Botschafter des Heils in Christo 1879
Betrachtungen über den Brief des Jakobus - Teil 5/6
Weiter nun ermahnt Jakobus zur Demütigung vor dem Herrn (V 10), damit Er uns erhöhe. „Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ Das ist es, was Christus getan (Phil 2), und was Er gesagt hat (Lk 14,11). „Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt Er Gnade“ (1. Pet 5,5). Dem Menschen geziemt die Demut; sie geziemt ihm in seiner Kleinheit vor Gott, im Bewusstsein der Größe der göttlichen Gnade und alles dessen, was er jetzt in sich selbst ist. Sogar die unendliche Herrlichkeit, die der Gläubige erwartet, ist für ihn eine Ursache zur Demut, wenn er daran denkt, wie unwürdig er derselben ist. Er weiß, dass er in den Dingen Gottes nichts ohne Ihn erkennen, noch tun kann.
Jakobus ist hier mit dem Hochmut und dem Stolz des Geistes dieser Welt beschäftigt; beides findet sich auch noch in dem Christen, und deshalb verlangt er nicht nur Demut, sondern Demütigung. Er hatte ein tiefes Gefühl von der Torheit der Menschen und besonders der Christen, die im Geist dieser Welt wandelten, indem sie nicht nur dem Körper, sondern auch dem Herzen und den Gebräuchen nach mit ihr vermengt waren. Ein solcher Wandel geziemt dem Christen nicht. Die Furcht Gottes, die Tatsache, dass die Welt den Herrn gekreuzigt hat, gibt dem Christen das Vorgefühl des Gerichts, das ihrer wartet, wenn er auch den Augenblick seines Eintreffens nicht kennt. Es ist aber noch weit besser, wenn das Herz und seine Neigungen von dem verherrlichten Herrn, von dem Morgenstern, und von alle dem angezogen wird, was im Himmel ist. Neigt jedoch jemand dazu hin, mit dieser Welt zu wandeln und sich ihr gleich zu stellen, so hat diese die Oberhand, und es ist nötig, mit einem solchen von dem Ende der Welt, von dem kommenden Gericht Gottes zu sprechen und ihn zu nötigen, die Stimme und die Drohungen Gottes zu hören, welche verkünden, dass „der Tag kommen wird wie ein Dieb in der Nacht.“ Nimmt er dieses zu Herzen, so wird ihn der Herr aufrichten und segnen. Wer aber wird den Tag seiner Ankunft ertragen, wenn Er kommen wird, um die zu richten, welche nicht hören wollten? Für den Christen ist die Ankunft des Herrn etwas anderes. Der Herr selbst sagt uns, dass Er kommen wird, um uns zu sich zu nehmen, uns zu erhöhen und in das Haus seines Vaters einzuführen, in welches Er eingegangen ist, um uns eine ewige und himmlische Stätte zu bereiten.
Ist man demütig, so braucht man sich nicht zu demütigen; allein der Geist des Menschen erhebt sich in der Tat so leicht, dass es für uns nötig ist, uns zu demütigen und die Gegenwart Gottes zu verwirklichen. In dieser Gegenwart werden wir immer demütig sein; wir werden das Bewusstsein unserer Kleinheit haben, werden an Gott und nicht an uns selbst denken. Die Stolzen erheben, heißt nichts anderes, als den Stolz nähren, und dieser geziemt weder dem sündigen, noch dem frommen Menschen; daher können Frömmigkeit und Stolz nicht zusammengehen. Gott aber hat Wohlgefallen daran, die Demütigen zu erhöhen, und weil diese Erhöhung von Gott kommt, so ist sie eine Quelle der Dankbarkeit und Freude und nicht des Stolzes. Man ist vor Gott im Gefühl seiner Güte. Beachten wir, dass es heißt: „Demütigt euch vor dem Herrn“, und nicht „vor den Menschen“; es handelt sich um ein wirklich innerliches Werk, welches die gute Meinung, die wir von uns selbst haben, zunichtemacht und die Gegenwart Gottes verwirklicht. Die Größe Gottes gibt Ihm seinen wahren Platz im Herzen und uns den unsrigen. Ist dieses bei uns der Fall, so ist alles wahr in uns, und wir können der Wahrheit gemäß, als von Seiten Gottes, handeln. Die Verse 9 und 10 sind der Ausdruck der Verwirklichung der Gegenwart Gottes inmitten einer Welt der Sünde und des Ölendes durch ein Herz, das sich in derselben befindet und beides fühlt.
