Die Offenbarung Jesu Christi
Sardis
„Und dem Engel der Versammlung in Sardes schreibe: Dieses sagt der, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne. Ich kenne deine Werke, dass du den Namen hast, dass du lebst, und du bist tot“ (V. 1).
Der Heilige Geist wird in diesem Buch in seiner vielfältigen Wirkungsweise als die „sieben Geister Gottes“ in Verbindung mit dem Thron gesehen und nicht als die Einheit, die den Leib Christi bildet. Er ist hier derjenige, durch den Christus als Herr seine Herrschaft über die Versammlungen ausübt. Christus hat auch die sieben Sterne. Sie gehören Ihm, sind in seiner rechten Hand, obwohl das nicht mehr, wie bei Ephesus, erwähnt wird, denn der Mensch hat diese an sich gerissen.
Wie traurig ist doch der Zustand der Versammlung in Sardes. Es wird zwar hier kein großes Übel und Verderben gefunden wie in Thyatira, aber zum ersten Mal findet der Herr nichts Lobenswertes. Er beginnt mit Tadel und ihr Zustand kann mit einem Wort beschrieben werden – totes Bekenntnis, einen Namen zu haben, dass sie leben und sie sind doch tot. Es war kein anstößig Böses dort, sondern es hatte ein schleichender Tod stattgefunden. Die Form wurde gewahrt, das Herz war jedoch nicht mehr dabei. Sie hatten Christus dem Namen nach, handelten jedoch ohne Ihn, sie hatten ein einwandfreies Glaubensbekenntnis, ein respektables Verhalten, aber kein Leben mehr. Wie kann es dem Herrn gefallen, der nach Liebe in der Versammlung sucht, wenn sie eine gesunde Lehre haben und anständiges Verhalten nach außen hin zeigen, wenn aber die Zuneigung nicht nur geringer wird, sondern sogar ganz verschwunden ist, wenn sie seinen Namen haben, sein Wort lesen, seine Wahrheit besitzen und Ihn vergessen? Das war der Zustand in Sardes. Sie waren ein Teil der Welt geworden, unfruchtbar und leblos für Gott.
Zweifellos gab es auch Ausnahmen, in denen noch ein wenig Leben vorhanden war. Deshalb sagt Er:
„Sei wachsam und stärke das Übrige, das sterben will; denn ich habe deine Werke nicht für vollkommen befunden vor meinem Gott“ (V. 2).
Was für ein Bild! Der größte Teil ist tot, und der Rest ist kurz vorm Sterben. Es heißt nicht, dass ihre Werke schlecht sind, sondern dass sie nicht „vollkommen“, nicht vollständig, sind. Sie hatten plötzlich aufgehört. Sie hatten gute Absichten gehabt, waren jedoch nachlässig geworden und hatten so ihr Ziel nie erreicht. Der Herr ruft sie deshalb dazu auf, aus ihrer Teilnahmslosigkeit zu erwachen, wachsam zu sein und die erlöschende Glut geistlichen Lebens wieder zu einem Feuer zu entfachen. Er stellt auch fest, dass sie die Wahrheit kennen, zumindest verstandesmäßig, was natürlich ihre Verantwortung noch erhöht.
„Gedenke nun“, sagt Er, „wie du empfangen und gehört hast, und bewahre es und tu Buße“ (V. 3).
Diese Worte sind sehr wichtig. Es ist keine Aufforderung zur Selbstverbesserung an die Versammlung, sondern ein Hinweis auf den Maßstab, den Gott anwendet, wenn die Versammlung völlig und hoffnungslos versagt hat. Wo Menschenworte und menschliche Autorität nur Verwirrung und Verfall gebracht haben, bleiben Gottes Wort und Gottes Autorität unverändert, der feste Fels, den die Wogen und Strömungen menschlicher Meinungen nicht erschüttern können.
