Die Offenbarung Jesu Christi
Philadelphia
„Und dem Engel der Versammlung in Philadelphia schreibe: Dieses sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der den Schlüssel [des] David hat, der öffnet, und niemand wird schließen, und schließt, und niemand öffnet: (V. 7)
Der Herr stellt sich dieser Versammlung nicht in dem gleichen richterlichen Charakter vor, wie in den vorangegangenen Sendschreiben in Offenbarung 2 und Offenbarung 3. Er ist der Heilige und der Wahrhaftige, aber auch der Messias mit dem Schlüssel des David. Es scheint, als ob es hier nicht um die Frage geht, inwiefern die Versammlung seinen Forderungen als Richter entsprochen hat, sondern wie weit sie mit den Ansprüchen seines Herzens und seiner Natur im Einklang steht. Der Gläubige wird jetzt aufgefordert, den neuen Menschen anzuziehen, „der nach Gott geschaffen ist in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph 4,24). Heiligkeit und Wahrheit sind also Züge, die dem Herzen des Herrn selbst entsprechen. Daher offenbart Er sich hier als „der Heilige und der Wahrhaftige“ (V. 7a).
Aber da ist noch ein anderer Charakterzug, in dem Er sich zeigt. Dieser passt zu der Schwachheit, in der die Versammlung hier gesehen wird. Er ist Der, dem alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist: „Der den Schlüssel des David hat, der da öffnet, und niemand wird schließen, und schließt, und niemand öffnet.“ (V. 7b). Er übt zwar seine Macht noch nicht als weltliche Regierungsgewalt aus, aber da Er „sowohl zum Herrn als auch zum Christus gemacht ist“, gebraucht Er seine Verfügungsgewalt zugunsten der schwachen Gläubigen in Philadelphia, um Hindernisse aus ihrem Weg zu räumen.
„Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe eine geöffnete Tür vor dir gegeben, die niemand zu schließen vermag; denn du hast eine kleine Kraft, und du hast mein Wort bewahrt und meinen Namen nicht verleugnet.“ (V. 8)
Wir finden hier in Philadelphia große Schwachheit. Aber der Herr selbst schenkt ihnen eine geöffnete Tür, so dass sich ihrer kleinen Kraft keine Hindernisse entgegenstellen können. Philadelphia hat äußerlich nicht viel aufzuweisen. Dafür aber dieses: „Du hast mein Wort bewahrt und meinen Namen nicht verleugnet.“ (V. 8b). Von Pergamus heißt es: „Du hältst fest an meinem Namen und hast meinen Glauben nicht verleugnet.“ (2,13). Hinsichtlich des Namens des Herrn Jesus waren beide treu. Aber in der anderen Sache sind sie sich nicht so ähnlich. Pergamus hat den Glauben Christi nicht verleugnet. Das ist wohl etwas Positives, aber doch viel weniger, als was von Philadelphia gesagt wird, dass es sein Wort bewahrt hat. Den Glauben Christi nicht zu verleugnen heißt, auf christlichem Grund zu bleiben; aber sein Wort zu bewahren, ist der Prüfstein der Liebe und die Bedingung für Gemeinschaft (Joh 14,23). Das Wort ist zudem das, was reinigt und heiligt (Joh 15,3; 17,17). Diese Treue zu seinem Wort passt deshalb zu den Eigenschaften, nach denen Christus, „der Heilige und der Wahrhaftige“ Ausschau hält.
Philadelphia ist also durch das Nichtverleugnen des Namens des Herrn Jesus und durch den Gehorsam zu seinem Wort, der der Liebe entspringt und die Gemeinschaft sicherstellt, gekennzeichnet.
Hier steht Philadelphia im Gegensatz zu Ephesus, das sich in allen äußeren Dingen auszeichnete. Werke waren im Überfluss vorhanden, aber es fehlte die Liebe. Bei Philadelphia fehlte das, was äußerlich beeindruckte. Keine besonderen Werke, dafür aber viel Liebe zum Herrn. Darüber konnte sich der Herr, der sich nicht nur über die Werke, sondern über die Zuneigungen seines Volkes freut, lobend äußern. Zweifellos wird es da, wo es Liebe gibt, auch „Bemühung der Liebe“ wie in Thessalonich geben. Was der Herr jedoch besonders wertschätzt, sind die Beweggründe.