„Redet nicht wider einander, Brüder“, fährt Jakobus jetzt fort. Das ist eine bestimmte Vorschrift, die viele Zungen zurückhalten würde, wenn sie gehorsam wären. Und ach, wie viel Böses würde dadurch verhütet werden! Die Liebe redet nicht wider den Anderen, allein die Zunge ist, wie wir gesehen haben, ein schlimmes Übel, voll tödlichen Giftes, ein kleines Feuer, das einen großen Wald anzündet. Aber mehr noch: „Wer wider seinen Bruder redet oder seinen Bruder richtet, redet wider das Gesetz und richtet das Gesetz“; denn das Gesetz will, dass der Bruder der Gegenstand der Liebe und Zuneigung sei, nicht aber, dass er verfolgt, übel behandelt oder vor den Augen anderer verächtlich gemacht werde. Geschieht dieses, so verlieren wir die Stellung aus dem Auge, in welche das Gesetz den Bruder gebracht hat, während es doch unsere Pflicht nach dem Gesetz und unsere Stellung als Bruder ist, dieselbe anzuerkennen. Wenn wir uns als Richter und Gesetzgeber aufwerfen, so übertreten wir das Gesetz: wir sind ihm ungehorsam und befolgen seine Vorschriften nicht, sondern stellen uns über dasselbe. Doch nur einer ist Gesetzgeber und Richter – Er, „der zu erretten und zu verderben vermag“; wer sind wir, dass wir andere richten?
Der Schluss unseres Kapitels beschäftigt sich mit dem falschen Vertrauen auf die eignen Vorsätze unserer Herzen. Das menschliche, von Gott entfernte Herz meint, seine Schritte selbst lenken zu können, und, ohne an den Willen Gottes, noch an Gott selbst zu denken, fasst es seine Vorsätze. Das, was es tun will, mag an und für sich nicht schlecht sein, noch auch das Gewissen verletzen oder beunruhigen; allein Gott wird ganz und gar vergessen. Der Mensch handelt ohne Gott, als wenn die Erde ihm überlassen wäre, als wenn Gott sich zurückgezogen hätte und sein Wille kein Gewicht in die Waagschale legte. Ein solcher Mensch lobt, was die Religion, was die Ausübung seiner Pflichten in den praktischen Dingen, in dem täglichen Leben betrifft, im Atheismus Leugnung (Gottes). Gott hat keinen Raum in seinen Gedanken. Das Geld, der Ehrgeiz der Welt usw. sind die Dinge, welche sein Herz beherrschen, wenn er auch nicht gerade in schlechten Vergnügungen lebt. Er fühlt nicht, dass er Gott angehört, dass er, wenn er ein Christ ist, durch das kostbare Blut Christi erkauft worden; er macht seine Pläne nach seinem eignen Willen, nach seiner eignen Weisheit und nach seinen Vorteilen in der Welt. Für Gott gibt es da keinen Platz; und ohne Ihn in der Welt jagt er den irdischen Dingen nach und befindet sich tatsächlich nicht in der Gegenwart Gottes. Dass wir arbeiten, um das Nötige zu erwerben, ist dem Willen Gottes gemäß, und wir können dafür seinen Segen erflehen, weil es nach seinem Willen ist. Davon ist aber hier nicht die Rede, sondern vielmehr von einem Menschen, der sich anmaßt, über seine Zeit zu verfügen und selbst seinen Verdienst zu suchen, ohne dabei auf Gott zu blicken, oder seine Leitung und die Offenbarung seines Willens abzuwarten. Er weiß nicht, was der morgige Tag bringen wird; er weiß nicht, ob sein Leben den Abend des folgenden Tages erreicht. Es ist ein Dampf, der Eine kleine Zeit sichtbar ist, dann aber verschwindet. So ist das Leben hienieden. Es geziemt sich, zu sagen: „Wenn der Herr will und wir leben, so wollen wir dieses oder jenes tun.“
„Alles solches Rühmen ist böse.“ Jakobus widersetzt sich immer und allenthalben jedem Anspruch des menschlichen Willens; er besteht darauf, dass derselbe gebrochen werde, und der Mensch die ihm gebührende Stellung des Gehorsams und der Unterwürfigkeit einnehme. Gott will seinen wahren Platz haben, Er will, dass der Mensch abhängig und gehorsam sei. Jede Tätigkeit und alle Ansprüche des menschlichen Eigenwillens sind böse.
