Die Offenbarung Jesu Christi
Thyatira
Wir kommen nun zu einem anderen Zustand. In Thyatira ist zwar immer noch viel Treue und Eifer, aber die Mehrheit ist bereits abgefallen und die Ermahnung zu hören richtet sich nicht länger an die ganze Versammlung, sondern nur an die Treuen. Außerdem wird sowohl in diesem als auch in den folgenden Briefen das Kommen des Herrn erwähnt, was scheinbar ein Hinweis darauf ist, dass wir aus historischer Sicht nun eine Epoche in der Kirchengeschichte erreicht haben, die bis an das Ende der Kirche hier auf der Erde dauern wird.
„Und dem Engel der Versammlung in Thyatira schreibe: Dieses sagt der Sohn Gottes, der seine Augen hat wie eine Feuerflamme und seine Füße gleich glänzendem Kupfer“ (V. 18).
Hier erscheint Christus als der „Sohn Gottes“, jedoch als der Sohn Gottes in richterlicher Gestalt. „Seine Augen ... wie eine Feuerflamme“ untersuchen und prüfen alles. „Seine Füße gleich glänzendem Kupfer“ symbolisieren das gerechte Urteil, das er verkünden wird. All das ist sehr ernst.
Trotzdem sieht der Herr auch einiges, woran Er Gefallen findet:
„Ich kenne deine Werke und deine Liebe und deinen Glauben und deinen Dienst und dein Ausharren und weiß, dass deine letzten Werke mehr sind als die ersten“ (V. 19).
Das waren sicher nicht die Werke der Jesabel, deren Taten die Mehrheit der Versammlung charakterisierten. Sie kamen zweifellos von dem danach genannten Überrest. Bevor Er zu den ernsten Anklagen kommt, die Er vorbringen muss, verweilt Er auf diesen schönen Merkmalen, die sich sehr deutlich von dem dunklen Hintergrund, gegen den sie stehen, abheben.
„Aber ich habe gegen dich, dass du die Frau Jesabel duldest, die sich eine Prophetin nennt, und sie lehrt und verführt meine Knechte, Hurerei zu treiben und Götzenopfer zu essen“ (V. 20).
Jesabel war die heidnische Königin, die, nachdem sie ihren Ehemann in den Götzendienst gelockt hatte, die Regelung religiöser Angelegenheiten in Israel an sich riss, den Gottesdienst des Herrn verfolgte und die Baal-Verehrung einführte. Bileam war ein Verführer von außen und ist Sinnbild dafür, welche weltlichen Dinge für die Kirche zum Fallstrick wurden. Jesabel war eine Verderberin von innen und repräsentiert den schamlosen Bund der Kirche mit Götzendienst und der Welt. Es bestand wohl kein großer Unterschied in der Schuld Bileams und der Jesabels, sie nahmen jedoch sehr unterschiedliche Stellungen ein und letztere ist eine weitaus komplexere Figur innerhalb der Kirche als die Figur Bileams. In Pergamus waren Einzelne des Bösen schuldig, aber die Versammlung als solche wird als frei davon gesehen. In Thyatira waren Einzelne frei von Bösem, die Kirche als solche aber wird als schuldig angesehen.
Der Ausdruck „die Frau Jesabel“ verstärkt das Ganze noch. Ahab war der Herrscher über Israel und moralisch für das Volk verantwortlich, so wie hier der Engel oder der unsichtbare Vertreter, der Verantwortung für diese Versammlung hat. Ahab hatte sich schuldig gemacht, erstens, indem er die Tochter eines heidnischen Königs geheiratet hatte und sich somit mit dem Baals-Dienst eins machte. Zweitens, erlaubte er ihr, einer Fremden und Götzendienerin und die sich selbst „eine Prophetin nennt“ in Gottes Erbteil, die Führung in geistlichen Angelegenheiten zu übernehmen. Das ist es, was die Kirche aus historischer Sicht nach der Epoche von Pergamus zur Zeit der kirchlichen Vorherrschaft Roms tat. Es wurde ein Bund zwischen der bekennenden Kirche und der Welt geschlossen und damit einhergehend wurden, unter dem Deckmantel göttlicher Autorität, von den römischen Herrschern alle möglichen götzendienerischen Praktiken eingeführt. Tatsächlich ist der Vergleich mit Rom noch naheliegender als mit der Versammlung in Thyatira. Denn Rom hatte, wie Jesabel auch, nicht nur heidnischen Verfall gebracht, sondern auch die Erde mit dem Blut solcher getränkt, die sie ablehnten.
