Was ist Bekehrung?
Botschafter des Heils in Christo 1880
Was ist Bekehrung? - Teil 2/5
2. Lasst uns jetzt, nachdem wir die Notwendigkeit der Bekehrung bewiesen haben, untersuchen, was diese Bekehrung ist. Es ist in der Tat von großer Wichtigkeit für uns, in göttlicher Weise hierüber unterrichtet zu sein. Zahlreiche Irrtümer herrschen in Bezug auf diesen Gegenstand, und vieles Verkehrte ist schon darüber geredet und geschrieben worden. Gerade wegen der unermesslichen Wichtigkeit desselben ist es das stete Bestreben des großen Feindes der Seelen gewesen, den Menschen auf alle mögliche Weise in Irrtümer zu verwickeln. Wenn es ihm nicht gelingt, ihn in Bezug auf die Bekehrung völlig gleichgültig und sorglos zu machen, so sucht er seine Augen zu verblenden und den wahren Charakter derselben vor ihm zu verbergen. Wenn z. B. jemand durch das eine oder andere Mittel zu einem Gefühl der völligen Eitelkeit und Unzulänglichkeit der weltlichen Vergnügungen erwacht und die dringende Notwendigkeit einer Änderung seines Lebens erkennt, so wird der Erzbetrüger gewöhnlich einen solchen zu überreden suchen, religiös zu werden, sich mit Ordnungen, Satzungen und Zeremonien zu beschäftigen, Bälle, Theater, Konzerte, Trunk und Spiel aufzugeben, kurz jeder Art weltlicher Vergnügungssucht zu entsagen und sich zu bestreben, ein frommes, ehrbares Leben zu führen, die Vorschriften der Religion eifrig zu beobachten, die Bibel zu lesen, Almosen zu geben usw.
Aber das ist nicht wahre Bekehrung. Es kann jemand dieses alles tun und dennoch völlig unbekehrt sein. Ein religiöser Eiferer, dessen ganzes Leben in Wachen, Fasten, Gebeten, Kasteiungen und guten Werken besteht, kann durchaus unbekehrt und ebenso weit von dem Reich Gottes entfernt sein, wie der gedankenlose, leichtsinnige Lebemann, der in Saus und Braus dahinlebt. Ohne Zweifel sind diese beiden Charaktere weit voneinander verschieden – der Unterschied könnte vielleicht nicht größer sein. Aber dennoch sind beide unbekehrt, beide stehen außerhalb des gesegneten Kreises der Erlösten Gottes, beide befinden sich noch in ihren Sünden. Wohl ist der Eine beschäftigt mit „bösen Werken“, während sich der Andere in „toten Werken“ abmüht; aber beide sind außer Christus, sie sind nicht errettet, sondern befinden sich auf dem Weg zu einem hoffnungslosen, ewigen Elend. Der Eine wie der Andere wird, wenn er nicht in Wahrheit umkehrt, sein Teil finden in dem See, der mit Feuer und Schwefel brennt.
Auch ist Bekehrung nicht der Übergang von einem religiösen System zu einem anderen. Jemand mag sich von dem Judentum, dem Heidentum, dem Islam oder dem Romanismus trennen und zu dem Protestantismus übertreten und dennoch völlig unbekehrt sein. Ohne Zweifel ist es, von gesellschaftlichem und sittlichem Standpunkt aus betrachtet, viel besser, ein Protestant zu sein, als ein Mohammedaner; aber dennoch stehen beide von Natur auf demselben Boden, sie sind beide unbekehrt. Von beiden kann gesagt werden, dass sie, wenn sie sich nicht bekehren, nicht in das Reich Gottes eingehen können. Bekehrung ist nicht die Verbindung mit einem religiösen System, mag dieses auch noch so orthodox sein.
Dasselbe gilt von den theologischen Glaubensbekenntnissen. Es mag jemand alle die so genannten Glaubensartikel auswendig wissen, er mag sich zu der Lehre Luthers, Calvins, Wesleys oder irgendeines anderen Menschen bekennen, und trotz alledem unbekehrt und tot in Sünden und Übertretungen sein. Welchen Nutzen hat ein religiöses System oder ein theologisches Glaubensbekenntnis für einen Menschen, der keine Spur des göttlichen Lebens besitzt? Systeme und Bekenntnisse können weder lebendig machen, noch erretten, noch endlich ewiges Leben mitteilen. Man kann sich Jahraus, Jahrein abmühen in allerlei christlichen Werken und dennoch da enden, wo man angefangen hat – in tobten Werken. Welchen Wert hat dies alles? Was ist das Ende von all diesem Mühen ohne Ruhe und Rast? Es ist der Tod und eine finstere, schreckliche Ewigkeit.
