Botschafter des Heils in Christo 1879
Das Wort Gottes - Teil 1/3
1. Es ist köstlich, sowohl die wunderbare Liebe Gottes in der Erlösung, als auch seine unwandelbare Treue und Fürsorge für die Seinen während ihrer Pilgerschaft in der Wüste zu sehen. Nicht nur brachte Er sein Volk Israel durch das Blut des Passahlammes in völlige Sicherheit vor dem Gericht in Ägypten, nicht nur führte Er es mit starker Hand und ausgestrecktem Arm aus dem Land ihrer Sklaverei und befreite es gänzlich von der Macht Pharaos, sondern Er ernährte es auch in einer Wüste, die gar keine Nahrung zu bieten vermochte. Er versorgte die Kinder Israel mit einer Speise, die ihnen Ägypten nie darbieten konnte, mit einer Speise, kraft deren sie fähig waren, in der Abhängigkeit von Jehova die Mühsale des Weges zu überwinden und Kanaan zu erreichen. Und Er gab ihnen diese Speise während ihrer ganzen Reise durch die Wüste. Alles, sowohl die Erlösung, als auch die Versorgung des Volkes war nur sein Werk; beides kam von Ihm und war auf seine unumschränkte Gnade gegründet. Obgleich sich das Volk stets als ein halsstarriges und rebellisches erwies, so hinderte dieses Gott doch nicht, ihnen Tag für Tag das Manna darzureichen. Im 78. Psalm finden wir die Geschichte Israels dargestellt. Sie Zeigt uns die Treue Gottes im beständigen Gegensatz zu der Untreue Israels: „Sie glaubten nicht an Gott und trauten nicht auf seine Rettung, obgleich Er gebot den Wolken oben und die Türen des Himmels öffnete, und das Manna auf sie regnen ließ, um es zu essen, und ihnen Himmelsgetreide gab. Jeder aß das Brot der Starken, Speise sandte Er ihnen zur Sättigung.“ Selbst dann noch, als sich dieses Volk in seinem Undank soweit vergaß, dass es in vermessener Geringschätzung des Mannas sagte: „Unserer Seele ekelt vor dieser losen Speise“, blieb Gott in seiner Gnade und Treue gegen dasselbe unveränderlich. Wohl war Er genötigt, es zu züchtigen, aber Er hörte nicht auf, es mit dem Manna vom Himmel zu versorgen. Denn wir lesen: „Und die Kinder Israel aßen das Manna vierzig Jahre, bis sie in ein bewohntes Land kamen“ (2. Mo 16,35).
So wie einerseits das Manna ein Zeugnis der Treue und Fürsorge Jehovas war, so war es andererseits auch ein Prüfstein für das Volk. „Und Jehova sprach zu Mose: Siehe, ich werde euch Brot vom Himmel regnen lassen, und das Volk soll hinausgehen und sammeln den täglichen Bedarf an seinem Tag, damit ich es versuche, ob es wandeln wird in meinem Gesetz oder nicht“ (2. Mo 16,4). Es sollte also dadurch seine Abhängigkeit von Jehova auf die Probe gestellt werden. Das Manna war weder ein Erzeugnis Ägyptens, noch der Wüste, noch auch des Menschen; es kam vom Himmel hernieder und war eine göttliche Speise. Deshalb konnte selbstredend eine Natur, die nicht von Ägypten entwöhnt war, keinen Geschmack daran finden. Es bedurfte einer gänzlichen Unterwerfung dieser Natur. Das, was Ägypten hervorbrachte, stand in völligem Gegensatz zu diesem Manna und übte einen höchst verderblichen Einfluss aus, indem es den Menschen in seinen eignen Augen erhob und ihn zugleich an Ägypten fesselte, während es ihm das Manna verleidete. Nur für den, der sich außerhalb Ägyptens und in der Unterwürfigkeit und Abhängigkeit von Gott befand, war das Manna eine köstliche Speise. Wir lesen in 5. Mose 8: „Und er demütigte dich und ließ dich hungern und speiste dich mit dem Manna, das du nicht gekannt, noch deine Väter gekannt haben, um dir kund zu tun, dass nicht vom Brot allein der Mensch lebt, sondern von allem, was aus dem Mund Jehovas hervorgeht, lebt der Mensch“ (V 3). Und wiederum: „Der dich gespeist mit Man in der Wüste, das deine Väter nicht gekannt haben, um dich zu demütigen und um dich zu versuchen, dass Er dir wohltue an deinem Ende“ (V 16). Gott musste die Kinder Israel zuerst von Ägypten entwöhnen; dann aber gab Er ihnen etwas, das ihnen bisher fremd geblieben war, und das sie in Ägypten nie zuvor genossen hatten. Dies ist eine köstliche und lehrreiche Wahrheit.