Noch einen anderen, wichtigen Grundsatz finden wir am Ende dieses Kapitels. Wenn man weih, Gutes zu tun und tut es nicht, so ist das Herz böse, oder wenigstens ist der Zustand eines solchen Menschen schlecht. Die Gnade und die Liebe fehlen. Sein eigenes Interesse suchen, seinen Willen tun, seine eignen Wünsche befriedigen, das kennzeichnet den natürlichen Menschen; das Gute tun, das Wohl der Anderen suchen und ihnen dienen, ist die Frucht der Liebe. Wenn die Kenntnis des Guten vorhanden ist und die Gelegenheit sich darbietet, es auszuüben, der Mensch sie aber nicht benutzt, so ist dies ein Beweis, dass das Herz in einem schlechten Zustand ist; die Liebe zu den Anderen und der Wunsch, Gutes zu tun, sind nicht vorhanden. Das Unterlassen des Guten ist Sünde und beweist, dass die Gnade mangelt und der Eigenwille tätig ist.
Kapitel 5 – das Teil der Getreuen ist nicht in dieser Welt. Christus hat sie für sich selbst, für den Himmel erworben, damit sie Ihm in der Herrlichkeit gleichförmig und seine Miterben seien; denn seine Liebe will, dass sie alles das genießen, was Er selbst genießt. Seine Liebe ist vollkommen. Hienieden aber müssen wir mit Ihm leiden. Es ist ein großes und uns verliehenes Vorrecht, für Ihn zu leiden; dies ist jedoch nicht aller Teil. Gleichwohl werden alle, die gottselig leben wollen in Christus Jesus, verfolgt werden (2. Tim 3,12), und es ist nicht möglich, den Leiden mit Ihm zu entgehen. Wenn wir den Geist Christi haben, so fühlen wir, wie Er gefühlt hat. Die Heiligkeit und die Liebe leiden beim Anblick der Sünde um uns her, sie leiden wegen des Zustandes der Kirche Gottes und der Seinen, wegen der Anhäufung des Elends, das uns umgibt, und der Blindheit der Seelen, die weder Christus noch das Heil wollen. Ein jeder hat sein Kreuz zu tragen; zudem erlaubt Gott, dass wir leiden, weil wir durch dieses Mittel Geduld lernen und zugleich erkennen, dass unser Erbteil nicht hienieden ist. Die Erfahrung, die Verwirklichung der praktischen Wahrheit, befestigt sich im Herzen, und die Hoffnung wird viel klarer und mächtiger in demselben. Allerdings setzt dieses voraus, dass die Liebe Gottes durch den Heiligen Geist ins Herz ausgegossen ist. Wo dieses nicht der Fall ist, da erlaubt Gott die Leiden und schickt sie sogar, um das Herz zu erneuern.