Es ist sogar möglich, dass ein Mensch bekannt ist mit den herrlichen Ratschlüssen der Gnade Gottes, mit der Errettung durch Glauben, der Rechtfertigung ohne Werke, dass er bekennt, an diese Dinge zu glauben und sich ihrer zu erfreuen, ja, dass er selbst durch Wort und Schrift die christlichen Lehren verteidigt und ein beredter Prediger des Evangeliums ist, – alles dieses ist möglich, ohne dass er wirklich bekehrt und errettet ist. Die Wahrheit hat nie sein Gewissen erreicht, nie sein Herz berührt; er hat sie allein mit seinem Verstand erfasst. Wahrlich, ein Zustand, wie er trauriger nicht gedacht werden kann!
Aber was ist denn Bekehrung? Höre ich meine Leser fragen. Wenden wir uns zu 1. Thessalonicher 1, und wir werden eine erschöpfende Beantwortung dieser Frage finden. Der Brief beginnt mit den Worten: „Paulus und Silvanus und Timotheus der Versammlung der Thessalonicher in Gott, dem Vater, und dem Herrn Jesus Christus: Gnade euch und Friede. Wir danken Gott allezeit für euch alle, euer erwähnend in unseren Gebeten, unablässig eingedenk eures Werkes des Glaubens und der Bemühung der Liebe und des Ausharrens der Hoffnung auf unseren Herrn Jesus Christus, vor unserem Gott und Vater, wissend, von Gott geliebte Brüder, eure Auserwählung.“ Wie konnte er diese wissen? Durch die klaren und unzweideutigen Beweise, welche sie in ihrem praktischen Leben geliefert hatten. Das ist der einzige Weg, auf welchem die Auserwählung eines Menschen erkannt werden kann. „Denn unser Evangelium war nicht bei euch im Wort allein, sondern auch in Kraft und im Heiligen Geist und in großer Gewissheit, wie ihr wisst, was wir unter euch waren um euertwillen.“
Der Apostel war in seinem täglichen Leben gleichsam der Ausdruck des Evangeliums, welches er predigte. Er hatte nichts von ihnen gefordert. Er war ihnen nicht beschwerlich gefallen. Er hatte das kostbare Evangelium Gottes umsonst unter ihnen verkündigt und, um dies tun zu können, Nacht und Tag mit seinen eignen Händen gearbeitet. Er war in ihrer Mitte gewesen gleich einer liebenden zärtlichen Amme. Er hatte sich nicht mit stolzen Worten seiner selbst, oder seines Dienstes, seiner Macht, seiner Gaben, seiner Predigten oder endlich seiner mächtigen Taten gerühmt. Er war der liebevolle, demütige, bescheidene, ernste und hingebende Arbeiter, dessen Werk für sich selbst sprach und dessen ganzes Leben in lieblicher Übereinstimmung stand mit seinen Worten.
Wie nötig ist es für alle Diener des Herrn, diese Dinge zu erwägen! Wir können versichert sein, dass die Oberflächlichkeit der Arbeit zum großen Teil die Frucht der Oberflächlichkeit des Arbeiters ist. Wo ist die Kraft? Wo die Erweisung des Heiligen Geistes? Wo endlich „die große Gewissheit?“ Findet sich nicht oft in unseren Predigten ein großer Mangel an allen diesen Dingen? Vielleicht ist eine fließende Beredsamkeit bei uns vorhanden, vielleicht eine große Fertigkeit und Gewandtheit und vieles, das die Zuhörer anzieht, auf die Gefühle derselben wirkt, ihr augenblickliches Interesse erweckt und der bloßen Neugierde zur Nahrung dient. Aber ach! wo ist die heilige Salbung, der lebendige Ernst, die tiefe Wahrhaftigkeit? Und wo ist der lebendige Ausdruck in unserem täglichen Leben und in allen unseren Gewohnheiten? Möchte der Herr die Herzen aller seiner teuren Diener mehr und mehr aufwecken! Wir werden dann sicher schönere Erfolge ihrer Arbeit sehen.
