Die Offenbarung Jesu Christi
Pergamos
In Smyrna riefen die Verfolgungen der Kirche Hingabe hervor. Wenn er mit Gewalt nicht zum Ziel kommt, versucht Satan es mit List. Er bedient sich beider Methoden, wenn die eine versagt, wird die andere angewendet. Gegen unseren gepriesenen Herrn versuchte er beides. In der Wüste wandte er seine ganze List an, am Kreuz seine ganze Wut. In beiden Fällen jedoch zu seiner eigenen Schande und zur Verherrlichung seines anbetungswürdigen Feindes! Bei Paulus in Philippi suchte er zuerst das Evangelium zu schädigen, indem er es unterstützte und es auf diese Weise mit satanischer Energie vermischte. Hierin gehindert, versucht er es wieder mit Gewalt und erleidet wieder einmal eine schändliche Niederlage.
So war es auch bei diesen Versammlungen. In Smyrna versuchte er es mit Verfolgung, dies rief jedoch nur eine umso größere Hingabe und Treue hervor. In Pergamus ging er mit List vor und seine weltlichen Fallstricke führten zu Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit in der Kirche. Es liegt eine traurige Vorahnung in der Art und Weise, wie sich der Herr vorstellt:
„Dieses sagt der, der das scharfe, zweischneidige Schwert hat“ (V. 12).
Welcher Kontrast zu dem vorhergehenden Brief! Den Tod geweihten Gläubigen dort stellt der Herr sich vor als „der Erste und der Letzte, der starb und wieder lebendig wurde“. Hier, als der Richter, trägt Er das scharfe, zweischneidige Schwert. In Smyrna offenbart Er sich als der, der die Macht des Lebens hat, hier, als der, der die Macht des Todes hat.
„Ich weiß, wo du wohnst: wo der Thron des Satans ist; und du hältst fest an meinem Namen und hast meinen Glauben nicht verleugnet, auch in den Tagen, in denen Antipas mein treuer Zeuge war, der bei euch, wo der Satan wohnt, ermordet worden ist“ (V. 13).
Es war also noch viel Treue zu finden, denn Er sagt: „Du hältst fest an meinem Namen und hast meinen Glauben nicht verleugnet“ und das mitten in schwerer Verfolgung, in der ein Gläubiger mit Namen Antipas den Märtyrertod starb. All das erkennt der Herr in seiner Gnade an. Aber dennoch gab es auch dort Versagen: „Ich weiß, wo du wohnst: wo der Thron des Satans ist“. Das ist ein bildlicher Ausdruck und wir wissen nicht genau, worauf er sich bei dieser Versammlung bezieht. Zweifellos hat dieser Ausdruck jedoch eine allgemeine Bedeutung. Was ist der Thron Satans? Er ist das Gegenteil zum Thron Gottes, der im Himmel ist. Einige Kapitel später gibt Satan dem Tier, dem großen Herrscher der Welt „seine Macht und seinen Thron und große Gewalt“ (Off 13,2). Satans Thron ist also die weltliche Macht, die er an sich gerissen hat und die er, in der Versuchung, für sich beansprucht. Die Schrift sagt wiederholt, dass er diese Macht hat und bezeichnet Satan als „Fürst dieser Welt“ und „Gott dieser Welt“, den Geist „der jetzt wirksam ist in den Söhnen des Ungehorsams“.
Die Versammlung in Pergamus hatte sich in der Welt, dem Wirkungskreis Satans, sesshaft gemacht. Das bedeutet keine äußerliche oder öffentliche Verderbtheit. Für Satan ist es sehr zufriedenstellend, wenn er sieht, dass Christen immer mehr verweltlichen. Solange sie Christus gegenüber untreu sind, weil sie die Welt in ihre Herzen lassen, ist sein Ziel genauso erfüllt als hätte er sie in die gröbste Sünde geführt. Sobald die Welt, sei es die religiöse Welt oder etwas anderes, den Platz einnimmt, der Christus gebührt, wird die brennende Liebe für seine Person und die wunderbare Hoffnung auf sein Kommen verschwinden und Kälte, Leblosigkeit, Duldung von Bösem, Gleichgültigkeit gegenüber seinen Ansprüchen werden Einzug halten. Es mag sein, dass offensichtlich Böses die Folge ist, in jedem Fall aber hat bereits der Niedergang eingesetzt.
In Pergamus hatte dies die Auswirkung, dass sie Böses zuließen, ein Verhalten, das die Ehre Christi in höchstem Maß verletzte:
„Aber ich habe ein weniges gegen dich, dass du solche dort hast, die die Lehre Bileams festhalten, der den Balak lehrte, einen Fallstrick vor die Söhne Israels zu legen, Götzenopfer zu essen und Hurerei zu treiben. So hast auch du solche, die in gleicher Weise die Lehre der Nikolaiten festhalten. Tu nun Buße; wenn aber nicht, so komme ich dir bald und werde Krieg mit ihnen führen mit dem Schwert meines Mundes“ (V. 14–16).
Wir haben bereits den Charakter des Bösen gesehen. Wie Bileam Balak Anleitung gab, die Israeliten zum Götzendienst und zur Vermischung mit seinem Volk (mit der heidnischen Welt) zu verführen, versucht Satan den Gläubigen von Christus weg zu ziehen, so dass die Welt in seinem Herzen die Oberhand gewinnt. Das war die Lehre der Nikolaiten. Welche Form diese angenommen hatte, ist unbedeutend, der moralische Charakter ergibt sich eindeutig durch den Vergleich mit Bileam.