Das Wiedererwachen des Verlangens nach den Fleischtöpfen Ägyptens und die Verachtung des Mannas war daher der Beweis einer rebellischen Natur, die sich unfähig erwies, in dem Gesetz Jehovas zu wandeln. „Und das Mischvolk, das in ihrer Mitte war, war lüstern, und auch die Kinder Israels weinten wiederum und sprachen: Wer wird uns Fleisch zu essen geben? Wir gedenken der Fische, die wir umsonst aßen in Ägypten, der Gurken und der Melonen und des Lauchs und der Zwiebeln und des Knoblauchs; und nun ist unsere Seele dürre, gar nichts ist da, nur auf das Manna sehen unsere Augen.“ Israel verstand in der Tat nicht, von jeglichem Wort zu leben, das aus dem Mund Jehovas ausgeht. Ach! Die Geschichte dieses Volkes wird nicht charakterisiert durch seine Abhängigkeit von Gott, sondern vielmehr durch seine Halsstarrigkeit und Auflehnung gegen Ihn, d. h. durch die Frucht des eignen Willens. Aber leider ist dies nicht mir die Geschichte Israels, sondern diejenige des Menschen, des ersten Adam. Um zu leben von jeglichem Wort, das aus dem Mund Jehovas hervorgeht, bedarf es einer neuen Natur. Und wir wissen, wer in der Wüste den Versucher siegreich überwand und ihm entgegentrat mit den Worten: „Es steht geschrieben: Nicht vom Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jeglichem Wort Gottes.“ Jesus, der Zweite Adam, war es, dessen Vollkommenheit als Mensch durch seine völlige Abhängigkeit von Gott bewiesen wurde.
Indessen lässt uns die durch den Herrn selbst angeführte Stelle in 5. Mose 8,3 deutlich verstehen, welche geistliche Bedeutung Er dem Manna in Bezug auf uns beilegt. Das, was das Manna vorbildlich für Israel in der Wüste war, ist das Wort Gottes jetzt für uns. Und die unwandelbare Treue Gottes, die Israel in der Wüste nicht ohne Nahrung ließ, hat auch uns nicht ohne diese geistliche Speise gelassen. Er hat auch uns, so zu sagen, die Türen des Himmels und seine Schatzkammern in der köstlichen Gabe seines Wortes geöffnet; und diese Gabe ist für uns ebenso, wie das Manna für Israel, sowohl ein Beweis seiner vollkommenen Fürsorge, als auch ein Prüfstein unseres geistlichen Zustandes.
Betrachten wir nun das Wort Gottes unter diesen beiden Gesichtspunkten, so haben wir uns zunächst mit seiner Natur und seinen Wirkungen, und dann mit unserer Verantwortlichkeit gegen dasselbe zu beschäftigen.