Jakobus wendet sich mit einer scharfen Zurechtweisung an die Reichen, welche Güter in dieser Welt besaßen und keine Rücksicht auf die Armen nahmen, während doch geschrieben steht: „Glückselig, wer an den Armen gedenkt mit Einsicht“ (Ps 41,1). Wer den Armen verachtet, weil er arm ist, verachtet den Herrn selbst: „Ich aber bin elend und arm“, sagt der Herr im vorhergehenden Psalm (40,17). Der Herr hatte, als Er hienieden war, seine Segnung über die Armen ausgesprochen, und ihnen war das Evangelium gepredigt worden; dies kennzeichnete den Messias. Wir wissen alle, dass ein Armer ein ebenso schlechter Mensch sein kann wie jeder andere, allein die Reichtümer sind eine besondere Gefahr für uns, weil sie den Stolz nähren und geeignet sind, das Herz von den Armen zu entfernen, zu denen der Herr sich in dieser Welt gesellte. „Er, der da reich war, ist um unsertwillen arm geworden, damit wir durch seine Armut reich würden“ (2. Kor 8,9). Die Reichen aber, an die sich Jakobus hier wendet, waren im Bösen weiter vorgeschritten; sie unterdrückten die Armen und zahlten ihnen den Lohn ihrer Arbeit nicht aus. Jakobus versetzt uns in die Zeit der letzten Tage. Das Geschrei der Armen ist gekommen in die Ohren des Herrn Zebaoth. Er fordert die Reichen auf, zu weinen und zu heulen wegen des Elends, das über sie kommt. Sie hatten auf der Erde üppig gelebt und geschwelgt. Und nicht nur das, sondern während sie in ihrer Üppigkeit lebten, wollten sie in der Befriedigung ihrer Lüste durch niemand gestört werden. Sie haben den Gerechten verurteilt und getötet. Er hat ihnen nicht widerstanden. Sie wollten sich den Genuss dieser Welt sicheren in jener falschen Ruhe, die weder an Gott, noch ans Gericht, noch auch an den Tod denkt. Wachte das Gewissen auf, so wurden sie beunruhigt, und deshalb verhärteten sie sich, so viel sie konnten, um sein Aufwachen zu verhindern. Bis jetzt hat Gott den Lauf dieser Welt nicht geändert; hätte Er es getan, so wäre Er genötigt gewesen, das Gericht zu vollziehen; stattdessen ist Er immer noch zu Gunsten der Bösen und Sünder in Liebe tätig. Er schlägt sie nicht, aber dessen ungeachtet verzieht Er nicht die Verheißung, sondern Er ist langmütig gegen uns, da Er nicht will, dass irgendwelche verloren gehen, sondern dass alle zur Buße kommen (2. Pet 3,9). Die Christen sollen daher ihre Herzen ermuntern, geduldig bleiben und dem äußeren Übel sich unterwerfen bis zur Ankunft des Herrn, wie auch Christus, der das Gute tat, gelitten hat und geduldig geblieben ist. Der Christ ist ermahnt, seinen Fußstapfen zu folgen. Unser Teil ist nicht in dieser Welt; wenn wir leiden, indem wir Gutes tun (1. Pet 2,20), so ist dies wohlgefällig vor Gott, und vor allem, wenn es für Christus selbst geschieht. Das Leben des Heilands war mir Leiden und Geduld; jetzt aber ist Er verherrlicht bei Gott, dem Vater. Bald wird Er zum zweiten Mal in diese Welt kommen in der Herrlichkeit des Vaters, in seiner eignen Herrlichkeit und in der der Engel; und dann wird Er „verherrlicht werden in seinen Heiligen und bewundert in allen denen, die geglaubt haben“ (2. Thes 1,10). An jenem herrlichen Tage, wenn die Ärmsten der Seinen, die von den Feinden der Wahrheit unterdrückten Christen, dem Herrn selbst in der Herrlichkeit gleich sind, werden wir uns rühmen, gewürdigt gewesen zu sein, für Ihn zu leiden und inmitten der ungerechten Leiden des christlichen Lebens in Geduld und Stillschweigen ausgeharrt zu haben. Glückselig die, welche Er wachend finden wird! Er wird sich umgürten und sie sich zu Tische legen lassen und hinzutreten und sie bedienen (Lk 12,37). Welche Freude! Welche Gnade! Es wird des Heilands eigene Ehre sein, uns in den Genuss der himmlischen Glückseligkeit im Haus des Vaters einzuführen und uns alles aus seiner eignen Hand empfangen zu lassen. Wohl ist es der Mühe wert, ein wenig und auf kurze Zeit für Ihn zu leiden und hernach eine himmlische Glückseligkeit zu besitzen, welche uns die Hand und das Herz Jesu selbst zuteilen. Wir werden mit Ihm herrschen; es ist die Frucht der Arbeit, welche zu vollbringen Er uns gewürdigt hat. Wäre – es nur ein Glas Wasser, das im Namen Jesu gegeben ist, es wird seinen Lohn nicht verlieren. Aber noch viel köstlicher wird es sein, im Frieden zu sitzen und die ewigen Güter im Vaterhaus zu genießen, welche Christus uns in Fülle darreichen wird. Kostbares Zeugnis seiner Anerkennung und seiner Liebe (vgl. Lk 12,35–44)!