Verglichen mit Ephesus ist hier ein deutlicher Niedergang festzustellen. In Ephesus wurden die „Werke der Nikolaiten“ gehasst. In Pergamus war die „Lehre der Nikolaiten“ geduldet und wir können sicher sein, dass deren praktische Umsetzung nicht weit entfernt war. Im Allgemeinen ist es in der Tat so, dass die Praxis der Lehre vorausgeht und Böses dann offiziell erlaubt wird, wenn es bereits lange Zeit stillschweigend geduldet wurde. Wahrscheinlich wurde das „Gift“ in sehr ansprechender Form als philosophische oder fortschrittliche Lehrelemente verabreicht. Die menschliche Natur bleibt stets die gleiche: In der Eitelkeit des Herzens meint der Mensch immer, das Wort Gottes verbessern zu können, indem er es dem hohen Grad der Aufklärung und Freiheit seiner Zeit anpasst und die Weisheit, die Gott nicht kennt, benutzt, um die gottgegebenen Offenbarungen zu modernisieren und zu verfeinern. Wie wenige können leider in unseren Tagen bezeugen, dass Gottes Weisheit über modernem Gedankengut steht. In diese Weisheit mit menschlichen Meinungen oder Philosophien eindringen zu wollen, ist törichte Anmaßung.
Wenn wir diese Versammlung als Sinnbild für die dritte Periode der Kirchengeschichte betrachten, können wir eine enge Übereinstimmung mit den historischen Fakten des Christentums feststellen. Nach den Verfolgungen, die die Kirche unter den heidnischen Herrschern erleiden musste, wirkten sich die günstigen Bedingungen und weltliches Gedeihen unter Konstantin und seinen Nachfolgern schädlich auf Moral und Lehre der Kirche aus. In vielen Fällen gewann man Heiden durch die Übernahme heidnischer Bräuche und Feste als Teil des christlichen Gottesdienstes oder als Festtage im christlichen Kalender. Noch schlimmer war die offene und schamlose Weltlichkeit derer, die sich selbst nach den Namen Christi nannten. Sie hatten sich dort niedergelassen, wo der Thron Satans war, und von da an war die Geschichte der Christenheit mehr als tausend Jahre lang von stetig zunehmender Anpassung an die Welt und Gleichgültigkeit gegenüber dem Willen ihres abwesenden Herrn gekennzeichnet. Die ganzen himmlischen Wahrheiten wurden fallen gelassen und sogar wahre Christen verloren den Blick auf die Lehre der Schrift, nach der der Gläubige bereits mit Christus im Himmel vereint ist und seine Wiederkunft als „glückselige Hoffnung“ erwarten soll.
Dennoch sieht der Herr diese Versammlung nicht als hoffnungslos verdorben. Das Böse wird mehr örtlich als allgemein gesehen, als ein abgestorbenes Glied, das entfernt werden muss und nicht als ein toter Körper, für den es nur noch den Tod gibt. Die ganze Versammlung ist zwar verantwortlich und wird, unter Androhung einer baldigen Heimsuchung, zur Buße aufgefordert. Doch gerichtet werden nur diejenigen, die an dieser bösen Lehre festhalten. „Tu nun Buße; wenn aber nicht, so komme ich dir bald und werde Krieg mit ihnen [nicht mit dir] führen mit dem Schwert meines Mundes“. Das Böse mag zunehmen bis die gesamte Kirche verdorben ist und die Treuen werden als alleinstehender Überrest gesehen. So ist es bei den Versammlungen, die danach angeschrieben werden, oder zumindest in den kirchengeschichtlichen Perioden, die sie repräsentieren. Hier war es jedoch noch nicht soweit gekommen und somit wird die Versammlung als Ganze, obwohl mit Gericht bedroht, immer noch anerkannt, wobei sich das Gericht dann jedoch auf die Täter des Bösen beschränkt.
Die Ermahnung:
„Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt!“ (V. 17)
ist daher wieder einmal an die ganze Versammlung gerichtet. Die Verheißung für den Überwinder ist wunderbar:
„Dem, der überwindet, dem werde ich von dem verborgenen Manna geben; und ich werde ihm einen weißen Stein geben, und auf den Stein einen neuen Namen geschrieben, den niemand kennt als nur der, der ihn empfängt“ (V. 17).
Während sich die Kirche „in ihren Herzen nach Ägypten zurück“ gewandt hatte, Götzenopfer aß und nach dem Lauch und den Zwiebeln, den guten Dingen dieser Welt gelüsten ließ, stellt sich Christus als das „verborgene Manna“, das „wahrhaftige Brot aus dem Himmel“ vor, das für die Welt unsichtbar das Herz des hungrigen Gläubigen sättigt. Es ist jedoch nicht nur so, dass er sich von Christus in seiner Niedrigkeit nährt, wovon das Manna ein typisches Bild ist, sondern er hat auch eine besondere Verbindung mit Christus in Herrlichkeit. Er gibt zwar die weltliche Stellung und Ehre, wonach die Kirche strebt, auf, aber was ist das im Vergleich zu dem weißen Stein aus der Hand Christi als Zeichen seiner Anerkennung, graviert mit einem verborgenen Namen, ein Zeichen der Liebe, das nur der Geber und der Empfänger kennen? Wer würde sich nicht an einem solchen Geheimnis zwischen ihm und Christus freuen? Das ist das Teil der Überwinder in den Tagen voranschreitender Verweltlichung und Niedergang. Leider wissen wir nur so wenig darüber!