Gott handelt in allem in einer göttlich vollkommenen Weise – in einer Weise, die seiner würdig ist. So wie Er unseren Bedürfnissen als Sünder begegnete durch eine vollkommene Erlösung, so begegnet Er auch unseren Bedürfnissen als Heilige durch eine vollkommene Fürsorge. Er, der uns kraft der Erlösung mit sich selbst in eine gänzliche Übereinstimmung gebracht und uns, kraft des Blutes Christi, mit einem vollkommenen Gewissen in seine Gegenwart gestellt hat, versieht uns auch mit dem, was uns befähigt, in dieser Übereinstimmung mit Ihm zu wandeln inmitten einer Welt, die ihren Grundsätzen nach im schroffsten Gegensatz zu Ihm steht. Er kennt alle unsere Bedürfnisse in dieser Welt, und Er begegnet denselben in seinem Wort auf die völligste Weise. Dieses Wort ist uns als Menschen hienieden völlig angepasst, und Gott hat in demselben für alle die Schwierigkeiten und Gefahren Vorsehung getroffen, denen wir ans unserem Pfad in der Wüste und durch eine versuchungsreiche Welt ausgesetzt sind. Es ist völlig genügend, um all den Fallstricken und listigen Anläufen des Feindes und den Betrügereien der Menschen zu entgehen und ohne Anstoß und tadellos bis ans Ende bewahrt zu bleiben. Und nicht allein das, sondern es befähigt uns auch, hienieden ein Zeugnis zu sein zur Verherrlichung des Namens Jesu, ja sogar zu wandeln, wie Er gewandelt hat. Konnte Gott uns in dieser Beziehung etwas Vollkommeneres geben, als sein teures Wort? Gewiss nicht. In ihm wird unseren Herzen alles dargereicht, was wir Tag für Tag, in jeder Lage und in allen Umständen und Verhältnissen dieses Lebens bedürfen. Was wir auch nötig haben, sei es Kraft, Trost, Ermunterung, Belehrung, Rat, Weisheit – alles können wir darin finden. Es genügt selbst für die gegenwärtigen schweren Zeiten der letzten Tage der Kirche. Es bietet dem Glauben eine Zuflucht und Stütze dar, die jede Dazwischenkunft des Menschen überflüssig macht.
Selbstredend bedürfen wir, um dieses Wort zu verstehen und richtig anzuwenden, der Leitung des Heiligen Geistes. Ohne jene Leitung würde das Lesen desselben nicht nur ohne Nutzen sein, sondern sogar unter dem Einfluss des Feindes und einer des göttlichen Lichtes beraubten Vernunft, verderblich für uns werden. Wir werden später auf diesen Punkt zurückkommen. Immerhin aber bleibt es das Wort, wodurch der Heilige Geist wirkt, und dessen Er sich bedient, um uns dem gemäß zu bilden, der sich uns in demselben offenbart hat.
Gleichwie nun die Erlösung bei dem Menschen nichts voraussetzt, als ein zerknirschtes Herz, das seinen verlorenen Zustand anerkennt, so erwartet auch das Wort Gottes bei uns nichts anders, als ein unterwürfiges Herz, das seine Bedürfnisse fühlt. Das Wort setzt nicht geistliche Einsicht oder ein geistliches Verständnis oder göttliche Gefühle bei uns voraus, sondern es erweckt und erzeugt vielmehr dies alles: „Der Eingang deines Wortes erleuchtet, gibt Einsicht den Einfältigen“ (Ps 119,139). Wie wir in dem Gleichnis vom Sämann sehen, ist das Wort der Same, der die Frucht erzeugt. Und in 1. Petrus 1,23 lesen wir: „Die ihr nicht wiedergeboren seid aus verweslichem Samen, sondern ans unverweslichem, durch das lebendige und bleibende Wort Gottes.“ So auch in Jakobus 1,18: „Nach seinem eignen Willen hat Er uns gezeugt durch das Wort der Wahrheit, auf dass wir eine gewisse Erstlingsfrucht seiner Geschöpfe seien.“ Das Wort erzeugt in uns eine Natur, gleichförmig derjenigen, von welcher es der Ausdruck ist – und es ist der Ausdruck der Natur Gottes, der Ausdruck dessen, was Gott ist und will.
