Botschafter des Heils in Christo 1879
Betrachtungen über den Brief des Jakobus - Teil 2/6
Der Apostel kehrt jetzt zu dem Charakter des neuen Menschen zurück, für den das Leben hienieden eine Prüfung ist. Er ist glücklich, wenn er die Versuchungen erduldet und sie mit Ausharren erträgt. Das ist der normale Zustand des Christen (1. Pet 4,12). Sein Pfad ist in der Wüste; hienieden das Ausharren, später die Herrlichkeit – das ist seine Berufung. Hienieden geprüft, bleibt er durch die Gnade treu und fest inmitten der Versuchungen und Prüfungen, und hernach wird er die Krone des Lebens erben, welche Gott verheißen hat denen, die ihn lieben. Ein Leben ohne Prüfungen ist kein Leben. Immerhin aber bleibt es wahr: derjenige, welcher bewährt ist, ist glückselig. Das Leben ist nicht hienieden; wir gehen durch die Wüste – wir sind auf dem Weg, nicht in der Ruhe; es ist nicht das in Christus verheißene Leben. Zur Entwicklung dieses Lebens ist es nötig, dass die Zuneigungen an die Krone und an die verheißenen Segnungen geknüpft sind. Wenn das Leben Christi in uns ist, so müssen wir geübt werden, damit einerseits das Herz von den Dingen, die uns umgeben und die Aufmerksamkeit des Fleisches beständig in Anspruch nehmen, sich losmache und andererseits der Wille diesen nicht nachgebe, und damit unser Herz, indem es den Lockungen der Eitelkeit widersteht, durch die Gnade auf dem Weg der Heiligkeit erhalten bleibe und in der Gemeinschaft mit Gott die himmlischen Dinge genieße. Die mit Ausharren erduldeten Prüfungen tragen viel zu diesem gesegneten Resultat bei. Es ist für die Seele ein unendlicher Gewinn, wenn das Herz von der Eitelkeit befreit ist. Ist die Welt öde und dürre für das Herz, so wendet es sich leichter zu den Quellen des lebendigen Wassers.
Das Wort „Versuchung“ hat jedoch noch einen anderen Sinn; zwar bedeutet es immer Prüfung, aber es bezieht sich auf eine andere Art von Prüfung, auf diejenige, welche von innen kommt – die Lust, und das ist etwas ganz anderes. Gott kann uns äußerlich prüfen, um uns zu segnen, und Er tut es, wie Er es in Bezug auf Abraham getan hat; aber in keiner Weise kann Er die Lust hervorbringen. Wenn nicht die Sünde in Frage steht, sondern der Gehorsam und das Ausharren auf die Probe gestellt werden, dann handelt es sich um den Zustand der Seele, um sie zurecht zu weisen und weiter zu führen; sobald aber vom Wecken der Lust gesprochen wird, kann man nicht sagen, dass Gott versuche, „denn Gott kann nicht versucht werden vom Bösen, und selbst versucht Er niemanden. Ein jeder aber wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust fortgezogen und gelockt wird“ (V 13–14). Selbst Christus ist während seines ganzen Lebens von Gott geprüft worden; aber nichts als Wohlgeruch hat sich verbreitet. Stets vollkommen im Gehorsam, hat Er, der gekommen war, um den Willen seines Vaters zu tun, gelernt, was es heißt, gehorsam sein in dieser Welt der Sünde und der Feinde Gottes. Satan hätte gewiss gewünscht, dass der eigene Wille in Ihm erwache, aber vergebens. Allerdings ist Er von dem Geist in die Wüste geführt worden, um von dem Teufel versucht zu werden, um ihn für uns zu besiegen, die wir durch die Sünde unter seiner Macht standen.