Beachten wir hier, wie die Ankunft des Herrn damals eine gegenwärtige Hoffnung bildete. Wer niedergebeugt war, sollte Geduld haben bis zu dieser Ankunft. „Habt nun Geduld, Brüder“, sagt Jakobus, „bis zur Ankunft des Herrn.“ Es mag vielleicht jemand sagen: Sie sind also getäuscht worden. Gewiss nicht; wohl kann es geschehen, dass wir vor der Ankunft des Herrn entschlafen, und wir wissen, dass es bei jenen der Fall war. Wenn aber der Herr kommen wird, so werden sie alle die Früchte ihres Ausharrens ernten. Und auch bis zu jener Stunde sind sie beim Herrn, zwar ausheimisch von dem Leib, aber einheimisch bei dem Herrn, und sie werden mit ihm kommen und dann die Frucht ihrer Leiden genießen, in welchen sie aus Liebe zu seinem Namen geduldig ausharrten und Ihn hienieden zu verherrlichen suchten. Obige Ermahnung zeigt aber deutlich, wie diese Hoffnung damals eine gegenwärtige war und das ganze Wesen des christlichen Lebens durchdrang. Es war nicht eine bloße Idee, ein Gegenstand der Erkenntnis, den man auswendig gelernt hatte, oder ein Artikel des Glaubensbekenntnisses. Sie erwarteten den Herrn persönlich. Welch ein Trost für die Armen und Unterdrückten, aber auch welch eine ernste Schranke für die Reichen, das Bewusstsein zu haben, dass der Herr bald kommt, dass alle Not aufhört und wir für immer bei Ihm sein werden, der uns also geliebt hat! Nichts macht uns so los von der Welt, als die Erwartung des Herrn. Ich sage nicht die Lehre von seiner Ankunft, sondern die wahrhaftige Erwartung des Herrn. Sein Kommen trennt uns für immer von der Welt. Das Herz wartet bis zu seiner Ankunft.
Bis Er kommt, verkündigen wir im Abendmahl den Tod des Herrn. Wir feiern ihn mit Danksagung, indem wir uns dessen erinnern, der uns geliebt hat, und indem wir uns von seiner Liebe nähren, bis Er kommt, um uns zu sich zu nehmen, damit wir bei Ihm seien. In dem Abendmahl finden wir überhaupt den Ausdruck alles dessen, was das Wesen des praktischen Christentums ausmacht, und durch den Heiligen Geist sind wir fähig, dies in der Feier jenes Mahls zu verwirklichen.
„Habt auch ihr Geduld, befestigt eure Herzen.“ Wenn wir unsere Stellung wirklich verstanden haben, so warten wir immer; aber welches auch unsere Wünsche sein mögen, wir können dem Herrn weder befehlen, zu kommen, noch auch wissen, wann Er kommen wird. Und Ihm sei Dank dafür! Der Herr ist geduldig, und solange es noch eine Seele gibt, die durchs Evangelium herzugerufen werden soll, wird Er nicht kommen. Sein ganzer Leib, seine Braut, muss gebildet, jedes Glied anwesend, bekehrt und mit dem Heiligen Geist versiegelt sein. Ist dies geschehen, so wird Er kommen und uns zu sich nehmen. Christus selbst sitzt auf dem Thron des Vaters und nicht auf seinem eigenen. Auch Er wartet auf jenen herrlichen Augenblick und gewiss mit größerer Liebe, als wir es tun. Deshalb wird von dem „Ausharren des Christus“ gesprochen. Das ist der wirkliche Sinn von Offenbarung 1,9, wie auch von Kapitel 3,10, wo wir lesen: „Weil du das Wort meines Ausharrens bewahrt hast“, sowie von 2.Thessalonich 3,5: „zu dem Ausharren des Christus.“ Diese drei Stellen enthalten dasselbe Wort. In dem Brief an die Hebräer werden wir belehrt (Heb 10,12), dass Christus sich „gesetzt hat zur Rechten Gottes, fortan wartend, bis seine Feinde gelegt sind zum Schemel seiner Füße.“ Wenn Christus wartet, so können wir sicher auch warten, sei es auch in Kampf und Leiden. Er erwartet den Augenblick, wo Er sowohl im Himmel und auf Erden regieren und völlige Segnung über die seinigen ausschütten, als auch das Böse aus beiden Örtern verbannen wird.