Hiervon ist das Wort selbst von Anfang bis zu Ende ein klares Zeugnis. Die Art und Weise seiner Darstellungen, der Inhalt derselben, die darin offenbarten Ratschlüsse Gottes und seine Wege mit dem Menschen, vor allem aber seine Mitteilungen über „Gott, offenbart im Fleisch“, bezeugen den göttlichen Ursprung dieses Buches. Seine Darstellungen sind charakterisiert durch eine göttliche Einfachheit, während der Inhalt derselben oft eine für den Geist des Menschen unerforschliche Tiefe und Fülle enthält. Mit welch einfachen Worten wird zum Beispiel die Geschichte der Schöpfung mitgeteilt, und doch welch, eine unendliche Fülle liegt in ihnen verborgen! „Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.“ Die Unermesslichkeit und Unerforschlichkeit dessen, was geschaffen ist, zeugt von der Unendlichkeit und Größe dessen, der geschaffen hat, und der uns als solcher gleich beim Beginn dieses Buches vor die Seele gestellt wird. Das Herz, findet sich sofort in die Gegenwart Gottes versetzt; und dies ist der Zweck des Buches. Gott wollte sich uns offenbaren, uns mit sich selbst bekannt machen, und deshalb gab Er uns sein teures Wort. Er tritt uns in demselben zunächst in seiner Herrlichkeit als Schöpfer entgegen: „Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes, und die Ausdehnung verkündet seiner Hände Werk“ (Ps 19,1). Die Resultate, welche die Wissenschaft in ihren Erforschungen, der Erde und der Himmelskörper bis jetzt erlangt und in umfangreichen Bänden veröffentlicht hat, bestätigen nicht die Größe des Menschen, sondern seine Ohnmacht, das Unergründliche zu erforschen. Denn je tiefer die Wissenschaft dringt und je mehr sie erforscht, desto unendlicher erscheint das, was sie zu ergründen sucht. „So spricht Jehova! Wenn die Himmel oben gemessen, und die Gründe der Erde unten erforscht werden mögen, so will ich auch ..“ (Jer 31,37). So zeigt uns also das Wort in diesen einfachen, kurzen Ausdrücken Gott in einer Größe, die das Herz des Gläubigen mit Ehrfurcht und Anbetung erfüllt.
Dieselbe Einfachheit der Darstellung finden wir in der in den Evangelien mitgeteilten Lebensgeschichte des Herrn Jesus als Mensch auf der Erde. Wie wunderbar einfach ist die Mitteilung seines Eintritts in diese Welt! Welche Niedrigkeit! „Ein Kind in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegend.“ Aber wenn der menschliche Geist nicht fähig ist, die Himmel oben zu messen, oder die Gründe der Erde unten zu erforschen, so ist er noch weit weniger im Stande, die Tiefen zu ergründen, die in dieser einfachen Darstellung enthalten sind. Wir haben hier das anerkannt große Geheimnis: „Gott, offenbart im Fleisch.“ Wunderbares Geheimnis! Der Gott, dessen Größe, Macht und Weisheit sich in der Schöpfung offenbarte, der dem Moses in einer Feuerflamme im Dornbusch erschien, dessen Herniedersteigen auf den Berg Sinai das Herz dieses treuen Mannes mit Furcht und Schrecken erfüllte – derselbe Gott hat sich im Fleisch, und Zwar in der größten Schwachheit offenbart. Welch eine Fülle enthalten die wenigen Worte der himmlischen Heerscharen: „Herrlichkeit Gott in der Höhe, und Frieden auf Erden, an den Menschen ein Wohlgefallen!“ Wer ist fähig, auch nur annähernd ihre ganze Tragweite zu erforschen – alle die herrlichen Resultate jenes wunderbaren Ereignisses: Gott, offenbart im Fleisch! Er hat sich in einer Weise kundgemacht, dass Er vor den Engeln und dem ganzen Weltall verherrlicht dasteht. Doch haben wir hier nicht die Offenbarung seiner Gerechtigkeit im Gericht gegen den Sünder, sondern die Offenbarung einer Liebe, Gnade, Macht und Weisheit, die denselben zu retten wusste, und Zwar auf einem Weg, der seine Gerechtigkeit verherrlichte, das Böse richtete und alle Macht des Feindes als Ohnmacht erwies. Er hat sich offenbart in einer Weise, welche diese Worte der himmlischen Heerscharen nicht nur in den Räumen des Himmels, sondern auch in den unzähligen Scharen erlöster Sünder, in einer von der Knechtschaft des Verderbnisses befreiten Schöpfung, ja, in dem ganzen Weltall in tausendfachem Echo wiederhallen lässt.