Während also die großen Werke in Ephesus durch die zunehmende Erkaltung ihrer Liebe in seinem Urteil abgewertet wurden, gewannen die schwachen Werke von Philadelphia durch die wahre Zuneigung, der sie entsprangen, die Wertschätzung seines Herzens. Nur dieser Versammlung erscheint Er als Der, der ihre Mühen teilt und ihr, wegen ihrer kleinen Kraft, eine Tür offenhält.Es gibt noch ein weiteres Merkmal in dieser Versammlung. In Ephesus und Smyrna sehen wir eine Energie, die das Böse richtet. Aber in den darauffolgenden drei verschwindet dies. Pergamus duldet Böses; Thyatira führt es ein; Sardes ist ihm gegenüber tot. Aber in Philadelphia, wo eine kleine Kraft ist, gibt es wenigstens eine moralische Ablehnung des Bösen, die der Herr anerkennt.
„Siehe, ich gebe aus der Synagoge des Satans von denen, die sagen, sie seien Juden, und sind es nicht, sondern lügen; siehe, ich werde sie zwingen, dass sie kommen und sich niederwerfen werden vor deinen Füßen und erkennen, dass ich dich geliebt habe.“ (V. 9)
Die Synagoge des Satans bezeichnet die Rückkehr zu jüdischen Grundsätzen im Christentum. Dadurch wurden Menschen unter Gesetz gestellt und die Priesterherrschaft sowie ein Zeremoniell wieder eingeführt, das zu einer irdischen Religion wie dem Judentum passte, aber im Christentum mit seinem himmlischen Charakter völlig fehl am Platz ist. Dieser Versuch, neuen Wein in alte Schläuche zu tun, wird vom Apostel Paulus als zerstörend für die Wahrheit, die ihm zur Verwaltung anvertraut worden ist, bezeichnet.
Hier finden wir nicht die Gefahr des Götzendienstes wie in Pergamus und Thyatira, denn da, wo man geistlich gesinnt ist wie in Smyrna und Philadelphia, sind solche Schlingen Satans zu offensichtlich. Hier versucht er es mit raffinierteren Methoden. Dieses nachgemachte Judentum war trügerischer, aber ebenso verderblich. Es hat sich immer als eine furchtbare Gefahr für das Christentum erwiesen. Das war es, was Satan hier einzuführen suchte. Doch das Böse wurde von den treuen Gläubigen in Philadelphia klar erkannt.
Sie sahen es nicht nur, sondern widerstanden ihm auch. Damals schien es, als sei es zu stark für sie. Aber es wird ihnen versichert, dass sich bald alles ändern werde. Die verachteten Verteidiger des Wortes des Herrn sollten gerechtfertigt und die erfolgreichen Verderber der Wahrheit gedemütigt werden. „In dem Namen Jesu wird sich jedes Knie beugen“ (Phil 2,10), und wenn Er kommt, wird sein Volk mit Ihm kommen. Dann werden die Unterdrücker der Wahrheit gezwungen werden, sich vor denen zu beugen, die sie ungeachtet ihres Widerstandes treu festgehalten haben, und anerkennen, dass Christus diese geliebt hat.qDieser letzte Ausdruck hier ist sehr schön. Er steht in Übereinstimmung mit diesem Sendschreiben und im Kontrast zu den andern. Dort wird der Herr Jesus als Richter gesehen, und der Ausdruck seiner Zuneigung würde unpassend sein, denn was hat ein Richter mit Liebe zu tun? Hier hingegen sehen wir Ihn, wie Er seine richterlichen Kleider ablegt und sich mit seinem schwachen Volk eins macht. Er handelt persönlich, nicht in seinen offiziellen Eigenschaften mit ihnen, hält eine Tür für sie offen, stärkt ihren Glauben durch die Zusicherung des Sieges und sagt ihnen schließlich, dass Er vor ihren Widersachern bezeugen werde, wie sehr Er sie liebe. Wenn auch der allgemeine Charakter dieses Buches ein richterlicher ist, so finden wir in dieser Aussage doch etwas sehr Ermunterndes. Sie gleicht einem grünen Baum in der Wüste.