In Ihm war keine Lust; aber Er konnte hungrig sein, und Er war es. Die Stimme des Vaters hatte erklärt, dass Jesus der Sohn Gottes sei, und deshalb wollte Satan, dass Er die Stellung eines Dieners, die Er als Mensch eingenommen hatte, verlasse und seinen eigenen Willen tue: er forderte Ihn auf, aus Steinen Brot zu machen. Er wollte sich des Hungers bedienen, der ein sündloses Bedürfnis war und sich bei Christus als Mensch vorfand. Der Herr aber verharrte in seinem vollkommenen Gehorsam; Er hatte keinen anderen Beweggrund zum Handeln, als den Willen seines Vaters; Er wollte von den Worten leben, die aus dem Mund Gottes ausgehen. Er wurde von Gott durch Leiden geprüft, aber keine Lust ward in Ihm gefunden. Bei uns gibt es Versuchungen, die aus dem inneren Menschen hervorkommen, aus der Luft. Dies ist etwas ganz anderes, als die Prüfungen, welche von außen kommen, die den Zustand des Herzens erproben und den eigenen Willen ans Licht stellen, wenn wir dem Willen Gottes nicht völlig unterworfen sind, wenn andere Beweggründe als der Wille Gottes allein unsere Herzen in Tätigkeit setzen.
Jakobus ist immer praktisch; doch geht er nicht bis auf den Grund von allem, was im Herzen ist, wie Paulus es tut. Er betrachtet die Lust als die Quelle, welche die Tatsünde hervorbringt. Paulus zeigt, dass die Sünde in unserer Natur die Quelle der Lust ist. Dies ist ein wichtiger Unterschied, der zugleich die Verschiedenheit der beiden Schreiber, sowie den Zweck des Heiligen Geistes in der Brief des Jakobus kennzeichnet. Dieser Brief stellt den äußeren und praktischen Wandel als den Beweis des Charakters des Lebens hin, das seinen Ursprung im Wort Gottes hat, welches durch den Glauben wirkt. Nach Jakobus gebiert die Luft – diese erste Regung der sündigen Natur, die den Charakter derselben aufdeckt – nachdem sie empfangen hat, die Sünde; und die Sünde, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod. Das ist die Geschichte der Tätigkeit der schlechten Natur. Jakobus beschäftigt sich mit ihrer Wirkung. Paulus mit ihrer Quelle, damit wir uns selbst kennen lernen (Röm 8,8). Im Gegensatz zu dieser Lust gibt uns Jakobus, indem er die Tätigkeit Gottes zur Hervorbringung des Guten, und nicht um uns zu versuchen, zeigt, zu verstehen, dass „alle gute Gabe und alles vollkommene Geschenk von oben herabkommt, von dem Vater der Lichter, bei welchem keine Veränderung ist, noch Schatten von Wechsel. Nach seinem eigenen Willen hat Er uns (die Gläubigen) gezeugt durch das Wort der Wahrheit, auf dass wir eine gewisse Erstlingsfrucht seiner Geschöpfe seien“ (V 17–18). Er erkennt, wie schon gesagt, die Gnade an als die einzige und göttliche Quelle des Guten, das in uns ist – in uns als solchen, die von Gott geboren sind, und zwar durch den Glauben, weil es durch das Wort der Wahrheit geschehen ist. Durch dieses Wort sind wir wiedergezeugt; es ist ein neues Leben, hervorgebracht durch den Willen Gottes. Wir gehören der neuen Schöpfung an und sind die Erstlingsfrucht derselben. Welch eine unendliche Segnung! Sie hängt nicht nur von einer neuen Stellung ab, obwohl dieses der Fall ist, sondern von einer neuen Natur, die uns fähig macht, Gott zu genießen.