Doch es möchte scheinen, als ob wir das Werk der Bekehrung von dem Arbeiter abhängig machen wollten. Fern sei uns ein solcher Gedanke! Das Werk hängt einzig und allem von dem Heiligen Geist ab, wie dies gerade das vor uns liegende Kapitel unzweideutig beweist. Allein es bleibt trotzdem eine wichtige Frage für uns, welche Werkzeuge der Heilige Geist gewöhnlich gebraucht. Welche Gefäße sind „nützlich dem Hausherrn?“ Leere Gefäße und gereinigte Gefäße. Sind wir solche Gefäße? Sind wir von uns selbst ausgeleert? Sind wir von dem beklagenswerten Beschäftigtsein mit unserem eignen Ich genesen? Sind wir gereinigte Gefäße? Ist unser Handel und Wandel rein? Wenn nicht, wie kann der Herr uns in seinem heiligen Dienst gebrauchen? Möchten wir alle diese Fragen in der Gegenwart Gottes erwägen! Möchte der Herr uns alle aufwecken und mehr und mehr zu solchen Gefäßen machen, die Er zu seiner Verherrlichung gebrauchen kann!
Doch kehren wir zu unserem Kapitel zurück. Während uns auf der einen Seite der Charakter des wahren, treuen Arbeiters gezeigt wird, entdecken wir auf der Anderen das Werk selbst. „Und ihr seid unsere Nachahmer geworden und des Herrn, indem ihr das Wort aufgenommen in vieler Drangsal mit Freude des Heiligen Geistes, so dass ihr Vorbilder geworden seid allen Gläubigen in Mazedonien und Achaja. Denn von euch aus ist das Wort des Herrn erschollen, nicht allein in Mazedonien und Achaja, sondern an jeglichem Ort ist euer Glaube an Gott ausgebreitet worden, so dass wir nicht nötig haben, etwas zu sagen. Denn sie selbst verkündigen von uns, welchen Eingang wir bei euch hatten“ (V 6–9).
Das war ein wirkliches, echtes Werk. Es trug sein Beglaubigungsschreiben so zu sagen an der Stirne. Hier gab es nichts Unsicheres, nichts Unbefriedigendes, nichts, was bei der Bildung eines Urteils über dasselbe einen Rückhalt nötig gemacht hätte. Alles war klar, bestimmt und untrüglich. Das ganze Werk trug den Stempel von des Meisters Hand und musste jedes urteilsfähige Herz überzeugen. Das Werk der Bekehrung war vollbracht, und die Früchte der Bekehrung folgten in überströmender Fülle. Das Zeugnis verbreitete sich weit und breit, so dass der Arbeiter nicht nötig hatte, über seine Arbeit zu sprechen. Es war ein durchaus göttliches Werk – ein Werk des Geistes Gottes selbst.
Der Apostel hatte ihnen das Wort verkündigt in aller Einfalt, aber zugleich in der Kraft des Heiligen Geistes und in großer Gewissheit. In seinem Zeugnis war nichts zweifelhaftes oder unsicheres vorhanden. Er predigte wie einer, der das, was er predigte, nicht nur völlig glaubte, sondern auch wirklich erfasst hatte. Es war nicht nur eine beredte Wiedergabe gewisser gekannter und anerkannter Wahrheiten, oder eine trockne Aufstellung einer Anzahl von Lehrsätzen. Nein, es war die lebendige Mitteilung des herrlichen Evangeliums Gottes, welches aus einem Herzen kam, das einen jeden Ausspruch tief fühlte, und welches die Herzen erreichte, die durch den Geist Gottes zu der Aufnahme desselben zubereitet waren.
Das Werk zu Thessalonich bestand nicht in einer bloßen Aufregung der Gefühle – es war ein tiefes, gründliches, durchaus göttliches Werk. Der Apostel Paulus kam, wie uns in Apostelgeschichte 17 erzählt wird, „nach Thessalonich, wo die Synagoge der Juden war. Nach seiner Gewohnheit aber ging Paulus zu ihnen hinein und unterredete sich an drei Sabbaten mit ihnen aus den Schriften und eröffnete und legte dar, dass der Christus leiden und aus den Toten auferstehen musste, und dass dieser ist der Christus Jesus, den ich euch verkündige“ (V 2–3). Wie einfach, Jesus zu verkündigen aus den Schriften! Ja, hierin lag das große Geheimnis der Predigt des Paulus. Er verkündigte eine lebende Person in lebendiger Kraft, gegründet auf das lebendige Wort Gottes; und diese Predigt wurde angenommen in lebendigem Glauben und brachte in dem Leben der Bekehrten göttliche Früchte hervor. Das ist die Predigt, welche wir nötig haben. Gott gebe uns mehr Arbeiter, die in dieser Weise den Herrn Jesus verkündigen!