„Weil du das Wort meines Ausharrens bewahrt hast, werde auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen°, die auf der Erde wohnen.“ (V. 10)
Hier finden wir eine besondere Verheißung, die der Versammlung in Philadelphia gemacht wird. Was sollen wir unter dem „Wort des Ausharrens des Christus“ verstehen? Paulus betete: „Der Herr aber richte eure Herzen zu der Liebe Gottes und zu dem Ausharren des Christus!“ (2. Thes. 3,5). Das Ausharren des Christus steht im Gegensatz zu seiner Macht. Er wird herrschen, aber seine Herrschaft hat noch nicht begonnen. Bis jetzt wartet Er immer noch auf das Königtum. Der Gläubige wird aufgefordert, mit Ihm zu warten und so sein Ausharren zu teilen. Dies taten die Gläubigen in Philadelphia, und dafür empfingen sie sein Lob.
Ihre Belohnung war die Bewahrung „vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, die auf der Erde wohnen“. Die Schrift sagt eine Zeit voraus, in der „große Drangsal sein wird, wie sie seit Anfang der Welt bis jetzt nicht gewesen ist und auch nicht wieder sein wird“ (Mt. 24,21). In jener Zeit wird das Volk Daniels, die Juden, „errettet werden, ein jeder, der im Buch geschrieben gefunden wird“ (Dan 12,1). Jeremia sagt: „Wehe! denn groß ist jener Tag, ohnegleichen, und es ist eine Zeit der Drangsal für Jakob! Doch wird er aus ihr gerettet werden“ (Jer 30,7).
Die Nöte und Heimsuchungen jenes Tages werden jedoch nicht auf Jakob begrenzt sein, denn der Herr fügt hinzu, dass Er „den Garaus machen werde allen Nationen, wohin ich dich zerstreut habe“ (Jer 30, 11). Neben dieser Periode, in der die Not ihren schrecklichen Höhepunkt erreicht, gibt es vorbereitende Trübsale, die als Anfang der Wehen bezeichnet werden. Dabei „wird sich Nation gegen Nation erheben und Königreich gegen Königreich, und Hungersnöte und Seuchen und Erdbeben werden an verschiedenen Orten sein“ (Mt 24,7). Alle diese Ereignisse sind in der Stunde der Versuchung enthalten. Diese Zeit wird auch von einer besonderen Machtentfaltung des Bösen geprägt sein. Satan wird durch seine Agenten wirken „in aller Macht und allen Zeichen und Wundern der Lüge und in allem Betrug der Ungerechtigkeit“ (2. Thes 2,9.10). Das wird „die Stunde der Versuchung sein, die über den ganzen Erdkreis kommen wird“.
Es gibt zwei Klassen von Menschen, deren Errettung in Verbindung mit dieser Stunde genannt wird. Das Volk Daniels, jeder, „der im Buch geschrieben gefunden wird“, wird aus ihr herausgerettet werden. Der gottesfürchtige Überrest der Juden wird durch den „Schmelzofen des Elends“ gehen müssen und dort „geläutert“ und „geprüft“ werden (Jes 48,10). Schließlich wird er durch den Sohn des Menschen gerettet werden, der „auf den Wolken des Himmels mit Macht und großer Herrlichkeit“ kommen wird (Mt 24,30).
Der Gläubige des gegenwärtigen Zeitalters hingegen wird nie in diese „Stunde der Versuchung“ kommen. Er erwartet nicht, „den Sohn des Menschen kommen zu sehen auf den Wolken des Himmels mit Macht und großer Herrlichkeit“, sondern er wartet darauf, entrückt zu werden „dem Herrn entgegen in die Luft“ (1. Thes 4,17). Wenn Christus kommt, um sein irdisches Volk zu befreien, werden die himmlischen Heiligen Ihn begleiten. Das wird am Ende der „Stunde der Versuchung“ geschehen. Sie werden zum Herrn entrückt werden, bevor jene Stunde beginnt, und dadurch vor namenlosem Elend und Schrecken bewahrt werden.Dann folgt die Verheißung der baldigen Wiederkehr des Herrn.
„Ich komme bald; halte fest, was du hast, damit niemand deine Krone nehme!“ (V. 11).
