprüchen des Thrones Gottes zu begegnen, die Werke des Teufels zu zerstören, die Mächte der Hölle öffentlich zur Schau zu stellen, die Sünde hinweg zu tun durch das Schlachtopfer seiner selbst und die Sünden aller derer zu tragen, welche von Beginn bis zum Schluss der Zeitalter an Ihn glauben sollten? Ist es wahr, dass Er drei Tage und drei Nächte in dem Herzen der Erde lag und am ersten Tage der Woche, als das Haupt der neuen Schöpfung, triumphierend aus dem Grab emporstieg und in den Himmel hinauffuhr, nachdem Er von mehr als fünfhundert Zeugen gesehen worden war? Ist es wahr, dass Er fünfzig Tage nach seiner Auferstehung den Heiligen Geist herniedersandte, um seine Apostel zu erfüllen und fähig zu machen, das Evangelium bis an die Enden der Erde zu tragen? Ist es wahr, dass Er seit dem Pfingsttag bis zu dem gegenwärtigen Augenblick als ein Sachwalter beim Vater und als ein Hohepriester bei Gott für sein Volk tätig gewesen ist?
Sind alle diese Dinge wahr? Ja, Gott sei Dank, sie sind alle göttlich wahr und werden uns in den Büchern des Neuen Testaments mit bewunderungswürdiger Klarheit, Kraft und Fülle mitgeteilt. Sie ruhen auf dem festen Fundament der Heiligen Schrift, des Wortes Gottes – auf einem Fundament, das keine Mächte der Erde und Hölle jemals antasten können. Und auf demselben unerschütterlichen Fundament ruht auch die gesegnete Hoffnung der Wiederkunft des Herrn. So wahr es ist, dass unser Herr Jesus Christus als ein Säugling in der Krippe zu Bethlehem lag, dass Er aufwuchs zu einem Mann, dass Er umherging und Gutes tat, dass Er ans Kreuz genagelt und ins Grab gelegt wurde, dass Er sich jetzt gesetzt hat auf den Thron der Majestät in den Himmeln – ebenso wahr ist es, dass Er wiederkommen wird, um die Seinen zu sich zu nehmen. Er kann heute noch kommen. Niemand weiß, wann Er kommen wird, aber es kann jeden Augenblick sein. Das Einzige, was Ihn zurückhält, ist seine Langmut, Liebe und Barmherzigkeit. Schon achtzehn Jahrhunderte lang hat Er gezögert und gewartet, und während dieser ganzen Zeit war die Seligkeit bereit, offenbart zu werden, und Gott bereit, zu richten. Doch Er hat gewartet und wartet heute noch in Langmut und Geduld.
Der Herr wird wiederkommen. Wir sollten allezeit in dieser Hoffnung leben. So belehrte der Apostel seine geliebten Thessalonicher. Er selbst lebte in dieser Hoffnung. Er brachte sie mit allem, was in seinem täglichen Leben vorkam, in Verbindung. Hören wir, was Er sagt, wenn es sich um das Einernten der Frucht seiner Arbeit handelt: „Denn wer ist unsere Hoffnung, oder Freude, oder Krone des Ruhms? Nicht auch ihr vor unserem Herrn Jesus bei seiner Ankunft?“ (Kap 2) An diesem Tag wird Er ihnen allen begegnen. Keinem Feind wird es dann noch erlaubt sein, diese Vereinigung zu hindern. „Deshalb wollten wir zu euch kommen (ich Paulus nämlich) einmal und zum zweiten Mal, und der Satan hat uns verhindert.“ Wie wunderbar und geheimnisvoll ist das! Aber dennoch war es so. Satan hinderte in den Tagen Daniels einen Engel Gottes an der Ausführung seines Auftrags, und er hinderte zu jener Zeit einen Apostel Christi an der Erfüllung seines Lieblingswunsches, seine Brüder zu Thessalonich zu besuchen. Aber Gott sei Dank, er wird nicht im Stande sein, die freudige Vereinigung Christi und der Seinen, auf welche wir warten, zu verhindern. Welch ein Augenblick wird das sein! Welch freudige Begegnungen mit alten teuren Freunden! Welch köstliche Erkennungsszenen! Doch vor allem anderen, was wird es sein, Ihn selbst zu sehen, unseren Jesus, sein freundliches Antlitz zu schauen und sein Willkommen zu hören, sein: „Wohl, du guter und getreuer Knecht!“ zu vernehmen.