Und alles dieses ist das Resultat dessen, was die Schwachheit Gottes genannt werden kann.
Diese Verbindung des Einfachen mit dem Unermesslichen ist der hervorragende Charakterzug des Wortes Gottes. Betrachten wir z. B. die Szene am Jakobsbrunnen bei Sichar. Einsam und ermüdet von der Reise sitzt der Herr dort als ein unbekannter Fremdling und bittet ein Weib um einen Trunk Wassers. Der Herr des Himmels und der Erde, der Schöpfer und Träger des Weltalls, der Richter der Lebendigen und der Toten begegnet hier in dem Gewände der Niedrigkeit dem Sünder in seinem tiefsten Elend, um sich ihm zu offenbaren, um ihm zu zeigen, was Er für einen verlorenen Sünder ist, um ihn zu erretten und ihn zu der Herrlichkeit zu erheben, die Er um seinetwillen verlassen hatte.
Christus war das lebendige Wort, die Offenbarung Gottes auf der Erde. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns (und wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater) voller Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,1.14). Er konnte auf die Frage: „Wer bist du?“ antworten: „Durchaus das, was ich auch zu euch rede.“ Er war in der Tat Gott selbst, durch den alles geworden ist, und dennoch war Er ein wahrhaftiger Mensch unter den Menschen, der ein menschlich fühlendes Herz hatte. Doch nie hätte eine menschliche Feder Ihn so wahr, so wirklich und treu darzustellen vermocht, wie das Wort es getan hat. Der dem Einfachen so eigentümliche Reiz, und die göttliche Schönheit und Kraft des Ganzen wären verloren gegangen. Das Wort ist der wahre Ausdruck von Ihm. Es hat Ihn nach seinem wahren Wesen in der Wirklichkeit und Einfachheit seiner Menschheit dargestellt, während es zugleich die Fülle seiner göttlichen Herrlichkeit in einer Weise durchstrahlen lässt, dass ihr Glanz durch jene Einfachheit nur umso mehr erhöht wird. Verweilen wir einen Augenblick bei der Begegnung des Herrn mit den Einnehmern der Doppeldrachme (Mt 17). Petrus, uneingedenk der auf dem Berg geschauten Herrlichkeit seines Herrn, erblickt in Ihm nur einen frommen Juden, der sich nicht weigern wird, die Steuer für den Tempel zu zahlen. Der Herr ist auch dazu bereit, lässt aber den Petrus verstehen, dass der Herr des Tempels (Gott) – dem gegenüber jeder Jude zur Zahlung der Steuer verpflichtet war – von Ihm, als seinem Sohn, ebenso wenig Steuer verlange, wie ein König von seinen Kindern. Er war der Sohn Gottes. Zugleich offenbart Er sich als der Herzenskundiger, indem Er seinem Jünger kundtut, dass Er alles wusste, was dieser fern von Ihm mit den Steuereinnehmern gesprochen hatte. Und da Er nichts besaß, um die Steuer zu bezahlen, (denn Er hatte nicht, wo Er sein Haupt hinlegte) enthüllte Er seine Macht als Herr und Gebieter der Schöpfung, indem Er einen Fisch kommen ließ, der einen Stater im Mund führte. Nach allem diesem aber stellt Er Petrus mit sich in dasselbe Verhältnis zum Vater; denn Er spricht zu ihm: „Den nimm und gib ihnen für mich und dich“; ebenso hatte Er vorher zu ihm gesagt: „Damit wir ihnen kein Ärgernis geben“ (Mt 17,24–27). Diese kleine Geschichte zeigt uns in der Person Jesu eine Fülle von Herrlichkeit und zugleich eine wunderbare Herablassung. Wie wahr, einfach und göttlich ist dieses alles!