Sicherlich wird jeder die Ähnlichkeit zwischen dieser Versammlung und der protestantischen Christenheit erkennen. Ohne Zweifel ging von der Reformation ein gewaltiger Strom geistlicher Kraft und Segens aus, dieser warme Strom hat sich bei seiner Ausbreitung jedoch schnell abgekühlt und es dauerte nicht lange bis er zu einem trüben, leblosen See gefror. Der Glaube, der die Prediger auf der Kanzel und die Märtyrer auf dem Scheiterhaufen erfüllte, verlor immer mehr an göttlichem Inhalt, bis er schließlich kaum mehr als das Abzeichen einer politischen Partei war. Die Protestanten suchten und akzeptierten weltliche Schirmherrschaft und erkannten weltliche Herrscher als Häupter der verschiedenen Kirchen an. Die protestantische Kirche verband sich also mit den Herrschern der Welt und wurde ein anpassungsfähiges Werkzeug für diese, anstatt die Könige der Welt ihren Hierarchien zu überlassen, und sie versank schnell in geistlicher Starre und Tod. Bei ihr gab es zwar weder Skandale noch Götzendienst wie im römischen Katholizismus, es war jedoch kein Leben und göttliche Kraft vorhanden. Sie hatten das Wort Gottes, dessen Verbreitung ein äußerst gesegnetes Resultat der Reformation war, und sie hatten auch eine gewisse Anzahl neu entdeckter Wahrheiten, aber ihre Werke waren „nicht vollkommen“. Sie hatten Wahrheiten erfasst, ließen sie jedoch kraftlos liegen, ohne jemals zu versuchen, mehr zu entdecken. Sie endeten schließlich in einem von bloßen Traditionen geprägten Zustand, wo zwar weniger Böses, aber auch keine Frucht des Guten war, verglichen mit der schlimmsten Form des römischen Katholizismus. Dennoch hatten sie die Schriften und auch hier zeigt sich wieder einmal, dass dieses Privileg den Maßstab bildet. Daher liegt eine besondere Bedeutung in der Ermahnung, zu gedenken und zu bewahren „wie du empfangen und gehört hast“. In Zeiten der Schwachheit und der Schwierigkeiten werden die Gläubigen immer auf die durch die Apostel überlieferte und in der Bibel festgehalte Wahrheit Gottes hingewiesen und nicht auf kirchliche Tradition oder Autorität.
Es folgen ernste Worte:
„Wenn du nun nicht wachst, so werde ich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde“ (V. 3).
Dieses Kommen „wie ein Dieb“ ist nicht das Kommen des Herrn für die Seinen. Paulus schreibt: „Denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn so kommt wie ein Dieb in der Nacht. Wenn sie sagen: Frieden und Sicherheit!, dann kommt ein plötzliches Verderben über sie, wie die Geburtswehen über die Schwangere; und sie werden nicht entfliehen. Ihr aber, Brüder, ihr seid nicht in Finsternis, dass euch der Tag wie ein Dieb ergreife; denn ihr alle seid Söhne des Lichts und Söhne des Tages“ (1. Thess 5,2–5). Daher ist das Ereignis, das die Welt wie ein Dieb in der Nacht ereilt, nicht das Kommen des Herrn für die Seinen, sondern das Kommen am „Tag des Herrn“. Von diesem wird nicht als „glückselige Hoffnung“ gesprochen, sondern es wird uns als eine schreckliche Zeit der Vergeltung und des Gerichts vorgestellt. Gläubige dieser Haushaltung werden nicht in der Nacht sein, die dann in der Welt herrscht, sondern als „Söhne des Tages“ werden sie bei Christus sein und wenn Er kommt, um Gericht zu üben, werden sie mit Ihm in seiner Herrlichkeit erscheinen, so wie den Überwindern aus Thyatira versprochen wird. Kein wahres Glied am Leib Christi wird diesem „plötzlichen Verderben“ ausgesetzt sein, denn dieses betrifft nur die Welt und die falschen Lehrer, die beim Kommen des Herrn für die Seinen zurückbleiben werden. Der Großteil der Versammlung in Sardes war in diesem Zustand und der Großteil derer, die dem kirchlichen Stand angehören, den Sardes darstellt, werden auch in diesem Zustand gefunden werden. Wahre Gläubige werden entrückt werden, um beim Herrn zu sein, die Mehrheit jedoch wird, sich in falscher Sicherheit wiegend, weiterschlummern, bis Christus kommt wie ein Dieb in der Nacht und ein plötzliches Verderben über sie bringt.