Es ist also nötig, Geduld zu haben, damit weder der eigene Wille, noch die Ermattung im Kampf sich unserer Seelen bemächtige. Wir können versichert sein, dass die von Gott erwählte Zeit die beste und gerade diejenige ist, welche seine göttliche Weisheit und Liebe für die Seinen bestimmen kann. Richten wir unseren Blick auf den Herrn und auf die himmlischen Dinge, damit wir Ihn mit Verlangen, mit aufrichtigem Herzen und festem Vertrauen erwarten, indem wir seine Ankunft der Entscheidung Gottes überlassen. Möge unser Herz ein völliges Vertrauen in seine Liebe haben! Lasst uns, in der Gewissheit, dass der Herr mit mehr Liebe auf uns wartet, als wir auf Ihn, ruhig sein im Vertrauen und geduldig auf der Reise durch die Wüste! Es ist köstlich für das Herz, Christus zu erwarten und mit Ihm eine Fülle von Freuden. Und Gott sei Dank! Sein Wort sagt: „Seine Ankunft ist nahegekommen.“
Jakobus hebt zwei praktische Folgen hervor, die aus dieser Erwartung des Herrn entspringen. Er ermahnt die Gläubigen zunächst, den Bösen nicht zu widerstehen. Der Gerechte hat ihnen nicht widerstanden. Es bedarf des geduldigen Wartens, wie der Ackermann die köstliche Frucht der Erde und ihretwegen den Früh– und Spätregen erwartet – Mittel, deren sich Gott bedient, um die Früchte seiner Ernte zur Vollkommenheit zu bringen. Der Christ soll sein Herz befestigen, während er die Widerwärtigkeiten des Lebens und die Verfolgungen der Welt zu ertragen hat – der Welt, welche sich stets gegen den Herrn feindlich beweist – und dabei jener Erwartung eingedenk sein. Dann ermahnt Jakobus die Gläubigen, nicht in einem Geist des Seufzens und des Zankes unter einander zu wandeln. Wenn wir den Herrn erwarten, so ist das Herz ruhig und zufrieden; man erbittert sich nicht wider die Verfolger, sondern erträgt vielmehr die Trübsale der Wüste mit Geduld und halt aus, wie Christus ausgehalten hat, indem Er litt, das Unrecht ertrug und auf Gott vertraute. Man ist zufrieden und ruhig und in einem glücklichen und liebevollen Geist; denn einem glücklichen Herzen fällt es nicht schwer, liebevoll zu sein. Die Ankunft des Herrn wird alles in Ordnung bringen; unsere Glückseligkeit besteht nicht in den Dingen hienieden. Dies sagt auch Paulus in Philipper 4,5: „Lasst eure Gelindigteit kund werden allen Menschen! Der Herr ist nahe.“ Welch eine wirkliche und gegenwärtige Sache ist doch die Erwartung des Herrn! Welch eine Macht übt sie ans das Herz ans! „Der Richter steht vor der Tür.“
Jetzt folgen einige Beispiele. Die Propheten sind ein Beispiel des Leidens und der Geduld. Man liebte sie und pries sie selig in ihren Leiden. Doch waren sie nicht die einzigen; auch noch andere befanden sich in Trübsalen und schätzten sich glücklich darin. Sehen wir zum Beispiel jemanden für den Namen Jesu ungerecht leiden, und er ist geduldig und gelinde, sein Herz ist seinen Verfolgern mehr zugeneigt, als gegen sie empört, so sind wir Zeugen der Macht des Glaubens und des Vertrauens auf die Liebe und Treue des Herrn. Ist ein solcher ruhig und voll Freude, so sagen wir: „Wie macht doch die Gnade diesen Menschen so glücklich!“ und wir selbst sind glücklich im Leiden, oder sollten es wenigstens sein. Es ist aber etwas ganz anderes, jemanden zu bewundern, der vom Geist Christi unterstützt wird, als sich der Trübsale zu rühmen, wenn man sich selbst darin befindet. Ein gebrochener Wille, Vertrauen auf Gott, die Gemeinschaft mit dem, der für uns gelitten hat – das muss in uns vorhanden sein, um uns der Leiden rühmen zu können.