Aber auch noch in anderer Weise zeigt sich das Wort als der Ausdruck dessen, was Gott ist, und was Er will. Betrachten wir zum Beispiel die dem Volk Israel gegebenen Gebote, so finden wir in denselben eine Heiligkeit, Gerechtigkeit, Weisheit und Güte ausgedrückt, welche uns sagen, wer der ist, der solche Gebote gab. Sie zeugen Von einem Gott, der mit dem Bösen durchaus nicht in Gemeinschaft sein kann, der aber seine Freude am Wohltun findet und dem, der im Gehorsam wandelt, mit einer unbegrenzten Güte begegnet. Ach! Der Mensch in seiner natürlichen Feindschaft gegen diesen Gott der Güte beraubte sich selbst der Segnungen desselben und zwang Ihn gleichsam, seine eigentliche Natur, sein wirkliches Wesen zu verbergen und die Gerechtigkeit verwalten zu lassen. Denn Gott ist die Liebe; dies ist seine Natur, sein Wesen. Es wird nie gesagt: „Gott ist die Gerechtigkeit“, obwohl Er vollkommen gerecht ist. Er findet seine Freude in der Ausübung der Liebe, während die Ausübung der Gerechtigkeit zur Bestrafung des Bösen für Ihn immer etwas ist, wozu Er genötigt wird. „Ach, dass du gemerkt hättest auf meine Gebote! Dein Friede würde gewesen sein wie ein Strom, und deine Gerechtigkeit wie des Meeres Wellen“ (Jes 48,18). Diese Worte, sowie auch die Verse 8–16 in Psalm 81, zeigen deutlich, weshalb Gott jene Gebote seinem Volk gab, und welch ein Schmerz es für Ihn war, dass Er durch die Halsstarrigkeit desselben an der Ausübung seiner Güte gehindert wurde. Die Feindschaft des natürlichen Herzens war es, die sich mit unversöhnlicher Macht dem Strom der Liebe Gottes entgegenstellte; und dennoch wurde sie gerade in der wunderbaren Weisheit Gottes ein Anlass, die Macht der Liebe umso stärker hervortreten zu lassen. Jene Feindschaft offenbarte sich in der Verwerfung Christi auf ihrem Höhepunkt. Allein gerade diese Verwerfung führte auf Grund seiner unendlichen Liebe die Versöhnung ein, welche dem Ausfluss dieser Liebe freien Lauf verschaffte. Wir hören deshalb den Herrn Jesus, der seiner Gottheit gemäß die Liebe war, sagen: „Ich aber habe eine Taufe, womit ich getauft werden muss, und wie bin ich beengt, bis sie vollbracht ist“ (Lk 12,50). Dies ist das wahre Wesen Gottes, der seine Freude in der Ausübung seiner Liebe findet; denn Er ist die Liebe.
Wenden wir uns jetzt zur Bergpredigt, so finden wir in derselben Grundsätze niedergelegt, welche mir der aufstellen konnte, der die Quelle solcher Grundsätze ist, und der dieselben als Mensch in seinem Leben hienieden, inmitten einer gottlosen Welt, vollkommen verwirklichte. Wir begegnen darin einer Gesinnung, die, völlig anspruchslos und frei von sich selbst, ihr Glück in dem Glück anderer findet – einer Gesinnung, die in geduldiger Selbstaufopferung das innigste Mitgefühl für das Elend des Unglücklichen mit dem entschiedensten Hass gegen das Böse und mit einem brennenden Verlangen nach Reinheit in sich vereinigt. Sie ist der getreue Ausdruck dessen, was Er war während seines ganzen Lebens auf der Erde. Er, der „sich selbst zu nichts machte“ und sagen konnte: „ich bin sanftmütig und von Herzen demütig“, war zugleich „der Heilige, der Wahrhaftige.“ Er, der Sohn Gottes, war der große „Friedensstifter“, der auf dem Kreuz solche, die seine Feinde und Gottlose waren, mit Gott versöhnte, und der dieses freiwillig tat mit dem tiefsten Erbarmen und Mitgefühl für den verlorenen Sünder.