Die langmütige Gnade des Herrn bleibt auch im Fall Jesabels bestehen, wenn Er sagt:
„Und ich gab ihr Zeit, damit sie Buße tue, und sie will nicht Buße tun von ihrer Hurerei“ (V. 21).
Wie lange dieser Zeitraum in der Versammlung in Thyatira war, wissen wir nicht. Was aber die historische Kirchenepoche, die diese Versammlung repräsentiert, angeht: welche Geduld und Langmut hat der Herr, wie viele wiederkehrenden Aufrufe zur Buße und Warnungen in der einen oder anderen Form haben sie erhalten – alles vergebens! „Sie will nicht Buße tun von ihrer Hurerei“. Es ist keine Blindheit und Unwissenheit, sondern ein bewusstes Handeln gegen Gott.
Das Gericht kommt schließlich über sie, wenn auch spät:
„Siehe, ich werfe sie in ein Bett und die, die Ehebruch mit ihr treiben, in große Drangsal, wenn sie nicht Buße tun von ihren Werken. Und ihre Kinder werde ich mit Tod töten, und alle Versammlungen werden erkennen, dass ich es bin, der Nieren und Herzen erforscht; und ich werde euch einem jeden nach euren Werken geben“ (V. 22, 23).
Der schreckliche Zustand wird hier offenbar und das Gericht ist hart und unausweichlich. Nicht nur die erste Liebe zu Christus hat nachgelassen, sondern ehebrecherische Liebe zu Welt und Götzendienst, d. h. geistliche Hurerei, hat Einzug gehalten. Jesabel wird in ein Bett geworfen und ihren abtrünnigen Wegen überlassen, während diejenigen, die mit ihr verkehrt haben, in „große Drangsal“ gebracht und ihre Kinder mit Tod getötet werden. Das Bild ist vom Schicksal der Anhänger Isebels und ihren Kindern im Alten Testament entliehen – erstere wurden verfolgt und vernichtet, letztere zu Tode gebracht. Isebels Schicksal in historischer Sicht werden wir später verfolgen, wenn wir zu dem Gericht der großen Hure kommen, deren Fleisch gefressen wird wie das der israelitischen Königin (Off 17,16). Die Versammlungen werden dieses Gericht sehen und Christus als den erkennen, der Herz und Nieren prüft. Es gibt aber auch Unterschiede in der Schuld der Anhänger Jesabels und das Gericht unterscheidet deshalb: „Ich werde euch einem jeden nach euren Werken geben“. Das ist der gerechte Umgang des Herrn mit der Versammlung in Thyatira oder mit der großen Masse, die von diesem Verfall durchdrungen war und so wird Er auch das weltliche System, das durch diese Versammlung in Asien dargestellt wird, gerecht richten.
Wie erleichternd, sich von der dunklen Seite dem Überrest zuzuwenden, denen der Herr nun sagt:
„Euch aber sage ich, den Übrigen, die in Thyatira sind, so viele diese Lehre nicht haben, die die Tiefen des Satans, wie sie sagen, nicht erkannt haben: Ich werfe keine andere Last auf euch; doch was ihr habt, haltet fest, bis ich komme“ (V. 24,25).