Dieser Vers hat schon manche ängstliche Seele beunruhigt, weil sie annahm, diese Stelle zeige, dass jemand seine Stellung in Christus verlieren könne. Aber die Krone ist eine Belohnung, und es besteht ein großer Unterschied zwischen dem Verlust einer Belohnung und dem Verlust des ewigen Lebens. Überdies behandelt das Buch der Offenbarung nicht die Frage des Lebens, sondern die des Bekenntnisses. Die Schrift nimmt niemals an, jemand sei gerettet, weil er ein Bekenntnis abgelegt hat. Die Zukunft muss es ans Licht bringen. Denn es gibt Menschen, die ein christliches Bekenntnis haben, sogar einen christlichen Lebenswandel führen und doch kein Leben aus Gott besitzen. Der 11. Vers will also in keiner Weise die Sicherheit des Gläubigen in Christus abschwächen. Er warnt jedoch vor einem Missbrauch der Lehre über die ewige Sicherheit des Gläubigen und vor einem nachlässigen Wandel.
„Wer überwindet, den werde ich zu einer Säule machen in dem Tempel meines Gottes, und er wird nie mehr hinausgehen; und ich werde auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen der Stadt meines Gottes, des neuen Jerusalem, das aus dem Himmel herabkommt von meinem Gott, und meinen neuen Namen. Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt!“ (V. 12+13)
Die häufige Wiederholung der Worte „mein Gott“ in der Verheißung für den Überwinder hebt die Beziehung zwischen Christus und dem Gläubigen besonders hervor. Als der Herr Jesus nach der Auferstehung seinen Brüdern die gleiche Stellung geben wollte, die Er selbst einnahm, ließ Er ihnen sagen: „Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, und zu meinem Gott und eurem Gott“ (Joh 20,17). Und der Schreiber des Hebräerbriefes spricht ebenfalls von der familiären Beziehung zwischen Christus und den Seinen und zitiert dann die Worte Christi, die von seinem Vertrauen auf Gott reden: „Denn sowohl der, der heiligt, als auch die, die geheiligt werden, sind alle von einem; um welcher Ursache willen er sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen, indem er spricht: ...,Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen´“ (Heb 2,11–13).
Als Paulus betete, dass der Gläubige die Kraft Gottes kennenlernen möge, die sowohl an ihm als auch in der Auferweckung des Herrn Jesus wirkte, richtete er sich an „den Gott unseres Herrn Jesus Christus“ (Eph 1,17). Das besondere Gewicht, das hier den Worten „mein Gott“ gegeben wird, weist auf die Menschheit des Herrn Jesus und seine Einsmachung mit diesen Gläubigen hin, dass „er sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen“.
Welch eine Fülle und welch ein Segen enthält diese Verheißung! Der Gläubige, der hier verachtet und schwach ist, wird im Tempel Gottes die Stellung einer Säule einnehmen, was ein Bild von Kraft ist. Heiligkeit und Wahrheit haben ihn hier gekennzeichnet. Deshalb wird er an dem Ort wohnen, dem „Heiligkeit geziemt“ (Ps 93,5) und „wird nie mehr hinausgehen“. Die besondere Nähe und Weihe gegenüber Gott kommt darin zum Ausdruck, dass der Herr den Namen seines Gottes auf ihn schreibt.
Weiter wird der Gläubige mit den himmlischen Dingen identifiziert, mit dem neuen Jerusalem, dessen Name er ebenfalls trägt. In den Tagen der Herrschaft Christi über die Erde wird es solche geben, die dadurch besonders ausgezeichnet werden, dass sie in Jerusalem geboren sind. „Und von Zion wird gesagt werden: Der und der ist darin geboren“ (Ps 87,5). Der Überwinder in Philadelphia wird aber nicht den Namen des irdischen Zion tragen, so erhaben dieser auch ist, sondern den Namen des neuen Jerusalem, „der Stadt meines Gottes“, das aus dem Himmel hernieder kommt. „Und meinen neuen Namen.“ Den Namen auf eine Person zu schreiben bedeutet, dass sie einem gehört, dass man sie adoptiert hat. Damit wird hier das besondere Interesse angedeutet, das der Herr Jesus und Gott an den treuen Gläubigen in Philadelphia haben, also an solchen, die das Wort des Christus bewahrt und seinen Namen nicht verleugnet haben.