Welch eine kostbare, herzerquickende Hoffnung! Brauchen wir uns zu verwundern, dass sie in den Gedanken und Belehrungen des Apostels einen so hervorragenden Platz einnahm? Immer wieder kommt er darauf zurück. Handelt es sich um Fortschritt in dem göttlichen Leben und praktischer Frömmigkeit, so sagt er: „Euch aber mache der Herr völlig und überströmend in der Liebe gegen einander und gegen alle, (so wie auch wir gegen euch sind) um eure Herzen tadellos in Heiligkeit zu befestigen vor unserem Gott und Vater, bei der Ankunft unseres Herrn Jesus mit allen seinen Heiligen“ (Kap 3). Beachten wir vor allem den Schluss dieser rührenden und schönen Worte: „Mit allen seinen Heiligen.“ Welch eine triumphierende Antwort liefert diese Stelle auf die Behauptungen derer, die uns glauben machen wollen, dass nicht alle Gläubigen an der Freude der herrlichen Ankunft des Herrn teilnehmen werden! Keiner der Erretteten wird fehlen, ungeachtet ihrer Unwissenheit und ihrer Irrtümer, ihrer Verirrungen, ihrer Mängel und Gebrechen. Unser gepriesener Erlöser wird keinen seiner Geliebten ausschließen.
Sollte diese unergründliche Gnade uns sorglos und gleichgültig machen? Gott bewahre uns davor! Nein, gerade das ununterbrochene Bewusstsein derselben ist es, welches das Gefühl unserer heiligen Verantwortlichkeit in uns lebendig erhält, so dass wir alles verurteilen und richten, was in uns und in unseren Wegen mit den Gedanken und der Gesinnung Christi im Widerspruch steht. Und nicht nur das; die Hoffnung auf die Wiederkehr des Herrn muss, wenn sie in unseren Herzen lebendig und frisch erhalten bleibt, unseren ganzen Charakter und Wandel heiligen, reinigen und erheben. Nichts anders ist dazu so sehr im Stande. Es ist unmöglich, dass jemand wirklich in der Hoffnung lebt, seinen Herrn in jedem Augenblick zu sehen, und zu gleicher Zeit sein Herz an die Dinge dieser Welt hängt. Betrügen wir uns nicht selbst. Wenn wir täglich ausschauen nach dem Sohn Gottes aus den Himmeln, so werden die Dinge dieses Zeitlaufs keinen Wert für uns haben. Die Erwartung des Herrn ist nicht eine Sache des Kopfes, sondern des Herzens. Unser Verstand mag die Lehre von dem Kommen des Herrn völlig erfasst haben, der ganze Kreis der prophetischen Wahrheit mag klar vor unserem Geistesauge liegen, ohne dass dadurch die geringste Wirkung auf das Herz, den Charakter und das praktische Leben ausgeübt wird. Aber es ist eine ganz andere Sache, wenn unser ganzes moralisches sein, unser praktischer Wandel durch die freudige und gesegnete Hoffnung geleitet wird, Ihn zu sehen, der uns liebt und uns von unseren Sünden in seinem kostbaren Blut reingewaschen hat.
Gott gebe, dass dieses mehr unter uns gefunden werden möchte! Es steht zu befürchten, dass viele von uns die Frische und Kraft unserer himmlischen Hoffnung verloren haben. Die Wahrheit von der Ankunft des Herrn ist uns als bloße Lehre so bekannt geworden, dass wir ganz geläufig darüber sprechen und mit anderen darüber streiten können, während zu gleicher Zeit unsere Handlungen, unser Betragen und unsere ganze Gesinnung demjenigen, was wir aufrecht zu halten bekennen, geradezu widersprechen.
Doch wir wollen diese betrübende und demütigende Seite unseres Gegenstandes nicht weiterverfolgen. Der Herr wolle gnädig auf uns blicken und unsere Seelen heilen, wiederherstellen und von neuem beleben. Möchte Er in den Herzen aller seiner Geliebten die wahre Hoffnung des Christen wieder wachrufen – die Hoffnung, den glänzenden Morgenstern zu schauen! Möchte der Ausdruck unseres ganzen Herzens und Lebens sein: „Amen, komm, Herr Jesu!“
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