Jakobus spricht nicht von der Gerechtigkeit durch die Gnade, wohl aber von einer ganz neuen Natur, welche von Gott kommt. Da nun der eigene Wille gebrochen und das Vertrauen auf sich selbst zerstört ist, so ermahnt er, dass wir, als solche, die alles durch die Gnade empfangen, schneller bereit seien, zu hören als zu reden, und langsam zum Zorn, weil der letztere mir die Ungeduld des alten Menschen ist. „Denn eines Mannes Zorn wirkt nicht die Gerechtigkeit Gottes“ (V 20). Der von Gott unterwiesene Mensch ist Ihm unterworfen. Er trennt sich von allen Formen des Bösen und allem Übermaß von Schlechtigkeit; er empfängt mit Sanftmut das eingepflanzte Wort. Beachtenswerter Ausspruch! Der Wille des Fleisches ist nicht wirksam in ihm, noch auch der eigene Wille; er hört auf das, was Gott sagt, er empfängt mit Sanftmut sein Wort und unterwirft sich demselben; dann pflanzt Gott dieses Wort in sein Herz. Es ist nicht einfach die Erkenntnis, sondern es ist die Wahrheit Gottes, es ist sein Wort, welches die Seele zu erretten vermag; es ist der Same des göttlichen Lebens und bildet dasselbe. Das Wort, welches heiligt, ist in ihn eingepflanzt; die Pflanze ist durch Gott hervorgebracht; es ist der neue Mensch, welcher die von Gott gewollte Frucht bringt. Allein es ist nötig, dass dieses sich im Praktischen beweise, dass der Mensch Täter und nicht nur Hörer des Wortes sei, sonst ist keine Wirklichkeit mehr vorhanden; er gleicht einem Menschen, der sich in einem Spiegel betrachtet, und bei dem alles verschwunden und vergessen ist, sobald er sich wieder entfernt hat. Wer aber in das vollkommene Gesetz, das der Freiheit, nahe hineingeschaut hat und darinnen bleibt, ist nicht ein vergesslicher Hörer, sondern ein Täter des Werkes und wird glückselig sein in seinem Tun (V 25). Hier finden wir einen wichtigen Ausdruck: „das Gesetz der Freiheit.“ Wenn ich meinem Knaben, der gerne irgendwo hingehen möchte, sage, er solle zu Haus bleiben, so mag er gehorchen; aber das ist kein Gesetz der Freiheit; es hält nur seinen Willen im Zügel. Wenn ich ihm aber sage: „Gehe hin“, so gehorcht er; aber dann ist es ein Gesetz der Freiheit, denn sein Wille und das Gesetz sind mit einander in völliger Übereinstimmung. Für Jesus war der Wille Gottes ein Gesetz der Freiheit. Er kam, um den Willen seines Vaters zu tun, und Er suchte nichts anderes. Glückseliger Zustand! In Ihm war die Vollkommenheit; für uns ist Er ein gesegnetes Vorbild. Das Gesetz ist ein Gesetz der Freiheit, wenn der Wandel zeigte, dass der Wille, dass das Herz und seine Wünsche vollkommen mit diesem Gesetz übereinstimmen. In unserem Fall ist es das von Gott auferlegte und in unsere Herzen geschriebene Gesetz. Es verhält sich mit dem neuen Menschen ebenso, wie mit dem Herzen Christi; er liebt den Gehorsam, er liebt den Willen Gottes, weil es sein Wille ist, und weil seine Natur (denn er ist der göttlichen Natur teilhaftig) dem entspricht, was Gottes Wille ausdrückt; er liebt das, was Gott wirklich will.
Es gibt aber etwas, das mehr als alles andere offenbart, was in unseren Herzen ist: nämlich die Zunge. Wer seine Zunge zu zügeln vermag, der ist ein vollkommener Mann und kann auch seinen ganzen Leib Zügeln. Wenn jemand vorgibt, religiös zu sein, und halt seine Zunge nicht im Zaum, so ist seine Religion nur ein eitler Schein, er betrügt sein eigenes Herz. Die wahre Religion zeigt sich durch die Liebe im Herzen, sowie durch die Reinheit, indem man sich unbefleckt von der Welt erhält. Sie denkt an andere, an die, welche in Bedrängnis sind, welche des Schutzes, der Pflege und der Stütze der Liebe bedürfen, wie die Waisen und die Witwen. Das wirklich religiöse und mit der Liebe Gottes erfüllte Herz denkt wie Gott, denn Er ist es, welcher Teilnahme für das Elend, die Schwachheit und die Bedürfnisse in demselben wirkt. Das ist der wahrhaft christliche Charakter.
