Die Offenbarung Jesu Christi
Der geschichtliche Charakter der Versammlungen
Lasst uns nun einmal stille stehen, um die bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen der Kirchengeschichte und dem Zustand dieser Versammlungen in Reihenfolge der Sendschreiben nachzuvollziehen. Wie Paulus bereits vorausgesagt hatte, begann der Verfall recht bald. Als das Buch der Offenbarung verfasst wurde, war die erste Liebe bereits abgekühlt und der Keim des Bösen war bereits in die Lehre und in den moralischen Bereich eingedrungen. Dennoch widerstand man eine gewisse Zeit lang böser Lehre und Praxis und es gab großen Eifer und Tatendrang bei der Arbeit. Das ist der Zustand, wie er in Ephesus beschrieben wird.
Danach folgte eine Ära grausamer und blutiger Verfolgungen, die in Abständen über zwei Jahrhunderte lang immer wieder ausbrachen. In dieser Zeit wurden Liebe und Hingabe angefacht und es wird von Märtyrern, die für den Namen Christi litten, berichtet. Das ist die kirchengeschichtliche Periode, die durch die Versammlung in Smyrna repräsentiert wird.
Nach dieser Zeit fand eine fatale Veränderung statt. Die Welt verfolgte die Kirche nicht länger, sondern wurde ihr Schirmherr. Die Kirche, die keine Gefahr vermutete, ließ sich unter ihrem Schutz nieder, „wo der Thron des Satans ist“ und Kälte und Verfall setzten schnell ein. Männer voller Hingabe, wie Athanasius, traten als Verfechter der Wahrheit auf, die Kirche im Allgemeinen wurde jedoch weltlich und nachlässig, sie tolerierte falsche Lehren und böse Praktiken, wie sie hier den Nikolaiten zugeschrieben werden. Diese dritte Periode der Kirchengeschichte wird im Schreiben an Pergamus geschildert.
Bis zu dieser Zeit war in der Kirche, obwohl sie bereits verdorben war, zumindest noch so viel Wahrheit und Treue zu finden, dass Gott sie noch anerkennen konnte, weshalb die Ermahnung zu hören nach wie vor an die ganze bekennende Körperschaft gerichtet wird. Das ist hiernach nicht mehr möglich, wie das nächste Stadium der Kirche in der westlichen Christenheit zeigt. Diese ist nun vollständig in Weltlichkeit und Götzendienst verstrickt und beginnt, die Herrschaft über die Könige der Erde zu beanspruchen. Das anmaßende und verbrecherische Verhalten Roms, der geheimnisvollen Jesabel, kennt keine Grenzen. Und doch gab es noch treue Männer, aufrichtige Boten des Glaubens. Die Kirche als System war jedoch bis ins Innerste verdorben, Christus gegenüber falsch, vollständig weltlichen Zielen und götzendienerischen Praktiken hingegeben. In diesem allgemeinen Niedergang gab es jedoch immer Einzelne und kleine Gemeinschaften, die Christus treu waren, oft von der Welt unbemerkt. Wenn es jedoch gesehen wurde, nahm man in der Regel durch die grausamen Verfolgungen, die sie ertragen mussten, Notiz von ihnen. Der Herr hatte jedoch ein Auge auf sie. In ihren Leiden ermuntert Er sie und richtet sie auf. Das sind die „Übrigen, die in Thyatira sind“. Der böse Zustand der Versammlung als Ganze dauerte von der Übernahme weltlicher Macht durch Rom bis zur Reformation und ist im Prinzip heute, zwar durch die Ereignisse etwas verändert, dennoch der gleiche. Diese Periode der Kirchengeschichte wird durch das Schreiben an Thyatira vorgeschattet.
Das ist die allgemeine Entwicklung in der Kirchengeschichte vom Verlassen der ersten Liebe, wie in Ephesus, bis zu den letzten Tagen der Kirche auf der Erde. Neben dem Strom der breiten Masse gibt es jedoch noch Seitenarme, die sich von diesem unterscheiden und parallel bis zum Ende mitfließen. Die wichtigsten werden in den folgenden drei Briefen behandelt. Da diese vier Perioden bis zum Kommen des Herrn fortbestehen werden, wird dieses Ereignis auch in den vier letzten Schreiben erwähnt, nicht aber in den ersten drei. Nachdem der Verfall Roms unerträglich geworden war, gab es die protestantische Reformation um, wenigstens teilweise, die größten Übel zu beseitigen und eine größere Reinheit in Lehre und Gottesdient einzuführen. Leider verfiel die Kirche nach der ersten Phase des Eifers schnell in Weltlichkeit und Starrheit, und, obwohl nach außen hin keine offenkundige Schlechtigkeit festzustellen war, war sie doch herzlos und tot geworden. Von dieser Periode zeichnet das Schreiben an Sardes ein sehr getreues Abbild.
In dieser totalen Apathie hat der Herr doch immer wieder ein paar wenige Schwache erweckt, deren Herzen in Gehorsam und Treue Ihm zugeneigt sind. Diese werden durch die Kirche in Philadelphia repräsentiert.
Seite an Seite mit dieser ist der selbstzufriedene religiöse Tatendrang, der mit großen Erfolgen prahlt und gleichzeitig Christus gegenüber kalt und gleichgültig ist. Diese letzte Periode finden wir im Schreiben an Laodizäa.
Es ist ein sehr ernstes Bild, und genauso wahr, wie es ernst ist. Es ist sicherlich ein zutiefst bedeutende Frage an uns: Zu welcher dieser vier letzten Perioden der bekennenden Kirche gehören wir?