Es gibt allerdings einen Überrest, wenn er auch klein und schwach ist.
„Aber du hast einige wenige Namen in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; und sie werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind es wert“ (V. 4).
Der Platz des Gläubigen ist es „sich selbst von der Welt unbefleckt zu erhalten“ (Jak 1,27). Die Versammlung in Sardes war jedoch so tief auf das Niveau der Welt gesunken, dass ihnen sogar mit dem Gericht für die Welt gedroht wird. Die wenigen, die es wert waren und die ihre Kleider rein gehalten hatten, werden mit Christus in weißen Kleidern einhergehen, wodurch die Unbeflecktheit und Heiligkeit ihres Lebens öffentlich bezeugt wird.
Das legt die Verheißung für den Überwinder nahe:
„Wer überwindet, der wird mit weißen Kleidern bekleidet werden, und ich werde seinen Namen nicht auslöschen aus dem Buch des Lebens, und ich werde seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt!“ (V. 5–6).
Die Versammlung in Sardes war durch und durch weltlich geworden. Sie bekannte, Leben zu haben, war jedoch in Wirklichkeit tot und leugnete somit Christus. Die Gegensätze zwischen der Versammlung und dem Überwinder werden in diesen Einzelheiten deutlich herausgestellt. Während die Versammlung zu einem weltlichen Haufen geworden war, hatte sich der Überwinder „von der Welt unbefleckt“ erhalten und empfängt daher die Verheißung „mit weißen Kleidern bekleidet“ zu werden. Während die Versammlung einen Namen zum Leben hatte, aber tot war, wird dem Überwinder ein Platz im „Buch des Lebens“ zugesichert und das Versprechen, dass sein Name nicht ausgelöscht werden wird. Während die bloßen Bekenner in Sardes eine Form der Gottseligkeit hatten, deren Kraft aber verleugneten, hatte der Überwinder mitten in allgemeiner Teilnahmslosigkeit und Apathie Christus aufrichtig bekannt. Daher wird ihm die Verheißung gegeben: „Ich werde seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln“.
Manche schlussfolgern aus den Worten „ich werde seinen Namen nicht auslöschen aus dem Buch des Lebens“, dass eine bereits errettete Person wieder verloren gehen kann, andere sagen, dass alle Menschen ursprünglich Leben haben, manche es durch die Sünde jedoch wieder verlieren. Beide Ableitungen werden bei Betrachtung des Zusammenhangs sofort zunichte. Sardes war eine Menge lebloser Bekenner. Die Tatsache aber, dass ein Bekenntnis vorhanden war, bezeugt den Anspruch, den Herrn Jesus als Erretter zu kennen beziehungsweise Leben zu haben. Was die Bekenner in Sardes anging, war dieser Anspruch ohne Grundlage. Sie hatten den Namen zu leben, waren aber tot. Der Herr verwendet also dieses natürliche aber bedeutende Bild, um ihre Namen aus dem Buch zu streichen. Der Überwinder hat jedoch einen Anspruch, den der Herr anerkennt und deshalb bleibt sein Name stehen, während die anderen gelöscht werden. Man kann das vielleicht mit dem Erstellen eines Bürgerverzeichnisses vergleichen. Jeder Einwohner einer Stadt kann eine Registrierung beanspruchen. Alle werden in ein Buch eingetragen bis der Revisor eine Überprüfung vornimmt. Bei dieser bleiben die wirklich Anspruchsberechtigten stehen, während unberechtigte Antragssteller von der Liste gestrichen werden. Die Erstgenannten allein haben ein Ohr zum Hören und nur an diese richtet sich die Aufforderung.