Ein anderes Beispiel wird uns hier in Hiob vorgestellt, dies jedoch zu dem Zweck, um uns das Ende des Herrn zu zeigen, der voll innigen Mitgefühls und barmherzig ist. Gleichwohl ist das Beispiel überaus lehrreich. Hiob war ein „vollkommener und aufrichtiger Mann, welcher Gott fürchtete und sich fernhielt vom Bösen“ (Hiob 1,1). Allein er fing an, Gefallen an sich selbst zu haben; er tat Gutes und dachte an sein Gutestun; eine verborgene Selbstgerechtigkeit befleckte seine Frömmigkeit. Doch Gott Zieht seine Augen nicht ab von dem Gerechten (Hiob 36,7). Er sah die Gefahr Hiobs und richtete die Aufmerksamkeit Satans auf ihn. Gott machte den Anfang. Satan, der Verkläger der Heiligen, drängt darauf, dass Hiob angetastet werde. Gott gestattet ihm, ihn zu versuchen und ihm nach seinem Willen zu tun, setzt aber seiner Bosheit Grenzen. Satan geht jetzt soweit, als es ihm erlaubt ist, aber Hiob bleibt unterwürfig und sündigt nicht mit seinen Lippen (Kap 2,10). Satan verharrt in seinen Anklagen und dringt ans eine Verstärkung der Versuchungen: „Strecke deine Hand aus und taste an seine Gebeine und sein Fleisch, ob er dich nicht ins Angesicht lästern wird“ (Kap 2,5). Gott gibt ihn jetzt in seine Hand, nur soll er seines Lebens schonen. Doch Hiob blieb treu und sündigte nicht. Er hatte das Gute aus der Hand Gottes empfangen, wie sollte er das Böse nicht von Ihm annehmen? Sein Weib versuchte ihn vergeblich.
Durch die Gnade trug die Geduld Hiobs den Sieg über Satan davon; er vermochte ihn nicht zu erschüttern. Durch Gottes Gnade war die Kraft des Feindes überwunden. „Von dem Ausharren Hiobs habt ihr gehört.“ Allein das Werk Gottes zu seiner Segnung war noch nicht vollbracht. Gott hatte durch seine Gnade sein Herz wider den Feind gestärkt, und Hiob seine Treue an den Tag gelegt. Durch Satan, als Werkzeug in den Wegen Gottes, war mittels der Not, die er über Hiob brachte, vieles geschehen. Allein das Herz Hiobs war noch nicht erreicht; er kannte sich selbst nicht. Freilich war er praktischer Weise durch die Gnade Gottes von den Anklagen Satans gerechtfertigt; aber hätte es damit sein Bewenden gehabt, so wäre sein Zustand schlechter, oder wenigstens die Gefahr für ihn größer gewesen, als je zuvor. Er hätte sagen können: Ich war sanftmütig und gütig im Glück, und jetzt bin ich geduldig im Unglück. Gott musste notwendiger Weise sein Werk vollbringen und Hiob sein eigenes Herz kennen lernen. Die Freunde Hiobs besuchten ihn und setzten sich schweigend zu ihm, entsetzt über den Zustand, in welchem sie ihn fanden. Ach, wie oft erwacht der Stolz vor den Augen des Menschen, wenn er verletzt worden ist! Das Herz füllt sich mit Zorn; angesichts der Teilnahme wankt die Festigkeit. Alles, was im Grund des Herzens Hiobs verborgen gewesen war, zeigte sich jetzt in der Gegenwart seiner Freunde. Er verflucht den Tag seiner Geburt. Jetzt ist Hiob nackt, und zwar nicht nur vor Gott – denn das sind wir immer – sondern, was so überaus schmerzlich ist, auch vor seinen eigenen Augen. Wo ist jetzt seine liebreiche Wohltätigkeit? Er streitet mit Gott; er behauptet, gerechter zu sein als Gott. Dessen ungeachtet ist es schön zu sehen, dass im Grund seines Herzens gerechte und wahre Gefühle in Bezug auf Gott vorhanden sind. Gott wäre nicht wie ihr, wenn