Das, was der Herr lehrte – sein Wort – war der Ausdruck dessen, was Er war und tat. Und so wie sich dieses in seiner völligen Hingabe Zeigte, so offenbarte es sich auch in den Geboten, die Er seinen Jüngern gab. „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebt, auf dass, gleich wie ich euch geliebt habe, auch ihr einander liebt.“ „Dieses ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, gleich wie ich euch geliebt habe“ (Joh 14–15). Diese Gebote stellen nicht nur die den Jüngern auferlegte Verpflichtung zur gegenseitigen Liebe dar, sondern zeigen uns auch das Herz dessen, der sie gab – die Liebe, welche in diesem Herzen wohnte und die Quelle dieser Gebote war. Dieselben bringen uns notwendigerweise mit jener Quelle selbst in Verbindung. Sie sind der Ausfluss dieser Liebe, die das Herz anzieht, erfüllt und zu einem Kanal macht, durch welchen sie gegen andere ausströmen kann. Der Herr sagt deshalb: „Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben.“
Ebenso bezeugen auch die in den Briefen an die Gläubigen gerichteten Ermahnungen die Natur dessen, der sie gab. Nehmen wir zum Beispiel nur das Wort: „Der da Barmherzigkeit übt, mit Freudigkeit“, so finden wir darin eine Natur ausgedrückt, welche, entgegen der dem Menschen angeborenen Selbstsucht, in der Ausübung der Barmherzigkeit ihre Freude findet und in völligem Einklang mit Gott ist, der den „fröhlichen Geber liebt“, da Er selbst ein fröhlicher Geber ist. Alle diese Ermahnungen lassen die Schönheit der göttlichen Natur in einer Weise ausstrahlen, dass das Ungöttliche ebenso wenig vor ihnen bestehen kann, wie die Finsternis vor der Sonne.
Ein weiterer Beweis für die göttliche Natur des Wortes sind die Früchte, die dasselbe in dem unterwürfigen Herzen hervorbringt. Welch eine Weisheit und Zucht, ein Gehorsam und eine Ehrfurcht, eine Milde und Güte, eine Bereitwilligkeit und Unterwürfigkeit wird in den mannigfaltigen Beziehungen zwischen Mann und Weib, Eltern und Kindern, Herrschaft und Gesinde, zwischen den Christen und der Welt oder der Obrigkeit hervorgebracht, wenn diese Beziehungen wirklich nach dem Wort Gottes geregelt sind. Außer diesem Wort ist nichts im Stande, solch gesegnete Resultate zu bewirken.
Schließlich möchte ich noch einen anderen Punkt hervorheben, der uns die göttliche Natur des Wortes zeigt. Das Wort stellt alles ins Licht und enthüllt den wahren Charakter einer jeden Sache. Der Mensch würde sich nie ohne das Wort ein wahrheitstreues Urteil bilden können, sei es in Bezug auf Gott oder in Bezug auf sich selbst, ja, moralisch gesprochen, selbst nicht in Bezug auf irgendeine Sache. Alles, was es auch sei, wird nur im Licht des Wortes Gottes in seiner wahren Gestalt gesehen. Der geistliche Mensch kann daher je nach seiner geistlichen Fähigkeit kraft dieses Lichtes alles beurteilen, ausgenommen das Licht selbst; vielmehr wird er selbst durch dasselbe beurteilt. Das Wort steht, seiner Natur nach, weit über dem Menschen (denn anders würde es nicht Gottes Wort sein), und beurteilt alle Gedanken desselben, die sich in moralischer Beziehung in seinem eignen Geist bilden, als falsch, weil es selbst die einzige Quelle aller wahren Gedanken, oder vielmehr der Ausdruck der Gedanken Gottes ist. Der Mensch wird sich daher in moralischer Hinsicht immer täuschen, wenn er nicht einzig und allein durch dieses Wort geleitet wird. Es hat eine göttliche Autorität über jeden Menschen, die ihn seinem Gewissen nach unter eine Verantwortlichkeit stellt, der er sich nicht entziehen kann (Fortsetzung folgt).