In Thyatira gab es einfache Gläubige, die nicht an der Lehre festhielten, die solches Unheil gebracht hatte und die der List Satans widerstanden hatten. Diese sollten nicht gerichtet werden. Da sie vom Bösen umgeben waren, sollten sie jedoch festhalten, was sie hatten, „bis ich komme“. Das Kommen des Herrn wird den Gläubigen nun als Gegenstand der Hoffnung vorgestellt. Auf dieses Ereignis möchte der Herr immer die Blicke seines Volks lenken. Wenn Er beiseite gesetzt wird und die Welt den allein Ihm gebührenden Platz in der Kirche einnimmt, erinnert Er die Treuen an sein Kommen und bittet sie, geduldig die Erfüllung dieser glückseligen Hoffnung zu erwarten.
Dann folgt die Verheißung:
„Und wer überwindet und meine Werke bewahrt bis ans Ende, dem werde ich Gewalt über die Nationen geben; und er wird sie weiden mit eiserner Rute, wie Töpfergefäße zerschmettert werden, wie auch ich von meinem Vater empfangen habe; und ich werde ihm den Morgenstern geben. Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt!“ (V. 26–29).
„Meine Werke“ ist ein besonderer Ausdruck, der an Paulus erinnert. „[Denn] diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christus Jesus war.“ Der Gläubige sollte in seinem Leben Christus widerspiegeln. Er ist mit Christus lebendig gemacht, hat durch den Geist dasselbe Leben und dieses Leben, das er nun hat, soll in seinem täglichen Leben sichtbar sein. Unser wunderbarer Herr war inmitten all der negativen Umstände während seiner Zeit auf der Erde der fleckenlos Reine, der absolut Treue und Gehorsame. Inmitten von Verfall und Niedergang in der Christenheit sind die Gläubigen nun aufgefordert, das Leben Christi in ihrem Handeln und Reden darzustellen. Es gibt auch einen Unterschied zwischen den Werken Christi und denen der Jesabel. Während den durch Jesabel Verführten Gericht angedroht wird, wenn sie nicht Buße tun „von ihren Werken“, wird den treuen Gläubigen eine Belohnung in Aussicht gestellt, wenn sie „seine Werke“ bewahren.
Und was ist diese Belohnung? „Wenn wir ausharren, so werden wir auch mitherrschen“. Während Jesabel und ihre Anhänger ihren Vergnügungen nachgehen und über die Welt herrschen, müssen solche, die sich von ihren Gräueltaten fern halten, auf weltliche Vorteile und Auszeichnungen verzichten. Sie teilen die Verwerfung Christi und ihnen wird versprochen, dass sie mit Ihm herrschen werden. Sie können wohl auf Macht und Einfluss verzichten, die Jesabel an sich gerissen hat, denn ihnen wird „Gewalt über die Nationen“ gegeben. Christus wird kommen, um zu herrschen und als erstes wird Er Gericht üben. Auch diese Gläubige werden mit ihm als himmlische Kriegsheere kommen, wenn Er erscheint um die Nationen mit eiserner Rute zu weiden. Sie müssen daher zuvor mit Ihm beim Kommen des Herrn für die Seinen entrückt worden sein. Die Hoffnung auf sein Kommen wird direkt im Anschluss erwähnt: „Ich werde ihm den Morgenstern geben“. Christus ist die „Wurzel und das Geschlecht Davids“, der „glänzende Morgenstern“. Als die „Wurzel und das Geschlecht Davids“ wird Er die Königreiche der Erde in Besitz nehmen, als der „glänzende Morgenstern“ ist Er die Hoffnung der Seinen, der Vorbote des Morgengrauens in der Finsternis der Welt. Den ermatteten Gläubigen werden zwei Dinge zur Ermunterung vorgestellt: mitten in Schlechtigkeit und Verfolgung, die Jesabel in das Haus Gottes gebracht hatte, ist es zum einen die Aussicht mit Ihm zu herrschen und zum anderen die Hoffnung auf seine Wiederkehr um sie zu sich zu nehmen. Es folgt die Ermahnung zu hören, die hier erstmalig nicht an die Versammlung insgesamt, sondern nur an die Überwinder gerichtet ist.