ich Ihm begegnen könnte, sagt er zu seinen Freunden; Er würde Worte in meinen Mund legen. Seine Freunde behaupten, diese Welt sei eine vollkommene Entfaltung der Regierung Gottes, und in Folge dessen müsse Hiobs Bekenntnis seiner Frömmigkeit nur Heuchelei sein. Diesem ungerechten Urteil widersetzt sich Hiob und besteht darauf, dass das Böse, wenn auch die Hand Gottes sich dann und wann offenbare, dennoch in dieser Welt seinen Lauf habe, ohne dass Gott sich damit beschäftige; denn die Gesetzlosen gedeihen. Doch Hiob macht der Bitterkeit seines Herzens Luft. Elihu straft ihn darüber, dass er sich für gerechter hatte als Gott; denn es bestehe wirklich eine Regierung Gottes über die Seinen, Er ziehe seine Augen nicht ab von den Gerechten und züchtige sie, weil Er sie liebe. Dann offenbart sich Gott und zeigt dem Hiob, wie töricht es ist, mit Ihm zu rechten. Hiob erkennt seine Schlechtigkeit und sein Nichts, und anstatt wie früher zu sagen: „Wenn das Auge mich sah, zeugte es von mir“ (Kap 29,11), sagt er jetzt: „Nun sieht dich mein Auge; darum verabscheue ich mich und bereue in Sack und Asche“ (Kap 42,5–6). Er sieht, was er vor Gott ist. Jetzt konnte Gott ihn segnen, und Er hat es mehr getan, wie im Anfang. Das ist das Ende des Herrn. Hiob hat in der größten Not und in den Prüfungen ausgeharrt; Gott hat sein Herz erforscht und ihn dann reichlich gesegnet (V 11).
Jakobus verfolgt jetzt den Gegenstand, welcher der eigentliche Zweck seiner Belehrungen ist. Er will nicht, dass der Wille wirke, noch auch, dass das Fleisch sich offenbare; er besteht darauf, dass die Bewegungen der Natur im Zaum gehalten werden und das Herz sich jenen Regungen der Ungeduld nicht überlasse, zu denen das fleischliche Herz nur zu sehr geneigt ist. Wenn man schwört, so lasst man diese Ungeduld des Herzens wirken. Man vergisst die Herrlichkeit und Majestät Gottes, wenn man Ihn durch das zügellose Fleisch einführt, um einer Behauptung Gültigkeit zu verschaffen, oder ein ohne Ehrerbietung ausgesprochenes Gelübde zu unterstützen; oder man setzt an Gottes statt irgendeine Kreatur, die man mit der Autorität und Macht bekleidet, welche Gott allein angehören. Einem solchen Verhalten liegt der nicht unterworfene Wille und die Zügellose Leidenschaft des Herzens zu Grund. In dem Gefühl seines Unvermögens, die Wirkung seiner Gedanken und Worte sicheren zu können, führt der Mensch Gott ohne Ehrfurcht ein, so wie ein Heide bei vorkommender Gelegenheit eine vergötterte Kreatur einführte. Es handelt sich hier nicht um die Lust, sondern um das Ungestüme des zügellosen Fleisches (vgl. Kol 3,8). Es ist der Mangel an Ehrerbietung, die Anmaßung und die Unabhängigkeit des menschlichen Geistes auf seinem Höhepunkt. Darum sagt Jakobus: „Vor allem aber schwört nicht ...“ Wir sollen in Ruhe und Gelassenheit mit Ja oder Nein das bestätigen, was wir zu sagen haben; ruhig in der Furcht Gottes. Es ist von höchster Wichtigkeit, dass wir die Regungen der Natur in Schranken halten. Wir würden es tun, wenn wir Gott stets vor Augen hätten. Gewiss werden wir es einem Menschen gegenüber tun, dem wir gefallen möchten. Gott aber ist stets gegenwärtig, und wenn wir es an dieser Ruhe und Mäßigung fehlen lassen, so beweisen wir, dass wir seine Gegenwart vergessen haben (Schluss folgt).