Das zweite Kennzeichen, das Jakobus bezüglich des christlichen Lebens anführt, ist, „sich selbst von der Welt unbefleckt zu erhalten.“ Die Welt ist verdorben; sie liegt im Bösen, sie hat den Heiland, d. h. Gott in Gnade gekommen, verworfen. Dass der Mensch aus dem Garten Eden vertrieben ward, weil er gesündigt hatte, ist nicht alles, wiewohl es wahr und für seine Verdammnis hinreichend ist. Aber es gibt noch mehr. Gott hat vieles getan, um den Menschen zurückzuführen. Er hat dem Abraham die Verheißungen gegeben; Er hat Israel gerufen, um sein Volk zu sein. Er hat die Propheten und zuletzt seinen eingeborenen Sohn gesandt. Gott selbst ist in Gnade gekommen, aber der Mensch hat Ihn, der in Gnade in dieser Welt war, von sich gestoßen und weggetrieben. Deswegen sagte der Herr: „Jetzt ist das Gericht der Welt.“ Das letzte, was Gott tun konnte, war die Sendung seines Sohnes, und Er hat Ihn gesandt. „Ich habe noch“, sagt Er, „meinen Sohn, meinen geliebten; sie werben sich vor meinem Sohn scheuen; aber sie nahmen Ihn, warfen Ihn zum Weinberg hinaus und töteten Ihn.“ Die Welt ist eine Welt, die den Sohn Gottes schon verworfen hat. Und woran findet sie ihre Freude? An Gott oder an Christus? Keineswegs, sondern an den Vergnügungen des Fleisches, an der äußeren Ehre, dem Ansehen und den Reichtümern; sie sucht, ohne Gott glücklich zu werden, damit kein Gedanke an Ihn sie beunruhige. Sie hätte nicht nötig, so sehr nach dem Glück in den Vergnügungen zu jagen, wenn sie glücklich wäre. Obwohl Gott den Menschen mit einem Odem des Lebens für sich gebildet hat, so kann derselbe doch nicht sein Genüge in Ihm finden. Man lese die Geschichte Kains: „Und Kain ging weg von dem Angesicht Jehovas und wohnte im Land Nod“ (Nod ist dasselbe Wort wie flüchtig in 1. Mose 4,16). Weil er an der Gnade verzweifelte und sich nicht demütigen wollte, so wurde er von dem Angesicht Jehovas vertrieben. Durch das Gericht Gottes war er flüchtig auf der Erde. Doch eine solche Stellung gefiel ihm nicht. Da, wo Gott ihn unstet gemacht hatte, erbaute er eine Stadt und nannte sie nach dem Namen seines Sohnes Hanoch, um die Größe seiner Familie zu verewigen. Jedoch wäre es unerträglich gewesen, wenn seine Stadt all der Vergnügungen des Lebens entbehrt hätte. Er häufte deshalb für seinen Sohn Jabal Reichtümer an. Ein Glied seiner Familie, Jubal, erfand die Musikinstrumente, ein anderes, Tubalkain, war ein Hämmerer von allerlei Werkzeug aus Erz und Eisen (1. Mo 4,17 ff).
Das ist die Welt und ihre ganze Zivilisation. Wenn man Gott nicht hat, so muss man die Welt lieblich und anziehend machen. Man wird vielleicht fragen: Was gibt es denn Böses an Lauten und Pfeifen? Gewiss nichts; das Böse ist im menschlichen Herzen, welches sich dieser Dinge bedient, um sich ohne Gott zu freuen, um Ihn zu vergessen, Ihn zu meiden, um Befriedigung in einer Welt der Sünde zu suchen, um in seiner Stellung der Entfernung von Gott sein Elend nicht zu fühlen, um sich selbst in dem Verderben, das in der Welt herrscht, zu verbergen. Aber der neue, aus Gott geborene Mensch, Teilhaber der göttlichen Natur, kann seine Befriedigung nicht in der Welt finden; er flieht das, was ihn von Gott entfernt. Da, wo das Fleisch sich freut und seine Ergötzung findet, kann das geistliche Leben sie nicht finden. Jakobus spricht von dem Verderben selbst, doch nicht so, als wäre ein Teil der Welt verdorben, der Andere aber rein. Das Verderben ist in der Welt, und der Christ soll sich unbefleckt von derselben erhalten. Die Welt ist nicht rein; sie ist im Gegenteil unrein und verdorben, sowohl in ihren Grundsätzen als auch in jeder anderen Hinsicht. Wer sich ihr gleichstellt, dessen Weg ist verdorben; die Freundschaft der Welt ist Feindschaft wider Gott, und wer ein Freund der Welt ist, ist ein Feind Gottes; man soll sich von der Welt unbefleckt erhalten. Wohl müssen wir durch die Welt gehen; und indem wir dieses tun, sollen wir ein Brief Christi unter den Menschen sein. Wir sollen rein sein von der Welt, die uns umgibt, gleich wie Christus rein war inmitten der Welt, die Ihn nicht aufnehmen wollte (Fortsetzung folgt).