Die beiden letzten Verse unseres Kapitels erfordern unsere besondere Aufmerksamkeit. Sie liefern uns eine bemerkenswerte Erklärung des wahren Charakters der Bekehrung. „Denn sie selbst verkündigen von uns, welchen Eingang wir bei euch hatten, und wie ihr euch von den Götzenbildern zu Gott bekehrt habt, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott und zu erwarten seinen Sohn aus den Himmeln, den Er auferweckt hat aus den Toten – Jesus, der uns errettet von dem kommenden Zorn“ (V 9–10).
Hier haben wir also eine göttliche Beschreibung der Bekehrung – kurz, aber umfassend und erschöpfend. Die Thessalonicher hatten sich bekehrt von den Götzenbildern. Sie hatten vollständig mit der Vergangenheit gebrochen Und sich ein für alle Mal von ihrem früheren Leben und ihren Gewohnheiten abgewandt und alle jene Dinge, die einst ihre Herzen beherrscht und ihre Kräfte in Anspruch genommen hatten, aufgegeben. Sie waren dahin gebracht worden, in dem Licht der göttlichen Wahrheit ihr ganzes ehemaliges Leben zu verurteilen, und nicht nur zu verurteilen, sondern es auch ohne Verzug zu verlassen. Es war kein halbes Werk. Es war ein bestimmt bezeichneter Abschnitt in ihrer Geschichte – ein großer Wendepunkt in ihrem moralischen und praktischen Leben. Es war nicht eine bloße Meinungsänderung, oder die Annahme neuer Grundsätze. Es war weit mehr als das. Das göttliche Licht hatte in ihre Herzen geschienen und ihnen gezeigt, dass ihr bisheriges Leben ein großer, schrecklicher Betrug gewesen war, und in Folge dessen hatten sie sich mit ganzem Herzen von der Welt abgewandt, die bisher ihre Zuneigungen besessen und ihre Handlungen bestimmt hatte.
Und was, so mögen wir fragen, brachte diese wunderbare Veränderung hervor? Einfach das Wort Gottes, das in der mächtigen Kraft des Heiligen Geistes ihren Seelen nahegebracht worden war. Hören wir, was Paulus selbst bezeugt: „Darum danken wir auch Gott unablässig, dass, als ihr von uns empfingt das Wort der Kunde Gottes, ihr es nicht als Menschenwort aufnähmet, sondern wie es wahrhaftig ist, als Gottes Wort, das auch in euch, den Glaubenden wirkt“ (Kap 2,13). Hierin beruht das Geheimnis der ganzen Sache. Das Wort Gottes, und nichts anders als das, brachte durch die Macht des Heiligen Geistes jene großen Resultate bei den Thessalonichern hervor, Resultate, die das liebende Herz des Apostels mit der aufrichtigsten Dankbarkeit erfüllten. Er freute sich, dass sie nicht mit ihm, sondern mit dem lebendigen Gott selbst, und zwar mittels seines Wortes, in Verbindung gebracht worden waren. Dies ist ein unzerreißbares Band; es ist so fest und unwandelbar wie das Wort selbst, welches es knüpft. Das Wort des Menschen vergeht, wie er selbst, aber das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit. Der Apostel, als ein treuer Arbeiter, verstand und fühlte dieses, und daher war es seine stete Besorgnis, dass die Seelen sich in irgendeiner Weise auf ihn stützen und verlassen möchten, anstatt auf den Einen, dessen Bote und Diener er war.
Hören wir, was er zu den Korinthern sagt: „Und ich, da ich zu euch kam, Brüder, kam nicht nach Vortrefflichkeit der Rede oder Weisheit, euch das Zeugnis Gottes verkündigend. Denn ich hielt nicht dafür, etwas unter euch zu wissen, als nur Jesus Christus, und Ihn als Gekreuzigten. Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und in vielem Zittern; und meine Rede und meine Predigt war nicht in überredenden Worten der Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, auf dass euer Glaube nicht in Weisheit der Menschen, sondern in der Kraft Gottes sei“ (1. Kor 2,1–5). (Fortsetzung folgt)
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